Eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie für Hamburg
Montag, 29.07.2024
Im Jahr 2015 verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs). Deren Erreichung bis zum Jahr 2030 soll ein Leben in Würde für alle Menschen heutiger und zukünftiger Generationen innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen. Die 17 SDGs und ihre 169 Unterziele konkretisieren Nachhaltige Entwicklung für die Menschen, den Planeten, die Wirtschaft und die Politik und richten sich an Akteur*innen sowohl aus dem Globalen Süden als auch aus dem Globalen Norden. Viele dieser Ziele können nur auf lokaler Ebene umgesetzt werden, wobei den Städten eine besonders wichtige Rolle zukommt. Die Stadt Hamburg hat sich bereits 2017 zur Umsetzung der SDGs verpflichtet (vgl. Drucksache 21/9700 und 22/12361) und hat 2019 in einer Erklärung von Bund und Ländern bekräftigt, „Nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip konsequent in allen Bereichen und Entscheidungen an[zu]wenden“ (vgl. Pressemitteilung der Bundesregierung Nr. 194/19 vom 6. Juni 2019). Im rot-grünen Koalitionsvertrag bekräftigen SPD und Grüne 2020 dieses Ziel und die Fortsetzung des behördenübergreifenden SDG-Arbeitskreises als Koordinationsgremium unter Federführung der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA).
Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des digitalen Finanzmanagements und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften wurde im Jahre 2021 der § 1 Landeshaushaltsordnung (LHO) dahingehend ergänzt, dass den Grundsätzen der Wirkungsorientierung bei der Aufstellung und der Ausführung des Haushaltsplans Rechnung zu tragen ist, insbesondere unter Berücksichtigung des Ziels der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter sowie des Prinzips der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit. Der Haushaltsplan ist Grundlage für die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Voranschläge des Haushaltsplans werden von den Behörden und Ämtern in dezentraler Verantwortung (§ 29 Abs. 2 LHO) und der Entwurf des Haushalts von der Finanzbehörde (§ 30 Abs. 1 LHO) aufgestellt.
Um den Fortschritt bei der Zielerreichung der SDGs sichtbar zu machen, veröffentlichte am 27. Juni 2023 der Senat den ersten Nachhaltigkeitsbericht der Stadt Hamburg in Form eines „Freiwilligen Lokalen Berichts“, dem sogenannten Voluntary Local Review (VLR). Dieses Berichtsformat der UN verschafft einen Überblick über die vielfältigen Teilstrategien, Programme und Maßnahmen zur Umsetzung der 17 SDGs. Der Hamburger Bericht enthält 107 Kennzahlen, welche bestimmte Teilaspekte der SDGs quantitativ erfassen, und ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Erreichung der SDGs. Gleichzeitig kann er nur ein Baustein sein, der sich in eine gesamtstädtische Nachhaltigkeitsstrategie einfügt. Mit diesem ersten Nachhaltigkeitsbericht ist deshalb eine erste Grundlage zur Erfassung des Status Quo zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Hamburg gelegt.
Der Nachhaltigkeitsbericht soll künftig in die Daueraufgabe einer gesamtstädtischen Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet werden, die nicht beim Status quo stehen bleibt. Weit über die ökologischen Aufgaben hinaus dient das Konzept einer Nachhaltigkeitsstrategie der Wahrnehmung einer übergreifenden Verantwortung für eine ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähige Entwicklung für alle Generationen. Sie formuliert die Zielgrößen für die im VLR-Bericht verankerten Indikatoren. Dabei bildet die Nachhaltigkeitsstrategie die Ziele der Hamburger Politik ab, ohne diese selbst vorzugeben, sondern ergänzt auf dieser Grundlage die Zielgrößen für den VLR-Bericht. Sie ermöglicht damit eine Diskussion und Überprüfung der politisch vereinbarten Hamburger Ziele hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die global vereinbarten Ziele.
Darüber hinaus obliegt es einer solchen gesamtstädtischen Nachhaltigkeitsstrategie, weitere bereits in der Stadt erfolgreich auf den Weg gebrachten Maßnahmen sichtbar zu machen und wo sinnvoll zu verzahnen. Hier sei insbesondere die Stadtwirtschaftsstrategie für die Hamburger Öffentlichen Unternehmen und Beteiligungen hervorgehoben (vgl. Drucksache 22/7783) und die Weiterentwicklung des Umweltleitfadens zu einem Nachhaltigkeitsleitfaden, dessen Überarbeitung 2024 erwartet wird.
Ebenso hervorgehoben sei das interfraktionelle Petitum zum Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 22/13602), mit dessen Annahme in der Bürgerschaft am 06. Dezember 2023 der Senat ersucht wurde, u. a. eine städtische Gesamtstrategie anhand der SDGs zu entwickeln, daraus wirkungsorientierte Einzelplanziele abzuleiten und ein gesamtstädtisches Kennzahlensystem zum Abbilden der Strategie und der wirkungsorientierten Einzelplanziele zu schaffen, zudem ein Informations-System zur strategischen und operativen Steuerung aufzubauen und die gesamtstädtischen Ziele und Kennzahlen sowie die steuerungsrelevanten Kennzahlen der Leistungszwecke darin abzubilden und die notwendigen Fach- und Ressourceninformationen zu integrieren. Ziel dieses Ersuchens ist u. a. eine Verknüpfung der Haushaltssteuerung mit den Nachhaltigkeitszielen. Das ermöglicht die Verzahnung der UN-Nachhaltigkeitsziele mit den Kennzahlen, die im Haushaltsplan in den Produktgruppen in Form der zugeordneten Produkte, Ziele, Kennzahlen und Kennzahlenwerte dargestellt werden.
Die Beispiele zeigen, wie gut Hamburg sich bereits auf verschiedenen Ebenen auf den Weg gemacht hat, um die Stadt nachhaltig zu gestalten und dabei seiner Verantwortung auch gegenüber globalen Zielen gerecht zu werden. Dieses Vorgehen soll mit einer Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie unter Berücksichtigung von § 29 Abs. 2 Satz 1 LHO noch stärker inhaltlich gebündelt werden. Mit dem VLR, dem Nachhaltigkeitsbericht 2023, ist dies bereits erstmalig gelungen, da er exemplarisch Indikatoren für alle Bereiche der Stadt enthält. Die Fortschreibung des VLR-Berichts ist alle zwei Jahre vorgesehen und soll im Rahmen der Entwicklung einer gesamtstädtischen Nachhaltigkeitsstrategie evaluiert werden. Dabei sollen auch die Stellungnahmen des Nachhaltigkeitsforums Hamburg (NFH) und weiterer Akteure geprüft werden, auch im Hinblick darauf, inwieweit bei möglichen Zielkonflikten zwischen den SDGs auf abstrakter Ebene und dem, was dies konkret für Hamburg bedeutet, auch weitere Nachhaltigkeitsindikatoren eingeführt werden können, insbesondere ob eine stärkere Berücksichtigung von Suffizienzmaßnahmen ermöglicht werden kann. Hierzu bedarf es insgesamt eines Diskussionsprozesses zur Einordnung und Gewichtung ökologischer Nachhaltigkeitsziele bei Konflikten mit sozialen oder ökonomischen Nachhaltigkeitszielen.
Angesichts des Umfangs der Nachhaltigkeitsaufgaben sollte im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie geprüft werden, ob für die notwendige ressortübergreifende Zusammenarbeit behördeninterne Steuerungsteams erforderlich sind. Diese würden die erfolgreiche Umsetzung und Transformation der Nachhaltigkeitsstrategie in allen Bereichen der Hamburger Verwaltung unterstützen und dort, wo es sinnvoll ist, die verschiedenen bestehenden Nachhaltigkeitsprozesse miteinander verzahnen, um die Zielerreichung effektiv zu koordinieren, zu befördern, operative Ziele zu formulieren und entsprechende Teilziele zwischen den Behörden und Ämtern in den lokalen Kontext einzuordnen.
Eine Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie wird den Bürger*innen sowie der Bürgerschaft Übersicht und Orientierung bieten. Daher soll auch die Einführung eines bürokratiearmen Nachhaltigkeits-Checks geprüft werden, der es der Bürgerschaft ermöglicht, Senatsvorlagen unter den wichtigen Kriterien der SDG-Relevanz effizient einordnen und bewerten zu können. Schleswig-Holstein und andere Länder setzen im parlamentarischen Prozess bereits einen Nachhaltigkeits-Check für Kabinettsbeschlüsse ein, der es dem parlamentarischen Raum ermöglicht, Drucksachen unter den wichtigen Kriterien der SDG-Relevanz effizient einordnen und beurteilen zu können. Die Nutzung eines solchen digital bzw. KI-gestützten, übersichtlichen und effizienten Prozesses sollte geprüft werden, auch inwieweit Hamburg ggf. an bestehende Pilotprojekte anknüpfen kann, um die Kommunikation und Transparenz zwischen Bürgerschaft und Behörden und Ämtern zu erleichtern. Dabei könnte der in Hamburg bereits bestehende Hinweis in Drucksachen, ob Klimaschutzziele betroffen sind, evaluiert und ggf. in erweiterter Form als Bestandteil des Nachhaltigkeits-Checks integriert werden.
Hamburg wird im Oktober 2024 Gastgeber der internationalen Hamburg Sustainable Conference sein, sodass in diesem Rahmen bereits Synergiemöglichkeiten der drei Bausteine – Nachhaltigkeitsstrategie, VLR-Bericht und ggf. Nachhaltigkeitscheck – diskutiert werden können. Mit dieser besonderen Kombination ist die Stadt auf einem guten Weg, Nachhaltige Entwicklung systematisch zum Maßstab des Handelns von Politik und Verwaltung zu machen.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. aufbauend auf dem Hamburger „Voluntary Local Review“ (VLR) sowie den strategischen Ausführungen zur Nachhaltigkeit und der Darstellung der Nachhaltigkeitsindikatoren im Finanzbericht 2023/2024 sowie im Geschäftsbericht 2022 eine behördenübergreifende Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, die sich an den 17 globalen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen und ihren 169 Unterzielen orientiert und gleichzeitig die spezifischen Hamburger Bedingungen reflektiert und damit an den deutschen Kontext (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie) und die internationale Ebene (Europäische Union und Vereinte Nationen) anknüpft;
2. die nachhaltige Haushalts- und Konzernsteuerung nach dem Hamburger Steuerungsmodell, für das die Finanzbehörde federführend zuständig ist, im Rahmen der in den Einzelplänen vorhandenen Ermächtigungen zu berücksichtigen;
3. im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie Zielgrößen für die im VLR-Bericht verankerten Indikatoren vorzugeben und eine Ergänzung der Indikatoren zu prüfen;
4. relevante Stakeholder in den Erarbeitungsprozess der Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie einzubeziehen;
5. die Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie unter Federführung der zuständigen Behörde mit Beteiligung aller Behörden und Ämter im Verwaltungshandeln zu verankern;
6. darzulegen, ob behördeninterne Steuerungsteams die behörden- und ämterübergreifende Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ermöglichen und sicherstellen können;
7. im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie die perspektivische Einführung eines Nachhaltigkeits-Checks vor dem Hintergrund von Kosten, Ressourcen und Strukturen zu prüfen. Dabei soll geprüft werden, ob in den bereits bestehenden Prozessen ein solcher Check bereits ausreichend berücksichtigt ist, oder ob eine digitale oder KI-gestützte Lösung analog zu anderen Bundesländern einen Mehrwert für einen effizienten, bürokratiearmen Ablauf gewährleistet;
8. der Bürgerschaft in einem Zwischenbericht vor Erscheinen des zweiten VLR-Berichts über die vollzogenen und geplanten Schritte für die Nachhaltigkeitsstrategie zu berichten und im Rahmen dessen ein Datum für die Veröffentlichung der Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie festzulegen.
- Cem Berk
- Dirk Kienscherf
- Gulfam Malik
- Alexander Mohrenberg
- Marc Schemmel
- Philine Sturzenbecher
- Michael Weinreich
sowie
- Andrea Nunne
- Rosa Domm
- Dennis Paustian-Döscher
- Eva Botzenhart
- Olaf Duge
- Sina Imhof
- Sina Aylin Koriath
- Sonja Lattwesen
- Dominik Lorenzen
- Zohra Mojadeddi
- Johannes Alexander Müller
- Lisa Maria Otte
- Ulrike Sparr
- Charlotte Stoffel (Grüne) und Fraktion