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Aktuelle Stunde und Debatte zu den Staatsverträgen – Dressel und Tjarks: "Kritik Ja – Kündigung Nein"

Mittwoch, 01.02.2017

In der Aktuellen Stunde sowie einer weiteren Debatte befasst sich die Hamburgische Bürgerschaft heute mit den Verträgen der Stadt mit den muslimischen Religionsgemeinschaften. Die Regierungsfraktionen bringen dazu einen 6-Punkte-Antrag ein. Mit ihm wollen sie einen Weg aufzeigen, um an den Verträgen der Stadt mit den muslimischen Religionsgemeinschaften festzuhalten (siehe Anlage). Gleichzeitig äußert die Koalition deutliche Sorgen und Kritik an bestimmten Vorgängen in den muslimischen Gemeinschaften – eine Kündigung der Verträge bewirke aber das Gegenteil, so der Tenor der Koalition. Den mehr oder minder deutlichen Forderungen von CDU, FDP und AfD nach einer Vertragskündigung erteilt die Koalition damit eine klare Absage. Damit folgen die Regierungsfraktionen auch den Mahnungen des Interreligiösen Forums Hamburg, in dem praktisch alle großen Hamburger Religionsgemeinschaften vertreten sind. Es hatte sich Anfang dieser Woche deutlich für den Erhalt der Verträge ausgesprochen.

 

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel erklärte: "Wir teilen viele religiöse oder politische Vorstellungen von bestimmten Vertretern islamischer Religionsgemeinschaften ausdrücklich nicht, was nebenbei bemerkt wegen der Religions- und Meinungsfreiheit ohnehin niemals Voraussetzung für gemeinsame Verträge sein kann. Bestimmte Vorgänge bei Teilen von DITIB, bei Akteuren aus dem IZH, verurteilen auch wir scharf. Wir werden uns Verfassungsfeindlichkeit oder Antisemitismus überall klar in den Weg stellen – mit den Mitteln des Rechtsstaats, der wehrhaften Demokratie oder auch des Verfassungsschutzes. Und diese klare Abgrenzung erwarten wir selbstverständlich auch von unseren Vertragspartnern, dass sie immer wieder klare Grenzen ziehen, sich distanzieren, mit Wort und Tat – und sich zu den Werten des Grundgesetzes bekennen, genauso wie es in den Verträgen steht. Wir teilen durchaus manche Sorge, die die CDU in ihrem Antrag formuliert hat. Aber gerade jetzt sind die Verträge mit ihrem glasklaren Bekenntnis zum Grundgesetz, zu den Werten unserer Verfassung ein hohes Gut, das wir hüten und verteidigen sollten. Wir wollen den Weg des interreligiösen Dialogs, des friedlichen Zusammenlebens in unserer Stadt gerade dann weitergehen, wenn die Lage schwierig ist, wenn die Zeiten stürmisch sind. Die angespannte Lage, die Kontroversen, die Kritik, die Probleme sind genau das Argument, um an den Verträgen festzuhalten und sich nicht zu lösen. Genau hier liegt das Missverständnis der CDU, die 2007 mit einem Antrag den Weg für die Verträge vorbereitet hatte. Umso mehr ist deshalb gerade die CDU aufgefordert, auf den von ihr selbst eingeschlagenen Pfad zurückzukehren."

 

Anjes Tjarks, Fraktionsvorsitzender der Grünen Bürgerschaftsfraktion: "Die CDU hat die Vertragsverhandlungen mit den muslimischen Religionsgemeinschaften begonnen, um eine dauerhafte Grundlage für den Dialog zu schaffen. Die Verträge zollen Respekt vor der Ausübung der Religion und verpflichten gleichzeitig auf unser Gemeinwesen. Sie sind die Basis für den gut funktionierenden interreligiösen Dialog in unserer Stadt. Dieser ist aktuell wichtiger denn je. Deswegen werden wir ihn nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir leben aktuell in Zeiten, in denen es zunehmend Politikerinnen und Politiker gibt, die Mauern bauen wollen und Menschen aufgrund ihrer Herkunft unter Generalverdacht stellen. Wir leben in einer Zeit, in der die Ausgrenzung von Menschen unsere Kultur, unsere Werte und unsere Gesellschaft in Frage stellt. Diese Tendenzen haben auch Hamburg erreicht. Für uns steht fest: Man kann durch Ausgrenzung von Menschen sehr schnell Vertrauen kaputt machen, das man hinterher kaum wieder reparieren werden kann. Wir werden in Hamburg deswegen den gemeinsame Dialog verteidigen. Die Staatsverträge mit den muslimischen Gemeinden haben wir nicht geschlossen, weil die Stadt oder wir Grüne sich deren politische Auffassungen oder religiöse Bekenntnisse zu eigen gemacht haben. Wir sehen die Schwierigkeiten und wir sprechen diese sehr deutlich an. Es ist deswegen richtig und überfällig, dass sich DITIB von den geschmacklosen Zeichnungen distanziert hat. Die Verträge mit religiösen Gemeinschaften, die 'eine dauerhafte Grundlage' für den Dialog schaffen sollen, schießt man nicht für die guten, sondern für die schwierigen Zeiten. Und gerade, wenn dieser Dialog kontrovers wird, hilft uns der Staatsvertrag. Mit ihm haben wir ein gemeinsames Papier, auf das wir uns beziehen können und das eine bereits geeinte Grundlage ist. Eine Grundlage auf der man im auch normenverdeutlichend reden kann. Wenn die Opposition fordert, den Staatsvertrag aufzukündigen, bleibt sie die Antwort schuldig, wie wir weiter mit religiösen Gruppen sprechen und verhandeln sollen – gerade bei unterschiedlichen Auffassungen. Gleichzeitig geben sich die Oppositionsfraktionen einer gefährlichen Empörungsdebatte hin. Den Staatsvertrag aufzulösen, würde Fronten verhärten und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft deutlich schwieriger machen. Für seriöse Parteien sollte der Staatsvertrag daher kein Thema von parteipolitischen Spielchen sein."

 

Ekkehard Wysocki, religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: "Die von CDU, FDP und AfD ins Spiel gebrachte Forderung nach einer Aufhebung der Verträge bleibt bisher jede Rechenschaft darüber schuldig, welche Wirkungen man sich davon erhofft beziehungsweise erwartet. Diejenigen, die eine Aufkündigung der Verträge fordern, sagen nicht, wie das Zusammenleben der Religionen in Hamburg weitergehen soll. An die Stelle der Analyse und Bewertung von Vor- und Nachteilen einer Fortdauer oder Beendigung der vertraglichen Beziehungen tritt allein die Empörung darüber, dass man 'mit so jemandem' keine Verträge unterhalten könne. Tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten muslimischer Akteure wird den Vertragspartnern jeweils insgesamt angelastet. Eine solche Empörungsdebatte löst keine Probleme."

 

Stefanie von Berg, religionspolitische Sprecherin der Grünen Bürgerschaftsfraktion: "Der interreligiöse Dialog hat in Hamburg eine lange Tradition und ist heute wichtiger denn je. Ich betrachte ihn als einen Schatz, von dem alle Bürgerinnen und Bürger profitieren. Dazu gehören auch die Hamburger Staatsverträge. Sie beinhalten ein Bekenntnis der Vertragspartner zu unserer gesellschaftlichen Ordnung und zu unserem Grundgesetz. Die Staatsverträge binden die Partner an unser gesellschaftliches Fundament der Toleranz und des Friedens. Auf Basis der Staatsverträge sprechen wir gemeinsam darüber, wie wir Salafismus bekämpfen können oder den gemeinsamen Religionsunterricht sind weiterentwickeln. Das sind zwei Beispiel die zeigen, wo die Staatsverträge konkret zu einem friedlichen Miteinander beitragen. Gleichzeitig bieten die Verträge die Pflicht zum Dialog und – wenn nötig – zur Auseinandersetzung. Eine Kündigung dieser Verträge löst kein einziges Problem, sondern beendet die für das friedliche Zusammenleben in Hamburg maßgebliche Voraussetzung."

 

Hintergrund:

 

Konkret äußern die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag die deutliche Erwartung insbesondere an DITIB Nord, den eingeschlagenen Weg von Aufarbeitung und Distanzierung von bestimmten problematischen Vorgängen "konsequent und im Geiste des mit der Stadt geschlossenen Vertrages weiterzugehen". Ferner wird der Senat gebeten, "Konsultationsgespräche gemäß Artikel 13 Absatz 2 des Vertrages insbesondere mit den Vertragspartnern […] zu führen beziehungsweise zu intensivieren, an deren Haltung zu den in den Verträgen niedergelegten Wertegrundlagen aktuell Zweifel geäußert werden. Ziel ist es, auch anhand der geäußerten Vorwurfslagen das gemeinsame Verständnis der in diesen Verträgen niedergelegten gemeinsamen Wertegrundlagen zu klären und die bislang gute Zusammenarbeit auch in Zukunft fortführen zu können." Nach dem Motto "Kritik Ja, Kündigung Nein" soll es gerade mit den Verträgen gelingen, die verschiedenen Problempunkte zu klären. Über die Fortschritte zu den Gesprächen soll der Senat in den Ausschüssen berichten.