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Gesundheitsversorgung und Suchtkrankenhilfe verbessern sowie Infektionsrisiko für Strafgefangene reduzieren

Mittwoch, 21.06.2023

Etwa die Hälfte aller erwachsenen Strafgefangenen werden nach ihrer Entlassung aus der Haft erneut straffällig. Bei Jugendlichen belaufen sich die Zahlen auf über die Hälfte. Nur wer gesund und ohne Suchtdruck in die Freiheit entlassen wird, kann erfolgreich ein straffreies Leben nach der Haft führen. Dies hängt jedoch davon ab, ob die Strafgefangenen eine entsprechende Diagnose, Suchtberatung sowie in der Folge medizinische sowie psychotherapeutische Therapie bekommen. Nur dann kann der Kampf gegen die Sucht und demnach gegen die Illegalität sowie Kriminalität gewonnen werden. Infolgedessen ist es von besonderer Bedeutung, dass Strafgefangene während ihrer Zeit in der Haft clean bleiben oder es werden.

Die Stadt Hamburg fördert mittels Zuwendungen außerhalb der Justizvollzugsanstalten Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe. Alle Bürger*innen können sich an jede Beratungsstelle in der Stadt wenden und eine kostenfreie sowie suchtmittelübergreifende Beratung erhalten. Die medizinischen Leistungen für Strafgefangene in Justizvollzugsanstalten müssen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gleichwertig mit den Leistungen in Freiheit sein.

Schätzungsweise sind 30 Prozent aller Strafgefangenen in Deutschland abhängig von intravenös konsumierten Drogen, der Anteil unter den weiblichen Strafgefangenen liegt bei etwa 50 Prozent. Weiterhin berichtet die DRUCK-Studie des Robert-Koch-Instituts von 2016, dass ein Teil der Strafgefangenen während der Haftzeit rückfällig und ein anderer Teil überhaupt drogenabhängig wird. Nach Drucksache 22/6318 waren im Jahr 2020 in Hamburg 93 Prozent der Strafgefangenen Männer (4.859 Personen) und 7 Prozent der Strafgefangenen Frauen (323 Personen).

Keine Justizvollzugsanstalt in Deutschland ist drogenfrei. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist jedoch die Anzahl der Drogen konsumierenden Personen in Justizvollzugsanstalten besonders stark ausgeprägt. Auch die Zahl der Strafgefangenen mit Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis C ist deutlich höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. Aufgrund dessen sollten insbesondere in Justizvollzugsanstalten die Behandlung mit legalen Ersatzstoffen, die Behandlung von Infektionskrankheiten sowie psychotherapeutische Maßnahmen gewährleistet sein.

Nach der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung wird Opioidabhängigkeit als „eine schwere chronische Krankheit“ definiert. Weiterhin muss eine Suchterkrankung, der eine Opioidabhängigkeit zu Grunde liegt, ein Leben lang behandelt werden – auch nach der Entlassung aus der Haft. Nur mit einer entsprechenden medizinisch-therapeutischen Begleitung kann eine gesundheitliche sowie soziale Stabilisierung gewährleistet werden. Insbesondere für Personengruppen, die einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem und zu Behandlungsinformationen haben, muss es ein Entlassungsmanagement geben, das den Übergang zwischen der freien Heilfürsorge und dem gesetzlichen Versicherungssystem nach der Haft organisatorisch unterstützt.

Strafgefangene gelten als eine besonders gesundheitlich vulnerable Gruppe. Bereits vor der Haft leidet ein Großteil der Strafgefangenen an psychischen Erkrankungen, mit einer Inhaftierung steigt dann das Risiko, an Infektions- und Suchterkrankungen zu leiden. Psychische Erkrankungen, Drogenkonsum und die Inhaftierung sind eng miteinander gekoppelt. Für Strafgefangene ist die Wahrscheinlichkeit doppelt so hoch, sich mit Infektionskrankheiten anzustecken, als für den Rest der allgemeinen Bevölkerung. Laut der Aids Society ist der Anteil der HIV-Erkrankten in Justizvollzugsanstalten 20mal höher als in der übrigen Bevölkerung. Nach dem umfangreichen Forschungsprogramm zur HIV-Prävention der Europäischen Union "Harm reduction and continuity of care in prisons" können bereits leicht umsetzbare Ansätze zu einer Infektionsminimierung führen. Exakte Daten können allerdings nur erhoben werden, wenn nicht nur bei Haftantritt, sondern auch bei der Entlassung der HIV-Status getestet wird.

Die Behandlung von Hepatitis C ist mittlerweile effektiv und kann nach nur wenigen Wochen Personen, die an Hepatitis C erkrankt sind, heilen. Die WHO hat das Ziel ausgegeben, Hepatitis C bis 2030 zu eliminieren. Die Behandlung von Suchterkrankten und die Bekämpfung von Infektionskrankheiten ist nicht die alleinige Aufgabe von Justizvollzugsanstalten. Auch die Gesundheitsbehörden, Justizbehörden, Pharmaunternehmen, die Suchtkrankenhilfe und die Medizin müssen gemeinsam aktiv daran arbeiten, um das Ziel „Hepatitis C bis 2030 zu eliminieren“ zu erreichen. Justizvollzugsanstalten bieten durch den geschützten und abgegrenzten Raum jedoch die besondere Möglichkeit, Patienten, die an sexuell und intravenös übertragbaren Erkrankungen leiden, einer wirksamen Therapie zuzuführen und dadurch in und nach der Haft das Verbreitungsrisiko effektiv zu reduzieren.

Nebst den sexuell und durch intravenösen Drogenkonsum übertragbaren Erkrankungen sind Menschen mit Suchterkrankungen und solche ohne festen Wohnsitz besonders gefährdet, sich an Tuberkulose anzustecken, deren Prävalenz durch Fluchtbewegungen nach Deutschland deutlich zunimmt. In Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern können die Justizvollzugsanstalten eine wichtige Rolle im Screening nach Tuberkulose und in der Therapie übernehmen, um auch hier die Verbreitung einzudämmen.

 

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

 

Rückblickend auf die letzten drei Jahre:

Alle Antworten bitte nach Jahren, Justizvollzugsanstalten und Geschlecht (männlich, weiblich, divers) differenzieren.

 

1. Wie viele der Strafgefangenen wurden auf Grund von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (bitte aufteilen in Untersuchungshaft, reguläre Haft, Maßregelvollzug, Jugendstrafvollzug)?

2. Was umfasst die Eingangsuntersuchung?

a. Auf welche Infektionserkrankungen werden die Strafgefangenen getestet?

b. Auf welche weiteren Erkrankungen werden die Strafgefangenen untersucht?

 

Psychiatrische Grunderkrankungen

3. Wie viele Strafgefangene sind laut medizinischer Diagnose psychiatrisch erkrankt?

4. Welche Angebote gibt es zur Behandlung von psychischen Erkrankungen?

5. Welche Wartezeiten müssen von den Erkrankten in Kauf genommen werden?

6. Wie viele Psychotherapeut*innen sind aktuell im Justizvollzug an der Versorgung psychisch erkrankter Insassen beteiligt?

7. Wie erfolgt die Zusammenarbeit intramural bzw. extramural zwischen Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen?

8. Gibt es in den Hamburger Strafvollzuganstalten das Angebot der Suchtakkupunktur (nach NADA-Protokoll)?

a. Wenn ja, wie häufig wurde diese Behandlung bereits angewendet?

b. Wenn nein, warum nicht?

 

Infektionserkrankungen

9. Ist das Screening auf Infektionserkrankungen zu Beginn und bei Entlassung ein obligatorischer Vorgang? Wenn nein, warum nicht?

10. Welche Erkrankungen können durch das Screening aufgedeckt werden?

11. Welche und wie viele der aufgedeckten Erkrankungen werden durch eine angebotene Therapie entsprechend medizinisch und therapeutisch behandelt?

12. Wird allen, bei denen eine Infektion festgestellt wird, eine Therapie angeboten? Wenn nein, warum nicht?

13. Wird in den Justizvollzugsanstalten Hamburgs gegen Hepatitis A und B geimpft?

14. Wird bei Aufnahme von neuen Strafgefangenen der Impfstatus kontrolliert? (Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln)

15. Wie viele der an Hepatitis C erkrankten Strafgefangenen werden entsprechend medizinisch behandelt und geheilt?

16. Wie teuer ist eine Hepatitis C Behandlung im Vollzug?

17. Wird aktiv auf die Hepatitis C Behandlung aufmerksam gemacht?

18. In den Justizvollzugsanstalten Hamburgs gibt es keine anonymen und diskreten Spritzenautomaten.

a. Warum nicht?

b. Wird derzeit eine Wiedereinführung geprüft? Wenn nein, warum?

19. Wie wird ein anonymer und diskreter Zugang zu Kondomen in den Justizvollzugsanstalten Hamburgs möglich gemacht?

 

Organische Erkrankungen

20. Wie viele der Strafgefangenen der Hamburger Justizvollzugsanstalten waren Corona positiv?

21. Wie wurden die positiv getesteten Strafgefangenen isoliert?

22. Wie hoch ist die Covid-19 Impfquote bei den Beschäftigten in den Justizvollzugsanstalten?

23. Findet ein Screening auf Tuberkulose statt?

24. Wenn ja: Wie hoch ist die Prävalenz unter den Inhaftierten oder die Anzahl der positiven Fälle pro Jahr? Wenn nein: Warum nicht?

25. Wie erfolgt der Schutz der Mithäftlinge und Bediensteten vor Ansteckung?

26. Wird Tuberkulose während der Haftzeit behandelt?

 

Suchterkrankungen

27. Wie viele der Strafgefangenen sind von einer Suchterkrankung betroffen? Bitte nach Vollzugsarten, Geschlecht und relevanten Substanzen (mindestens Alkohol, Cannabinoide, Kokain, Opioide) differenzieren.

28. Bei wie vielen der Suchterkrankten werden bei Haftantritt umfassende Drogen-Screenings durchgeführt? Sofern es Eingangsuntersuchungen gibt, welche Abhängigkeiten werden erfasst (bitte nach legalen und illegalen Substanzen und stoffungebundenen Süchten differenzieren)?

29. Falls Abhängigkeiten bei der Eingangsuntersuchung erfasst werden, wie viele Alkohol- und Glücksspielabhängige werden jährlich erfasst (bitte nach Jahr und Geschlecht differenzieren)?

30. Wie ist der übliche Vorgang nach Feststellung einer Suchterkrankung in Haft?

31. Bei wie vielen der Suchterkrankten werden entsprechende medizinische sowie therapeutische Maßnahmen angesetzt und durchgeführt?

a. Welche und wie viele Maßnahmen gibt es?

b. Bei wie vielen der suchterkrankten Strafgefangenen erfolgt eine Entzugsbehandlung?

32. Wie viele der Ärzt*innen des Justizvollzugs haben die Zusatz-Weiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung“ erworben?

33. Die Kosten medizinischer Versorgung und Behandlung für Menschen in Haft werden insgesamt durch die Justizkassen der Länder getragen. Wie hoch waren diese Kosten in Hamburg in den letzten drei Jahren jährlich?

 

Substitution

 

34. Wie viele Strafgefangene sind an einer Opioid-Sucht erkrankt?

35. Bei wie vielen der Strafgefangenen, die an einer Opioid-Sucht erkrankt sind und die Bereitschaft zu einer Substitution zeigen, wird eine Substitution durchgeführt?

36. Wonach entscheidet sich, ob eine Substitutionsbehandlung durchgeführt wird oder nicht?

37. Liegen der Landesregierung Informationen darüber vor, inwiefern Strafgefangenen die Behandlung mit bestimmten Substituten schon einmal explizit verweigert wurden? Warum?

38. Wie lange wird im Durchschnitt eine Substitutionsbehandlung durchgeführt?

39. Wie viele der substituierten Personen erhalten eine psychiatrische und psychotherapeutische Begleitung?

40. Wenn Strafgefangene bereits vor Antritt der Haft in Substitutionstherapie gewesen sind, wird diese dann im Vollzug fortgeführt?

41. Werden Strafgefangene bei Haftbeginn auf neue/andere Medikamente ein- und umgestellt?

42. Mit welchen Substituten wird substituiert?

43. Wie häufig und mit welcher Methode wird Beikonsum kontrolliert? Bitte nach relevanten Methoden (mindestens Urinkontrollen, Speichelproben, Kapillarblutproben) differenzieren.

 

Entlassungsmanagement

 

44. Wie arbeiten die Hamburger Suchthilfeeinrichtungen mit den Hamburger Justizvollzugsanstalten zusammen?

45. Wie werden Strafgefangene bei anstehender Entlassung bei der Suche von medizinisch-therapeutischer Begleitung und Versorgung unterstützt?

46. Wie wird die medizinische Versorgung bei anstehender Entlassung von Strafgefangen im Vorfeld gesichert?

47. Wie werden sie bei der Vorbereitung der Entlassung unterstützt?

48. Wie wird der Übergang von der freien Heilfürsorge zur gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet?

49. Bekommen chronisch erkrankte Strafgefangene Anschriften von Ärzt*innen, bei denen sie weiter versorgt werden können?

50. Gibt es Informationen darüber, welche Ärzt*innen bereit sind, Entlassene aus den Justizvollzugsanstalten nahtlos aufzunehmen?

 

sowie
  • der Abgeordneten Peter Zamory
  • Lena Zagst
  • Eva Botzenhart
  • Filiz Demirel
  • Mareike Engels
  • Alske Freter
  • Linus Görg
  • Michael Gwosdz
  • Dr. Adrian Hector
  • Britta Herrmann
  • Sina Imhof
  • Jennifer Jasberg
  • Lisa Kern
  • Sina Koriath
  • Sonja Lattwesen
  • Christa Möller-Metzger
  • Lisa Maria Otte
  • Dr. Gudrun Schittek
  • Yusuf Uzundag (GRÜNE)