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Drei Jahre nach dem Tod der kleinen Jessica gibt es kein Hamburger Gesetz für verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen von Kindern: Welche Kenntnisse hat der Senat über die Gesetze anderer Bundesländer zu Vorsorgeuntersuchungen?

Freitag, 27.06.2008

Der nach dem Tod der kleinen Jessica vor mehr als drei Jahren von der Bürgerschaft eingesetzte Sonderausschuss „Vernachlässigte Kinder“ hatte sich in seinem einstimmigen Abschlussbericht bzw. Petitum für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen ausgesprochen (vgl. Drs. 18/3592).

Die damalige Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram sagte in der Debatte zum Bericht des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ für den Senat: „(..) werden wir die Empfehlungen des Ausschusses umsetzen (..). Ich nenne hier beispielsweise die Initiative, die U 1- bis U 9-Untersuchung verpflichtend zu machen.“ (Protokoll der Bürgerschaft vom 01.02.2006).

Das Saarland hatte parallel zu seinen bundesgesetzlichen Initiativen auch den landesgesetzlichen Weg beschritten und war damit Vorbild für andere Länder. Auch die Bundesfamilienministerin wird zitiert: „Erfahrungen aus dem Saarland zeigen, dass auf diese Weise unbürokratisch nachgehakt wird.“ Von der Leyen hatte sich zunächst gegen das „Saarländer Modell“ ausgesprochen, aber ihre Position revidiert (SZ vom 07.12.2007).

Eine bundesgesetzliche Regelung der Vorsorgeuntersuchungen ist nicht zustande gekommen: Die Bundesministerien für Justiz und für Inneres halten ein Bundesgesetz in diesem Fall für „nicht verfassungsgemäß“, wie auch Familienministerin von der Leyen im SZ-Interview vom 07.12.2007 ausführte.

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat in der 18. Legislaturperiode zwei Mal den Entwurf eines „Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung“ in die Bürgerschaft eingebracht (zuletzt Drs. 18/7481). Der Gesetzentwurf sieht vor, das Hamburgische Gesundheitsdienstgesetz (HmbGDG) zu ändern, um die Verbindlichkeit der Vorsorgeuntersuchungen – die so genannten U-Untersuchungen – sicherzustellen. Dieser Gesetzentwurf orientiert sich eng am „Saarländer Modell“ und passt es an die Hamburger Verwaltungsstrukturen an. Die GAL-Fraktion hatte diesem Entwurf zuletzt zugestimmt; die damalige CDU-Mehrheitsfraktion hat den Entwurf abgelehnt.

Nachdem der CDU-Senat eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem SPD-Gesetzentwurf lange Zeit verweigert hatte, hieß es dann, das „Saarländer Modell“ bereite in der Praxis Schwierigkeiten und sei untauglich.

Auf die Schwierigkeiten angesprochen war der damalige Staatsrat und heutige Sozialsenator Wersich nicht auskunftsfähig:

 

Frage von Carola Veit an Staatsrat Wersich im Familien-, Kinder- und Jugend-Ausschuss am 13.09.2007: „Wo ist da die Schwierigkeit, die Sie jetzt davon abhält?

Antwort des Staatsrats: „Da empfehle ich, die anderen Länder direkt zu fragen, weil wir die Wege anderer Länder nicht beurteilen können“ (Protokoll 18/44 des Ausschusses vom 13.09.2007, S. 31).

Am 29.01.2008 lehnte Staatsrat Wersich dann auch die landesgesetzliche Regelung Schleswig-Holsteins im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend mit scharfer Kritik ab. So lautet ein Auszug über die Positionen von Staatsrat Wersich und Behördenvertretern aus dem Ausschussbericht zum SPD-Gesetzentwurf: „Beispielsweise erreiche die in Schleswig-Holstein beratene Maßnahme erst nach neun Verwaltungsschritten den Kern des Kinderschutzes. Sie hielten es für einen unvertretbaren Bürokratieaufwand, der auch finanzielle Ressourcen binde, ohne dem Kinderschutz zu gute zu kommen“ (vgl. Drs. 18/7922, S. 3).

Umso unverständlicher, dass man sich zwischen CDU und GAL im Koalitionsvertrag vom 17.04.2008 – zudem beschränkt auf die „U6 und U7“ – zu einem „verbindlichen Einladeverfahren und einer Nachkontrolle bei Nicht-Teilnahme mit Orientierung an den Regelungen in Schleswig-Holstein verabredet“.

Den derzeit letzten Stand dieser Reihung von Untätigkeit, Widersprüchen und Unkenntnis liefert der Sprecher der Sozialbehörde anlässlich der Vorstellung einer aktuellen UKE-Studie zu Kindesvernachlässigung und -misshandlung: „Wir werden uns jetzt ganz genau angucken, wie das in Schleswig-Holstein organisiert wird“ (taz 23.05.2008).

 

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

1. Welche anderen Bundesländer haben jeweils welche Landesgesetze zu den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder wann beschlossen?

2. Wie bewertet der Senat bzw. die zuständige Behörde diese Gesetze jeweils konkret, und welche Vor- und Nachteile haben die einzelnen Gesetze?

3. Welche ergänzenden Verordnungen, Richtlinien oder Verträge – z.B. zur Zusammenarbeit mit Akteuren des Gesundheitswesens – gibt es zu den einzelnen Landesgesetzen jeweils?

4. Wie bewertet der Senat bzw. die zuständige Behörde diese Verordnungen, Richtlinien oder Verträge jeweils konkret, und welche Vor- und Nachteile haben diese einzelnen Verordnungen, Richtlinien oder Verträge?

5. In welchen Bundesländern sind Landesgesetze zu den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder in der Abstimmung bzw. im Gesetzgebungsverfahren?

6. Wie bewertet der Senat bzw. die zuständige Behörde diese Gesetzentwürfe jeweils konkret, und welche Vor- und Nachteile haben die einzelnen Gesetzentwürfe?