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Zusammenarbeit zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg sowie den islamischen und alevitischen Religionsgemeinschaften fortsetzen

Dienstag, 09.07.2024

Im Jahr 2012 hat die Freie und Hansestadt Hamburg jeweils einen Vertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften – vertreten durch SCHURA (Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg), den DITIB-Landesverband Hamburg (DITIB) und den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) – und den alevitischen Religionsgemeinschaften geschlossen.

Diese Verträge bieten keine zusätzlichen Rechte, sondern führen die Ausprägung und Ausgestaltung der bestehenden grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit aus. Die Verträge haben zu verbindlichen Kontakten und beständiger und verlässlicher Kommunikation zwischen den städtischen Akteuren und den islamischen und alevitischen Religionsgemeinschaften geführt. Die Verträge sind darüber hinaus für die Religionsgemeinschaften und ihre Mitglieder ein wichtiges Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Stadtgesellschaft. Sie basieren auf den gemeinsamen Wertegrundlagen des Grundgesetzes und dienen dem gemeinsamen Einsatz für Freiheit und Demokratie sowie gegen Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie gegen Islamismus. Das gemeinsame Eintreten für ein friedliches Miteinander gegen Antisemitismus jedweder Provenienz auch über religiöse Grenzen hinweg, ist angesichts von steigendem Extremismus, vor dem Hintergrund des Angriffs der Hamas auf Israel und den seitdem eskalierenden kriegerischen Auseinandersetzungen sowie der humanitären Lage in Gaza von besonderer Bedeutung und Aktualität.

In den Verträgen wurde vereinbart, nach Ablauf von zehn Jahren Gespräche mit dem Ziel aufzunehmen, im Lichte der gewonnenen Erfahrungen über den jeweiligen Vertrag und die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen zu verhandeln. Dazu wurden u. a. die Vertragspartner:innen im Verfassungsausschuss gehört. Die dort benannten Punkte und die Erfahrungen der letzten zwölf Jahre haben ergeben, dass sowohl die Vertragspartner:innen als auch Expert:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft die Verträge als wichtiges Instrument zur Verständigung zwischen der Stadt und den Religionsgemeinschaften sowie zur interreligiösen Verständigung (Ausschussprotokoll Nr. 22/69) anerkennen. Denn sie stärken die Struktur des gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit den sozialen Zusammenhalt in Hamburg und erhöhen die Teilhabe der Muslim:innen und Alevit:innen am gesellschaftlichen Leben. Die Struktur der Verträge schafft eine Verbindlichkeit zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und den Religionsgemeinschaften sowie feste Kommunikationsbeziehungen und eröffnet somit auch in komplizierten Zeiten stets einen Rahmen und Raum auch für Gespräche. Festgestellt wurde in den Anhörungen jedoch auch, dass es gerade zum Islam und zum Alevitentum in Hamburg noch zu wenig wissenschaftliche Forschung gibt, um belastbare Aussagen darüber zu machen, welchen Unterschied die Verträge aus wissenschaftlicher Perspektive gegenüber einer Entwicklung des religiösen Lebens ohne die Verträge gemacht haben.

Kritiker:innen der Verträge hoben vor allem hervor, dass es bei den islamischen Vertragspartnern ungeklärte Fragen hinsichtlich der Beziehungen zum Ausland gäbe. So wird ein starker Einfluss des iranischen Regimes durch das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) gesehen sowie bei DITIB durch die türkische Religionsbehörde hinterfragt. Diese Kritik ist Gegenstand der Erörterungen auch im Ausschuss und im Dialog mit den Religionsgemeinschaften gewesen. Das IZH ist inzwischen nicht mehr Mitglied der SCHURA (s. dazu unten). Die DITIB hat sich in den Anhörungen zu ihrer Eigenständigkeit geäußert. Zudem wurde auf Bundesebene eine Vereinbarung mit dem Bundesinnenministerium zur Imam-Ausbildung in Deutschland getroffen, die dazu beitragen soll, entsprechende Einflüsse zu minimieren.

Die Verträge bilden die Grundlage für eine Vielzahl von kooperativen Maßnahmen in den Bereichen der Stärkung der Integration, der Prävention von Diskriminierung sowie der Prävention von religiös begründetem Extremismus, in denen behördliche Akteur:innen und die Vertragspartner:innen erfolgreich zusammenarbeiten. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und seine Fachbehörden haben frühzeitig Maßnahmen ergriffen, um auf Radikalisierungsprozesse zu reagieren und vielfältige milieu- und sozialraumspezifische Präventionsangebote konzipiert und zusammengeführt. Insbesondere das Senatskonzept „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ (vgl. Drs. 21/5039 und 22/2378), dessen Fortschreibung zuletzt im Sommer 2023 in der Hamburgischen Bürgerschaft beraten wurde (vgl. Drs. 22/10434 und 22/11647) sieht zum Schutz der gesamten Hamburger Bevölkerung vor den Gefahren gewaltorientierter islamistischer Bestrebungen deren konsequente Verfolgung und zu diesem Zweck eine seit 2014 wirksame Kooperation der zuständigen Fachbehörden mit den Sicherheitsbehörden – sowie mit islamischen Religionsverbänden – vor, um bspw. frühzeitig Hinweise auf sich radikalisierende Gruppen zu erhalten. Gleichzeitig wurden Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus entwickelt, um die große Mehrheit der friedlichen Muslime und Muslima vor antimuslimischen und rassistischen Übergriffen zu schützen und die grundgesetzlich garantierte freie Religionsausübung in Hamburg zu gewährleisten. Dem Konzept liegt dabei auch die Erkenntnis zugrunde, dass häufig eigene Diskriminierungserfahrungen, Emotionalisierung von politischen Konflikten und die Selbstwahrnehmung als Opfer der Ausgang von Radikalisierungsentwicklungen sein können und daher in der Bewältigungsstrategie adressiert werden müssen.

Besonders hervorzuheben ist zudem die Beteiligung der SCHURA, DITIB, VIKZ und des Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. an der Ausgestaltung des Religionsunterrichts für Alle (RUfa 2.0). Diese wurde in den Verträgen in Artikel 6 „Religionsunterricht“ geregelt. Die Religionsgemeinschaften haben dabei auf einen vom Grundgesetz gedeckten eigenständigen bekenntnisorientierten Religionsunterricht verzichtet und sich auf gemeinsame Bildungspläne verständigt. Der RUfa 2.0 bietet Hamburger Schüler:innen die Möglichkeit, religiöse Bildung, ethische Werte, interreligiösen Dialog und interkulturelle Kompetenzen zu fördern. Der Religionsunterricht für alle ist in Deutschland einmalig. Hamburg hat mit ihm bundesweit neue Maßstäbe für die Gestaltung des Religionsunterrichts gesetzt. Er stärkt den Zusammenhalt im Klassenverband maßgeblich und verhindert eine künstliche Aufteilung der Klassengemeinschaft nach Religionen. Gemeinsames Lernen über die religiöse Vielfalt einer pluralen Gesellschaft stärkt die Kinder und Jugendlichen in Offenheit, Toleranz und Verständnis füreinander.

In den letzten Jahren hat sich der Kontakt zwischen den islamischen Religionsgemeinschaften, der alevitischen Gemeinde und der Freien und Hansestadt intensiviert. Hervorzuheben ist hier insbesondere der regelmäßige, auch anlassbezogene Kontakt zwischen einzelnen Polizeikommissariaten und Moscheegemeinden, Imamen sowie dem Vorstand der SCHURA. Seit den Neuwahlen des geschäftsführenden Vorstandes der SCHURA im Jahr 2021 hat sich dieser Kontakt sowie die gesamte Außenkommunikation des Vereins intensiviert und professionalisiert und soll auch weiter ausgebaut werden. Die SCHURA hat überdies dafür gesorgt, dass das Islamische Zentrum Hamburg e.V. (IZH), dessen Verbot Senat und Bürgerschaft gegenüber der hierfür gesetzlich zuständigen Bundesregierung einfordern, am 18. November 2022 aus der SCHURA ausgetreten ist.

Ein weiteres wichtiges gemeinsames Anliegen ist die Ausbildung von Imamen in Deutschland, die in den nächsten Jahren sukzessive vorangetrieben werden soll. Denn durch neue Vereinbarungen zwischen Deutschland und der Türkei gibt es nun einen neuen Rahmen, um die bisherigen, historisch gewachsenen Strukturen umzubauen. Imame, die die Lebensrealität sowie die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in Deutschland kennen, können ihren Aufgaben in den muslimischen Gemeinden weitaus besser gerecht werden. Auch hierfür sind die Verträge zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und den muslimischen und alevitischen Religionsgemeinschaften, auf Basis der bereits durchgeführten Qualifizierungskurse für Imame, eine passende Grundlage.

 

In der Erkenntnis, dass es angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen darauf ankommt, das gemeinsame Eintreten für die in Artikel 2 der Verträge genannten gemeinsamen Wertegrundlagen zu verstärken sollte – trotz der teilweise geäußerten Kritik – die Zusammenarbeit auf Basis der Verträge nicht aufgekündigt, sondern an ihr festgehalten werden. Denn die Verträge bilden eine stabile und verlässliche Grundlage, gerade auch für die Auseinandersetzung mit kontroversen Fragestellungen und Themen.

 

Daher möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. Gespräche mit den Vertragspartner:innen über Nachfolgendes zu führen:

das gemeinsame Engagement der Vertragspartner:innen für Freiheit und Demokratie sowie gegen Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Queerfeindlichkeit, Homofeindlichkeit sowie jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Islamismus, zu vertiefen und zu verstärken, insbesondere im Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalisierung;

2. mögliche regelmäßige Austauschformate im Hinblick auf das muslimische und das alevitische Leben in Hamburg, wie z. B. Fachtagungen – auch mit weiteren organisierten Akteur:innen des Islam und des Alevitentums – zu etablieren und zu verstetigen;

3. die Gemeinden bei ihrer Suche bzw. bei der Errichtung von geeigneten Immobilien im Rahmen der staatlichen Möglichkeiten zu unterstützen;

4. die Religionsgemeinschaften dabei zu unterstützen, insbesondere ihre Jugendarbeit zu erweitern und Elemente wie Demokratiebildung, Antirassismus- und Antisemitismusarbeit und andere Themen, die über die reine Befassung mit Fragen des Glaubens hinausgehen, besonders zu stärken;

5. in den Verträgen die Klausel zur Revision nach zehn Jahren zu verstetigen;

6. die wissenschaftliche Forschung zur Entwicklung des Islams und des Alevitentums in Hamburg auch vor dem Hintergrund der Verträge zu fördern;

7. einmal pro Legislaturperiode einen Bericht über die Zusammenarbeit des Senats mit den Vertragspartner:innen, den Kirchen und weiteren Religionsgemeinschaften vorzulegen;

8. in der Bürgerschaft entsprechend zu berichten.

 

sowie
  • Michael Gwosdz
  • Miriam Block
  • Eva Botzenhart
  • Mareike Engels
  • Alske Freter
  • Sina Imhof
  • Jennifer Jasberg
  • Lisa Kern
  • Sina Aylin Koriath
  • Sonja Lattwesen
  • Farid Müller
  • Lisa Maria Otte
  • Ulrike Sparr
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion