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Unsere Anträge

Durch Anträge können Abgeordnete Einfluss auf die Politik nehmen. Anträge können mindestens fünf Abgeordnete einbringen. Sie werden auf die Tagesordnung der nächsten Bürgerschaftssitzung gesetzt. Die Bürgerschaft kann sie annehmen, ablehnen, für erledigt erklären oder an einen Ausschuss überweisen. Mit Anträgen können Aufträge und Ersuche zur Regelung verschiedener Angelegenheiten an den Senat gerichtet werden.

Opfer- und Gewaltschutz in Hamburg stärken – ein neues Frauenhaus schaffen – Beratung, Hilfe und starken Rechtsstaat ausbauen

Dienstag, 11.12.2018

Haushaltsplan-Entwurf 2019/2020

Einzelplan 2 & Einzelplan 4

 

In Deutschland wird Schätzungen zufolge jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt. Zu einem Großteil handelt es sich bei den tätlichen Übergriffen um so genannte Partnerschafts- oder Beziehungsgewalt, also Gewalt im häuslichen Umfeld. Frauen sind mit Abstand am häufigsten betroffen, aber auch die Anzahl männlicher Betroffener steigt. Nicht nur die körperlichen sondern auch die psychischen Folgen sind dabei erheblich. Und oft bleibt es nicht bei Einzeltaten. Wichtig ist es daher, dass den Opfern sowohl unmittelbar als auch nachhaltig geholfen werden kann. Sie brauchen eine professionelle Betreuung und Beratung und Möglichkeiten der gesicherten Unterbringung. Auch die Präventions- und Täterarbeit ist ein wichtiger Bestandteil des Opferschutzes. Schließlich gilt es, die Straftaten schnell und effektiv zu verfolgen und die einzuleitenden Schutzmaßnahmen rechtsstaatskonform abzusichern.

Deutschland hat 2017 die Istanbul-Konvention ratifiziert und sich damit zu deren Umsetzung verpflichtet. Besonders die Bundesländer und Kommunen sind hierbei gefragt. Das 2014 erstellte umfangreiche Hamburger „Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege“ (Drs. 20/10994) wird in der laufenden Legislaturperiode fortgeschrieben und ausgebaut. Hamburg verfügt über ein dem Konzept entsprechendes gut ausgebautes System der Opferhilfe und Gewaltberatung.

Hierzu zählen die fünf Hamburger Frauenhäuser, in denen Frauen in akuten Bedrohungssituationen Schutz suchen können. Mit der Einführung der zentralen Koordinierungs- und Aufnahmestelle 24/7 im Oktober 2016 wurde die Hilfe hier noch einmal entschieden verbessert.

Da die Nachfrage nach Frauenhausplätzen steigt und zeitgleich auch die Verweildauer konstant hoch ist, kommt es immer wieder zur Situation der vollen Auslastung und es fehlen Plätze für akut Betroffene. Um den tatsächlichen Bedarfen gerecht zu werden, soll ein zusätzliches Frauenhaus mit 30-35 Plätzen (in Abhängigkeit von der Immobilie) eingerichtet werden.

Um auch die Situation in den Frauenhäusern weiter zu entlasten und die betroffenen Frauen dabei zu unterstützen, für sich neue Perspektiven eröffnen zu können, ist es wichtig, dass der Übergang in privates Wohnen für Frauenhausbewohnerinnen weiter verbessert wird. Das Projekt Vivienda leistet hier bereits gute Arbeit, setzt aber schwerpunktmäßig bei Bewohnerinnen an, die bereits länger im Frauenhaus leben. Wichtig ist es auch, die Wohnungssuche zu einem früheren Zeitpunkt zu unterstützen. Dies soll im Rahmen der 24/7 verbessert werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Opferschutzes ist die pro-aktive und aufsuchende Beratung in Fällen häuslicher Gewalt und Stalkings. Hier ist vor allem die Interventionsstelle Intervento zuständig, die eng mit der Polizei Hamburg zusammenarbeitet. Im besonderen Fokus der Interventionsstelle stehen erwachsene Opfer häuslicher Gewalt und Stalkings und ihre mittelbar betroffenen Kinder nach einem Polizeieinsatz. Neben Krisenintervention kann sie dabei unterstützen, die nötigen juristischen Schritte nach dem Gewaltschutzgesetz einzuleiten.

Angesichts der nach wie vor hohen Anzahl von Beratungskontakten im Rahmen von Polizeieinsätzen sollte die aufsuchende Beratungsarbeit in Hinblick auf diese Zielgruppe verstärkt werden. Auch die nachgelagerte Betreuung von Gewaltopfern gilt es zu stärken. Hinzu kommt die zunehmende Anzahl von gemeldeten Fällen von häuslicher Gewalt, die insgesamt zu einem erhöhten Beratungsbedarf führen.

Die Beratungsstellen i.bera und LALE beraten gewaltbetroffene Frauen und Männer bzw. Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund und haben einen Schwerpunkt auch in der Beratung von Menschen, die von Zwangsverheiratung betroffen sind. Insgesamt ist der Bedarf an interkultureller und mehrsprachiger Beratung steigend, immerhin hat mittlerweile mehr als jede dritte Hamburgerin bzw. jeder dritte Hamburger einen Migrationshintergrund. Auch die Beratung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie anderer Fachkräften ist wichtig, um die Unterstützung durch das Hilfesystem zu gewährleisten. Hier sind die personellen Kapazitäten der interkulturellen und aufsuchenden Beratung an den Bedarf anzupassen.

Zunehmend an Bedeutung gewinnt die Beratung von Erwachsenen – insbesondere auch von Männern – die in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erfahren haben. In Hamburg ist z. B. die Opferhilfe Beratungsstelle eine Anlaufstelle für diese Zielgruppe (Drs. 20/10994). Allerdings müssen auch hier die personellen Kapazitäten an die wachsende Nachfrage angepasst werden.

Einen wichtigen Baustein im Opferschutz bildet schließlich die präventive Arbeit – dieser Aspekt gewinnt durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention auch noch mal an Bedeutung. Die Initiative „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ setzt auf aktive Nachbarschaften und hat es sich zum Ziel gesetzt, in Stadtteilen ein Klima zu schaffen, das die Anwohnerinnen und Anwohner für Partnergewalt und deren Folgen sensibilisiert und diese ermuntert, nicht wegzuschauen, sondern ihr offen entgegenzutreten. Das Projekt „comMIT!ment“ verfolgt einen Peer-Education Ansatz und sensibilisiert für die Notwendigkeit eines gleichberechtigten Zusammenlebens aller Geschlechter. Es zielt auf den Abbau patriarchaler Strukturen und der damit verbundenen Gewalt. Beide Projekte leisten einen elementaren Beitrag zur Präventionsarbeit und wurden von der Bürgerschaft auf Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN bereits mit den Ersuchen aus den Drucksachen 21/ 4891 und 21/ 4697 im Jahr 2016 gestärkt bzw. auf den Weg gebracht. Sie sollen auch in den nächsten Jahren mit ausreichend Kapazitäten fortgeführt werden.

Darüber hinaus ist die zügige strafrechtliche Verfolgung der Taten eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherheit der von häuslicher Gewalt Betroffenen. Ein funktionierender Rechtsstaat ist grundlegend für das Vertrauen der Opfer in die Institutionen. Auch die Inanspruchnahme zivilrechtlicher Schutzmaßnahmen zur Beendigung der akuten Notsituation und der langfristigen Sicherheit, etwa die Erteilung der Schutzanordnung, die Zuweisung von Schadensersatz und Schmerzensgeld, die Regelungen des Sorgerechts, die Beschränkungen des Umgangsrechts oder die Kontaktunterbindung helfen den Betroffenen, aus dem Gewaltkreislauf auszubrechen. Sie bedürfen schnellstmöglicher juristischer Klärung, damit nach den polizeilich eingeleiteten, lediglich einige Tage gültigen Maßnahmen keine Schutzlücken entstehen.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg verzeichnet in den letzten Jahren einen immer höheren Anstieg zur Anzeige gebrachter Straftaten im Bereich Beziehungsgewalt, für 2018 werden an die 6.000 Eingänge erwartet. Seit Jahresbeginn wurde darum in den amtsanwaltlichen Dezernaten der auf entsprechende Verfahren anzurechnende Arbeitsanteil von 50 Prozent auf 60 Prozent erhöht (vgl. Drs. 21/13879). Doch die gestiegene Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaft ergibt sich nicht nur aufgrund steigender Fallzahlen, sondern auch qualitativ aufgrund immer komplexer werdender Verfahren, wie beispielsweise im Deliktbereich der Nachstellung beim inzwischen weitverbreiteten so genannten „Cyberstalking“.

Die Gründe für den Anstieg der Fallzahlen – was sich sowohl in den Beratungsstellen als auch eben bei der Staatsanwaltschaft niederschlägt – sind nicht vollständig geklärt. Mit Blick auf die geleistete Sensibilisierungsarbeit der letzten Jahre, die politischen Debatten rund um „Nein heißt Nein“ und #metoo, wird der Anstieg der Fallzahlen aber auch auf eine gestiegene Anzeigebereitschaft bei den Opfern zurückzuführen sein. Dies ist ein Erfolg für die Arbeit im Bereich Gewaltschutz und für den Rechtsstaat, führt aber eben auch zu einem Anstieg der Bedarfe.

Um die Funktionsfähigkeit der Opferhilfe und des Gewaltschutzes in Hamburg zu gewährleisten und den aufgeführten gestiegenen Bedarfen gerecht zu werden, müssen daher die Mittel im Produkt Opferschutz (Einzelplan 4) sowie bei den Staatsanwaltschaften (Einzelplan 2) entsprechend aufgestockt werden.

Die Bürgerschaft möge beschließen:

1. Im Einzelplan 4 in der Produktgruppe 255.03 „Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft“ Produkt 255.03.04 „Opferschutz“ werden für die Haushaltsjahre 2019 und 2020 die Ermächtigungen im Kontenbereich „Kosten für Transferleistungen“ um jeweils 250.000 Euro erhöht und zugleich werden die entsprechenden Positionen im Einzelplan 9.2, „Zentrale Ansätze I“ Produkt „Zentrale Verstärkung Zuwanderung“ abgesenkt.

Die Mittel sollen zur Verstärkung bestehender Angebote gemäß folgender Ziele verwendet werden:

- Stärkung der Beratung im Kontext pro-aktiver, aufsuchender und interkultureller Beratungsarbeit,

- Stärkung der Beratung von Erwachsenen, die in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erfahren haben.

Die Mittel sollen übertragbar sein.

2. Im Einzelplan 4 in der Produktgruppe 255.03 „Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft“ wird für die Fortführung des Projektes StoP in den nächsten zwei Jahren im Jahr 2019 der Kontenbereich „Kosten für Transferleistungen“ um 160.000 Euro erhöht und zugleich die entsprechenden Positionen im Einzelplan 9.2, Produktgruppe 283.01 „Zentrale Ansätze I“, Produkt „Zentrale Verstärkung Zuwanderung“ abgesenkt. Die Mittel sollen übertragbar sein.

3. Im Einzelplan 4 in der Produktgruppe 255.03 „Integration, Opferschutz, Zivilgesellschaft“ für die Durchführung eines weiteren zweijährigen Projektzeitraumes von comMIT!ment im Jahr 2019 wird der Kontenbereich „Kosten für Transferleistungen“ um 250.000 Euro erhöht und zugleich die entsprechenden Positionen im Einzelplan 9.2, Produktgruppe 283.01 „Zentrale Ansätze I“, Produkt „Zentrale Verstärkung Zuwanderung“ abgesenkt. Die Mittel sollen übertragbar sein.

4. Im Einzelplan 2 Aufgabenbereich 234 „Staatsanwaltschaften“ in der Produktgruppe 234.01 „Staatsanwaltschaften“ wird der Kontenbereich „Personalkosten“ für das Haushaltsjahr 2020 um 554.000 Euro sowie der Kontenbereich „Kosten aus laufender Verwaltungstätigkeit“ um 55.000 Euro erhöht und zugleich die entsprechende Positionen im Einzelplan 9.2, „Allgemeine Finanzwirtschaft“, Produktgruppe 283.01 „Zentrale Ansätze I“ abgesenkt.

5. Im Einzelplan 2 Aufgabenbereich 234 „Staatsanwaltschaften“ werden ab 1.1.2020 drei zusätzliche Stellen für Staatsanwält/innen R1, eine zusätzliche Stelle Amtsinspektor/in A9 im Justizdienst und zwei Stellen Justizobersekretär/innen A7 neu geschaffen.

6. Der Senat wird ersucht,

a. die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration zu beauftragen, die Kosten für die Einrichtung eines neuen Frauenhauses mit rund 30 Plätzen zu ermitteln und die notwendigen Mittel einzuwerben, um zügig ein neues Frauenhaus einzurichten. In dem Kontext soll auch der Übergang in privates Wohnen konzeptionell weiterentwickelt und die hierfür erforderlichen Bedarfe geprüft werden.

b. die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration zu beauftragen, im Rahmen der Fortschreibung des Konzeptes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege weitere Bedarfe zu prüfen und die hierfür ggf. notwendigen Mittel einzuwerben.

c. in den Jahren 2019 und 2020 die Bewältigung der erhöhten Herausforderungen bei der Sicherstellung des Opferschutzes sicherzustellen und der Bürgerschaft über die Umsetzung zu berichten.

d. im Einzelplan 2 Aufgabenbereich 234 „Staatsanwaltschaften“, Produktgruppe 234.01 „Staatsanwaltschaften“ für das Haushaltsjahr 2020 die Gesamtzahl der Vollzeitäquivalente um 6 anzuheben.

 

sowie
  • der Abgeordneten Mareike Engels
  • Filiz Demirel
  • Farid Müller
  • Dr. Carola Timm
  • Dr. Anjes Tjarks (GRÜNE) und Fraktion