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Organspende rettet Leben – mehr Organspenden ermöglichen

Mittwoch, 31.05.2023

Mehrere Novellierungen des Transplantationsgesetzes (TPG) – zuletzt im Jahr 2020 durch das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft“ – sind in den letzten Jahren erfolgt, um die Abläufe rund um die Organspende zu verbessern und Menschen zur Dokumentation ihrer Bereitschaft zur postmortalen Organspende zu bewegen. Dennoch befindet sich Deutschland bei der Versorgung von Menschen, die auf eine Organspende angewiesen sind, weiterhin auf einem hinteren Platz in Europa und unter den Eurotransplant-Mitgliedstaaten. Im Jahr 2020 wurden in Belgien (bezogen auf die Bevo?lkerungszahl) rund drei Mal so viele Organspenden realisiert wie in Deutschland. Im Jahr 2022 war die Zahl der Menschen, die für eine Organspende in Deutschland gemeldet wurden, erneut deutlich gesunken und erreichte annähernd den historischen Tiefstand von 2017.

Im Eurotransplant-Verbund ist Deutschland das einzige Land ohne Widerspruchsregelung. Der europa?ische Standard zeigt: Wenn nicht die Bereitschaft, sondern die Ablehnung der Organspende dokumentiert werden muss, ko?nnen mehr Transplantationen realisiert werden. Die Einführung einer Widerspruchslösung, die im Jahr 2020 im deutschen Bundestag bei Aufhebung des Fraktionszwangs keine Mehrheit gefunden hat, hätte den Anschluss an den europa?ischen Standard hergestellt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass regelma?ßig Organe aus Nachbarla?ndern, die unter der Widerspruchslo?sung entnommen wurden, in Deutschland transplantiert werden.

Mehrfach wurde belegt, dass die Einstellung zur Organspende in der deutschen Bevo?lkerung positiv ist, aber nur ein Teil der Menschen die Entscheidung zur Organspende schriftlich dokumentieren mo?chte – trotz jahrelanger Aufkla?rungskampagnen und Information durch die Krankenkassen oder durch die Bundeszentrale fu?r gesundheitliche Aufkla?rung (BZgA). Das Ausbleiben der schriftlichen Dokumentation ist menschlich, weil dies voraussetzt, sich konkret mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Rund 8.500 Menschen warten bundesweit auf eine Organspende, nur etwa 3.250 Patient*innen können jährlich transplantiert werden. Die Wartezeit auf eine Niere beträgt derzeit ungefähr 10 Jahre. Nur eine belastende Dialysetherapie kann diese Zeit überbrücken. Bei anderen Organen wie Herz, Leber oder Lunge gibt es keine Organersatztherapie, sodass die Menschen ohne Transplantation keine Überlebenschance haben.

Unabhängig von der Einführung der Widerspruchslösung, die eine Entscheidung des Deutschen Bundestags voraussetzt, sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Dazu soll der potenzielle Spender*innenpool in Deutschland besser ausgenutzt werden. Bekannte Engstellen sind dabei insbesondere die Erkennung möglicher Spender*innen mithilfe der notwendigen Hirntoddiagnostik sowie die Zustimmung zur Organspende durch Angehörige.

Laut TPG sollte ein neurochirurgischer und neurologischer konsiliarischer Rufbereitschaftsdienst auch kleinere Entnahmekrankenhäuser in die Lage versetzen, schnell einen irreversiblen Hirnfunktionsausfall festzustellen. Nach einer erfolglosen Ausschreibung wurde die Einrichtung und Organisation dieses Dienstes in den Aufgabenkatalog der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) aufgenommen. Bislang werden Unterstützungsleistungen zur Hirntoddiagnostik für Entnahmekrankenhäuser von der DSO organisiert, ein Rufbereitschaftsdienst fehlt jedoch weiterhin. Bei der Entscheidung darüber, ob ein Mensch zur postmortalen Organspende gemeldet werden kann, führt der schriftlich dokumentierte Spendewille der verstorbenen Person in der Regel auch zu einer Zustimmung der Angehörigen. Allerdings liegt eine solche Dokumentation über einen Organspendeausweis oder eine Patient*innenverfügung in den meisten Fällen nicht vor. Wenn Angehörige ohne Anhaltspunkte für den vermuteten Willen der verstorbenen Person selbst entscheiden müssen, wird nur noch in etwa der Hälfte der Fälle einer Organspende zugestimmt.

