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Blutspende sicher und diskriminierungsfrei ausgestalten

Mittwoch, 15.11.2017

Die „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten für die Blutspende (Richtlinie Hämotherapie)“ wird nicht vom Hamburger Senat, sondern auf der Grundlage der §§ 12a und 18 des Transfusionsgesetzes von der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut entwickelt. Die Einflussmöglichkeiten des Hamburger Senats sind deshalb gering. Die Bundesärztekammer hat im August 2017 eine Neufassung der maßgeblichen Hämotherapie-Richtlinie vorgestellt, der zufolge „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)“, nicht mehr grundsätzlich von der Blutspende ausgeschlossen werden. Maßgeblich soll nun eine Wartefrist von zwölf Monaten zwischen dem letzten Sexualverkehr und der Blutspende sein. MSM werden als „Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV, bergen“, mit einer Wartefrist belegt. Zu dem genannten Personenkreis mit einer Wartefrist von zwölf Monaten gehören neben MSM auch

- heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern,

- Personen, die Sexualverkehr gegen Geld oder andere Leistungen (z. B. Drogen) anbieten (männliche und weibliche Sexarbeiter), und

- transsexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten.

Neben den Wartefristen für diese Personen gibt es eine Vielzahl weiterer Ausschluss- und Wartezeitregelungen.

Oberste Priorität hat die Sicherheit der gewonnen Blutspenden und damit die Sicherheit der potentiellen Empfängerinnen und Empfänger. Trotz eines sehr hohen Schutzniveaus, das durch die Spenderauswahl, das Spendenverfahren und die Testung der Blutspenden hergestellt wird, ist es auch im 21. Jahrhundert in Einzelfällen noch zu HIV-Übertragungen durch Blutprodukte gekommen. Nur die Bereitschaft von Spendern, mögliche Risiken aus der eigenen Spende für die Empfängerinnen und Empfänger von Blutspenden zu erkennen (compliance), und die Anwendung moderner Testverfahren gemeinsam bieten das erforderliche Schutzniveau. Die verbreitete Annahme, dass die Anwendung von Analysetests die Infektion einer Blutspende, bspw. mit HIV, zu 100 Prozent ausschließen könne, ist falsch. Auf eine sorgfältige Spenderauswahl, -befragung und Spender-Compliance kann deshalb nicht verzichtet werden.

Der Hamburger Senat hatte sich über den Bundesrat und die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) bereits im Jahr 2014 für eine Überprüfung des vor der aktuellen Novellierung gültigen vollständigen Ausschlusses in Bezug auf MSM eingesetzt, weil dieser von homo- und bisexuellen Männern als diskriminierend wahrgenommen wurde. Die Bürgerschaft ist, wie bereits im Februar 2015 mit Beschluss der Drs. 20/14361 festgestellt, der Auffassung, dass es nicht von der sexuellen Orientierung abhängen darf, ob eine Spenderin oder ein Spender infrage kommt, sondern vom individuellen Risikoverhalten und den erforderlichen Schutzmaßnahmen. Der Generalverdacht über homo- und bisexuelle Männer beim Blutspenden sollte beendet werden. Niemand sollte nur wegen seiner Gruppenzugehörigkeit pauschal von der Möglichkeit der Blutspende ausgeschlossen sein. Nach dem Urteil des EuGH sind spezielle Regelungen für MSM und andere Gruppen dann gerechtfertigt, wenn keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um ein Höchstmaß an Sicherheit der Blutprodukte zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, Risikogruppen (nur) dann gesondert zu behandeln, soweit eine Unterscheidung zur Minimierung des Ansteckungsrisikos durch Spenderblut notwendig und methodisch nicht ersetzbar ist. Ob eine einjährige Rückstellung der genannten Risikogruppen, darunter MSM, in diesem Sinne eine notwendige Maßnahme zur Sicherheit der Blutprodukte darstellt, bleibt der Einschätzung durch medizinische Fachexpertise vorbehalten.

Der Gesundheitsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft hat sich in seiner Sitzung am 26. September 2017 ausführlich mit der neuen Richtlinie der Bundesärztekammer befasst und hatte mit Prof. Dr. Bein einen kompetenten Experten zu Gast, der dem Ausschuss die Hintergründe für die gefundenen Regelungen aus Sicht der Bundesärztekammer erläutert hat. Bezüglich der häufig kritisierten pauschalen Einstufung von MSM als Risikogruppe berief sich Prof. Dr. Bein auf die Erkenntnisse des Robert-Koch Instituts und der dort verfügbaren Statistiken, die zum einen ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für HIV bei MSM belegen und zum anderen ebenfalls keine Binnendifferenzierung innerhalb der Gruppe der MSM vornehmen. Eine epidemiologisch valide Datengrundlage für eine am konkreten Sexualverhalten orientierte Risikobewertung stünde daher nicht zur Verfügung. Zudem sei eine ausführliche Sexualanamnese im Rahmen der Arbeit der Blutspendedienste kaum leistbar. Die Wartefrist von zwölf Monaten bei der Gruppe der MSM und anderen wurde u.a. mit der Möglichkeit noch nicht bekannter oder neuer Infektionskrankheiten begründet, die auf gleichen Wegen übertragen werden.

Das Wortprotokoll der Beratung kann als Ausschussprotokoll des Gesundheitsausschusses mit der Nummer 21/19 über die Parlamentsdatenbank aufgerufen werden. Dem Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft lag bei seiner Beratung der überarbeitete Leitfaden für den Fragebogen in den Blutspendediensten leider noch nicht vor. Für Irritationen sorgt weiterhin, dass es in Europa nicht einheitliche Regelungen zum Ausschluss oder Nichtausschluss von MSM bei der Blutspende sowie unterschiedlich lange Wartezeiten gibt. Während in England und Schottland bspw. eine dreimonatige Wartefrist für ausreichend gehalten wird, stellen Italien, Portugal und Spanien unabhängig von der sexuellen Orientierung bei der Spenderbefragung generell auf riskante Sexualkontakte ab und arbeiten mit einer vier- oder sechsmonatigen Wartefrist.

Die neue Richtlinie der Bundesärztekammer überwindet zwar den Pauschalausschluss der Gruppe der MSM von der Blutspende, wird von Betroffenen aber durch die erhebliche Rückstellungsfrist oft als Diskriminierung empfunden. Die Wirksamkeit der Rückstellungsdauer sollte daher kontinuierlich überprüft werden. Wenn eine kürzere Rückstellung das gleiche Schutzniveau vor übertragbaren Krankheiten erreichen kann, sollte die Dauer der Rückstellung verkürzt werden.

Auch Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen sind in der Blutspendepraxis teilweise von Diskriminierung betroffen. Der bisherige Pauschalausschluss des Zentralinstituts für Transfusionsmedizin (ZIT) beispielsweise von gehörlosen oder blinden Menschen soll durch eine individuelle Einschätzung und ggf. Hilfen zur Blutspende ersetzt werden. Gleiches gilt für die Spende von Personen, die die deutsche Sprache nicht in ausreichendem Umfang beherrschen.

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. sich bei absoluter Priorität der Sicherheit der Blutprodukte für eine regelmäßige Überprüfung der Rückstellungskriterien der „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten für die Blutspende“ auf Bundesebene einzusetzen;

2. im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass zur Überprüfung der Rückstellungskriterien insbesondere ein verstärkter europaweiter wissenschaftlicher Austausch über die Zielerreichungsgrade der unterschiedlichen Regeln für MSM und Transsexuelle bei der Blutspende in den EU-Mitgliedsstaaten stattfindet;

3. die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich-Institut zu bitten, ihre Informations- und Aufklärungsarbeit über die wissenschaftlichen Grundlagen der gefundenen Regelungen bezüglich MSM und Transsexuellen bei der Blutspende insbesondere gegenüber den Bundesverbänden der homo- und bisexuellen Männer, der Transsexuellen und der AIDS-Hilfen zu verstärken sowie die Expertise dieser Gruppen und Verbände aufzunehmen;

4. darauf hinzuwirken, dass Barrieren für Spendewillige mit körperlichen, geistigen oder sprachlichen Einschränkungen bei den Blutspendediensten abgebaut werden und eine individuelle Einschätzung der Möglichkeit zur Blutspende erfolgt;

5. darauf hinzuwirken, dass die durch die Hamburger Blutspendedienste bereitgestellten Informationen über mögliche Ausschlussgründe zur Blutspende kurzfristig entsprechend angepasst werden; und

6. der Bürgerschaft bis zum 31.12.2018 über das Ergebnis seiner Bemühungen zu berichten.

 

sowie
  • Christiane Blömeke
  • Mareike Engels
  • René Gögge
  • Farid Müller
  • Dr. Anjes Tjarks (GRÜNE) und Fraktion