Beendigung gemeinsamer Mietverträge beschleunigen
Mittwoch, 02.07.2025
In allen Bereichen häuslicher Gewalt sind aktuell steigende Fallzahlen zu verzeichnen. Das aktuellste Bundeslagebild verzeichnet für das Jahr 2023 insgesamt 256.276 Fälle, was einen Anstieg von 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Mit dem Gewalthilfegesetz ist vor diesem Hintergrund ein großer und wichtiger Schritt zum Schutz gewaltbetroffener Menschen gelungen: Es stellt erstmals bundesgesetzlich sicher, dass gewaltbetroffene Frauen einen kostenfreien Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung haben. Es schafft damit den Rahmen für ein verlässliches Hilfesystem.
Parallel dazu steigt in Hamburg trotz intensiver Anstrengungen bei der Unterstützung in der Wohnraumakquise die durchschnittliche Verweildauer in den Frauenhäusern seit Jahren an und betrug im Jahr 2024 durchschnittlich 232 Tage. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht ausreichend, nur die Zahl der Schutzplätze zu erhöhen. Vielmehr muss den betroffenen Frauen auch ein schneller Neuanfang ermöglicht werden.
In der Praxis hat sich dabei herausgestellt, dass Betroffene häuslicher Gewalt nicht selten vor einem kaum überwindbaren Problem stehen, wenn sie sich im Anschluss an den Aufenthalt im geschützten Umfeld eines Frauenhauses dauerhaft ein vom gewalttätigen Partner unabhängiges Leben aufbauen wollen, mit diesem aber eine gemeinsame Wohnung haben.
Die Rückkehr in die gemeinsam mit dem Täter angemietete Wohnung durch befristete Überlassung gemäß § 2 Gewaltschutzgesetz oder – bei Eheleuten – durch Zuweisung der Ehewohnung nach § 1361b Bürgerliches Gesetzbuch ist häufig nicht zumutbar. Denn dieses Vorgehen würde die Gefahr erheblich steigern, dass der Täter Abstandsgebote verletzt und den Betroffenen oder gemeinsamen Kindern gegenüber erneut gewalttätig wird.
Im Regelfall soll der Aufenthalt im Frauenhaus deshalb in ein um eine neue, eigene Wohnung aufgebautes Lebensumfeld übergehen. Hierbei sind die Betroffenen häuslicher Gewalt mit dem Problem konfrontiert, dass die Kündigung eines gemeinsam mit dem gewalttätigen Lebenspartner geschlossenen Mietvertrags dessen Zustimmung zur Kündigung voraussetzt. Grund hierfür ist, dass nach geltender Rechtsprechung alle Mieter*innen gemeinsam kündigen müssen. Dies führt u. a. dazu, dass Betroffene noch in einem Schuldverhältnis für die Schäden und Mietzahlungen der „alten“ Wohnung stehen und sie schwieriger eine neue Wohnung finden, weil viele Vermieter*innen keine Mietverhältnisse eingehen, wenn noch welche bestehen.
Eheleuten steht aktuell mit Beginn der Trennungszeit ein wechselseitiger Anspruch auf Zustimmung zur Kündigung des gemeinsamen Mietverhältnisses zu, sofern nicht berechtigte Interessen des anderen Ehegatten entgegenstehen. Die Geltendmachung des Anspruchs erfolgt bei verheirateten Paaren nach den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Ein inhaltsgleicher Anspruch wird auch für Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften angenommen, die sich im Fall einer Trennung von dem gemeinsam mit dem gewalttätigen Partner geschlossenen Mietvertrag lösen wollen. Dieser Anspruch muss nach derzeitiger Rechtslage im Streitfall allerdings vor den Gerichten im Rahmen einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit im Verfahren nach der Zivilprozessordnung eingeklagt werden. Mit einem solchen Verfahren sind für die Betroffenen erhebliche Nachteile verbunden, da sie sämtliche Anspruchsvoraussetzungen im Strengbeweisverfahren nachzuweisen haben und sie während des Verfahrens weiterhin mit dem Täter konfrontiert werden. Auch die Verfahrensdauer steht dem baldigen Neuanfang häufig entgegen.
In Hamburg standen im Jahr 2024 zwanzig Frauen vor diesem Problem und im Jahr 2025 bis Ende März bereits sechs, was die ohnehin stark nachgefragten derzeit 259 Schutzplätze in den Hamburger Frauenhäusern aufgrund der langen Aufenthaltsdauer dieser Betroffenen in ihrer Verfügbarkeit erheblich einschränkt. Keine Alternative ist ein Wechsel in eine andere öffentlich-rechtliche Unterbringung, da deren Kapazitäten ebenfalls stark ausgelastet sind und sich dadurch ein geordneter Neuanfang weiter verzögern würde. Es ist davon auszugehen, dass den anderen Kommunen die Versorgung von Betroffenen häuslicher Gewalt vergleichbare Schwierigkeiten bereitet.
Die Justizminister*innen haben diese Problemlage erkannt und im Rahmen ihrer 96. Frühjahrskonferenz im Juni 2025 den Hamburger Antrag beschlossen, der die Notwendigkeit unterstreicht, gesetzliche Regelungen zu prüfen, mit denen die Durchsetzung des Zustimmungsanspruchs gegen den Mitmieter vereinfacht und beschleunigt wird. Die 35. Gleichstellungsminister*innenkonferenz hat am 26./27.06.2025 dieses Anliegen mit einem eigenen Beschluss zur Beendigung gemeinsamer Mietverträge für Betroffene von häuslicher Gewalt ebenfalls betont.
Aufbauend auf diesen Vorarbeiten der Justiz- und Gleichstellungsminister*innen wird der Senat ersucht, sich im Bundesrat für die zügige Umsetzung einer gesetzgeberischen Lösung einzusetzen, die verhindert, dass den Betroffenen häuslicher Gewalt im Streitfall ein langwieriger Rechtsstreit aufgezwungen und ein Neuanfang erheblich erschwert wird.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. eine Bundesratsinitiative einzubringen, die es Betroffenen von häuslicher Gewalt erleichtert, sich aus einem gemeinsam mit dem Täter geschlossenen Wohnraummietvertrag zu lösen und
2. der Bürgerschaft zum 31.05.2026 zu berichten.
- Mehria Ashuftah
- Baris Önes
- Milan Pein
- Arne Platzbecker
- Anja Quast
- Olaf Steinbiß
- Sarah Timmann (Fachsprecher:in Justiz)
- Carola Veit
sowie
- Lena Zagst
- Mareike Engels
- Filiz Demirel
- Alske Freter
- René Gögge
- Linus Görg
- Michael Gwosdz
- Sina Imhof
- Jennifer Jasberg
- Lisa Kern
- Jan Koriath
- Parica Partoshoar
- Dr. Gudrun Schittek
- Dr. Selina Storm
- Kathrin Warnecke
- Mechthild Weber (GRÜNE) und Fraktion