Zum Hauptinhalt springen

Hamburgs Zukunft zu allen Zeiten klug, sozial und nachhaltig gestalten: Stadtentwicklung und Einzelhandel für die Zukunft nach Corona aufstellen

Donnerstag, 20.05.2021

Der Druck auf den stationären Einzelhandel hat sich drastisch verschärft, insbesondere im mittleren Preissegment. Bisher litt vor allem der Handel in den Stadtteilzentren mit seinem begrenzten Angebot unter dem Trend zum Online-Handel. Inzwischen bekommen auch die Top-Lagen in den Metropolen und die Malls Probleme. So stehen seit 2020 auf der Hamburger Mönckebergstraße zwei große Kaufhäuser leer. Der Trend zur Konzentration an den extremen Rändern des Einkaufsverhaltens könnte sich beschleunigen: einerseits exklusiver Erlebniseinkauf und andererseits Einkauf geprägt von Billigsortimenten in den früheren Haupteinkaufsstraßen. Verlierer sind Kaufhäuser, Textileinzelhandel und Fachhandel. Große und kleine Innenstädte werden also zukünftig weit weniger vom Handel dominiert werden als bisher.

Aber Innenstädte waren schon immer mehr als nur Handel, wie das Nutzungs-Hexagon nach Kunzmann zutreffend beschreibt: Die 6 Ecken sind Einzelhandel, Gastronomie/Hotellerie, Bildung, Dienstleistung/Verwaltung, Freizeit und Kultur.

Alle sechs Nutzungen sind Corona-bedingt kurzfristig eingeschränkt, einige könnten sich mittelfristig vollständig erholen. Der bereits länger währende Niedergang des Qualitäts-Einzelhandels in den Stadtteilzentren hat aber gezeigt, dass brachfallende Ladenflächen nicht so schnell mit den fünf anderen Nutzungen des Hexagons belegt werden wie dies für die Stadtentwicklung wünschenswert wäre.

Eine Revitalisierung der Innenstädte und Stadtteilzentren ohne Fokus auf den Handel wird nur durch verstärkte Anwendung des besonderen Städtebaurechts gelingen. Die dabei wichtigste Innenstadtnutzung fehlt im Nutzungshexagon: das urbane Wohnen.

Dieses Segment wird in Hamburg verstärkt im Innenstadtbereich umgesetzt – sofern planerischer Handlungsbedarf besteht. Die Umwandlung von (Teilen) bestehender Immobilien obliegt aber den Grundeigentümern, so dass die Stärkung der Wohnnutzung nur punktuell gelingt, wie bspw. im Großen Burstah oder beim Deutschland-Haus.

Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Innenstadt und die Stadtteilzentren haben wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Eins aber wird schon deutlich: Die Anzahl an Insolvenzen erreicht nun schon namhafte Bereiche des Einzelhandels, die jetzt schon zahlreiche Geschäftsschließungen ankündigen.

International gibt es unterschiedliche Ansätze zum Erhalt und zur Neuerrichtung von Einzelhandelsbereichen mit heterogenen Mischstrukturen.

In Paris gibt es seit mehr als 30 Jahren die Semaest - Société d’économie mixte.

„Semaest“ ist eine von mehreren Stadtentwicklungsgesellschaften, halb städtisch, halb privatwirtschaftlich organisiert als Public-Private Partnership als wirkungsvolles Instrument der Stadt bei der Belebung und Wiederbelebung von Quartieren. Programmatisch setzt Semaest beim Einzelhandel an – mit interessanten Ergebnissen: Der Leerstand von Ladenflächen ist zwischen 2004 und 2017 in den betreuten Gebieten um 25 Prozent, der Anteil von Filialisten um 49 Prozent zurückgegangen. Konkret funktioniert das Modell von Semaest über Ankauf und Anmietung leerstehender Geschäftsräume, die flexibel und auch mal temporär an kreative und innovative Geschäftskonzepte vergeben werden. Dies erfolgt nach wirtschaftlichen, aber nicht nach renditesteigernden Prinzipien und trägt maßgeblich zu einer heterogenen Mischung innerhalb eines Quartieres als punktuelle Intervention und Impuls bei. Dies kann kleinen Start-ups eine Chance geben und innovativen Konzepten zum Durchbruch verhelfen.

In Wien wird mit der Neuerrichtung eines ganzen Stadtteils (Wien Aspern) ein – für städtisches Handeln – neuer Ansatz ausprobiert. Ist es in Einkaufszentren bei privatwirtschaftlichen Investments schon immer zur Erreichung heterogener Mischungen Usus gewesen, Quersubventionierungen bzw. unterschiedlichen Preislagen zu ermöglichen, um auch bspw. inhabergeführten Geschäften einen Aufbau zu ermöglichen, so ist dies bei der Entwicklung von Stadtteilen als staatliches Handeln bisher unüblich gewesen.

Wien hat zur Entwicklung des Stadtteils die Aspern Development AG gegründet, welche mit ihrer Untergesellschaft „Aspern Seestadt Einkaufsstraßen GmbH“ den Aufbau und Etablierung des Einzelhandels/ Gastronomie/ Kultur in den Erdgeschoßzonen in Aspern zur Aufgabe hat – und dies mit Erfolg leistet.

Zu den Aufgaben und zur Struktur:

Management und Bespielung der Erdgeschosszonen

• Funktionale Vielfalt und Durchmischung als Grundprinzip;

• Impulsräume für Interventionen schaffen bzw. vorhalten und künstlerischen/kulturellen Initiativen zur Verfügung stellen; diese Räume durch attraktivere Mietkonditionen als sonst in der Einkaufsstraße fördern;

• Konzepte fördern, die auf Lebensqualität abzielen; „Lebenswert“ ist Community.

• auf den Erlebnisfaktor setzen: auch Baustellen können z. B. temporär bespielt werden;

• um den Branchenbesatz von ausgewählten EG-Zonen an hochfrequentierten Plätzen zentral steuern und kuratieren zu können, kann man als „Einkaufsstraße“ direkt vom Bauträger fix abmieten; Bauträger müssen sich über mehrere Jahre keine Gedanken um die Bespielung der EG-Zone machen und das Angebot kann auf die Nachfrage der Bevölkerung angepasst werden.

• Public-Private-Partnership Modelle: Verantwortungsgemeinschaften gründen und die Vorteile einer Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Unternehmens-/Handelspartnern nutzen;

Interessante Ansätze aus dem internationalen Raum – von denen Hamburg lernen kann.

Was Corona und der zunehmende Online-Handel in unseren Quartieren anrichten wird, ist unklar. Klar ist, dass wir uns auf Szenarien einstellen und vorbereiten müssen, um den möglichen Entwicklungskorridoren etwas entgegensetzen zu können.

Mit dem Wiener Modell können solche Mischstrukturen gleich von vornherein bei der Entwicklung neuer Stadtteile und Quartiere aufgebaut werden. Damit Hamburg weiterhin bunt lebendig und lebenswert bleibt – ob in den Quartieren oder in der City.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

Der Senat wird ersucht,

1. zu prüfen, ob und inwieweit unter welchen Voraussetzungen u. a. auch die verstärkte Anwendung des besonderen Städtebaurechts von Nöten ist, um den o. a. Zielen Wirkung zu verleihen. Hierbei sollen nationale und internationale Beispiele und Instrumente verschiedener Städte, wie bspw. Wien-Aspern oder Paris (Samaest) zur heterogenen (Re-)Vitalisierung von Quartierszentren und der Innenstadt geprüft und bewertet werden;

2. zur Steuerung der Prozesse Instrumente wie bspw. das ökonomische Quartiersmanagement und die Business Improvement Districts (BIDs) unter Einbindung der relevanten Stakeholder und Grundeigentümer*innen als aktiven städtischen Beitrag zu einer kohärenten Innenstadt-/ Quartiersentwicklungspolitik einzusetzen sowie diese ggf. in Bezug auf die besondere Situation unter Berücksichtigung von Erfahrungswerten anderer Kommunen anzupassen;

3. ein lokal spezifisches Konzept für die Zwischennutzung von Leerständen in Hamburgs Zentren zu entwickeln unter Einbezug einer Betrachtung von „Best Practice“-Beispielen;

4. im Zusammenhang mit Ziffer 3 zu erwägen, eine internetbasierte Plattform für (temporär) freiwerdende Flächen in der Innenstadt und den Quartieren als Vermittlungsplattform für (temporäre) kreative und innovative (Zwischen-)Nutzungsideen aufzubauen sowie diese bei den Grundeigentümer*innen zu bewerben;

5. zu erwägen, sich auf Bundesebene sowohl für den flexibleren Einsatz von Städtebaufördermitteln – hierbei auch unter dem Aspekt der Belebung von leerstehenden Geschäftsgebäuden – als auch für eine Erweiterung der Vorkaufsrechte bei Geschäfts-/ Gewerbeflächen einzusetzen, um die Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf die Transformationsprozesse der Quartierszentren zu erweitern und zu beschleunigen;

6. die Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln für geeignete Maßnahmen aus Ziffer 3 zu prüfen;

7. der Bürgerschaft bis Ende 2023 einen Bericht vorzulegen.

sowie
  • der Abgeordneten Olaf Duge
  • Dennis Paustian-Döscher
  • Rosa Domm
  • Gerrit Fuß
  • Dominik Lorenzen
  • Zohra Mojadeddi
  • Johannes Müller
  • Andrea Nunne
  • Lisa Maria Otte
  • Dr. Miriam Putz
  • Gudrun Schittek
  • Ulrike Sparr
  • Eva Botzenhart
  • Mareike Engels
  • René Gögge
  • Michael Gwosdz
  • Linus Jünemann (GRÜNE) und Fraktion