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Medizinische Versorgung Obdachloser

Freitag, 27.06.2008

Der Krankenversicherungsschutz gehört zu den Grundpfeilern unseres Sozialstaates. Die Entwicklung der letzten zehn Jahre zeigte aber, dass zunehmend mehr Menschen ihren Krankenversicherungsschutz verloren oder keinen Zugang zur Krankenversicherung fanden. Obdachlose gehörten in besonderer Weise zur Gruppe der betroffenen Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Viele Menschen haben deshalb zu Recht ihre Hoffnungen auf die Bundsgesundheitsreform gesetzt. Durch diese werden wichtige Verbesserungen durch-gesetzt:

• Seit 1. April 2007 greift die neue Versicherungspflicht für Personen ohne anderweiti-gen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall, die der gesetzlichen Krankenversi-cherung zuzuordnen sind. Zuletzt in einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherte (GKV) ohne Versicherungsschutz wenden sich an ihre ehemalige Krankenkasse, die sie wieder aufnehmen muss.

• Seit 1. Juli 2007 ist der bereits existierende, jedoch bisher auf ältere Versicherte be-schränkte Standardtarif der Privaten Krankenkasse (PKV) für Personen geöffnet, die ihren privaten Krankenversicherungsschutz verloren haben bzw. für Personen, die ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall sind und die der PKV zuzuordnen sind.

• Und ab 1. Januar 2009 gilt auch für privat Versicherte oder der PKV zuzuordnende Personen die Pflicht zur Versicherung. Gleichzeitig wird der neue Basistarif einge-führt, der dann den Standardtarif ablöst und für eine deutlich größere Personenzahl offen ist.

Dennoch zeigt die Praxis, dass der Schutz der Krankenversicherung obdachlose Menschen trotzdem häufig nicht erreicht.

 

Wir fragen den Senat:

1. Praxisgebühr durch voraus gezahltes, ergänzendes Darlehen ersetzen

Auch Obdachlose müssen quartalsweise bei Arztbesuchen die Praxisgebühr entrichten und Zuzahlungen zu Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln leisten. Dies stellt viele Obdachlose vor große Probleme. Obdachlose scheitern auch oft daran, einen Antrag auf Zuzahlungsbe-freiung zu stellen. Dies alles erschwert ihre medizinische Versorgung.

Alle Versicherten der GKV müssen sich an den Kosten bestimmter Leistungen bis zu einer individuellen Belastungsgrenze (2 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen bzw. 1 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen bei chronisch kranken Versicherten) beteiligen. Die gesetzli-chen Krankenkassen haben die Möglichkeit für ihre Versicherten bereits zu Jahresbeginn eine Befreiungsbescheinigung gegen Vorauszahlung der maximalen Zuzahlung auszustel-len, besonders wenn innerhalb kurzer Zeiträume die Belastungsgrenze erreicht würde.

Damit auch obdachlose Versicherte von dieser Möglichkeit profitieren können, kann der Träger der Sozialhilfe die Zuzahlungshöchstbeträge in Form eines ergänzenden Darlehens übernehmen. Die Rückzahlung des Darlehens erfolgt dann in kleinen monatlichen Teilbeträ-gen über das ganze Kalenderjahr. Bei erfolgter Vorauszahlung entfällt für die Versicherten z.B. das Sammeln von Belegen, was insbesondere dem Personenkreis der Obdachlosen zugute kommen dürfte. Auch wäre nicht zu befürchten, dass obdachlose Menschen medizi-nische Hilfe auf Grund der Zuzahlungen nicht in Anspruch nehmen, da ihnen bereits ein Be-freiungsausweis für Zuzahlungen vorliegt.

1.1 Nutzen die Träger der Sozialhilfe in Hamburg die Möglichkeit für Obdachlose die Zuzah-lungshöchstbeträge in Form eines ergänzenden Darlehens zu übernehmen?