Grundlage für die Willensbekundung zur postmortalen Organspende soll nach dem TPG eine umfassende Aufklärung über die gesamte Tragweite der Entscheidung sein. Seit Inkraftreten des Gesetzes am 01. März 2022 kommt dabei den Hausärzt*innen eine besondere Rolle zu. Sie sollen ihre Patient*innen regelmäßig auf die Möglichkeit der postmortalen Organspende hinweisen und nach individuellem Bedarf ergebnisoffen beraten. Die Aufklärungsarbeit wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) durch die Bereitstellung umfassender Informationen unterstützt. Auch die gesetzlichen Krankenkassen informieren ihre Versicherten bereits regelmäßig und unterstützen die Dokumentation der individuellen Entscheidung beispielsweise durch die Ausgabe von Organspendeausweisen. Zukünftig soll es die Möglichkeit geben, die Bereitschaft zur Organspende in einem zentralen Register zu hinterlegen. Jedoch sind die Meldewege für das Register weiterhin ungeklärt. Auch nach inzwischen jahrelang andauernden Vorarbeiten zeichnet sich die Einführung des Registers noch nicht ab. Eine Abfrage der Organspendebereitschaft bei den Bürgerämtern wurde von der Gesundheitsminister*innen-Konferenz (GMK) der Länder zuletzt abgelehnt. Bei Erste-Hilfe-Kursen im Rahmen des Führerscheinerwerbs ist das Thema Organspende inzwischen aufgenommen worden.

Doch selbst wenn eine schriftliche Dokumentation des Spendewillens vorliegt, können rechtliche Unsicherheiten bestehen. So werden bestimmte intensivmedizinische Maßnahmen, die bis zur Organentnahme notwendig sind, in Patient*innenverfügungen häufig ausgeschlossen. Diese oft als „lebensverlängernd“ bezeichneten Maßnahmen werden in der Regel abgelehnt, wenn keine Aussicht auf Besserung mehr besteht. Wenn eine Person neben einer solchen Verfügung auch ihren Willen zur postmortalen Organspende in einem Organspendeausweis dokumentiert hat, stellt sich die Frage, ob die in der Verfügung ausgeschlossenen intensivmedizinischen Maßnahmen für den begrenzten Zeitraum bis zur Organentnahme fortgeführt werden können. Diese Unsicherheit kann durch eine einfache Klarstellung in der Patient*innenverfügung aufgehoben werden. Jedoch fehlt eine solche Klarstellung in vielen Fällen. Das TPG berücksichtigt die notwendige Harmonisierung der verschiedenen Dokumentationsmöglichkeiten des Patient*innenwillens am Lebensende nicht. In den meisten Mustervorlagen wird dieser klärungsbedürftige Punkt im Rahmen der Patient*innenverfügung nicht aufgegriffen.

Die Organspende ist mit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung rund um das Thema Tod und Sterben eng verknüpft. Nur wenn die medizinischen und ethischen Fragestellungen am Ende des Lebens nicht verdrängt werden, sondern im Laufe des Lebens eine Rolle spielen, kann eine Bereitschaft zur Organspende ausgebildet werden. Aus diesem Grund ist eine Beschäftigung mit dem Thema im Rahmen des schulischen Lehrplans angemessen und förderlich. So wie inzwischen das Erlernen der Reanimation bei einem plötzlichen Herzstillstand in den Schulunterricht Einzug gefunden hat, kann auch die Auseinandersetzung mit den Fragen der Organspende in einem ähnlichen Setting stattfinden. Neben der Vermittlung von Abläufen und Voraussetzungen bei einer Organspende sollen auch religiöse Überzeugungen oder andere persönliche Haltungen einen Platz in der Beschäftigung mit dem Thema im Rahmen des Unterrichts finden.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. die regelhafte Abfrage des Organspendewillens in den Meldeämtern sowie den Aufbau eines zentrales Organspende-Register wie im Transplantationsgesetz vorgesehen aktiv voranzutreiben;

2. zu prüfen, wie das Thema Organspende in den schulischen Lehrplan aufgenommen werden kann und dabei medizinische Aufklärung mit der Auseinandersetzung über individuelle Wertvorstellungen zu verbinden;

3. im Austausch mit der Hamburgischen Notarkammer, der Ärztekammer Hamburg, den Krankenkassen und der Verbraucherzentrale Hamburg für eine Berücksichtigung der postmortalen Organspende im Rahmen von Patient*innenverfügungen zu werben, die den Willen von verstobenen Personen widerspruchsfrei erkennbar werden lässt;

4. zu prüfen, ob ein verbindlich vereinbarter regelmäßiger Austausch der Transplantationsbeauftragten unter Hinzuziehung weiterer leitender Ärzt*innen aus den Hamburger Entnahmekliniken dazu beitragen kann, die Zahl der Organspenden und die notwendigen Kooperationen der Kliniken zu fördern;

5. der Bürgerschaft bis Ende 2023 über die Ergebnisse zu berichten.

 

 

sowie
  • Dr. Gudrun Schittek
  • Maryam Blumenthal
  • Filiz Demirel
  • Mareike Engels
  • Linus Görg
  • Michael Gwosdz
  • Dr. Adrian Hector
  • Britta Herrmann
  • Christa Möller-Metzger
  • Andrea Nunne
  • Yusuf Uzundag
  • Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion