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Gesetz über die Parlamentsbeteiligung beim Erlass infektionsschützender Maßnahmen

Mittwoch, 02.12.2020

Die anhaltende Corona-Pandemie ist eine große Herausforderung für die ganze Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Die Infektionszahlen machen deutlich, dass weiterhin Maßnahmen zur Eindämmung des Virus getroffen werden müssen. Das oberste Ziel bleibt es, eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern, sodass all jene mit Bedarf an medizinischer Betreuung auch angemessen versorgt werden können.

 

Die Notfallsituation bedingt eine herausgehobene Stellung der Exekutive zur Abwehr von Gefahren für die Bevölkerung. Um der Dauer und auch zunehmenden Berechenbarkeit der Wirkungen von Maßnahmen Rechnung zu tragen, legen die Fraktionen von SPD, GRÜNEN und CDU ein Gesetz vor, das eine angemessene parlamentarische Beteiligung im Rahmen des Erlasses von Rechtsverordnungen zur Pandemiebekämpfung sicherstellt.

 

Zum Schutz der Bevölkerung der Freien und Hansestadt Hamburg wollen wir die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 bekämpfen und gleichzeitig die Debatte über Maßnahmen, die unsere grundlegenden demokratischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gesellschaftsfunktionen betreffen, stärken.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

I.

Gesetz

über die Parlamentsbeteiligung beim Erlass infektionsschützender Maßnahmen

vom…

 

Auf Grund von § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 und § 31 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert am 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397, 2405, 2412) in Verbindung mit Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes wird das folgende Gesetz erlassen:

 

§ 1

Zweck des Gesetzes

 

Zweck des Gesetzes ist es, im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG in der jeweils geltenden Fassung durch gesteigerte Informationspflichten eine Grundlage für die mögliche Wahrnehmung des Eintrittsrechts des Parlaments gemäß Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes zu bereiten, soweit der Senat zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten und zur Bekämpfung derer Folgen auf Grund des § 32 IfSG in Verbindung mit den §§ 28 bis 31 IfSG ermächtigt ist.

 

§ 2

Ermächtigung des Senats

 

Der Senat bleibt unbeschadet der Rechte der Bürgerschaft nach Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes ermächtigt, Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten durch Rechtsverordnung nach Maßgabe von § 32 IfSG unter den Voraussetzungen, die für die Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, zu erlassen. Der Senat kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen.

 

§ 3

Beteiligung der Bürgerschaft

 

(1) Rechtsverordnungen im Sinne des § 2 sowie jeweils deren Verlängerung, Änderung oder Aufhebung sind der Bürgerschaft unverzüglich, spätestens 24 Stunden nach der Beschlussfassung, zuzuleiten. Kann die Zuleitung nicht vor der Verkündung stattfinden, ist dies mit der Zuleitung formlos zu begründen.

(2) Die Bürgerschaft soll zudem kurzfristig vom Senat über die Inhalte der Verabredungen oder Vereinbarungen der Länder mit dem Bund sowie die Betroffenheit der entsprechenden Rechtsverordnung informiert werden.

(3) Solange eine epidemische Lage nationaler Tragweite festgestellt ist, unterrichtet der Senat die Bürgerschaft regelmäßig über die von ihm ergriffenen Schutzmaßnahmen und die Entwicklung der epidemischen Lage nationaler Tragweite.

(4) Zu den Plenarsitzungen legt der Senat die getroffenen Regelungen nach Absatz 1 der Bürgerschaft zur Beratung vor. Die Bürgerschaft entscheidet, ob sie diese zur Kenntnis nimmt oder von ihrer Befugnis nach Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes Gebrauch macht. Soweit und sobald die Bürgerschaft ihre Befugnis durch einen verordnungsvertretenden Gesetzesbeschluss ausgeübt hat, wird die betreffende Rechtsverordnung ersetzt.

(5) Nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite berichtet der Senat der Bürgerschaft, ob sich im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) weiterhin ausbreitet, damit die Bürgerschaft gemäß § 28a Absatz 7 IfSG über die weitere Anwendbarkeit des § 28a Absätze 1 bis 6 IfSG entscheiden kann.

 

§ 4

Außerkrafttreten

 

Dieses Gesetz tritt am 31. Dezember 2021 außer Kraft.

 

Begründung

Den Landesregierungen steht nach § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Befugnis zu, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, durch Rechtsverordnungen Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Damit ermächtigt das Bundesgesetz die Landesexekutive, in Situationen, die in der Regel ein schnelles und kurzfristiges Handeln erfordern, tätig zu werden und die notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Bundestag und Bundesrat haben vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie eine Neufassung des IfSG beschlossen (Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020, BGBl. I S. 2397) und dabei insbesondere einen neuen § 28a eingefügt. In § 28a IfSG werden nun in einem Katalog von Regelbeispielen konkrete Maßnahmen genannt, die zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ergriffen werden können. Es ist insbesondere vorgesehen, dass die Länder bei Erreichen bestimmter 7-Tages-Inzidenzen Maßnahmen unterschiedlicher Grundrechtsrelevanz umsetzen können.

Damit stärkt der Bundestag in der schwierigen Zeit der Pandemie die Rechtssicherheit und somit die Handlungsfähigkeit des Staats zur Eindämmung der Pandemie bzw. zum Schutz der Gesundheit vieler Menschen vor den Folgen einer Covid-19-Erkrankung.

Zur Stärkung der Transparenz – und damit der Überprüfbarkeit, Gewährleistung von Verfahrensrationalität und Legitimationssicherung – dienen u. a. eine Begründungspflicht und eine Pflicht zur Befristung in § 28a Abs. 5 IfSG. Dabei ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots und Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen zu prüfen, ob die getroffenen Maßnahmen noch aufrechterhalten oder eine Lockerung verantwortet werden kann. Rechtsverordnungen, die nach § 32 IfSG in Verbindung mit § 28 Absatz 1 und § 28a Absatz 1 IfSG erlassen werden, sind mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen. Die Geltungsdauer beträgt grundsätzlich vier Wochen; sie kann verlängert werden.

Wie auch der nicht abschließende Katalog von Schutzmaßnahmen in § 28a Absatz 1 IfSG zeigt, ist auf Basis der Erfahrungen der letzten Monate sehr gut abschätzbar, welche Maßnahmen zur Eindämmung in Betracht kommen.

Entsprechende Anwendungsfälle in der Vergangenheit waren bis dato regelhaft befristet und endeten damit regelmäßig nach einem überschaubaren Zeitraum. Die Corona-Pandemie macht es nötig, die nach dem Infektionsschutzgesetz erlassenen Maßnahmen über Monate hinweg immer wieder zu verlängern, anzupassen und zu verändern.

Vor diesem Hintergrund hat sich eine zunehmend lauter werdende Debatte darüber entzündet, ob nicht auch die Landesgesetzgeber stärker in die Entscheidungen und ihre Kontrolle einbezogen werden müssten.

Zwar steht dem Landesgesetzgeber im Kompetenzbereich des Artikel 74 Absatz 1 Nr. 19 GG angesichts der abschließenden Bundesregelungen im IfSG keine originäre Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen der Pandemiebekämpfung zu. Im Hinblick auf die Landesparlamente ist aber Artikel 80 Absatz 4 Grundgesetz von Relevanz, der bestimmt, dass die Länder in den Fällen, in denen – wie im Falle des § 32 IfSG – Landesregierungen durch Bundesgesetz oder aufgrund von Bundesgesetzen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, auch zu einer Regelung durch Gesetz befugt sind. Auf diese Weise kann die Bürgerschaft die Kompetenz des Senats an sich ziehen und statt der Verordnung ein formales Gesetz erlassen („Rechtsformentausch“).

Insofern trifft alle Landesgesetzgeber die Verantwortung abzuwägen, ob sie entsprechende Kontrollmechanismen einführen und wann bzw. in welchem Umfang sie selbst Regelungen an Stelle der Exekutive treffen wollen. Gleichzeitig muss es aus Gründen der Akzeptanz das Ziel sein, dass in ganz Deutschland möglichst einheitliche Regelungen bzw. Regelungsmaßstäbe entwickelt werden, wobei passgenaue, regional unterschiedliche und dem Infektionsgeschehen angepasste Maßnahmen geboten sein können. Dieser Maßstab sollte von der Bundesregierung, den Landesparlamenten und-regierungen berücksichtigt werden. Die aktuelle Corona-Pandemie zeigt zudem, dass ein sich kurzfristig veränderndes Infektionsgeschehen manchmal ein Handeln binnen Tagen oder sogar Stunden nötig macht.

