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Demokratische Teilhabe und professionelle Bürgerbeteiligungsverfahren in den Bezirken auch unter Corona-Bedingungen ermöglichen

Mittwoch, 02.12.2020

Beteiligungsformate:

Demokratie lebt von Teilhabe. In den Hamburger Bezirken interessieren sich die Bürgerinnen und Bürger verstärkt für die Arbeit der Politik und engagieren sich für ihre Stadtteile. Die positive Entwicklung vieler Stadtteile, die rege Bautätigkeit und der Zuzug von Menschen nach Hamburg führen zu einem verstärkten Interesse an lokaler Entwicklung. Die Hamburger Bezirke führen daher häufig neben den gesetzlich vorgegebenen Verfahren weitere Bürgerbeteiligungsprozesse durch, die mit ihren vielfältigen Ergebnissen wichtige Impulse der Stadtentwicklung geben. Diese basisdemokratische Beteiligung muss niedrigschwellig und barrierearm organisiert und konzipiert werden, gut beworben und professionell durchgeführt werden. Waren diese Anforderungen für Bezirksämter schon vor der Corona-Pandemie und den mit ihr verbundenen Einschränkungen schwierig zu bewältigen, so sind unter den strengen Abstands- und Hygieneregeln der Pandemie-Zeit die Anforderungen noch einmal deutlich gestiegen.

 

Die Bezirksämter leisten gute Arbeit und verdienen höchsten Respekt für ihre bisher organisierten Bürgerbeteiligungsverfahren. Jedoch müssen sie bislang autodidaktisch konzipieren und die Verfahren durchführen, ohne professionelles Equipment und speziell geschultes Personal. Diese Art der Durchführung von Bürgerbeteiligungsverfahren bindet hohe Personalressourcen und verursacht bei jedem Bezirksamt Kosten, die bei Schaffung einer gemeinsamen Infrastruktur gesenkt werden könnten. Die Erstellung geeigneter überbezirklicher Konzepte kann den Aufwand pro Verfahren nachhaltig senken.

 

Speziell in Moderation geschulte Verwaltungsangestellte können entscheidend zum Gelingen von Informationsveranstaltungen und Beteiligungsworkshops beitragen. In vielen Fällen ist jedoch eine externe Moderation von Vorteil. Die Buchung von guten Moderatorinnen und Moderatoren übersteigt allerdings häufig die Budgets der Verwaltung, daher sind auch für die externe Moderation und Organisation von Beteiligungsformaten zusätzliche Mittel erforderlich.

 

Herstellung von Öffentlichkeit in den Bezirken:

Die Notwendigkeit der Herstellung aktiver Teilhabe bezieht sich jedoch nicht nur auf besondere Bürgerbeteiligungsverfahren sondern auch auf die regulären Prozesse. Insbesondere in den Bezirken haben die Menschen unter normalen Umständen die Möglichkeit, direkt an demokratischen Prozessen teilzunehmen und mitzuwirken. In Bürgerfragestunden oder in Form von Eingaben kann unter normalen Umständen der direkte Kontakt mit Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern gesucht werden und in zahlreichen bezirklichen Beteiligungsformaten kann die Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes aktiv beeinflusst werden.

 

Seit Beginn der ersten Kontakteinschränkungen als notwendige Reaktion auf die exponentiell steigende Zahl Covid-19-Erkrankter und den seitdem geltenden strengen Hygiene- und Abstandsregeln finden keine bzw. nur sehr stark eingeschränkt öffentliche Veranstaltungen statt: Bezirksversammlungen tagen ohne oder mit minimaler Öffentlichkeit. Einige Bezirksversammlungen finden aufgrund räumlicher Enge regelmäßig in verminderter Stärke statt, sodass selbst vielen Mitgliedern der Bezirksversammlungen die Ausübung ihres Mandats coronabedingt nur eingeschränkt möglich ist. Wurde dieses von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern wie auch der Bevölkerung anfangs akzeptiert, mehren sich nun die Stimmen welche fordern, Teilhabe und Öffentlichkeit auch unter Corona-Bedingungen wiederherzustellen. Die Menschen wünschen sich Beteiligung an politischen Prozessen, die ihr direktes Lebensumfeld betreffen.

 

Entsprechend dem bürgerschaftlichen Ersuchen aus Drs. 22/124 hat der Senat bislang bereits Maßnahmen zur Unterstützung der Bezirke getroffen (vgl. Drs. 22/830). Insbesondere vor dem Hintergrund der zweiten Infektionswelle bedarf es hierzu der Fortsetzung und weiteren Absicherung alternativer Corona-kompatibler Wege an Sitzungen und Diskussion teilzuhaben, mit individuellen Lösungen für die einzelnen Bezirke und ihre Veranstaltungen, da die räumlichen, personellen und kulturellen Bedingungen in Hamburgs Stadtteilen und Bezirken sehr unterschiedlich sind. Während in einem Bezirk große Räumlichkeiten verfügbar sind, fallen im anderen hohe Mietkosten an. Während in einem Stadtteil digitale Beteiligung angenommen wird, sind in einem anderen Präsenzformate geeigneter. Deshalb müssen die Bezirksämter und -versammlungen in die Lage versetzt werden, Teilhabe mit individuellen Mitteln wiederherzustellen, sei es durch Anmietung großer Räumlichkeiten oder durch Einbauten bzw. Anschaffung mobiler Trennwände.

 

Eine geeignete Form der Beteiligung unter Pandemie-Bedingungen ist die digitale Teilhabe. Seit Beginn der corona-bedingten Einschränkungen sind der Anteil digitaler Beteiligungsformate und die Offenheit gegenüber virtueller Teilhabe deutlich gestiegen. Live-Streaming ist eine gute Möglichkeit, als Zuschauerin oder Zuschauer Veranstaltungen beizuwohnen. Die Bezirksversammlungen haben gemeinsam unter der Federführung des Bezirksamtes Hamburg-Nord eine einheitliche Durchführung des Live-Streamings ihrer Bezirksversammlungssitzungen beauftragt. Professionell organisiertes Live-Streaming verursacht jedoch hohe Kosten. Die Bezirksversammlungen haben nach der Ausschreibung des Live-Streamings ihrer Bezirksversammlungssitzungen zunächst ein Angebot für ca. 1.190 Euro pro Sitzung beauftragt. Zusätzlich zu den Sitzungen der Bezirksversammlungen können auch einige andere Sitzungen, wie z. B. des Hauptausschusses, wenn dieser an Stelle der Bezirksversammlung tagt, aber bei besonderen Anlässen auch einiger Fachausschüsse, in denen z. B. besonders wichtige, strittige Themen auf der Tagesordnung stehen, sowie öffentliche Plandiskussionen oder Sonderveranstaltungen wie Beteiligungsformate oder Sitzungen von Beiräten, die Herstellung von Öffentlichkeit im Einzelfall erforderlich erscheinen lassen. Über das einfache Live-Streaming hinausgehend können digitale Angebote, bei denen eine Interaktion möglich ist, sinnvoll sein. Diese Form der digitalen Teilhabe ist derzeit wegen der Einschränkungen der Corona-Krise nötig, jedoch kann sie auch generell jenseits pandemiebedingter Einschränkungen niedrigschwelliger, inklusiver und einfacher für viele Bürgerinnen und Bürger sein.

 

Möglichkeit des Live-Streams im Bezirksverwaltungsgesetz verankern:

Die derzeitige rechtliche Lage verlangt, dass von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einer Sitzung Einwilligungen zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten eingeholt werden. Dies stellt für die Gremienbetreuungen der Bezirksversammlungen einen nicht zu unterschätzenden Verwaltungsaufwand dar. Zudem vergessen Mitglieder erfahrungsgemäß bisweilen die Abgabe der Einwilligungserklärung. Wenn ein Mitglied ohne geltende Einwilligungserklärung spricht, müssen die Anbieter des Streaming-Dienstes Standbilder einblenden, was das Seherlebnis deutlich mindert. Durch die Schaffung einer rechtlichen Grundlage im Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) würden die Bezirksversammlungen in die Lage versetzt, in ihren jeweiligen Geschäftsordnungen für die Bezirksversammlungs- und Ausschussmitglieder die Einwilligung zum Live-Streaming zu regeln.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

A. Drittes Gesetz zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes

Vom…

Das Bezirksverwaltungsgesetz vom 6. Juli 2006 (HmbGVBl. S. 404, 452), zuletzt

geändert am 12. Mai 2020 (HmbGVBl. S. 255), wird wie folgt geändert:

In § 14 Absatz 1 BezVG werden folgende Sätze 2 und 3 angefügt:

„In der Geschäftsordnung kann bestimmt werden, öffentliche Sitzungen der Bezirksversammlung und bei Vorliegen besonderer Gründe auch ihrer Ausschüsse direkt im Internet zu übertragen. Die Einzelheiten dazu legt die Bezirksversammlung fest.“

 

Begründung:

Die Regelung in § 14 Absatz 1 Sätze 2 und 3 eröffnet die Möglichkeit, die Äußerungen und Stellungnahmen der Bezirksversammlungs- und Ausschussmitglieder in den öffentlichen Teilen der Sitzungen einer Bezirksversammlung oder eines Ausschusses auch per Internet zeitgleich zu übertragen, wenn die jeweilige Bezirksversammlung dies mehrheitlich beschlossen hat. Eine weitergehende Mehrheit als für den Beschluss der Geschäftsordnung ist nicht erforderlich. Die direkte Übertragung einer öffentlichen Sitzung erweitert lediglich den Kreis der Öffentlichkeit über den für die Sitzung zur Verfügung stehenden Raum hinaus und dient der Förderung der Teilhabe weiterer Personen an den Beratungen und Beschlüssen der Bezirksversammlung bzw. des Ausschusses.

 

B. Der Senat wird ersucht,

 

I.

1. die Bezirksämter dabei zu unterstützen und finanziell in die Lage zu versetzen,

 

a. die Sitzungen der Bezirksversammlungen auch unter Pandemie-Bedingungen in Präsenz tagen zu lassen und, so gewünscht, in voller personeller Stärke. Dieses soll durch geeignete Maßnahmen ermöglicht werden, wie z. B. durch die Anmietung größerer Räumlichkeiten, mobile Trennwände oder andere geeignete Lösungen,

b. eine regelhafte Übertragung der Sitzungen der Bezirksversammlungen per Live-Stream während der Pandemie zu gewährleisten,

c. weitere Beteiligungsformate unter Pandemie-Bedingungen für Sonderveranstaltungen und bei besonderen Anlässen für Ausschusssitzungen zu entwickeln und durchzuführen.

 

2. hierfür eine Finanzierung aus den für die Bewältigung der Corona-Pandemie vorhandenen, zentralen Ansätzen des Einzelplans (EP) 9.2 in einem Umfang von bis zu 250.000 Euro jeweils für die Jahre 2021 und 2022 vorzusehen.

 

Die Mittel sind nach einem von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB) festzulegenden Schlüssel so aufzuteilen, dass alle Bezirksversammlungen auf Wunsch in voller Stärke tagen und per Live-Stream übertragen werden können. Der Schlüssel sollte neben Basismitteln auch optionale Mittel beinhalten, bei denen die unterschiedlichen Bedarfe der Bezirke berücksichtigt werden müssen. Hierbei müssen die Notwendigkeit externer Raumanmietungen, die Zahl von notwendigen Formaten, aber auch die Einwohnerzahl berücksichtigt werden.

 

II.

1. über die Ermöglichung individuell angepasster Lösungen für jeden Bezirk hinausgehend, insbesondere um

a. reproduzierbare Bürgerbeteiligungsverfahren zu erarbeiten und diese den Bezirken zur Verfügung zu stellen,

b. niedrigschwellige Maßnahmen zur Schulung von Verwaltungsmitarbeitern der Bezirke in Konzeption, Durchführung, Moderation und Auswertung von Bürgerbeteiligungsverfahren anzubieten,

c. weitere Maßnahmen zur Schaffung einer IT-Struktur für Online-Beteiligungsplattformen zu schaffen,

d. den Bezirken zur insoweit ggf. notwendigen Raumanmietung, Buchung externer Moderationen oder Agenturen Mittel zur Verfügung zu stellen.

 

2. hierfür eine Finanzierung aus den für die Bewältigung der Corona-Pandemie vorhandenen, zentralen Ansätzen des EP 9.2 vorzunehmen, die Mittel in den EP 3.2 (Aufgabenbereich 298 Bezirksverwaltung – Produktgruppe 298.90 ZP Zentrale Bezirksmittel) in einem Umfang von jeweils 250.000 Euro konsumtiv für die Jahre 2021 und 2022 zu übertragen und auch ein Antragsverfahren für die Bezirksämter, auf Initiative der Bezirksversammlungen, vorzusehen.

?

III.

der Bürgerschaft über die Maßnahmen nach Ziffern I und II sowie darüber hinaus über solche Beteiligungsformate, die zur Begleitung von Verfahren im Bereich der Stadtplanung von Seiten der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen zur Verfügung stehen und finanziert werden, jeweils bis zum 31.12.2021. zu berichten.

 

sowie
  • der Abgeordneten Lisa Kern
  • Dennis Paustian-Döscher
  • Eva Botzenhart
  • Filiz Demirel
  • Olaf Duge
  • Mareike Engels
  • Alske Freter
  • René Gögge
  • Michael Gwosdz
  • Sina Imhof
  • Jennifer Jasberg
  • Linus Jünemann
  • Zohra Mojadeddi
  • Lisa Maria Otte
  • Till Steffen
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion