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Zweites Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie

Mittwoch, 05.05.2021

Die COVID-19-Pandemie und deren Auswirkungen, insbesondere in Form der durch den Senat erlassenen notwendigen Beschränkungen, beeinträchtigen viele gesellschaftliche Bereiche Hamburgs in ihrem Wirken und stellen große Herausforderungen dar. Neben der Wirtschaft, dem Bildungsbereich und vielen weiteren Bereichen ist hiervon insbesondere auch der Bereich des sozialen Miteinanders, des sozialen, politischen und bürgerlichen Engagements betroffen. Hamburg ist bundesweit Vorreiter im Bereich der direkten Demokratie und hat einen verfassungsrechtlich und einfach-gesetzlich umfangreichen Instrumentenkasten an Möglichkeiten der unmittelbaren politischen Einflussnahme. Das gestufte Verfahren der Volksgesetzgebung auf Landesebene durch Volksinitiative, Volksbegehren und schließlich den Volksentscheid ist in seinen jeweiligen Verfahrensstufen zum Nachweis und zur Legitimation der politischen Relevanz des jeweiligen Anliegens an Fristen gebunden. So liegt die Zeitspanne für die Sammlung hinreichender Unterschriften für eine erfolgreiche Volksinitiative bei sechs Monaten. Entsprechendes gilt für das Verfahren von Bürgerbegehren auf Ebene der Bezirke. In diesem Zeitrahmen können Initiator*innen öffentlich für die Unterstützung ihres Anliegens werben und hierzu auch in den direkten Austausch mit den Bürger*innen treten.

Mit dem Gesetz für Volksabstimmungsverfahren und für Bürgerbegehren wird nunmehr eine unbefristete Grundlage geschaffen, die es ermöglicht, unmittelbar auf die Verfahren beeinträchtigende Ereignisse höherer Gewalt zu reagieren. Die durch das Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie vom 12. Mai 2020 (HmbGVBl. S. 255) eingeführten Regelungen haben sich mit der Anknüpfung an ein grundsätzliches Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen als zu eng gezeigt, weil gleichgewichtige Erschwernisse der politischen Kommunikation nicht erfasst wurden. Die Fortdauer der gebotenen Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und das Außerkrafttreten der vorgenannten Vorschriften am 30. Juni 2021 geben Anlass für eine Neuregelung. Dabei wird den Besonderheiten der unterschiedlichen direktdemokratischen Instrumente auf der Ebene der Gesetzgebung (Volksabstimmung) und der bezirklichen Verwaltungsebene (Bürgerbegehren) Rechnung getragen.

Wenn aufgrund eines außergewöhnlichen Ereignisses die für ein Volksabstimmungsverfahren oder für ein Bürgerbegehren erforderliche politische Meinungsbildung im öffentlichen Raum erheblich und für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum beeinträchtigt ist, sollen die gesetzlichen Fristen durch Beschluss der Bürgerschaft oder die Bezirksaufsichtsbehörde für bis zu sechs Monaten gehemmt werden.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

Zweites Gesetz

zur Stärkung der direkten Demokratie

 

Vom …

 

Artikel 1

Änderung des Volksabstimmungsgesetzes

§ 31c des Volksabstimmungsgesetzes vom 20. Juni 1996 (HmbGVBl. S. 136), zuletzt geändert am 12. Mai 2020 (HmbGVBl. S. 255), erhält folgende Fassung:

㤠31c

Ausnahmevorschrift

(1) Ist das Sammeln von Unterschriften für eine Volksinitiative oder ein Volksbegehren oder die Meinungsbildung zu einer Volksabstimmung aufgrund einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt erheblich und nicht nur kurzfristig erschwert, kann die Bürgerschaft über die Hemmung der Fristen nach § 5 Absatz 1, § 6 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 2 sowie § 18 Absatz 1 Satz 2 einen Beschluss fassen.

(2) In dem Beschluss nach Absatz 1 ist der Tag des Beginns der Hemmung zu bestimmen. Über den Tag des Endes ist ein gesonderter Beschluss zu fassen. Die Hemmung der Frist nach § 5 Absatz 1 endet spätestens nach sechs Monaten, auch wenn kein Beschluss nach Satz 2 gefasst wird.

(3) Ein Beschluss der Bürgerschaft nach Absatz 1 und Absatz 2 ist den Initiatoren der betroffenen Volksabstimmungsverfahren durch den Senat mitzuteilen.“

 

Artikel 2

Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes

§ 32 Absatz 3 Satz 4 des Bezirksverwaltungsgesetzes vom 6. Juli 2006 (HmbGVBl S. 404, 452), zuletzt geändert am 3. Februar 2021 (HmbGVBl. S. 64), erhält folgende Fassung:

„Ist das Sammeln von Unterschriften zur Unterstützung für ein Bürgerbegehren aufgrund einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt erheblich und länger als 30 Tage erschwert, kann die zuständige Behörde auf Antrag der Initiative Beginn und Ende der Hemmung der Frist nach Satz 1 für den Zeitraum der Erschwernis, längstens jedoch für insgesamt sechs Monate, anordnen.“

 

Artikel 3

Änderung des Bezirksabstimmungsdurchführungsgesetzes

§ 11a des Bezirksabstimmungsdurchführungsgesetzes vom 27. Januar 2012 (HmbGVBl. S. 28), geändert am 12. Mai 2020 (HmbGVBl. S. 255), erhält folgende Fassung:

 

㤠11a

Ausnahmevorschrift

Ist das Sammeln von Unterschriften aufgrund einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt erheblich und nicht nur kurzfristig erschwert, kann die Bezirksaufsichtsbehörde auf Antrag der Initiative Beginn und Ende der Hemmung der Frist nach § 3 Absatz 1 Satz 1 für den Zeitraum der Erschwernis längstens jedoch für insgesamt sechs Monate, anordnen.“

 

Artikel 4

Schlussbestimmung

Artikel 5 des Gesetzes zur Stärkung der direkten Demokratie vom 12. Mai 2020 (HmbGVBl. S. 255) wird aufgehoben.

 

Begründung

 

Zu den einzelnen Vorschriften:

 

Artikel 1 (§ 31c VAbstG)

 

§ 31 c VAbstG erhält eine neue Fassung.

Absatz 1: Die Anforderungen für den Eingriff in den gesetzlich bestimmten Verfahrensablauf durch die Hemmung von Fristen bleiben unverändert hoch:

Es muss sich um eine Naturkatastrophe oder ein ähnliches Ereignis höherer Gewalt, etwa eine Pandemie handeln. Aufgrund des Ereignisses muss das Sammeln von Unterschriften vor Ort durch direkte Ansprache von Bürger*innen oder der politische Meinungsaustausch im direkten Dialog erheblich erschwert sein. Dies ist der Fall bei einem allgemeinen grundsätzlichen Veranstaltungs- oder Versammlungsverbot oder einer in seinen Auswirkungen auf den unmittelbaren Meinungsaustausch vergleichbaren allgemeinen rechtlichen oder tatsächlichen Erschwernis, beispielhaft die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Beschränkungen der Kontakte zwischen Personen und Zusammenkünfte im öffentlichen Raum sowie Abstandsgebote.

Die Erschwernis muss auch in zeitlicher Hinsicht von Gewicht sein, um den Eingriff in die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen rechtfertigen zu können. Hierfür muss die Erschwernis für zumindest einen durchgehenden Zeitraum von 30 Tagen anhalten.

Gegenstand der möglichen Hemmung sind die Fristen zum Einreichen der Unterstützungsunterschriften nach § 5 Absatz 1 VAbstG, der Fristen auf Antrag zur Durchführung eines Volksbegehrens nach § 6 Absatz 1 VAbstG oder eines Volksentscheids nach § 18 Absatz 1 VAbstG sowie die Frist zur Durchführung eines beantragten Volksbegehrens nach § 6 Absatz 2 Satz 2 VAbstG. Somit kann einer Störung des Verfahrens aufgrund einer signifikanten Einschränkung der politischen Kommunikation entgegengewirkt werden. Zugleich hindert die Hemmung des Ablaufs der jeweiligen Frist die einzelnen Initiativen nicht, den Antrag auch vor dem Ende der Frist zu stellen und das Verfahren weiter zu betreiben.

Absatz 2

Der Beginn und das Ende der Hemmung von Fristen werden durch Beschluss der Bürgerschaft bestimmt. Sie kann für den Beginn auch einen Tag vor der Beschlussfassung bestimmen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung dürfen die betreffende Frist und die Erschwernis aber noch nicht beendet sein.