Die Hamburgische Bürgerschaft hat sich vom Senat seit März dieses Jahres in verschiedenen Formen fortlaufend über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in Hamburg und Deutschland informieren lassen. Sie selber war und ist – unabhängig vom Senat – immer in der Lage, durch eigene Gesetze Maßnahmen zu erlassen. Das Parlament hat seine zügige Handlungsfähigkeit als Organ der Legislative mehrfach unter Beweis gestellt (Beispiele: Haushalt und Erleichterung der Gremienarbeit). Viele Debatten im Plenum hatten die Pandemie-Bekämpfung zum Gegenstand und es gab mehrere Regierungserklärungen des Ersten Bürgermeisters in der Bürgerschaft.

Mit dem vorliegenden Gesetz kommt die Hamburgische Bürgerschaft ihrer Verantwortung nach und macht deutlich, dass sie die genannten Abwägungen vorgenommen hat. Sie stellt klar dabei, dass sie die bisherigen Verordnungen des Senats unterstützt.

Es wird voraussichtlich auch weiterhin erforderlich sein, dass der Senat erforderliche Maßnahmen per Rechtsverordnung regelt, um kurzfristig auf neue Erkenntnisse zu Infektionswegen reagieren zu können. Deshalb wird in § 2 lediglich klarstellend darauf hingewiesen, dass die Regelungsbefugnis zunächst bei der Exekutive verbleibt.

§ 3 Absatz 4 des Gesetzentwurfes stellt ferner klar, dass der Senat zur Ausübung der ihm gewährten bundesgesetzlichen Befugnisse berechtigt bleibt, soweit die Bürgerschaft nicht von ihrer Befugnis nach Artikel 80 Absatz 4 Grundgesetz Gebrauch macht, die Zuständigkeit im Wege einer Gesetzesinitiative an sich zu ziehen und kraft Vorrang des Gesetzes die von der Landesregierung erlassene Verordnung zu ersetzen. Entscheidet sie sich dagegen, nimmt sie die Verordnungen oder deren Verlängerung oder Ergänzung zur Kenntnis.

In Ergänzung hierzu und um eine hinreichende Entscheidungsgrundlage für ein mögliches gesetzgeberisches Tätigwerden zu ermöglichen, enthält der Gesetzentwurf umfangreiche Informationspflichten des Senats. Dies eröffnet der Bürgerschaft verschiedene Befassungsmöglichkeiten rund um den Erlass oder die Veränderung einer Verordnung oder deren Absicht. Dies kann beispielsweise die vor Vereinbarung zwischen Bund und Ländern stattfindende Selbstbefassung in einem noch rechtzeitig vor der zur erreichenden Plenarsitzung tagenden Fachausschuss sein. So besteht die Möglichkeit, dass z. B. über eine Verständigung im Ältestenrat ein geeignetes Verfahren zur Behandlung gefunden wird.

Schließlich wird geregelt, dass nach der neuen Regelung des § 28a Absatz 7 IfSG die Hamburgische Bürgerschaft ggf. nach Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach

§ 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite über die weitere Anwendbarkeit des § 28a Absätze 1 bis 6 IfSG zu entscheiden hat, nachdem der Senat der Bürgerschaft berichtet hat, ob sich in Hamburg das Coronavirus SARS-CoV-2 weiterhin ausbreitet.

 

II. Der Senat wird ersucht,

vor dem Hintergrund der aktuellen Änderungen des IfSG vom 18.11.2020 im Hinblick auf weitere mögliche Schritte die verschiedenen, in anderen Bundesländern gefundenen Beteiligungsmodelle auszuwerten und der Bürgerschaft vorzulegen.

sowie
  • der Abgeordneten Jennifer Jasberg
  • Dominik Lorenzen
  • Michael Gwosdz
  • Maryam Blumenthal
  • Eva Botzenhart
  • Alske Freter
  • Sina Imhof
  • Lisa Kern
  • Lisa Maria Otte
  • Till Steffen
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion und der Abgeordneten Dennis Thering
  • Dennis Gladiator
  • Dr. Anke Frieling
  • Richard Seelmaecker
  • André Trepoll (CDU) und Fraktion