1.2 Wenn nein, warum nutzt der Senat bzw. die zuständige Fachbehörde diese Möglichkeit nicht?

1.3 Wenn ja, in wie vielen Fällen wurden seit dem 1. April 2007 Obdachlosen in Hamburg diese Darlehn für Obdachlose gewährt? (Bitte monatlich und - wenn möglich - getrennt nach Geschlecht aufschlüsseln)

1.4 Wie gestalten sich die Rückzahlungsmodalitäten vom Leistungsempfänger an den Trä-ger der Sozialhilfe?

1.5 Wurden diese Darlehen vom Träger der Sozialhilfe in Hamburg auch anderen Perso-nengruppen gewährt?

1.6 Wenn ja, welchen?

 

2. Praktischer Zugang zur Krankenversicherung für Obdachlose in Hamburg

Obdachlose, die Arbeitslosengeld II beziehen, werden auf Grund des Bezugs dieser Leis-tung Pflichtmitglied einer von ihnen gewählten Krankenkasse. Machen Obdachlose von die-sem Wahlrecht keinen Gebrauch, hat die Behörde, die die Grundsicherung für Arbeit durch-führt, den Versicherungspflichtigen ab Eintritt der Versicherungspflicht bei einer vom Bezie-her von Arbeitslosengeld II wählbaren Krankenkasse anzumelden und den Versicherungs-pflichtigen unverzüglich über die gewählte Krankenkasse zu unterrichten. Die gewählte Krankenkasse stellt eine Krankenversichertenkarte aus. Obdachlose, denen die Kranken-versicherungskarte mangels einer Anschrift nicht übersandt werden kann, müssen allerdings diese selbst in der nächsten örtlichen Geschäftsstelle der Krankenkasse abholen.

Als gewöhnlicher Aufenthaltsort eines Obdachlosen ist automatisch immer der Ort anzuer-kennen, an dem der Antrag gestellt wird. Dies entspricht der geltenden Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit für den Bereich des SGB II. So ist es den Behörden unmöglich, mit Hinweis auf den wechselnden Aufenthaltsort Hilfen abzulehnen.

2.1 In wie vielen Fällen hat die ARGE (team.arbeit.hamburg) Obdachlose von sich aus bei einer Krankenklasse angemeldet? (Bitte auch nach Geschlecht aufschlüsseln.)

2.2 Gab es Fälle, in denen die Krankenversicherungskarte nicht übersandt werden konnte? Wenn ja, wie ist die ARGE in diesen Fällen weiter verfahren?

Obdachlose, die ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall sind und von der nachrangigen Versicherungspflicht in der GKV erfasst werden, müssen wie andere Versicherungspflichtige bei ihrer ehemaligen gesetzlichen Krankenkasse die Feststellung der Versicherungspflicht beantragen. Sie werden Mitglied ihrer ehemaligen gesetzlichen Krankenkasse oder von deren Rechtsnachfolger. Da hier eine Mitwirkung des Obdachlosen erforderlich ist, kann dieses Vorhaben scheitern. Andererseits können hier dritte Personen aber tätig werden, wenn sie über eine entsprechende Vollmacht vom Obdachlosen verfü-gen.

2.3 Wirkt der Senat bzw. die zuständige Fachbehörde über Maßnahmen und Projekte darauf hin, dass dritte Personen über eine entsprechende Vollmacht vom Obdachlosen tätig werden, um sie bei ihrer ehemaligen gesetzlichen Krankenkasse zu versichern?

2.4 Wenn ja, über welche über welche Maßnahmen und Projekte?

2.5 wenn nein, warum nutzt der Senat bzw. die zuständige Fachbehörde diese Möglichkeit nicht?