Die Bürgerschaft hat die Hemmung auf den Zeitraum der Erschwernis zu begrenzen. Sie hat ggf. in einem gesonderten Beschluss deren Ende festzulegen. Die vorgesehene gesonderte Beschlussfassung über das Ende der Hemmung ist verfahrensökonomisch, weil je nach Entwicklung eine wiederholte Beschlussfassung über die Hemmung einer Frist vermieden wird, denn auch ohne einen gesonderten Beschluss endet die Hemmung der Frist für das Sammeln von Unterschriften für das Zustandekommen einer Volksinitiative nach § 5 Absatz 1 VAbstG spätestens nach sechs Monaten. Hierdurch wird der für die Legitimationswirkung erforderliche zeitliche Zusammenhang der Unterschriftensammlung gewahrt. Einer gesonderten Beschlussfassung bedarf es daher nicht, wenn die Erschwernis den Zeitraum von sechs Monaten überschreitet.

Absatz 3

Die Information der betroffenen Initiativen ist durch den Senat als zuständige Stelle für das den Fristen gegenständliche Einreichen von Unterschriften oder das Stellen eines Antrags vorgesehen.

 

Artikel 2 (§ 32 Bezirksverwaltungsgesetz)

Für Bürgerbegehren wird entsprechend zu Artikel 1 die Befugnis eingeführt, bei Naturkatastrophen oder ähnlichen Ereignissen höherer Gewalt die Hemmung der Frist für das Sammeln von Unterschriften zur Unterstützung eines Bürgerbegehrens anzuordnen. Zu den Voraussetzungen, unter denen das Ermessen für die Entscheidung über die Anordnung der Hemmung eröffnet ist, wird auf die Begründung zur Änderung von § 31c Absatz 1 verwiesen.

Die Entscheidung über die Fristenhemmung in dem Verfahren der direkten Demokratie auf der Ebene der Bezirksverwaltung erfolgt durch die vom Senat zu bestimmende zuständige Behörde. Aufgrund der Übertragung der Entscheidung auf die Exekutive wird ausdrücklich klargestellt, dass eine Erschwernis für einen Zeitraum von zumindest 30 Tagen andauern muss. Die Anordnung darf aber auch einen zurückliegenden Zeitraum erfassen, wenn die Frist für das Einreichen der Unterschriften noch nicht beendet ist und die Erschwernis fortdauert. Das Antragserfordernis dient der Verfahrensklarheit, nimmt die Vertrauenspersonen betreffender Initiativen in die Verantwortung und vermeidet, dass eine ggf. bereits eingetretene Sperrwirkung nach § 32 Absatz 5 Satz 1 unnötig herausgezögert wird. Zudem wird gewährleistet, dass für den denkbaren Fall einer auf einzelne Bezirke beschränkten Erschwernis die Hemmungswirkung auf dort laufende Bürgerbegehren begrenzt wird. Bereits vorliegende Anträge, die Sammelfrist zu verlängern, sind als Antrag im Sinne dieser Vorschrift zu behandeln.

 

Artikel 3 (§ 11a Bezirksabstimmungsdurchführungsgesetz)

Die Ausnahmevorschrift in § 11a des Bezirksabstimmungsdurchführungsgesetzes wird an die Änderung von § 32 Bezirksverwaltungsgesetz angepasst.

 

Artikel 4 (Schlussbestimmung)

Mit dieser Vorschrift wird sichergestellt, dass die mit dem ersten Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie geschaffenen Regelungen unbefristet gelten.

sowie
  • der Abgeordneten Dr. Till Steffen
  • Maryam Blumenthal
  • Eva Botzenhart
  • Alske Freter
  • Sina Imhof
  • Jennifer Jasberg
  • Lisa Kern
  • Lisa Maria Otte
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion und der Abgeordneten André Trepoll
  • Dennis Thering
  • Dr. Anke Frieling
  • Dennis Gladiator
  • Richard Seelmaecker (CDU) und Fraktion und der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus
  • Heike Sudmann
  • Deniz Celik
  • Stephan Jersch
  • Dr. Carola Ensslen (die LINKE) und Fraktion