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Den „Hamburger Sonntagsfrieden“ zukunftsfähig machen

Donnerstag, 15.06.2017

Bei der Sonntagsöffnung gibt es in der Hamburger Bevölkerung ein breites Meinungsspektrum: Die einen möchten an mehr Sonntagen einkaufen, die anderen möchten überhaupt keine Sonntagsöffnungen: Der „Hamburger Sonntagsfrieden“ ist ein Ausgleich unterschiedlicher Interessen in unserer Stadt und findet als solcher breite Unterstützung. Er ist zugleich eine kulturelle Errungenschaft und gründet sich auf eine Übereinkunft zwischen Stadt, Kirchen und Gewerkschaften. Er bewahrt das Leben der Menschen vor der vollständigen Kommerzialisierung. An vier Sonntagen im Jahr kann aus besonderem Anlass nach dem Hamburgischen Ladenöffnungsgesetz das Einkaufen möglich sein, dadurch bleiben diese verkaufsoffenen Sonntage aus guten Gründen die besondere Ausnahme. Für die Beschäftigten im Einzelhandel gilt dabei das Prinzip der Freiwilligkeit und bei Bedarf der angebotenen Kinderbetreuung. An den übrigen Sonntagen dient die Sonntagsruhe den Familien, dem Sport, den Kirchen, der Kultur und nicht zuletzt auch dem einzelnen Menschen, der so die Chance bekommt, sich abseits der Zwänge und Versuchungen der Warenwelt auf das Leben jenseits von Arbeit, Konsum und Alltagshast zu besinnen. Denn was auf den ersten Blick wie ein Mehr an Freiheit scheinen mag, würde sich sehr schnell als ein Weniger an Freiheit erweisen: Der Sonntag wäre nicht mehr der freie Ruhetag für die Menschen und die Stadt, sondern würde rasch zu einem Tag wie jeder andere werden.

Der „Hamburger Sonntagsfrieden“ bezeichnet einen jahrzehntelangen Konsens der jeweiligen Senate und Regierungskoalitionen mit den Kirchen und Gewerkschaften in Hamburg, der auch im Ladenöffnungsgesetz abgesichert ist. Er gewährleistet eine Beschränkung auf vier terminidentische Sonntagsöffnungen in Hamburg außerhalb der Feier- und der Adventssonntage. Wenn dieser Konsens auch der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht vom November 2015 standhalten soll, ist das Verhältnis zwischen dem Anlass der Sonntagsöffnung (Veranstaltung) und der Sonntagsöffnung noch stärker zu fokussieren: Die Veranstaltung muss als Magnet die Menschen anziehen, mehr als die Sonntagsöffnung selbst.

Der rechtliche Rahmen ist eng gezogen: In Artikel 140 des Grundgesetzes – in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung – heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Ausnahmen davon kann es im Interesse des Sonntags selbst (Arbeit für den Sonntag) oder im Interesse der Gewährleistung anderer verfassungsrechtlicher Ansprüche (Arbeit trotz des Sonntags) geben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 festgestellt, dass die Arbeitsruhe an Sonntagen die Regel sein muss, Ausnahmen als solche erkennbar sein müssen, und der grundsätzliche Charakter des Sonntags als Tag der Arbeitsruhe durch Ausnahmeregelungen nicht beeinträchtigt werden darf. Rein wirtschaftliche Interessen des Einzelhandels oder das alltägliche Einkaufsinteresse der Kunden können keine Ausnahme rechtfertigen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung mit seinem Urteil vom 11. November 2015 weiterentwickelt und die Auslegung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe deutlich enger gefasst: Es muss eine von der Sonntagsöffnung unabhängige Veranstaltung geben, die bevorzugt an einem Sonntag liegt. Sodann ist eine Sonntagsöffnung aus Anlass dieser Veranstaltung nur dann zulässig, wenn die Sonntagsöffnung nur als Annex zu der Veranstaltung stattfindet und wahrgenommen wird. Die prägende Wirkung muss sich darin äußern, dass die Veranstaltung ohne Sonntagsöffnung mehr Besucherinnen und Besucher anziehen würde, als die Sonntagsöffnung allein. Darüber hinaus muss es einen räumlichen Bezug der Sonntagsöffnung zur Veranstaltung geben. Den Einschätzungen bezüglich der vorgenannten Kriterien muss eine schlüssige und vertretbare Prognose zugrunde liegen.

Die Rechtsprechung zur Sonntagsöffnung hat sich also entscheidend konkretisiert und die bisherige Praxis wird durch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wesentlich eingeschränkt. Dies hat in den letzten Monaten zu diversen erfolgreichen Klagen gegen geplante Sonntagsöffnungen in diversen Städten geführt, wie z.B. in Essen, Frankfurt, Stuttgart, München, Hannover, Düsseldorf, Münster und Oberhausen. Wir wollen für Hamburg eine Lösung finden, die den „Sonntagsfrieden“ erhält und auf der Basis der neuen Rechtsprechung weiterhin rechtssicher macht. Dazu ist eine Einbeziehung und Beteiligung aller Betroffenen notwendig. Es ist anerkennenswert, dass die Kirchen und Gewerkschaften in unserer Stadt entsprechend Druck entwickelt haben, um gemeinsam zu einer stadtpolitisch konstruktiven Lösung zu finden.

Die Antragsteller haben zu dieser Frage einen Dialog in alle Richtungen aufgenommen und meinen: Der Geist der neuen Rechtsprechung erfordert ein Umdenken und einen Paradigmenwechsel: Die Sonntagsöffnung steht nicht im Mittelpunkt mit dem Event-Beiwerk als Legitimation, sondern die Sonntagsöffnung ist der Annex zu dem Event bzw. Ereignis, dem sie zugeordnet ist. Anstatt in Politik, Verbänden und Medien die Kontroverse über mehr oder weniger verkaufsoffene Sonntage fortzusetzen, wollen wir auf der Basis der Verfassung und ihrer höchstrichterlichen Auslegung eine konstruktive Zukunftslösung suchen, die verschiedene Interessen aufnimmt und zugleich den Zusammenhalt in unserer Stadt fördert.

Die Grundidee dieser Zukunftslösung liegt darin, auch thematische Veranstaltungen eng mit den Interessen der Einzelhändler nach einer Sonntagsöffnung zu verknüpfen. Die Einzelhändler sollen in unterschiedlichen Kooperationsformen zu Mit-Initiatoren der Veranstaltungen bzw. von deren Themen werden, sodass die jeweiligen Besucherprognosen für die Veranstaltung und die Sonntagsöffnung mit einer möglichst breiten Schnittstelle quasi ineinander übergehen - und zwar in der gesamten dezentralen räumlichen Breite der Stadt. Dafür können gesamtstädtische Themen ausgewählt und politisch flankiert werden, die sich durch die Aktivitäten entsprechender Organisationen und Träger an vielen Standorten in Hamburg dezentral präsentieren können. Der Einsatz von Beschäftigten im Einzelhandel soll an verkaufsoffenen Sonntagen möglichst nach dem Prinzip der Freiwilligkeit erfolgen. Bei Bedarf soll Kinderbetreuung bereitgestellt werde.

Die vorhandene Regelung für die Sonntagsöffnungen in 2017 steht unter rechtlichem Legitimationsdruck und muss in der bisherigen Struktur dem gesetzlichen Anspruch gerecht werden. Ab 2018 soll an vier „Themensonntagen“ eine gesamtstädtische Partnerschaft zwischen vier wesentlichen thematischen Bereichen unserer Stadt – INKLUSION&INTEGRATION / KULTUR / SPORT&GESUNDHEIT / KINDER, JUGEND & FAMILIE – und dem Hamburger Einzelhandel erreicht werden. Alle vier Themen erfüllen das vorgenannte Kriterium einer großen Anzahl dezentraler Standorte.

Das vorhandene Verfahren zur Terminfindung zwischen Bezirken, Einzelhandel, Handelskammer und Behörden soll angereichert werden um die Anregung und Herstellung von Kooperationen zwischen den themenbezogenen Trägern bzw. ihren Verbünden und den Einzelhändlern bzw. ihren Verbünden in den Bezirken. In einem breiten Dialog- und Beteiligungsprozess können so echte Win-Win-Situationen entstehen – für die Themen und ihre Träger auf der einen, für die Stadt, ihre Stadtteile und den Einzelhandel auf der anderen Seite.

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. auf der Grundlage der vorgenannten Überlegungen für das Jahr 2018 die vier Themensonntage INKLUSION & INTEGRATION / KULTUR / SPORT & GESUNDHEIT / KINDER, JUGEND UND FAMILIE abzustimmen und festzulegen, an denen die Bedingungen für eine Sonntagsöffnung in Hamburg einschließlich ihrer Reichweite zulässig sind. Bezogen auf die Themen ist im Startjahr 2018 eine lösungsorientierte Auslegung im oben genannten Sinne anzustreben, um eine hohe Beteiligung aller Akteure zu erreichen. Eine Einbeziehung bestehender Veranstaltungsformate in der Stadt bzw. den Stadtteilen bleibt offen.

2. die Beteiligungs- und Entscheidungsstrukturen für die Organisation der Themensonntage in Kooperation mit den Bezirken, den Trägerorganisationen der Themen und den Bezirksämtern in einem dialogorientierten Verfahren kontinuierlich anzupassen; und

3. im Juli 2018 über die ersten Erfahrungen zu berichten, um mögliche Konsequenzen für die Planungen 2019 zu beraten.

 

sowie
  • der Abgeordneten Olaf Duge
  • Filiz Demirel
  • René Gögge
  • Dr. Carola Timm
  • Dr. Anjes Tjarks (GRÜNE) und Fraktion und der Abgeordneten André Trepoll
  • Michael Westenberger
  • Joachim Lenders
  • David Erkalp
  • Ralf Niedmers
  • Carsten Ovens (CDU) und Fraktion