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Prüfungen in Pflegeeinrichtungen in Pandemiezeiten

Donnerstag, 05.09.2024

Das Hamburgische Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz (HmbWBG) soll für auf pflegerische Betreuung angewiesene Menschen in den erfassten Wohnformen sicherstellen, dass die im Gesetz normierten Anforderungen erfüllt werden. Die Durchführung der dazu in Gestalt von Regel- und Anlassprüfungen sowie Angehörigenbefragungen vorgesehenen Kontrollen ist in einer Durchführungsverordnung (WBDurchfVO) geregelt. In der Corona-Pandemie sind die anlasslosen Regelprüfungen, die dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen übertragen werden können, über erhebliche Zeiten ausgesetzt bzw. unter weitgehender Beschränkung auf das Hygienemanagement durchgeführt worden. Alternativen zu einer Kontrolldurchführung mittels persönlichen Aufsuchens der Einrichtungen etwa in Gestalt von Videokonferenzen oder Videobegehungen sind im HmbWBG und der WBDurchfVO nicht ausdrücklich vorgesehen und nicht genutzt worden.

Bei der Durchführung der nach dem HmbWBG vorgesehenen Kontrollen in Pandemie- oder Epidemiezeiten ist zu berücksichtigen, dass in Pflegeeinrichtungen weitgehend betagte und hochbetagte Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen leben, die für Infektionskrankheiten besonders anfällig sind und bei Infektionen häufig schwere Verläufe mit hoher Sterblichkeit erleiden. Das erfordert in Pandemie- bzw. Epidemiezeiten besondere Vorsicht bezüglich des persönlichen Aufsuchens der Pflegeeinrichtungen nicht nur durch An- und Zugehörige, sondern auch durch betriebsfremde Kontrollpersonen und deren Kontakt zu Bewohner:innen. Dabei ist auch zu sehen, dass ein Großteil der Bewohner:innen kognitive Einschränkungen aufweist und daher nur eingeschränkt oder gar nicht zur Beachtung von Hygieneregeln in der Lage ist, das Wohnen in einer Gemeinschaftseinrichtung aber zu zahlreichen Personenkontakten mit der damit einhergehenden Übertragungsgefahr führt.

Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass während einer Pandemie oder Epidemie die Belastung für das Pflegepersonal stärker ist als sonst. Abläufe müssen umgestellt und zusätzliche Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. So binden etwa Zugangskontrollen, Impfungen und Testungen erhebliche Personalkapazitäten, wobei die Vorgaben hierfür sich wegen des Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen im Pandemie- bzw. Epidemieverlauf ändern. Sowohl zusätzliche Maßnahmen als auch deren Änderung müssen Bewohner:innen und Angehörigen bekanntgemacht werden. Im Fall eines Infektionsausbruchs in der Einrichtung sind weitere Maßnahmen etwa zu Isolierung und Quarantäne zu treffen, die häufig wegen fehlender Einsichtsfähigkeit der Bewohner:innen nur schwer umsetzbar sind. Pflege und Überwachung erkrankter Bewohner:innen bedeuten für die Pflegekräfte einen erheblich erhöhten Aufwand, wozu die Sorge um die eigene Gesundheit und die Gesundheit der eigenen Angehörigen noch hinzutritt. Erkrankungen des Personals erhöhen die Belastung und verringern die Handlungsmöglichkeiten weiter.

 

Auf Seiten der Bewohner:innen und ihrer Angehörigen sowie sonstiger Besuchspersonen ist zu sehen, dass die Pandemie- bzw. Epidemiesituation mit den damit einhergehenden Beschränkungen und zusätzlichen Schutzmaßnahmen für sie ebenfalls sehr belastend ist. Auch müssen sie sich auf ändernde Schutzmaßnahmen mit teilweise erheblichen Beschränkungen und zum Teil erheblichem zusätzlichem Aufwand wie etwa der Beschaffung aktueller Testnachweise zertifizierter Testzentren vor einem Besuch einstellen. An- und Zugehörige bzw. sonstige Besuchspersonen sind aber nicht nur ein zusätzliches Infektionsrisiko, sondern können auch wichtige Unterstützung leisten.

In Pandemien oder Epidemien ist ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Schutz aller Betroffenen vor Infektionen und den dazu erforderlichen Einschränkungen sowie sonstigen Maßnahmen einerseits sowie den Kontaktmöglichkeiten der Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen, ihrer An- und Zugehörigen und anderen Besucher:innen andererseits zu finden. In diesem Spannungsverhältnis ist zusätzlich auch dafür Sorge zu tragen, dass die vom HmbWBG vorgesehenen Kontrollen und Beschwerdemöglichkeiten nicht unnötig stark eingeschränkt werden. Dazu sind für Pandemie- bzw. Epidemiezeiten die Durchführung von Regel- und Anlassprüfungen mittels Videokonferenzen und Videorundgängen dem persönlichen Aufsuchen der Pflegeeinrichtungen durch eine Kontrollpersonen gegenüber einem Entfallen der Prüfungen vorzuziehen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

Vorkehrungen dafür zu treffen bzw. darauf hinzuwirken, dass

1. die videogestützte Kommunikation als Grundlage für Prüfmaßnahmen in die Wohn- und Betreuungsdurchführungsverordnung für Pandemie- bzw. Epidemiezeiten aufgenommen wird;

2. bei Infektionsschutzvorgaben für vollstationäre Einrichtung die psychosoziale Situation der Bewohner:innen und ihre Kontaktbedürfnisse zu Angehörigen sowie sonstigen Besucher:innen weiterhin berücksichtigt und gegenüber Einschränkungen wegen des Infektionsschutzes abgewogen werden;

3. Regelprüfungen von Pflegeeinrichtungen weiter in Präsenz durchgeführt werden, solange die pandemische Situation dies zulässt, und vor ihrer ggf. notwendigen Aussetzung oder Beschränkung auf Hygienemaßnahmen auf Prüfungen der mit Hilfe von Videokonferenzen und Videobegehungen überprüfbaren Kriterien im Rahmen einer situationsbedingt anzupassenden Prüfanleitung zurückzugreifen ist;

4. Einrichtungen, auch in angespannten Pandemie- bzw. Epidemiesituationen, für die An- und Zugehörigen ansprechbar sind und bei Kontaktbeschränkungen den Kontakt zwischen Bewohner:innen der Einrichtungen und An- und Zugehörigen bzw. sonstigen Besuchspersonen per Telefon- oder Videogespräch ermöglichen;

5. die Behörden auch in angespannten Pandemie- oder Epidemiesituationen insbesondere für An- und Zugehörige Informationen über die Regelungen in Pflegeeinrichtungen vorhalten sowie Beschwerden strukturiert nachgehen;

6. auch in Pandemie- bzw. Epidemiezeiten bei Beschwerden Anlassprüfungen stattfinden, die auch als Videokonferenz oder Videobegehung durchgeführt werden können;

7. der Umgang mit einer Pandemie- oder Epidemiesituation durch eine anschließende An- und Zugehörigenbefragung erhoben wird, und

8. der Bürgerschaft bis zum 1. Quartal 2025 zu berichten.

 

sowie
  • Linus Görg
  • Filiz Demirel
  • Mareike Engels
  • Michael Gwosdz
  • Dr. Adrian Hector
  • Britta Herrmann
  • Christa Möller-Metzger
  • Dr. Gudrun Schittek
  • Yusuf Uzundag
  • Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion