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Menschliche Metropole Hamburg – Betreuungsrecht: Transparenz schaffen und Qualität fördern

Mittwoch, 14.02.2007

Am 01.01.1992 ist das Betreuungsrecht in Kraft getreten, welches Entmündigung, Vormundschaft und Pflegschaft für Erwachsene ersetzt hat. Ziel des Gesetzes war die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen. Gegenstand ist die rechtliche Wahrnehmung der Belange einer volljährigen Person, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann. Der Betreuung bedürfen vor allem psychisch Kranke, geistig Behinderte, Sucht- und Demenzkranke.

Die Anordnung der Betreuung erfolgt auf eigenen Antrag oder von Amts wegen – auch gegen den Willen der Betroffenen – durch das Vormundschaftsgericht. Der Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Er hat die Angelegenheiten zum Wohle des Betreuten zu besorgen und ist daher verpflichtet, mit dem Betroffenen über dessen Vorstellungen zu sprechen.

 

Entgegen der Erwartungen des Gesetzgebers sind seit Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes sowohl die Zahl der Betreuungsfälle als auch die Kosten bundesweit enorm gestiegen. Deutliche Fallzahl- und Kostensteigerungen gibt es auch in Hamburg: So nahm die Zahl der anhängigen Betreuungen von weniger als 17.000 in 2001 zu bis auf über 24.300 in 2005 - bei weiter steigender Tendenz. Allerdings ist der Senat bisher nicht auskunftsfähig, was z.B. die Differenzierung nach Berufs-, Vereins- und ehrenamtlichen Betreuungen betrifft (vgl. Drs. 18/2744).

 

Bundesweit werden 30 % der Fälle von Berufsbetreuern geführt. Soweit die Betroffenen mittellos sind – das gilt in etwa 80% der Fälle – übernimmt die Staatskasse die Vergütung und den Aufwendungsersatz. Die Kosten tragen die Bundesländer.

 

Unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe trat zum 01. Juli 2005 das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz (2. BtÄndG) in Kraft. Es soll u.a. stärker als bisher ermöglichen, die berufsmäßig geführte Betreuung zu vermeiden. So können die Betreuungsvereine zukünftig Bürgerinnen und Bürger bei der Erstellung einer Vorsorgevollmacht beraten. Aufgabe der Betreuungsvereine ist auch, ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer zu finden. Auch der Senat versprach sich vom 2. BtÄndG erhebliche Kosteneinsparungen (vgl. Drs. 18/3258).

 

Es ist für die Zukunft – auch aufgrund der demografischen Entwicklung – von weiter steigenden Fallzahlen auszugehen. Neben den Zahlen und Daten ist der Blick auf die Qualitätssicherung bei den Betreuungen zu richten. Jüngst hat der Fall einer alten Dame aus Schleswig-Holstein samt rechtlichen Auseinandersetzungen bundesweit für Diskussionen gesorgt. Die zahlreichen Reaktionen und Leserbriefe hierzu aus dem Umfeld betreuter Menschen unterstreichen die Notwendigkeit, Transparenz und Qualität bei den Betreuungen zu fördern.

 

Daher ist es unverständlich und inakzeptabel, dass der Senat nach wie vor zu wichtigen Fragen zu den Betreuungen nicht auskunftsfähig ist. So heißt es seitens des Senats wiederholt, die „benötigten Daten liegen den zuständigen Behörden nicht vor“ oder werden „nicht gesondert erfasst“ (vgl. Drs. 18/2744 und 18/4111). Diese Kritik gilt gerade vor dem Hintergrund einer aktuellen bundesweiten Evaluation der Auswirkungen der Gesetzesänderungen, an der die Hamburger Gerichte teilnehmen.

 

Wir fragen den Senat:

 

1. a. Wie ist die Entwicklung der Betreuungsfälle in Hamburg seit Anfang 1999 (Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes) insgesamt?

 

b. Wie ist die Entwicklung der Betreuungsfälle in Hamburg seit Anfang 1999 (Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes) differenziert nach Berufsbetreuern, Vereinsbetreuern und ehrenamtlichen Betreuern (absolut und prozentual)?

 

c. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welche Schlussfolgerungen ziehen der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus?

 

2. a. Wie ist die voraussichtliche Entwicklung der Betreuungsfälle in Hamburg bis 2012 insgesamt?

 

b. Wie ist die voraussichtliche Entwicklung der Betreuungsfälle in Hamburg bis 2012 differenziert nach Berufsbetreuern, Vereinsbetreuern und ehrenamtlichen Betreuern?

 

c. Welche Hintergründe hat diese voraussichtliche Entwicklung und welche Schlussfolgerungen ziehen der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus?

 

3. a. Welche Entwicklung zeigen die Betreuungskosten in Hamburg seit Anfang 1999 (Darstellung nach einzelnen Jahren) und welche weiteren Hintergründe – neben der Entwicklung der Fallzahlen - hat diese Entwicklung?

 

b. Welche Schlussfolgerungen ziehen der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus?

 

4. a. Wie ist die voraussichtliche Entwicklung der Betreuungskosten in Hamburg bis 2012 und welche weiteren Hintergründe – neben der Entwicklung der Fallzahlen - hat diese angenommene Entwicklung.

 

b. Welche Schlussfolgerungen ziehen der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus?

 

5. a. Wie ist die Entwicklung der Ursachen der notwendig gewordenen Betreuungen in den unter 1. und 3. gefragten Zeiträumen?

 

b. Welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ab?

 

6. a. In welcher Häufigkeit und zu welchen prozentualen Anteilen gaben jeweils welche Personen bzw. Institutionen den Anstoß zu einer Betreuung (von Anfang 1999 bis zum letzten verfügbaren Stand: z.B. Betroffene selbst; Angehörige; Soziales Umfeld; Krankenhäuser; Heime; Pflegedienste; Gesundheitsamt; Altenhilfe)?

 

b. Welche Verschiebungen bei den prozentualen Anteilen gab es hier ggf. und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

7. a. Wie verteilen sich - absolut und prozentual - die Aufgabenkreise der Betreuerinnen und Betreuer von Anfang 1999 bis zum letzten verfügbaren Stand (z.B. Gesundheitsfürsorge; Aufenthalt / Unterbringung; Wohnungsauflösung; Vermögenssachen; Vertretung gegenüber Heimen, Behörden etc.)?

 

b. Welche Verschiebungen bei den prozentualen Anteilen gab es hier ggf. und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

8. a. Wie ist die Entwicklung bei der Dauer von Betreuungen (von Anfang 1999 bis zum letzten verfügbaren Stand)?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

9. a. Wie ist – absolut und prozentual - die Entwicklung der Zahl ehrenamtlicher Betreuer und ihr Anteil an den Betreuungen insgesamt seit Anfang 1999 bis zum letzten verfügbaren Stand?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

c. Welche weiteren Möglichkeiten der Gewinnung von ehrenamtlichen Betreuern sehen der Senat bzw. die zuständigen Behörden?

 

10. a. Wie ist die Entwicklung der Kostenarten seit Anfang 1999 bis zum letzten verfügbaren Stand (gemäß der Protokollerklärung des Senats in der Drs. 18/3258)?

 

b. Welche jeweiligen Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

11. Die Öffnungsklausel in § 19 Rechtspflegergesetz (RPflG) ermächtigt die Landesjustizverwaltungen, bisher den Richterinnen und Richtern zugewiesene Aufgaben an Rechtspflegerinnen und –pfleger zu übertragen (Bestellung bzw. Entlassung und Neubestellung eines Betreuers nach § 1908 b BGB).

 

a. Warum wird in Hamburg von der Öffnungsklausel nicht Gebrauch gemacht?

 

b. Welche Kenntnisse hat der Senat über die Erfahrungen anderer Bundesländer bzw. Großstädte – sowohl qualitativ als auch hinsichtlich finanzieller Effekte?

 

c. Welche Entlastungseffekte wären entsprechend für Hamburg zu erwarten?

 

12. a. Welche Erkenntnisse haben der Senat bzw. die zuständigen Behörden zu Häufigkeit und Hintergründen bei Ermittlungsverfahren gegen bzw. Verurteilungen von Betreuerinnen und Betreuern seit Anfang 1999 (Darstellung nach einzelnen Jahren und differenziert nach Delikten, wie z.B. Betrug, Unterschlagung oder Urkundenunterdrückung)?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

13. a. Welche Erkenntnisse haben der Senat bzw. die zuständigen Behörden über die Entwicklung bei den Beschwerden von Angehörigen der Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen sowie der Ausgang dieser Beschwerden (seit Anfang 1999 nach einzelnen Jahren)?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

14. a. Welche Erkenntnisse haben der Senat bzw. die zuständigen Behörden über die „Qualitätskontrolle“ der Arbeit der Betreuerinnen und Betreuer sowie die Auswertung der jährlichen Berichte, zu denen die Betreuenden gegenüber den Amtsgerichten verpflichtet sind?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

15. a. Welche Erkenntnisse haben der Senat bzw. die zuständigen Behörden über die Praxis und Auswertung in Hamburg, bzgl. der Betreuungspläne, die „der Betreuer in geeigneten Fällen auf Anordnung des Gerichts zu Beginn der Betreuung (..) zu erstellen“ hat (§ 1901 Abs. 4 BGB)?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

16. a. Welche Erkenntnisse haben der Senat bzw. die zuständigen Behörden über die durchschnittliche Anzahl der Betreuungen pro Berufsbetreuer, Vereinsbetreuer und ehrenamtlichen Betreuer und die Entwicklungen dieser Zahlen seit 1999?

 

b. Welche Hintergründe hat diese Entwicklung und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

17. Wie ist die Entwicklung bei Art und Umfang der internen Fortbildungen der Beschäftigten der Betreuungsbehörde und die Teilnehmerzahlen hieran? (vgl. Drs. 18/4111: „Die Kompetenz der Beschäftigten zur Information und Beratung der Bevölkerung wurde durch interne Fortbildungen gestärkt.“)

 

18. a. Wie bewerten der Senat bzw. die zuständigen Behörden die Situation der Betreuungsvereine, die Rahmenbedingungen der geleisteten Arbeit und die Abstimmung und Kommunikation mit den Vereinen?

 

b. Wie hoch ist der „Betreuerwechsel“ bei den durch die Vereine geführten Betreuungen bzw. ehrenamtlich geführten Betreuungen im Vergleich zu den anderen Betreuungen (Familienangehörige, Rechtsanwälte, sonstige Betreuer (freiberuflich) bzw. sonstige ehrenamtliche Betreuer)?

 

c. Welche Hintergründe sind hierzu bekannt und welchen Handlungsbedarf leiten der Senat bzw. die zuständigen Behörden hieraus ggf. ab?

 

19.a. Was können der Senat bzw. die zuständigen Behörden berichten über Informationsveranstaltungen, Gesprächen mit – auch ehrenamtlich – Tätigen sowie Betreuungsvereinen und Abstimmungsverfahren rund um das Betreuungsrecht?

 

b. Was unternehmen der Senat bzw. die zuständigen Behörden zur „Stärkung der Rechtssicherheit“ im Rahmen des Betreuungsrechts?

 

c. Gibt es zurzeit eine Informationskampagne zum Thema Betreuungsrecht bzw. Betreuungs- und Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten – abgesehen von dem Umstand, dass die BSG eine seit Jahren bekannte Broschüre neu aufgelegt hat?

 

d. Halten der Senat bzw. die zuständigen Behörden eine Broschüre für eine Informationskampagne? Wenn nein, plant die BSG eine Informationskampagne und wenn ja, aus welchen Aktionen wird diese bestehen?

 

20. a. Wie ist die Beteiligung des Senats bzw. der zuständigen Behörden bei der Weiterentwicklung des Betreuungsrechts?

 

b. Welche Positionen vertreten der Senat bzw. die zuständigen Behörden in welchen Gremien bzw. Institutionen? (Bei dieser Darstellung bitte auch den Aspekt „Stärkung der Rechtssicherheit“ sowie die Bemühungen des Bundesjustizministeriums um eine Mustervollmacht berücksichtigen.)