PAULA 2024

PAULA Die Zeitung der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft No 4 13 Heimathafen Hamburg WAS TUN GEGEN RECHTS? Mit Anfang 20 hat sich Philip Schlaffer der gewalttätigen Neonaziszene angeschlossen, eine rechtsradikale Gemeinschaft mitgegründet und war Anführer eines berüchtigten Rocker Clubs in Wismar. Während eines Gefängnisaufenthalts beschloss er sein Leben zu ändern und setzt sich seither im Verein Extremislos e.V. aktiv gegen Hass, Gewalt sowie Fremdenfeindlichkeit ein und klärt über die Gefahren des Rechtsextremismus auf. Seine ganze Geschichte teilt Philip Schlaffer in seinem Buch „Hass. Macht. Gewalt“ und dem YouTube-Kanal „Ex Rechte Rotlicht Rocker“. Im Hamburger Rathaus traf er sich mit Danial Ilkhanipour, europapolitischer Sprecher und Experte für Antidiskriminierung der SPD-Fraktion Hamburg und Moderatorin Paulina Behrendt zum Podcast-Gespräch. Danial, du bist in Elmshorn geboren, deine Eltern kommen aus dem Iran. Wie fühlt es sich an, als Deutscher mit ausländischen Wurzeln in Deutschland zu leben? DANIAL: „Ich habe mich immer sehr wohlbehütet und gut angenommen gefühlt und hatte zum ersten Mal in der Pubertät Begegnungen mit Rechtsextremisten. Das ist dann schon eine XnPitteOEaUe $nJst. :enn es iP $OOtaJ .Rn˩iNte JiEt kann man sich einfach raushalten. Aber plötzlich war die Haarfarbe schon Grund genug, dass ich möglicherweise Ärger habe, wenn ich zur falschen Zeit am falschen Ort bin. Und die Nadelstiche durch Rassismus spürt man ja viel früher. Wenn man mit Freunden zum ersten Mal in die Disco möchte und die ganze Gruppe darf nicht rein – nur aufgrund meiner Hautfarbe. Man fühlt sich plötzlich nicht mehr gleichwertig. Da habe ich gemerkt: Ich gehöre irgendwie nicht dazu, bin Deutscher zweiter Klasse. Ich wollte das nicht akzeptieren und habe angefangen, mich politisch zu engagieren und gegen Rassismus und Faschismus aktiv zu werden. Aber seit dem Aufstieg der AfD habe ich wieder Existenzängste. Alltagsrassismus wird auf der Straße spürbarer. Jeder Demokrat macht sich darüber Sorgen, aber jemand wie ich oder meine Eltern sehen das noch mal aus einem ganz anderen Blickwinkel. Inzwischen sage ich, dass ich mich vor zehn Jahren deutscher gefühlt habe als jetzt. Philip, du warst viele Jahre Rechtsextremist, warst in der Szene sehr aktiv. Heute denkst du komplett anders und engagierst dich gegen Rechts. Warum wird man rechtsextrem? Wie rutscht man da rein? PHILIP: „Also wenn man sagt, man ist so irgendwie reingerutscht oder rein geglitten, dann klingt das schon fast wie eine Ausrede. Also ich habe mich schon ganz bewusst, zumindest als junger Mann davon faszinieren lassen. Ich wollte mich faszinieren lassen. Und Extremismus funktioniert ja. Und das in den unterschiedlichsten Formen. Auch der Rechtsextremismus funktioniert, sonst würde es ihn nicht mehr geben. Also kurzzeitig kann der Rechtsextremismus bei jungen Menschen, so wie es auch bei mir war, etwas befriedigen. Und weil ich auch ein junger Mann war, der auf der Suche war nach Anerkennung, Wertschätzung, Liebe, Gruppe und Freunden, das war so ein Cocktail aus Dingen, die ich gesucht habe. Dinge, die leider meine Eltern und die Schule nicht erkannt haben. Und das wurde bei mir kurzzeitig von Rechtsextremisten befriedigt. Also komm zu uns, hier gibt es Familie, hier gibt es Anerkennung, hier bist du was Besonderes. Denk dran, du gehörst zu den besten Menschen auf der Welt und das macht was mit einem. Die Welt wurde erklärt, was dann ja auch nicht ganz unerheblich ist. Es gibt auch junge Menschen, die sich heute fragen „Warum ist die Welt so?“ Klima, Konsum, Krieg und all diese Dinge. Und auf einmal haben diese Menschen mir das erklärt und ich habe zu denen aufgeschaut und habe mich zum ersten Mal wahrgenommen gefühlt. Das ist auch die Gefahr bei Extremisten, wenn sie mit jungen Menschen arbeiten. Sie können sie kurzfristig wahrnehmen. Ich sehe dich, ich sehe, ich höre deine Sorgen. Und ja, wir geben mal ganz einfache Antworten. Wie lief die Radikalisierung bei dir ab? PHILIP: Ich habe mich dieser rechtsextremen Szene sehr intensiv hingegeben, bin leider Hooligan bei meinem geliebten HSV geworden und wurde dort Anfang der neunziger Jahre schwer radikalisiert. Ich bin in jungen Jahren in Parteien eingetreten wie der NPD und den Republikanern, bin auf Demonstrationen gefahren, auf Neonazi-Konzerte. Ich bin dann auch massiver Gewalttäter, Intensivstraftäter geworden und habe mich immer weiter radikalisiert. Das funktioniert ja nicht über Nacht. Man schläft nicht schlecht und wacht am nächsten Tag auf und ist gewalttätiger Neonazi. Es war ein Prozess von meinem 15-jährigen Ich hin zu meinem 20-Jährigen, als ich mich dann als Neonazi bezeichnet hatte. Das war eine turbulente Zeit, wo ich das Leben meiner Eltern, vieler meiner Opfer und nicht zuletzt mein Eigenes ruiniert habe. Also ist das ein Punkt, an dem die Gesellschaft und der Staat etwas hilflos daneben stehen? DANIAL: Insgesamt ist die rechtsextreme Szene zumindest in Hamburg im Vergleich nicht so stark. Das kommt aber nicht von ungefähr. Wir haben in Hamburg früh erkannt, dass man proaktiv und behördenübergreifend aktiv werden muss. Hamburg war das erste Bundesland mit einer Spezialeinheit nur fürs Internet, wo man geguckt hat, wo Hassnachrichten veröffentlicht werden und man entsprechend vorgegangen ist. Zudem waren wir die Ersten mit einer Hinweisstelle beim LKA und der Innensenator hat sich sehr früh klar positioniert. Wir haben ein eigenes Landesprogramm, bei dem wir Prävention, Repression und Aussteigerprogramme entsprechend fördern. Das ist aber nicht nur eine Frage für die Innenbehörde, also der Repression, sondern der Prävention und auch der Medienkompetenz und somit für die Schulbehörde. All diese Puzzleteile führen dazu, dass wir Menschen davor bewahren, einen Lebensweg wie Philip zu haben.“ PHILIP: Die Polizei war bei mir auf dem rechten Auge nicht blind. Ich hatte über 25 Hausdurchsuchungen, Staatsschutz, LKA, Verfassungsschutz, Kripo alles Mögliche. Aber bei mir hat die Justiz leider ein bisschen versagt. Ich bin wirklich fast 20 Jahre in den unterschiedlichsten Milieus immer Extremist gewesen, habe dort mein Leben verschwendet. Es sind dann auch viele fürchterliche Dinge passiert aus dieser Kameradschaft heraus bis hin zu einem Mord, habe im Gefängnis gesessen. Ich bin in ein sehr tiefes Loch gefallen. In eine Depression auch. Und bin dann über das Gefängnis an eine tolle evangelische Seelsorgerin gekommen, die sich um mich gekümmert hat und einen Psychologen. Ich bin jetzt sechs Jahre aus dem Gefängnis raus und arbeite immer noch an mir. Wenn man 20 Jahre ein Leben gelebt hat mit festen Denkmustern, legt man die nicht ab wie einen Regenmantel. Heute bin ich Deradikalisierungs-Trainer und Anti-Gewalt-Trainer, und versuche in meinem neuen, schönen, spießigen Leben anzukommen. Und ich liebe es in der Demokratie. Ein deutsch-iranischer SPD-Politiker trifft auf einen Ex-Nazi. Ein Gespräch über Radikalisierung, Extremismus und Diskriminierungserfahrungen. Das ganze Gespräch findet siFK ]XP 1aFKhören im „Könnt ja gut werden“-Podcast der SPD-Fraktion Hamburg. Überall erhältlich, wo es Podcasts gibt. KÖNNT JA GUT WERDEN DER PODCAST UNSERER ZUKUNFT Danial Ilkhanipour, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg Philip Schlaffer, Aussteiger aus der rechtsextremen Szene

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