3. Rückwirkende Beitragszahlungen bei nachträglich festgestellter Versicherungs-pflicht

Grundsätzlich sind in der GKV für jeden Tag einer Mitgliedschaft Beiträge zu zahlen. Dies gilt für eine ab dem 1. April 2007 festgestellte Versicherungspflicht für Personen ohne bishe-rige anderweitige Absicherung im Krankheitsfall auch dann, wenn diese Versicherungspflicht erst nachträglich festgestellt wurde. Beiträge sind dementsprechend für einen zurückliegen-den Zeitraum zu zahlen. Andererseits hat das Bundesministerium für Gesundheit die gesetz-lichen Krankenkassen gebeten, in der Regel von der Möglichkeit eines Beitragsnachlasses bei sozial schwachen Betroffenen, insbesondere bei Wohnungslosen, Gebrauch zu machen. Dies ist insbesondere aus der sozialen Schutzfunktion heraus erforderlich, die den Kranken-kassen gegenüber den hier betroffenen Personenkreisen erwächst.

Laufende Beiträge werden bei Vorliegen von Bedürftigkeit im Sinne des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom zuständigen Sozialhilfeträger übernommen, sofern Versicherte diese nicht aus eigenen Mitteln zahlen können. Nur wenn diese Hilfebedürftigkeit zu verneinen ist, haben die Versicherten die Beiträge selbst zu tragen. Rückständige Beiträge der betroffenen Neumitglieder übernimmt der Sozialhilfeträger hingegen nicht.

3.1 Machen die zuständige Sozialhilfeträger in Hamburg gebrauch von der Möglichkeit des Beitragsnachlasses bei sozial schwachen Betroffenen? Wenn nein, warum nicht?

3.2 Wenn ja, in wie vielen Fällen hat in Hamburg der zuständige Sozialhilfeträger die Bei-tragsleistungen bei nachträglich festgestellter Versicherungspflicht rückwirkend gezahlt? (Bitte auch nach Geschlecht getrennt darstellen.)

3.3 Welche Personengruppen waren in welchem Umfang betroffen?

 

4. Gesundheitsversorgung für Obdachlose in Hamburg

4.1 Wie hoch schätzt der Senat bzw. die zuständige Fachbehörde die Zahl der Obdachlosen mit bzw. ohne Krankenversicherungsschutz in Hamburg und wie bewertet er/sie diese Zahlen politisch bzw. sieht einen entsprechenden Handlungsbedarf?

4.2 Liegen dem Senat oder seinen Behörden Erkenntnisse darüber vor, warum trotz der oben genannten neuen Möglichkeiten nach wie vor eine nennenswerte Zahl Obdachlo-ser keinen Zugang zur Krankenversicherung findet? Wodurch zeichnet sich die Gruppe nicht krankenversicherter Obdachloser aus, bzw. warum werden diese Obdachlosen nicht von den beschriebenen Maßnahmen erreicht?

4.3 Welche niedrigschwelligen Angebote der gesundheitlichen Versorgung Obdachloser gibt es in Hamburg, die insbesondere auch nicht krankenversicherte Obdachlose erreichen? (Bitte Träger, Kontakt, spezifisches Angebot etc. benennen.)

4.4 Welchen Bedarf und welche Möglichkeiten sieht der Senat bzw. die zuständige Fachbe-hörde, die ambulanten Hilfen für Obdachlose in Hamburg weiter zu verbessern?

4.5 Welche begleitenden Hilfen benötigen krankenversicherte Obdachlose, um leichter einen tatsächlichen Zugang in Krankenhäuser und Arztpraxen zu bekommen?

4.6 Sieht der Senat für obdachlose Frauen besonderen Hilfsbedarf und wenn ja, worin be-steht dieser aus Sicht des Senats und wie wird ihm entsprochen?

4.7 Gibt es unter den Hamburger Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten spezielle Angebote, die auf die besondern Bedürfnisse und Besonderheiten Obdachlosen einge-richtet sind?

4.8 Wie können nach Auffassung des Senats bzw. die zuständige Fachbehörde Kranken-häuser und Arztpraxen stärker in die Versorgung Obdachloser eingebunden werden?