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Fair gehandelten Kaffee von der Kaffeesteuer befreien

Dienstag, 15.04.2014

Die Unterstützung und der Ausbau von Fairem Handel ist der Stadt Hamburg ein wichtiges Anliegen – gerade auch als internationale Hafen- und Handelsmetropole. Fairer Handel bedeutet, dass den Produzentinnen und Produzenten dieser so zertifizierten Waren – ob Bauern, Arbeiterinnen und Arbeitern oder selbstständigen Kleinproduzenten – von den Zwischenhändlern, Produktions-Unternehmen und Endabnehmern Arbeitsbedingungen gewährt und Einkaufspreise gezahlt werden, die ein existenzsicherndes Einkommen und humanes, sicheres und gesundes Arbeiten ermöglichen.

Es gibt jedoch bisher keine national oder international rechtlich verbindlichen, allgemeinen Definitionen und Standards für Fairen Handel. Ein wichtiges Element für eine solche, international rechtsverbindliche Begriffsbestimmung stellen sicherlich die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) dar, doch sie reichen allein nicht aus für eine umfassende Definition Fairen Handels.

Es gibt jedoch mittlerweile mehrere privatrechtliche Zertifikate für „nachhaltig“ und/oder „fair“ produzierte und gehandelte Waren, die von international agierenden unabhängigen, nichtstaatlichen Organisationen durch Standards definiert, vergeben und kontrolliert werden. Abgesehen vom großen, anders strukturierten Bereich der „Bio-Siegel“ ist das international und auch in Deutschland wichtigste Zertifikat mit dem expliziten Focus auf faire Handelsbeziehungen, also die sozialen Bedingungen der Produktion und des Handels, das „FairTrade“-Label. In Deutschland wird dieses Label vom Verein „TransFair e.V.“ verwaltet und vermarktet. TransFair e.V. ist Mitglied in der internationalen Dachorganisation Fairtrade International (FLO), durch die die international einheitlichen Standards des Netzwerks festgelegt, und durch deren Unterorganisation FLO-Cert die Zertifikate vergeben und überwacht werden. Daneben gibt es noch weitere, ebenfalls anspruchsvolle und gut organisierte Zertifikate und Netzwerke, wie etwa die World Fair Trade Organization (WFTO).

Zahlreiche Hamburger Bürgerinnen und Bürger engagieren sich in Initiativen, Kirchengemeinden oder Weltläden für den Fairen Handel. Hamburg darf deshalb seit 2011 den Titel „Fair Trade Stadt“ tragen – eine Auszeichnung für das bisher Erreichte, aber auch eine Verpflichtung und Ermutigung, weiter auf diesem Weg voranzugehen.

Der Senat unterstützt dieses Engagement von Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen durch vielfältige Maßnahmen. Nachdem die Finanzierung der Projektstelle Fair Trade Stadt Hamburg Ende 2012 ausgelaufen ist, hat der Senat erreicht, dass eine aus Bundesmittel und Hamburger Mitteln finanzierte Promotorenstelle zum Fairen Handel in Hamburg eingerichtet wurde, die von 2013 bis Ende 2015 die Arbeit der verschiedenen Beteiligten in der Stadt zu dem Thema unterstützen soll. Außerdem hat die Bürgerschaft vor kurzem den Senat einstimmig beauftragt, den Fairen Handel in seiner Einkaufs- und Vergabepraxis noch stärker zu priorisieren als bisher schon (Drs. 20/9319).

Auch das Europäische Parlament hat in der Anfang 2014 verabschiedeten neuen EU-Vergaberichtlinie – abweichend vom bisher in der EU vorherrschenden marktliberalen Leitbild – ausdrücklich die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei der öffentlichen Beschaffung und Vergabe befürwortet und es den öffentlichen Stellen dabei auch erlaubt, dabei auf bestehende entsprechende Labels und Zertifikate zurückzugreifen.

Eines der Produkte, das seit langem im Focus der Bemühungen um Fairen Handel steht, ist Kaffee. Kaffee ist mit einem weltweiten jährlichen Umsatz von rund 22 Milliarden Euro das zehnt-wichtigste globale Handelsgut. Aufgrund seines hohen Veredelungspotentials gilt Kaffee jedoch – nach Erdöl – sogar als das zweitwertvollste Handelsgut. Die weltweite Produktion betrug im Jahr 2012 rund 8,7 Millionen Tonnen. Von seiner Produktion in den Entwicklungs- und Schwellenländern sind bis zu 100 Millionen Menschen ökonomisch abhängig.

Der konventionelle globale Kaffeemarkt ist durch Strukturen gekennzeichnet, die keinesfalls als fair oder gerecht bezeichnet werden können. Die Produktion des Rohkaffees erfolgt in Entwicklungs- und Schwellenländern in Lateinamerika, Afrika und Asien, die Weiterverarbeitung und der Endverbrauch jedoch vor allem in den Industrieländern. Vor allem einige kleinere Produzentenländer in Afrika und Lateinamerika, wie etwa Äthiopien, Honduras oder Nicaragua sind in hohem Maße vom Kaffeeexport abhängig (Honduras: 7,4 Prozent des BIP; Nicaragua: 6,1 Prozent des BIP; Äthiopien: 2,6 Prozent des BIP).

Der Rohkaffee in diesen Ländern wird zu ca. 80 Prozent, also weit überwiegend von Kleinbauern erzeugt. Ihre Zahl wird auf ca. 25 Millionen geschätzt. Den dezentralen und überwiegend kaum oder gar nicht organisierten Kleinbauern stehen als Abnehmer wenige große internationale Handelshäuser gegenüber, die wiederum wenige Röster-Unternehmen in den Industrieländern beliefern. Die Hälfte des Weltmarktes wird von nur fünf Unternehmen kontrolliert (Mondeles/Kraft, Nestlé, Sarah Lee, Procter & Gamble und Tchibo). Dieses Ungleichgewicht zwischen vielen kleinen, dezentralisierten Produzenten und wenigen hochkonzentrierten Händlern und Endverarbeitern bewirkt, dass die Produzenten praktisch keinerlei Einfluss auf den Verkaufspreis ihres Rohkaffees haben und seinen enormen Schwankungen nahezu schutzlos ausgeliefert sind.

Zwischen 1963 und 1989 wurden die Preise für Rohkaffee weltweit durch ein internationales Kaffeeabkommen reguliert. Danach fiel dieser sozial und ökonomisch stabilisierende Mechanismus, der für enorme Wachstumsraten bei Produktion und Konsum sorgte, der um sich greifenden Ideologie der Marktliberalisierung zum Opfer. Seitdem wird der Preis an den Börsen von New York (für die Sorte Arabica) und London (für die Sorte Robusta) durch spekulativen Handel definiert. Neben realwirtschaftlichen Gründen wie z.B. klimatisch bedingten Ertragsschwankungen führen vor allem diese Spekulationen zu extremen Schwankungen des Kaffeepreises, wodurch die Lebensbedingungen vieler Bauernfamilien oftmals von extremer Armut gekennzeichnet sind. Seit vergangenem Jahr befinden sich die Kaffeepreise wieder in rasantem Fall: der Durchschnittspreis im Oktober 2013 betrug nur noch 107 US-Cent pro Pfund.

Während diese Preisschwankungen für die großen Handels- und Endverarbeitungsunternehmen jedoch relativ gut zu managen sind, weil sie sie im Endpreis an die Verbraucher weitergeben und durch begleitende Börsengeschäfte absichern können, schlagen sie bei den Produzenten des Rohkaffees voll durch. Vom Endverkaufspreis des Kaffees erhalten die produzierenden Bauern gerade einmal 7 bis maximal 10 Prozent. Der weit überwiegende Teil der Profite wird bei den Zwischenhändlern, Röstern und beim endverkaufenden Einzelhandel erzielt.

Beim fair gehandelten Kaffee zu den Zertifizierungsbedingungen von Fairtrade International wird den Produzenten, die als genossenschaftliche Kooperativen organisiert sind, hingegen ein fester Mindestpreis garantiert. Dieser setzt sich zusammen aus einem Mindest-Grundpreis, der aktuell bei 140 US-Cent liegt, einer Fairtrade-Prämie von 20 US-Cent sowie bei biologisch angebautem Kaffee einem Bio-Aufschlag von weiteren 30 US-Cent. Der Mindestpreis gilt, wenn der Marktpreise unter diesen Wert fällt. Soweit der Marktpreis über diesem Wert liegt, wird der Marktpreis plus Prämie und Zulage gezahlt. Dadurch ist garantiert, dass die Produzenten jederzeit zumindest ein existenzsicherndes Einkommen haben.

Der deutsche Kaffeemarkt ist nach dem US-Amerikanischen der zweitgrößte weltweit. Fast 20 Prozent der weltweiten Kaffee-Produktion werden allein in Deutschland verarbeitet, wobei davon ca. 40 Prozent in Deutschland konsumiert und ca. 60 Prozent re-exportiert werden. Deutschland ist mit einem globalen Marktanteil von mehr als einem Drittel der größte Kaffee-Re-Exporteur weltweit. Aber auch beim Pro-Kopf-Konsum ist Deutschland mit rund 150 Litern im Jahr weltweit spitze. Beim Fair-Trade-Anteil des Kaffeemarkts gehört Deutschland jedoch mit nur 2,2 Prozent im Jahr 2012 noch zu den Schlusslichtern, obwohl der Marktanteil langsam wächst. In Österreich liegt der Anteil fair gehandelten Kaffes immerhin schon bei 4 Prozent, in der Gastronomie sogar bei 25 Prozent.

Hamburg ist traditionell der größte Kaffee-Umschlagsplatz Europas: Rund 650.000 Tonnen Kaffee werden hier jährlich umgeschlagen. Mehrere große Handels- und Röstunternehmen haben hier ihren Sitz. 1887 wurde in der damals neuen Speicherstadt eine der ersten und wichtigsten Kaffeebörsen der Welt eingerichtet, die jedoch mit dem beschriebenen Wandel vom Real- zum Future-Handel ihre Bedeutung verlor und heute als Handels-Institution nicht mehr existiert. Nichtsdestoweniger ist Hamburg bis heute Deutschlands und Europas Kaffeestadt. Deshalb steht es Hamburg gut zu Gesicht, auch eine Vorreiterrolle bei der Stärkung des Fair-Trade-Kaffeemarktes zu übernehmen. Dafür soll von Hamburg die Initiative ausgehen, den objektiv und unabhängig als „fair“ klassifizierten und zertifizierten Kaffee von der Kaffeesteuer zu befreien.

Die Kaffeesteuer ist eine traditionelle, bis auf das Jahr 1787 zurückgehende Verbrauchssteuer, die es in Europa außer in Deutschland nur noch in Belgien und Dänemark gibt. Sie ist eine reine Bundessteuer, kommt also zu 100 Prozent dem Bundeshaushalt zugute. Sie beträgt aktuell 2,19 Euro pro Kilogramm Röstkaffee und sogar 4,78 Euro pro Kilogramm löslichem Kaffee (Instantkaffee). Mit rund 1,10 Euro pro 500g-Packung Röstkaffee ist ihr Anteil am Endverbraucherpreis des Kaffees also enorm, je nach aktuellem Preis und Qualität zwischen 15 und über 30 Prozent. Sie erbringt aktuell rund 1 Milliarde Euro Einnahmen pro Jahr. Eine maßgeblich vom Kaffeehändler Albert Darboven initiierte Petition zur generellen Abschaffung der Kaffeesteuer erhielt rund 27.000 Unterschriften, wurde aber im Februar 2013 vom Petitionsausschuss des Bundestages abgelehnt.

Eine Befreiung des fair gehandelten Kaffees von der Kaffeesteuer könnte seine Marktposition erheblich stärken. Die Höhe des Steueranteils am Endpreis beträgt einen Gutteil der Höhe des Preisnachteils, den der fair gehandelte Kaffee eben aufgrund seiner für die Ursprungs-Produzenten sozial gerechteren Preisstruktur gegenüber dem konventionell gehandelten Kaffee hat. Aus Umfragen ist bekannt, dass rund zwei Drittel aller Verbraucher sich für eine Stärkung des fairen Handels aussprechen. Daher wäre eine steuerliche Bevorteilung des fair gehandelten Kaffees neben verstärkter Werbung und Aufklärung durchaus ein angemessenes und legitimes Instrument zur Stärkung fairer und gerechter globaler Handelsbeziehungen auf dem Weg zur solidarischen Einen Welt.

Steuerliche Ausnahmeregelungen für bestimmte, klar und nachprüfbar abgegrenzte und zertifizierte Produktgruppen sind steuerrechtlich möglich und – zum Beispiel bei Bio-Kraftstoffen – auch bereits angewandt worden. Zur rechtlichen Zulässigkeit solcher Ausnahmeregelungen hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt: „Will der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten der Bürger fördern, das ihm aus wirtschafts-, sozial-, umwelt- oder gesellschaftspolitischen Gründen erwünscht ist, hat er eine große Gestaltungsfreiheit.

In der Entscheidung darüber, welche Personen oder Unternehmen durch finanzielle Zuwendung oder Verschonung von Besteuerung des Staates gefördert werden sollen, ist der Gesetzgeber weitgehend frei (vgl. BVerfGE 17, 210, 216; 93, 319, 350; 110, 274, 293). Zwar bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet jedoch nur, dass er seine Leistungen und Befreiungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen darf (vgl. BVerfGE 17,210, 216; 110, 274, 293). Diese Erwägungen gelten auch dann, wenn der Gesetzgeber eine Subvention steuerrechtlich durch Befreiung verwirklicht, statt eine direkte finanzielle Zuwendung vorzunehmen (BVerfGE 110, 274, 293) (BVerfG, 1 BVR 1031/07, RdNr. 59).“

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird gebeten,

1) sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass

 

a. geprüft wird, in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen eine vollkommene oder zumindest teilweise Befreiung von als fair gehandelt klassifiziertem bzw. zertifiziertem Kaffee von der Kaffeesteuer realisiert werden kann;

 

b. geprüft wird, in welcher Weise dafür am geeignetsten eine Institution bei der Bundesregierung oder der Zollverwaltung eingerichtet werden kann, die die Entwicklung der Kriterien für die Anerkennung von Kaffee als fair gehandelt vornimmt und anschließend deren Einhaltung überwacht, und dabei nach Möglichkeit auch die Erfahrungen und Kompetenzen der bestehenden internationalen Fairtrade-Zertifizierungssysteme in den Beratungs- und Entwicklungsprozess einzubeziehen.

 

c. in geeigneter Weise darauf hingewirkt wird, dass die so erzielten Steuerersparnisse von den Produzenten bzw. Anbietern des fair gehandelten Kaffees auch tatsächlich durch entsprechend niedrigere Endverkaufspreise für eine Stärkung der Marktanteile des fair gehandelten Kaffees genutzt werden;

 

2) der Bürgerschaft bis zum 31. August 2014 über seine diesbezüglichen Bemühungen zu berichten.