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Durch Anträge können Abgeordnete Einfluss auf die Politik nehmen. Anträge können mindestens fünf Abgeordnete einbringen. Sie werden auf die Tagesordnung der nächsten Bürgerschaftssitzung gesetzt. Die Bürgerschaft kann sie annehmen, ablehnen, für erledigt erklären oder an einen Ausschuss überweisen. Mit Anträgen können Aufträge und Ersuche zur Regelung verschiedener Angelegenheiten an den Senat gerichtet werden.

Verbraucherrechte stärken – Öffnungsklauseln der EU-Warenkauf-Richtlinie 2019/771 nutzen

Mittwoch, 10.02.2021

Insbesondere bei Produkten, die einer langen Nutzung dienen sollen, gehen Verbraucherinnen und Verbraucher berechtigterweise davon aus, dass diese einige Jahre tatsächlich funktionstüchtig bleiben und bei Übergabe an sie mangelfrei sind. Zeigt sich jedoch nach mehr als zwei Jahren ein Mangel an dem gekauften Produkt, der bereits von Anfang an bestand, für die Käuferin bzw. den Käufer aber nicht erkennbar war, kann diese bzw. dieser sich nicht mehr auf seine Gewährleistungsansprüche berufen, weil diese verjährt sind: Nach § 438 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB) verjähren nach derzeit geltendem Recht Gewährleistungsansprüche im Kaufrecht wegen Sachmängeln nach zwei Jahren mit der Folge, dass die Käuferin bzw. der Käufer seine Ansprüche gegenüber der Verkäuferin bzw. dem Verkäufer nicht mehr durchsetzen kann und damit auf dem Schaden sitzen bleibt. Erschwerend kommt hinzu, dass nach deutschem Recht die Verjährungsfrist für diese Gewährleistungsansprüche ab dem Zeitpunkt des sog. Gefahrübergangs, also beispielsweise der Lieferung des Produkts, zu laufen beginnt.

In der Praxis wirken sich kurze Verjährungsfristen vor allem im Bereich der Automobilwirtschaft und des Elektrohandels zu Lasten von Verbraucherinnen und Verbrauchern aus, da dort das Bedürfnis nach Absicherung gegen Mängel, die erst nach Ablauf der Verjährungsfrist des Gewährleistungsanspruchs in Erscheinung treten, auch deswegen sehr stark ist, weil diese Produkte regelmäßig mit einer langen Nutzungsabsicht zu häufig sehr hohen Preisen erworben werden. Dieses Bedürfnis nach Absicherung gegen auftretende Mängel manifestiert sich in der immer größer werdenden Nachfrage von zusätzlich abschließbaren Gewährleistungs- und Garantieversicherungen. Diese verteuern das Produkt erheblich und bieten teils nur einen lückenhaften Schutz. Zudem ist ein Vergleich solcher Versicherungsprodukte nur mit Mühe möglich, weil sich die Vertragsbedingungen erheblich unterscheiden und über teils automatische Verlängerungen weitere Risiken bergen.

Die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG vom 20. Mai 2019, löst die bisher geltende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG) mit Wirkung zum 1. Januar 2022 ab. Mit der neuen Richtlinie wird ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und einem funktionierenden Binnenmarkt angestrebt, indem bestimmte Anforderungen an Kaufverträge festgelegt und weitergehend als bislang harmonisiert werden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen bis zum 1. Juli 2021 die Vorschriften der Richtlinie umsetzen und ab dem 1. Januar 2022 auch anwenden. Diese sehen unter anderem Änderungen hinsichtlich der Haftungsdauer des Verkäufers für Mängel und der Beweislastumkehr vor, sodass der deutsche Gesetzgeber aktiv werden muss.

Das federführende Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz erarbeitet derzeit den Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags“, um den Anforderungen des Unionsrechts Rechnung zu tragen. Der aktuelle Entwurf nutzt den Gestaltungsspielraum, den der EU-Gesetzgeber den Mitgliedstaaten belässt, jedoch nicht aus und verbleibt am unteren Limit des sicherzustellenden Verbraucherschutzes.

Wie bislang soll die Verkäuferin bzw. der Verkäufer auch in Zukunft nur für solche Mängel haften, die schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gemäß § 438 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 BGB gilt hierbei bisher eine Verjährungsfrist von zwei Jahren, die bereits ab Gefahrübergang zu laufen beginnt. Dies gilt auch dann, wenn der Mangel nicht erkennbar gewesen ist.

Die Warenkaufrichtlinie sieht in Artikel 10 Absatz 1 Satz 1 eine Haftung für Mängel vor, die zwei Jahre nach Lieferung der Ware offenbar werden. Allerdings wird den Mitgliedstaaten mit Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie die Möglichkeit eröffnet, längere Haftungsfristen und somit einen höheren Verbraucherschutzstandard als den bisher in Deutschland geltenden Regeln festzulegen. Hinsichtlich der Verjährung sehen Artikel 10 Absatz 4 der Richtlinie sowie der Erwägungsgrund Nummer 42 vor, dass Verjährungsfristen nach nationalem Recht nicht so gestaltet sein dürfen, dass sie die effektive Ausübung der Gewährleistungsrechte durch die Verbraucherin bzw. den Verbraucher unterlaufen. Bei einem Mangel, der nach einem Jahr und elf Monaten auftritt, hätte die Verbraucherin bzw. der Verbraucher nach derzeit geltendem Recht in Deutschland lediglich einen Monat Zeit, um seinen Anspruch mittels verjährungshemmender Maßnahmen geltend zu machen, bevor dieser verjährt. Ziel der Richtlinie ist es unter anderem, solche problematischen Konstellationen zu Lasten von Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig zu vermeiden.

Daher ist eine Anpassung der Verjährungsfrist in § 438 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 BGB geboten. Eine Verbraucherin bzw. ein Verbraucher kann aufgrund des Zusammenfallens von Haftungs- und Verjährungsfrist in der Regel die ihm zustehenden Rechtsbehelfe entweder nur selten oder auch gar nicht bis zum Ablauf der Haftungsfrist bzw. Verjährungsfrist geltend machen. Da die Mitgliedstaaten längere Haftungsfristen nach Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie festlegen können, sollte der Bundesgesetzgeber im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes zum einen über das in der Richtlinie vorgesehene Minimum für die Haftungsfrist hinausgehen und zum anderen die Verjährungsfrist so regeln, dass Gewährleistungsansprüche auch dann noch effektiv geltend gemacht werden können, wenn der Mangel einer Sache beispielsweise erst kurz vor Ende der Haftungsfrist offenbar wird.

Während in Deutschland eine zweijährige Verjährungsfrist gilt, greift in Island und Norwegen eine gesetzliche Frist von fünf Jahren ab Gefahrübergang für Verbraucherin/Verbraucher, wenn es sich um langlebige Produkte handelt. Die Niederlande wiederum betrachten Produkte mit generell langlebigem Charakter individueller, sodass sich die gesetzliche Verjährungsfrist bei diesen an der erwartbaren Lebensspanne der Produkte orientiert. An diesen positiven Beispielen kann sich der deutsche Gesetzgeber orientieren.

Ein fundamentaler Bestandteil des Verbraucherschutzrechtes ist die Beweislastumkehr. Nach allgemeinen Grundsätzen müsste die Verbraucherin bzw. der Verbraucher im Verbrauchsgüterkauf nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast darlegen und beweisen, dass der Mangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs schon vorlag. Nach der bisherigen Verbrauchergüterkaufrichtlinie griff zugunsten der Verbraucherin/des Verbrauchers die Vermutung, dass der infrage stehende Mangel schon bei Lieferung bestand, für einen Zeitraum von sechs Monaten, was der deutsche Gesetzgeber in § 477 BGB umgesetzt hat. Nun verlängert sich diese Frist nach Artikel 11 Absatz 1, Absatz 2 der Warenkaufrichtlinie auf ein Jahr ab Lieferung der Ware, kann aber von den Mitgliedstaaten auf zwei Jahre ausgedehnt werden. In der Praxis können Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Rechtsbehelfe häufig nur so lange nutzen wie sie nicht beweisen müssen, dass der Mangel bereits bei Lieferung bestand – einen solchen Beweis können Verbraucherinnen und Verbraucher in aller Regel nur schwer oder gar nicht erbringen. Zur Effektuierung des Verbraucherschutzes wäre eine über den Mindestschutz hinausgehende Anpassung der Frist erstrebenswert.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

 

Der Senat wird ersucht,

1. sich in dem laufenden Gesetzgebungsprozess auf Bundesebene der bis zum 1. Juli 2021 in nationales deutsches Recht umzusetzenden Richtlinie (EU) 2019/771, ggf. im Rahmen des „Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags“ dafür einzusetzen,

a) den vom Unionsgesetzgeber geforderten Haftungszeitraum der Verkäuferin bzw. des Verkäufers für Mängel bei Lieferung einer Kaufsache in § 438 Absatz 1 Nummer 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches über das in der Richtlinie (EU) 2019/771 in Artikel 10 Absatz 1 vorgegebene Mindestmaß hinaus anzuheben, unter Ausnutzung des in Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie geregelten Gestaltungsspielraums, sowie

b) die Frist zur Beweislastumkehr in § 477 des Bürgerlichen Gesetzbuches über das vom Unionsgesetzgeber in der Richtlinie (EU) 2019/771 in Artikel 11 vorgegebene Mindestmaß hinaus, unter Ausnutzung des in Artikel 11 Absatz 2 geregelten Gestaltungsspielraums in angemessener Weise zu Gunsten der Stärkung eines effektiven Verbraucherschutzes auf zwei Jahre anzuheben,

2. der Bürgerschaft bis zum 30. Juni 2021 zu berichten.

 

 

sowie
  • Eva Botzenhart
  • Alske Freter
  • Sina Imhof
  • Jennifer Jasberg
  • Lisa Kern
  • Lisa Maria Otte
  • Till Steffen
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion