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Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Hamburg – Entwicklung, Lage und Bekämpfung

Freitag, 11.12.2009

Die Entwicklung der Gewalttätigkeiten gegenüber Polizistinnen und Polizisten sowie anderen Vollzugsbediensteten ist alarmierend. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ist im Bereich des Deliktschlüssels "Widerstand gegen die Staatsgewalt" seit 1999 ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen um rund 31 Prozent zu erkennen. Zwar ist die PKS in diesem Deliktsfeld aufgrund der Erfassungsmodalitäten nur eingeschränkt aussagekräftig; nach ersten Auswertungen im Rahmen der Innenministerkonferenz kann jedoch davon ausgegangen werden, dass etwa 90 Prozent der Taten zum Nachteil von Polizeibeamtinnen und –beamten und nur ein kleiner Teil gegen andere Vollzugsbeamte begangen wurden.

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hatte bereits in der vergangenen Wahlperiode mehrfach die Gewaltentwicklung gegenüber öffentlich Bediensteten im Allgemeinen und Polizei-beamtinnen und -beamten im Besonderen mit Anfragen, Analysen und Anträgen zum Thema gemacht (Drs. 18/2485, 18/6679, 19/118, 19/2163 und 19/2262). Das Eskalieren der Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten – zuletzt mit dem abscheulichen Anschlag auf das Polizeikommissariat 16 in der Nacht zum 4. Dezember 2009 – macht weiteres Handeln erforderlich.

Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten bekämpft man jedoch nicht dadurch ernsthaft, dass man auf eine saubere Analyse verzichtet. Auf Anfrage hat der Senat der SPD-Fraktion noch im Sommer 2009 mitgeteilt, dass der Widerstand gegen Polizeibeamtinnen und

-beamten in der Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst werde und die Daten somit "keine entsprechende Aussagekraft" hätten (Drs. 19/3824). Wer die Fürsorgepflicht für die Polizeivollzugskräfte ernst nimmt, muss auf ein umfassendes Schutzkonzept – zu dem auch Strafverschärfungen gehören – setzen: Dieses erfordert – wie jede andere Kriminalitätsbekämpfungsstrategie auch – eine sorgfältige Analyse: Alle Beteiligten benötigen ein aktuelles, bundesweit möglichst einheitliches Lagebild, um das Phänomen der Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamten noch besser analysieren und auf dieser Grundlage Bekämpfungsstrategien fortentwickeln zu können. Denn Politik und Behörden haben bei diesem Thema nicht nur ein Handlungs-, sondern auch ein Erkenntnisdefizit. Das eine darf nicht gegen das andere ausgespielt werden.

Vor diesem Hintergrund ist zu bedauern, dass der Innensenator erklärt hat, Hamburg werde sich nicht weiter an der von der Innenministerkonferenz in Auftrag zu gebenden Studie über die Gewaltentwicklung gegen Polizistinnen und Polizisten beteiligen. Richtig wäre es gewesen, die Anforderungen an die Studie weiter zu entwickeln, Kritikpunkte im Detail aufzugreifen und die Studie damit in der ganzen Breite der Polizei konsensfähig zu machen. Derartige, der Bedeutung des Problems angemessene Bemühungen Hamburgs sind nicht erkennbar.

Wer sich – wie der Präses der Innenbehörde – auf die Forderung nach einer Strafverschärfung beschränkt, wird dem Phänomen allenfalls kurzfristig gerecht; mittel- und langfristig bedarf es weiterer Maßnahmen, um der Entstehung und Zunahme der Gewalt Herr zu werden. Es ist Aufgabe von Politik, Polizei und Verwaltung, solche Schritte auf Basis valider Erkenntnisse zu entwickeln. Um die Daten- und Faktenlage für Hamburg umfassend im Sinne eines Lagebildes klären zu können,

fragen wir den Senat (und bitten hinsichtlich des Jahres 2009, sofern vollständige Daten noch nicht genannt werden können, um Angaben bis zum spätestmöglichen Zeitpunkt, d.h. bis einschließlich November oder Oktober, mindestens aber zu den ersten drei Quartalen 2009):

1. In wie vielen Fällen ist es in den einzelnen Jahren 2004 bis 2009 zu Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamten gekommen (bitte jahres- und deliktsbezogen darstellen),

a. insgesamt und welchen Anteil machen die Delikte gegen Polizeibeamtinnen und

-beamte in den einzelnen Jahren an den Widerstandsdelikten aus?

b. unterteilt nach den einschlägigen Delikten (etwa Widerstandsdelikt, Körperverletzung, Beleidigung)?

c. unterteilt nach den verschiedenen Dienstzweigen der Polizei?

d. unterteilt nach verschiedenen organisatorischen Einheiten der Polizei (etwa Polizeikommissariate, Landesbereitschaftspolizei, Landeskriminalamt)?

e. unterteilt nach Einsatzort/Veranlassung des Einsatzes?

f. Wie stellt sich jeweils die Aufklärungsquote dar?

g. In wie vielen dieser Fälle wurde dem Opfer ein Schmerzensgeld zugesprochen? (bitte jahresweise darstellen)

 

2. In wie vielen Fällen ist es in den Jahren 2004 bis 2009 zu Straftaten gegen polizeiliche Einrichtungen/Dienstfahrzeuge/Gebrauchsmittel gekommen (bitte jahres- und deliktsbezogen darstellen),

a. insgesamt und unterteilt nach den einschlägigen Delikten (etwa Sachbeschädigung, Brandstiftung)?

b. unterteilt nach den verschiedenen Dienstzweigen/Organisationseinheiten der Polizei?

c. unterteilt nach Einsatzort/Veranlassung des Einsatzes?

d. Wie stellt sich jeweils die Aufklärungsquote dar?

e. Welche Sachschäden sind dabei jeweils entstanden?

 

3. Wie viele der unter Frage 1 und 2 erfragten Vorfälle waren politisch motiviert? Bitte nach Jahren (beginnend mit dem Jahr 2004), PMK links/PMK rechts/PMK Ausländer, Einsatzort und Einsatzveranlassung aufschlüsseln.

 

4. Wie hat sich die Strafverfolgung dargestellt? In wie vielen der unter 1. und 2. erfragten Fälle ist es (unterteilt nach den einschlägigen Delikten und Jahren)

a. zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gekommen?

b. zu welcher Art der Verfahrensbeendigung (insbesondere Verfahrenseinstellung) gekommen?

c. zu einer gerichtlichen Verurteilung gekommen? (bitte mit Strafmaß und Bewährung darstellen)

d. Zu welchem Anteil wurden die Taten gemäß 1. und 2. strafrechtlich gesehen im Ergebnis anders eingestuft als polizeilich ermittelt und inwiefern (keine oder andere Straftat)?

 

5. Welche Folgen verursachten die unter 1. genannten Straftaten bei den Polizeibeamtinnen und -beamten am häufigsten?

a. Welcher Art und welchen Grades waren erlittene Verletzungen und welche Krankheitsbilder wurden hervorgerufen? (bitte möglichst jahresbezogen darstellen)

b. Inwieweit waren welche Traumatisierungen die Folge? (bitte soweit möglich ebenfalls statistisch darstellen)

 

6. Wie viele Krankheitstage und welche Kosten für die erforderliche medizinische Behandlung sind infolge von Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte (unter 1.) in den Jahren seit 2004 und bis jetzt in 2009 jährlich angefallen? Hat es in den Jahren seit 2004 Fälle gegeben, in denen solche Delikte eine Dienstunfähigkeit oder Teildienstfähigkeit Polizeibeamter nach sich gezogen haben? (bitte jahresbezogen darstellen)

 

7. Welche Erkenntnisse liegen auf Senatsseite dazu vor, wie die Opfer die psychischen Belastungen verarbeitet haben, denen sie durch entsprechende Gewalttaten oder ähnlich schwerwiegende Delikte ausgesetzt waren? Welche Hilfsangebote gab es dazu seitens des Dienstherrn und in welchem Ausmaß wurden die Unterstützungsmaßnahmen in Anspruch genommen?

 

8. In wie vielen Fällen von Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte (siehe 1.) wurden in den Jahren 2004 bis 2009 jeweils die Forderung auf Kostenerstattung durch die Täter gestellt, in welchem finanziellen Umfang und mit welchem Ergebnis?

 

9. Welche Kenntnisse liegen Senat und Behörden zur Täterseite bei Delikten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte vor? Welche Auffälligkeiten sind insoweit festgestellt worden? Welche Veränderungen haben sich in den letzten Jahren hierbei gezeigt?

a. Welche Tendenzen gibt es insbesondere hinsichtlich der typischen Täterprofile / Tätergruppen (insbesondere Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, bisherige kriminelle Karriere usw.) und

b. Welche Tendenzen gibt es hinsichtlich typischer Tatstrukturen / Tatorte / Risikosituationen?

c. Inwieweit werden die erfragten Gesichtspunkte polizeiintern systematisch erhoben und ausgewertet, von welcher Stelle und mit welchem Ergebnis?

 

10. Welche Erkenntnisse liegen Senat und Behörden zur Opferseite vor, insbesondere

a. hinsichtlich des Ausbildungs- und Ausrüstungsstandes des Opfers? Welche technischen Mittel der Eigensicherung standen ihnen zur Verfügung? Wie haben diese zum Schutz der Beamten beigetragen?

b. hinsichtlich der Frage, ob die Verletzungsfolgen bei einer besseren Ausrüstung weniger schwerwiegend ausgefallen wären?

c. Inwieweit werden die erfragten Gesichtspunkte polizeiintern systematisch erhoben und ausgewertet, von welcher Stelle und mit welchem Ergebnis?

 

11. Welche Maßnahmen hat der Senat seit 2004 vor diesem Hintergrund und mit welchem Ergebnis unternommen, um Fallentwicklung, Fallkonstellationen und Ursachen für Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte festzustellen und auszuwerten? (bitte jahresweise darstellen)

 

12. Inwieweit sind welche Veränderungen an der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wann, wie und warum mit welchem Ergebnis durchgeführt worden oder geplant, um Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte und weitere PKS-Parameter (Geschädigten-/ Opfer-spezifik) gesondert aufzuführen und transparenter darzustellen?

 

13. Welche Sonderhebungen hat Hamburg wann, wie, auf welcher Grundlage und mit welchen Ergebnissen im Bereich der Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte durchgeführt? (bitte jahresweise darstellen) Welche Maßnahmen sind wann, wie, warum für die Zukunft geplant?

 

14. Welche Maßnahmen hat der Senat seit 2004 bis heute mit welchem Erfolg ergriffen, um Straftaten gegen Polizeibeamtinnen und -beamte präventiv zu verhindern und diese besser vor Straftaten gegen ihre Person zu schützen, z. B. durch bessere Ausstattung oder gezielte Aus- und Fortbildung? Welche Maßnahmen plant der Senat hier wann, wie, warum und mit welcher Finanzierung für die Zukunft?

 

15. Welche Maßnahmen hat der Senat seit 2004 bis heute mit welchem Erfolg ergriffen, um Straftaten gegen polizeiliche Einrichtungen zu verhindern bzw. diese zu schützen? Welche Kosten wurden in diesem Zusammenhang – insbesondere für bauliche Maßnahmen – in den einzelnen Jahren aufgewandt? Welche Maßnahmen plant der Senat hier wann, wie, warum und mit welcher Finanzierung für die Zukunft?

 

 

16. Behörde für Inneres und Justizbehörde haben im Zusammenhang mit dem Phänomen der Gewalt gegen Vollzugsbeamtinnen und -beamte und Überlegungen zu einer etwaigen Strafverschärfung eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet.

a. Wann wurde das Gremium eingesetzt, welchen Auftrag hat es erhalten und welche Funktionen sind im Einzelnen darin vertreten?

b. Wie häufig und wann genau ist das Gremium bisher zusammen gekommen?

c. Zu welchen Ergebnissen ist die Arbeitsgruppe bisher gelangt und bis wann soll ihre Arbeit abgeschlossen sein?

 

17. Ist der Senat der Auffassung, dass durch eine Verschärfung von Strafandrohungen (z. B. bei den Straftatbeständen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen oder Beleidigung) die Zahl der Übergriffe gegen Polizeibeamtinnen und -beamte verringert werden kann? Ist zu erwarten, dass eine Strafverschärfung des § 113 Absatz 1 und 2 StGB zu einer zahlenmäßigen Absenkung der Angriffe gegen Polizeibeamtinnen und -beamte führt? Hält der Senat eine solche Strafverschärfung auch im rechtssystematischen Sinne angemessen? Wenn ja, welche Änderungen sind aus Sicht des Senats notwendig und warum?

 

18. Verschiedentlich gab es Hinweise von Senatsseite, dass man auch eine Veränderung des § 113 StGB im Hinblick auf eine Ergänzung einer eigenständigen Sanktionsnorm zum Schutz von Rettungskräften und Feuerwehrleuten im Einsatz anstrebe.

a. Welche Veränderungen sind insoweit angedacht?

b. Wie stellt sich die Fallentwicklung von Straftaten gegen Rettungskräfte und Feuerwehrleute im Einsatz dar? (bitte wie in der Antwort auf Frage 1 darstellen)

 

19. Wie stellt sich die Fallentwicklung von Straftaten gegen Angestellte im Polizeidienst – und ggf. andere Polizeibeschäftigte mit vergleichbaren Aufgaben – dar? (bitte wie in der Antwort zu Frage 1 darstellen)

 

20. Hinsichtlich der Nichtteilnahme an der KFN-Studie zur ´Gewalt gegen Polizeibeamte` hat der Innensenator mitgeteilt: „Deshalb habe ich entschieden, dass Hamburg an der Fragebogenaktion nicht teilnehmen wird. Sachsen hat sich dieser Position angeschlossen. Hier können wir durch den Ausstieg aus diesem Projekt viel Geld sparen.“

a. Was hat der Innensenator unternommen, um die Bedenken gegen die Studie auszuräumen bzw. die strittigen Fragen abzuändern?

b. Wann genau hat der Innensenator entschieden, dass Hamburg sich nicht an der Studie beteiligen soll?

c. Ist die Nichtteilnahme im Senat bzw. mit den Regierungsfraktionen abgestimmt?

d. Welche Folgen hat die Nichtteilnahme für Hamburg? Plant Hamburg stattdessen eigene Erhebungen?

e. Welche Ersparnisse ergeben sich für Hamburg?