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Tarifflucht im Thalia-Buchhandel: „Ein Ausstieg aus der Tarifbindung ist der falsche Weg“

Sonntag, 24.01.2021

Das Management der Buchhandelskette Thalia hat am 8. Januar mitgeteilt, dass das Unternehmen seine Mitgliedschaft im Handelsverband zum Jahresbeginn 2021 in eine sogenannte „Ohne-Tarif-Mitgliedschaft (OT)“ umgewandelt hat, also in eine Mitgliedschaft ohne Bindung an den jeweils geltenden Tarifvertrag. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion kritisiert den Ausstieg der Buchhandelskette aus der Tarifvertragsbindung scharf und appelliert an das Unternehmen, diesen Schritt rückgängig zu machen.

 

Dazu Jan Koltze, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion: „Mit seiner Tarifflucht präsentiert sich Deutschlands größter Buchhändler als ganz schlechtes Vorbild. Die Tarifbindung ist die unverzichtbare Zwillingsschwester der Tarifautonomie – das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Branchentarifverträge sind die Form, in der die wesentlichen Arbeitsbedingungen zwischen allen Beteiligten auf Augenhöhe ausgehandelt werden. Das nennt man Sozialpartnerschaft. Darauf beruht nach wie vor Deutschlands wirtschaftliche Stärke. Tarifverträge garantieren den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen fairen, verlässlichen Anteil an den Umsätzen, die sie durch ihre Arbeit erwirtschaften. Sie garantieren gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit, und sind daher ein notwendiger Schutz vor Lohndumping. Für die Unternehmen garantiert die Tarifbindung fairen Wettbewerb, der eben nicht über Lohndumping, sondern über Qualität ausgetragen wird. Die Tarifbindung ist und bleibt daher eine der wesentlichen Säulen des deutschen Erfolgsmodells der sozialen Marktwirtschaft. Ein Ausstieg aus der Tarifbindung ist ein Ausstieg aus der sozialen Marktwirtschaft.“

 

Koltze weist auch die Begründung des Unternehmens für die Tarifflucht zurück: „Orientierung am Unternehmenserfolg ist kein Grund für Tarifflucht – im Gegenteil. Tarifverträge werden alle ein bis zwei Jahre neu verhandelt, und natürlich bildet die Ertragslage der Unternehmen eine wesentliche Grundlage der Verhandlungen und Tarifabschlüsse. Auch die ‚einheitliche‘ und ‚faire‘ Vergütung, die Thalia angeblich leisten will, verlangt gerade nach der Einhaltung der Tarifverträge, nicht umgekehrt. Thalia hat im letzten Jahr vor der Corona-Ausnahmesituation einen Rekordumsatz und ein Plus von sechs Prozent verbucht. Das haben die Beschäftigten mit ihrer guten Arbeit erwirtschaftet, niemand sonst. Ihnen zum Dank dafür nun faktisch die Löhne zu kürzen und die wirtschaftliche Sicherheit zu nehmen, ist völlig unangemessen. Die Tarifbindung ist in einigen Branchen seit Jahren rückläufig, gerade auch im Einzelhandel. Wir brauchen daher eine stärkere Verbindlichkeit von Tarifverträgen. Dafür muss die Möglichkeit zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Tarifvertragsgesetz vereinfacht werden und die falsche Möglichkeit zur ‚OT-Mitgliedschaft‘ in den Unternehmensverbänden muss dringend auf den Prüfstand. Dafür setzen wir uns als SPD im Bund ein. Auch in Hamburg werden wir die Tarifbindung nach Kräften stärken, vor allem über die Bedingungen der Auftragsvergabe der Stadt und ihrer öffentlichen Unternehmen.“

 

Hintergrund

Thalia ist mit etwa 6.000 Angestellten Deutschlands größte Buchhandelskette. In Hamburg arbeiten rund 190 Beschäftigte in acht Filialen. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren aufgrund mehrerer Übernahmen erheblich gewachsen, zuletzt 2019 durch die Übernahme der traditionsreichen Mayersche Buchhandlung. Die Dachgesellschaft firmiert seitdem unter dem Namen Thalia Mayersche. Das Unternehmen hat im Geschäftsjahr 2019/2020 seinen Umsatz um sechs Prozent gesteigert und einen Rekordumsatz von mehr als einer Milliarde Euro erzielt. Die Hamburger Thalia-Filialen waren bisher an den Tarifvertrag für den Hamburger Buchhandel gebunden. Dieser Gehaltstarifvertrag sieht aktuell für Beschäftigte der Gruppe B2 in Vollzeit nach dem fünften Berufsjahr ein monatliches Bruttogehalt von 2.796 Euro vor. In dieser Gruppe befindet sich ein großer Teil der Thalia-Beschäftigten.