EU-Beihilferecht vereinfachen, Transformation der Wirtschaft beschleunigen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU erhöhen
Mittwoch, 12.02.2025
Der EU-Binnenmarkt ist auf faire Wettbewerbsbedingungen angewiesen. Staatliche Beihilfen (Subventionen) an einzelne Unternehmen können den Wettbewerb verfälschen. Die Mitgliedstaaten haben sich daher bereits 1957 in ihren Verträgen strenge Regeln gegeben, unter welchen Voraussetzungen Beihilfen zulässig sind. Das EU-Beihilferecht ist seitdem ein zentraler Bestandteil der europäischen Wettbewerbspolitik und zielt darauf ab, einen fairen Wettbewerb im EU-Binnenmarkt sicherzustellen. Mittlerweile ist das EU-Beihilferecht zu einem komplexen Regelwerk herangewachsen, welches Länder und Unternehmen gleichermaßen vor Herausforderungen stellt.
Eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung des Regelwerks ist daher notwendig, um einen ausgewogenen Ansatz zwischen Wettbewerbsschutz und notwendiger staatlicher Unterstützung zu finden. Insbesondere die Herausforderungen des Klimawandels und der Industrietransformation stehen im Spannungsverhältnis zum EU-Beihilferecht und dem Bedarf an gezielter finanzieller Förderung neuer Produkte und Produktionsweisen. Ebenso sehen sich die Mitgliedsstaaten der EU durch das restriktive und schwerfällige Beihilferecht gegenüber flexibleren und weniger restriktiven Anreizprogrammen wie beispielsweise dem Inflation Reduction Act (IRA) in den USA im Nachteil.
Mit dem Start der neuen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments und einer neuen EU-Kommission bietet sich eine Reform des EU-Beihilferechts an. Ziel sollte es sein, das EU-Beihilferecht flexibler zu gestalten und gleichzeitig die notwendige Unterstützung für die sozial-ökologische Transformation zu ermöglichen. Dabei ist es wichtig, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Nachhaltigkeitsziele der EU berücksichtigt.
Die folgenden Reformvorschläge des EU-Beihilferechts adressieren zentrale Hemmnisse in den Bereichen Bürokratie, Zielgenauigkeit und internationale Konkurrenzfähigkeit und zielen darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken, ohne in einen reinen Subventionswettlauf zu geraten. Der Fokus liegt auf der Verbesserung der allgemeinen Standortbedingungen, der Förderung von Innovation und der Schaffung eines offenen, wettbewerbsfähigen Wirtschaftsumfelds.
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Vorschläge zur Reform des EU-Beihilferechts:
1. Lockerung bei der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) und der De-minimis-Verordnung sowie Klarstellung für die Rechtsanwendung: Die AGVO wurde zuletzt zum 1.7.2023 überarbeitet und gilt bis Ende 2026. Um das Verfahren zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen, sollte eine weitere Reform der AGVO angestrebt werden, die zu vereinfachten Regelungen, Anhebung der Anmeldeschwellen, Einführung weiterer Freistellungstatbestände und verbesserten und klareren Erläuterungen führen sollte. Dabei darf die erforderliche Flexibilisierung nicht zu einem Bürokratieaufbau durch zusätzliche überbordende Berichtspflichten führen. Zudem sollte die Geltungsdauer der AGVO auf mindestens drei Jahre ausgeweitet werden, um hier die Planungssicherheit zu erhöhen.
Bei der De-minimis-Verordnung sollte es zu einer Erhöhung des Volumens der Beihilfe, die ohne Einzelfallprüfung gewährt werden kann, von 300.000 Euro auf 500.000 Euro kommen. Alternativ sollte der Zeitraum, für den die bisherige Summe von 300.000 Euro gilt, von drei auf zwei oder idealerweise auf ein Jahr verkürzt werden.
Darüber hinaus hat die EU-Kommission angekündigt, sich stärker auf wirklich relevante Wettbewerbsbeeinträchtigungen zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund sollte die EU-Kommission im Interesse einer vereinfachten Anwendung des Beihilfenrechts dessen Anwendungsbereich weiter klären. Insbesondere sollte angesichts neuerer Rechtsprechung herausgearbeitet werden, wann keine Selektivität, keine Wettbewerbsverfälschung und wann keine Handelsbeeinträchtigung zwischen den Mitgliedstaaten – etwa wegen nur lokaler Auswirkungen – vorliegt und damit auch keine Beihilfe anzunehmen ist.
2. Vereinfachung der Genehmigungsverfahren operationeller Programme wie des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE,) des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Just Transition Fund (JTF): Die erforderlichen Genehmigungen der operationellen Programme durch die EU-Kommission und die separaten beihilferechtlichen Prüfungen der auf diesen Programmen basierenden einzelnen Maßnahmen führen immer wieder zu Verzögerungen beim Förderstart. Die Regelungen der Strukturfonds-Verordnungen und des europäischen Beihilferechts müssen besser zusammenwirken und in ihren Inhalten und Geltungszeiträumen stärker aufeinander abgestimmt werden. Es ist sicherzustellen, dass insbesondere die beihilferechtlichen Grundlagen rechtzeitig zum Start einer kohäsionspolitischen Förderperiode und mit korrespondierender Geltungsdauer vorliegen sowie die entsprechenden Genehmigungsverfahren aufeinander abgestimmt werden.
3. Dauer von Genehmigungsverfahren verkürzen: Größere Einzelmaßnahmen bedürfen der Notifizierung durch die EU-Kommission. Die EU-Kommission bevorzugt hier die Notifizierung von Gruppen von Großprojekten durch die Mitgliedsstaaten, anstatt der Prüfung einzelner Projekte. Dies erhöht den Aufwand durch evtl. notwendige Ausschreibungen und öffentlicher Konsultationen. Eine praktikable Lösung zur Beschleunigung könnte die Einführung von Antragskonferenzen sein, bei denen Unternehmen, Bund, Länder und die Kommission gemeinsam die Förderanträge vorbereiten und diskutieren.
4. Langfristige Neugestaltung des Beihilferechts nach Auslaufen des Temporary Crisis and Transformation Frameworks (TCTF) Ende 2025: Mit dem Auslaufen des TCTF Ende 2025 sollte eine dauerhafte Anpassung und Harmonisierung beihilferechtlicher Instrumente vorgenommen werden. Hier sollte eine Verstetigung und gezielte Erweiterung der in der Krise implementierten Fördermöglichkeiten geschaffen werden, um in Europa möglichst unbürokratische Fördermöglichkeiten zu schaffen und zugleich gegenüber Anreizprogrammen anderer Wirtschaftsmächte wie beispielsweise den USA mit dem Inflation Reduction Act konkurrenzfähig zu sein. So könnten zum Beispiel angelehnt an Ziffer 2.8 des TCTF Investitionen in Schlüsselindustrien unabhängig davon, ob sie in einem Fördergebiet stattfinden, mit 15 Prozent (zzgl. 5 Prozent in C-Fördergebieten) gefördert werden. Idealerweise würde der Fördersatz auch noch erhöht werden. Zudem sollte eine Verstetigung im Bereich des beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien erfolgen.
Die Bürgerschaft möge beschließen:
Der Senat wird ersucht,
1. sich dafür einzusetzen, dass das EU-Beihilferecht so vereinfacht und modernisiert wird, dass die Transformation der Wirtschaft beschleunigt und die Wettbewerbsfähigkeit der EU erhöht wird, ohne in einen reinen Subventionswettlauf zu geraten. Dies soll ermöglicht werden, indem die Regelungen der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung und der De-minimis-Verordnung wie oben beschrieben gelockert, der Anwendungsbereich des Beihilferechts klargestellt und die verschiedenen Genehmigungsverfahren beschleunigt sowie bürokratische Hürden abgebaut werden,
2. der Bürgerschaft bis zum 31.12.2025 darüber zu berichten.
- Clarissa Herbst
- Martina Koeppen
- Jan Koltze
- Gulfam Malik
- Alexander Mohrenberg
- Arne Platzbecker
- Hansjörg Schmidt
- Philine Sturzenbecher
sowie
- Zohra Mojadeddi
- Dennis Paustian-Döscher
- Eva Botzenhart
- Rosa Domm
- Olaf Duge
- Mareike Engels
- Alske Freter
- René Gögge
- Linus Görg
- Michael Gwosdz
- Jennifer Jasberg
- Sonja Lattwesen
- Dominik Lorenzen
- Christa Möller-Metzger
- Johannes Alexander Müller
- Andrea Nunne
- Lisa Maria Otte
- Ulrike Sparr
- Charlotte Stoffel
- Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion