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Schuldnerberatung in Hamburg: Wie viele Menschen warten wie lange und warum ist der Senat zu wichtigen Daten nicht auskunftsfähig?

Dienstag, 18.07.2006

Die erste Hürde, die überschuldete Menschen zu nehmen haben, wenn sie einen Neuanfang für eine schuldenfreie Existenz beginnen wollen, ist der Gang zu einer Schuldnerberatungsstelle und eine kurzfristige Beratung.

Der Senat hat am 01.10.2002 beschlossen, die bezirklichen – staatlichen –Schuldnerberatungsstellen schrittweise vollständig abzubauen und parallel dazu die entsprechenden Ressourcen zur Finanzierung bei privaten Trägern einzusetzen, die, wie das Diakonische Werk oder die Verbraucher-Zentrale, auch früher schon mit städtischer Unterstützung Schuldnerberatung geleistet haben. Am 01.07.2003 hat die Umstellung auf das neue Konzept begonnen. Die vollständige Umstellung auf private Träger soll innerhalb von drei Jahren – also bis zum 30.06.2006 - abgeschlossen sein. Der Senat erwartet deutliche Verbesserungen bei allen Kennzahlen der Schuldnerberatung und sprach zunächst von einer strukturellen Ausgabensenkung um 20 Prozent. Zudem gibt es eine von der Behörde für Soziales und Gesundheit (BSG – vormals BSF) eingeführte und an Einkommensgrenzen gebundene Beteiligung der Betroffenen an der Beratung.

 

In der Praxis wurde die bezirkliche Beratung bereits stark zurückgefahren und dann eingestellt, bevor das Angebot der privaten Träger entsprechend ausgebaut war – mit negativen Folgen bei den Wartelisten und Wartezeiten der Ratsuchenden. Mit Datum 15.10.2004 wurde auch im letzten Bezirk - Hamburg-Mitte - die Annahme von Neuanträgen auf Beratung beendet. In den anderen Hamburger Bezirken war die Annahme bereits zum 01.07.2003 beendet worden bzw. in Eimsbüttel zum 01.08.2003.

 

Unverzichtbar für die Beurteilung der Erwartungen der Sozialbehörde ist die Vergleichbarkeit mit der bisherigen Statistik über Wartezeiten, Wartelisten und Beratungsergebnisse. Auf Nachfrage der SPD-Abgeordneten im Sozialausschuss hatte die BSG zugesagt, dass die Vergleichbarkeit der Statistik gewährleistet werde. In der Bergedorfer Zeitung vom 04.03.2005 heißt es bezüglich Einkommen und Eigenanteil der Betroffenen an der Beratung: „Wenn sie weniger als 1108 Euro netto verdienen, können sie beim Grundsicherungsamt die Kostenübernahme beantragen. Sind es bis 1308 Euro, wird ein Eigenanteil von 150 Euro erwartet, wer mehr Geld verdient, wird an einen Anwalt verwiesen.“ Letztere Ratsuchende werden von der Statistik nicht erfasst; wie viele der abgewiesenen tatsächlich einen Anwalt aufsuchen, bleibt unbekannt. Dabei ist zu beachten, dass sich die Komplexität der Fälle vergrößert, je länger mit einer Beratung gewartet wird. Entsprechend steigen Beratungsaufwand und -kosten.

 

Laut Schätzungen der Verbraucher-Zentrale sind in Hamburg rund 70.000 Haushalte überschuldet bzw. mit Angehörigen rund 100.000 Menschen von Überschuldung betroffen. Bereits in den letzten Jahren waren nach Aussagen der Hamburger Wirtschaftsauskunftei Bürgel über 14.000 Haushalte von einer Haftandrohung betroffen. Haftandrohungen betreffen Schuldner, die keine eidesstattliche Versicherung – den so genannten Offenbarungseid – leisten wollen.

 

Zum 30.06.2005 (letzte offizielle Zahlen des Senats) warteten insgesamt über 2.400 Menschen durchschnittlich fünf Monate auf eine Beratung. Die BSF hat sich zudem vom früheren Ziel verabschiedet, eine Erstberatung innerhalb von drei Monaten zu gewährleisten (vgl. Drs. 17/1791).

 

Seit Beginn der Privatisierung sind offenbar Ratsuchende Schuldnerinnen und Schuldner abgewiesen worden. Die Leiterin der Schuldnerberatung des Hamburger Fürsorgevereins wurde mit der Feststellung zitiert: „Ungefähr 25 Menschen muss ich jede Woche abweisen“ (Hamburger Abendblatt vom 06.11.2003, S. 16).

 

Diese insgesamt unhaltbare Situation der Hamburgischen Schuldnerberatung ist der Nährboden für unseriöse gewerbliche Kreditvermittler und sog. Schuldenregulierer. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft hat es zwischenzeitlich eine deutliche Zunahme dieser Angebote gegeben. Allerdings seien die meisten dieser Angebote unseriös. Laut Oberstaatsanwalt ist es hier „immer häufiger zu Ermittlungsverfahren und Verurteilungen gekommen“ (Ebd.). Zu diesen und weiteren Aspekten ist der Senat bisher nicht auskunftsfähig.

 

Zu begrüßen ist, dass im Zuge von Hartz IV die Schuldnerberatung in Hamburg gestärkt wird: 2005 und 2006 stehen zusammen eine Million Euro zusätzlich zur Verfügung (vgl. Drs. 18/995, S. 18).

 

Wir fragen den Senat:

 

1. Wie viele Bürgerinnen und Bürger warteten – jeweils - zum 31.12.2005 und zum 30.06.2006 (ersatzweise letzter verfügbarer Stand) auf eine Beratung und wie lang war jeweils die durchschnittliche Wartezeit? (Bitte gesondert nach den jeweiligen von der Sozialbehörde beauftragen Beratungsstellen sowie mit Angabe der Gesamtzahl wartender Bürgerinnen und Bürger sowie der durchschnittlichen Wartezahl insgesamt – entsprechend Drs. 18/2608).

 

2. Wie viele Insolvenz- und Schuldnerberatungsfälle waren mit Stand 30.06.2006 (ersatzweise letzter verfügbarer Stand) in den privaten im Auftrag der Sozialbehörde tätigen Stellen jeweils und insgesamt in Bearbeitung?

 

3. a. Wie hat sich die Anzahl der Zugänge im außergerichtlichen Verbraucherinsolvenz-

 

verfahren seit Jahresbeginn entwickelt?

 

b. Wie lautet die Anzahl der Zugänge in der allgemeinen Schuldnerberatung?

 

c. Wie lautet die Anzahl der Zugänge für die Schuldner- und Insolvenzberatung insgesamt?

 

4. Gibt es noch „Restfälle“ in „bezirklicher Bearbeitung“? Wenn ja, wie viele und wer führt diese Bearbeitung wo zu Ende?

 

In der Drs. 18/2608 erläutert der Senat, die „Schuldnerberatung der Justizbehörde Hamburg“ biete Straf- und Untersuchungshaftgefangenen eine kostenlose Beratung „in der Dienststelle der Schuldnerberatung“ und vor Ort in den Justizvollzugsanstalten, wofür zwei Stellen zur Verfügung stünden.

 

a. Was heißt in diesem Fall „in der Dienststelle der Schuldnerberatung“?

 

b. Stehen diese zwei Stellen noch zur Verfügung und um was für Stellen (Vollzeit, Teilzeit, Stundenzahl) handelt es sich?

 

c. Wie viele Fälle sind durch diese zwei Stellen derzeit in Bearbeitung?

 

d. Wie viele Straf- und Untersuchungshaftgefangene stehen ggf. auf dieser bzw. diesen Wartelisten?

 

e. Wie lang sind die Wartezeiten für Straf- und Untersuchungshaftgefangene?

 

Zudem böten auch die Sozialen Dienste der Justiz Schuldnerberatungen in ihren jeweiligen Dienststellen für unter Bewährungshilfe stehende Klienten an. Für diese Tätigkeit stünden vier Stellen zur Verfügung (Drs. 18/2608).

 

f. Stehen diese vier Stellen noch zur Verfügung und um was für Stellen (Vollzeit, Teilzeit, Stundenzahl) handelt es sich?

 

g. Wie viele Fälle sind durch diese zwei Stellen derzeit in Bearbeitung?

 

h. Wie viele unter Bewährungshilfe stehende Klienten sind ggf. auf dieser Warteliste?

 

i. Wie lang sind die Wartezeiten für unter Bewährungshilfe stehende Klienten?

 

5. Laut Angabe des Bundesverbandes der Inkasso-Unternehmen haben rund 12 % der 13- bis 24-Jährigen in Deutschland Schulden und zwar in Höhe von rund 1.800 Euro. Ursächlich seien u.a. Ausgaben für Handys und Internetnutzung und ein einfacherer Zugang zu Krediten (vgl. dpa, 23.01.2006).

 

a. Welche Kenntnisse hat der Senat bzw. die zuständige Behörde über die Verschuldung Jugendlicher in Hamburg?

 

b. Welche Altersgruppen werden hier gebildet und welche Daten liegen für diese jeweils vor?

 

c. Welche – über die in der Einleitung genannten hinausgehenden – Ursachen der Verschuldung sind bekannt?

 

d. Gibt es Schuldnerberatungsangebote speziell für Jugendliche? Wenn ja, welche mit jeweils welchen Wartelisten und –zeiten? Wenn nein, warum nicht und beabsichtigt der Senat solche speziell auf Jugendliche zielende Angebote einzuführen?

 

e. Wie wird das Thema „Verschuldung“ in Hamburgs Schulen thematisiert? Welche Maßnahmen und Projekte gibt es hier an welchen Schulformen mit jeweils welchen

 

Erfahrungen und Ergebnissen?

 

6. a. Welchen prozentualen Anteil haben Menschen mit Migrationshintergrund bei der

 

Inanspruchnahme der Schuldnerberatung und welchen Handlungsbedarf leitet der

 

Senat bzw. die BSG hieraus ggf. ab?

 

b. Falls diese Daten nicht erhoben werden: Warum nicht und beabsichtigt der Senat bzw. die BSG diese Daten künftig zu erheben bzw. erheben zu lassen?

 

c. Gibt es seitens der BSG Maßnahmen bzw. Öffentlichkeitsarbeit, die speziell Menschen mit Migrationshintergrund auf die Schuldnerberatungen hinweist?

 

d. Weisen die Integrationszentren regelhaft auf die Schuldnerberatungen hin bzw. arbeiten mit diesen zusammen und welche Erfahrungen gibt es seitens der Integrationszentren mit der Situation der Schuldnerberatung?

 

7. a. In den Erläuterungen des Einzelplans 4 des Haushaltsplan-Entwurfes 2005/2006

 

heißt es zum Titel 4610.684.05: „Zusätzlich werden im Bereich der bezirklichen

 

Schuldner- und Insolvenzberatung freiwerdende Mittel auf diesen Titel übertragen“

 

(Seite 29). In welcher Höhe sind 2005 Mittel übertragen worden, in welcher Höhe

 

bis zum 30.06.2006 (ersatzweise letzter verfügbarer Stand) und in welcher Höhe

 

werden hier Mittel in welchem Zeitraum voraussichtlich weiter übertragen?

 

b. Im Zuge von Hartz IV wurde nach Angabe des Senats die Schuldnerberatung in Hamburg gestärkt: 2005 und 2006 stehen demnach zusammen eine Million Euro zusätzlich zur Verfügung (vgl. Drs. 18/995, S. 18). Mit der Pressemitteilung vom 05.07.2006 erklärt die BSG, sie habe „das Mittelkontingent für die Schuldnerberatung erhöht“ und „fördert die Beratungsstellen in Hamburg jährlich mit drei Millionen Euro“. Welche Veränderungen hat es seit der Vorstellung des Haushaltsplan-Entwurfes 2005/2006 wann bei welchen Haushalts-Titeln gegeben, die die Schuldnerberatung betreffen und welches Volumen hat die in der Mitteilung vom 05.07.2006 genannte Erhöhung des Mittelkontingentes – ggf. zu Lasten welcher anderer Titel?

 

c. Wie ist die aktuelle Regelung über die Vergütungs-Pauschalen für die von der Sozialbehörde beauftragen Beratungsstellen und wann seit Einführung der Pauschalen hat es hier welche Veränderungen gegeben?

 

8. Im Faltblatt der früheren BSF „Wegweiser zu den neuen Schuldnerberatungsstellen“ heißt es: „Bei Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG oder nach Grundsicherungsgesetz (GSiG) erhalten oder bei Ratsuchenden, die Leistungen nach § 72 BSHG oder Kriegsopferfürsorgeleistungen beziehen, werden die Beratungskosten stets übernommen. In den übrigen Fällen hängt die Übernahme der Kosten von der Höhe des Netto-Haushalts-Einkommens ab. Die Einkommensgrenzen sind dabei gestaffelt, so dass ab einer bestimmten Einkommenshöhe ein Eigenanteil von 150 Euro an die Beratungsstelle zu zahlen ist.“

 

a. Wie viele Bürgerinnen und Bürger haben sich seit Einführung dieser Regelung an den Beratungskosten beteiligt? Welche Summe an Kostenbeteiligung ist hierbei zusammengekommen?

 

b. Wie viele Bürgerinnen und Bürger haben – mit dieser Selbstbeteiligungs-Regelung konfrontiert – auf eine Beratung verzichtet? Welche Folgen hat ein solcher Beratungsverzicht auf die Komplexität der einzelnen Fälle, ihre spätere Bearbeitungsdauer und auf die Zahl von Sozialhilfebeziehenden in Hamburg? Falls der Senat oder die Sozialbehörde hierzu nicht auskunftsfähig ist: Will der Senat oder die Sozialbehörde an dieser Regelung festhalten? Wenn ja, warum?

 

9. In der Bürgerschaftsdebatte vom 24.11.2004 über eine frühere Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Schuldnerberatung - Drs. 18/937 – äußerte die Zweite Bürgermeisterin und zuständige Sozialsenatorin Schnieber-Jastram: „Jede Hamburgerin und jeder Hamburger, der in einer akuten Notlage kurzfristig Hilfe von den Schuldnerberatungsstellen braucht, erhält diese ohne Wartezeit.“ Es gebe bei den Beratungsstellen eine „Notfallsprechstunde“, in der man „auch persönlich ein Beratungsgespräch“ und „konkrete Hilfe“ bekomme (vgl. Plenarprotokoll der Bürgerschaft 18/17 vom 24.11.2004, S. 820).

 

a. Bleibt die Zweite Bürgermeisterin bei der Aussage: „Jede Hamburgerin und jeder Hamburger, der in einer akuten Notlage kurzfristig Hilfe von den Schuldnerberatungsstellen braucht, erhält diese ohne Wartezeit“?

 

b. Wie, wann und wo machen die BSG und die Beratungsstellen auf die „Notfallsprechstunde“ aufmerksam?

 

c. An welchen Tagen gibt es zu welchen Zeiten bei welchen Beratungsstellen „Notfallsprechstunden“?

 

d. Wie viele Bürgerinnen und Bürger haben in 2005 und bis zum 30.06.2006 – ersatzweise letzter verfügbarer Stand – bei jeweils welchen Beratungsstellen an einer „Notfallsprechstunde“ teilgenommen?

 

e. Welche Ergebnis-Kategorien haben die Beratungsstellen für die Durchführung der Gespräche im Rahmen der Notfallsprechstunde und wie verteilen sich die unter d. abgefragten Fälle auf diese Kategorien?

 

f. Welche Vergütung hat die BSG für die Durchführung der Notfallsprechstunde bzw. für die Beratung in diesem Rahmen mit den Beratungsstellen vereinbart?

 

10. a. Ist der Senat bzw. die BSG mittlerweile auskunftsfähig, in wie vielen Fällen – und

 

von jeweils welchen Beratungsstellen sowie insgesamt – Ratsuchende nicht

 

aufgenommen, sondern an Anwälte verwiesen wurden? Wenn ja, wie lauten die

 

Zahlen? Wenn nein, warum nicht und beabsichtigt der Senat bzw. die BSG hierzu

 

auskunftsfähig zu werden?

 

b. Wie will die BSG die zugesagte Vergleichbarkeit mit früheren Statistiken – und damit auch die Möglichkeit der Erfolgskontrolle - gewährleisten, wenn Ratsuchende von Beratungsstellen an Anwälte verwiesen werden – aber niemand weiß, wie viele und ob diese dort tatsächlich eine Beratung nachfragen?

 

c. Kann der Senat oder die BSG mittlerweile Auskunft geben, wie sich die Zahl der Ermittlungsverfahren und Verurteilungen bei gewerblichen Kreditvermittlern und sog. „Schuldenregulierern“ in Hamburg entwickelt hat? Wird sich der Senat bzw. die BSG nun dafür einsetzen, dass diese Informationen statistisch gesondert erfasst werden? Wenn nicht, warum nicht?

 

11. a. Wie viele Hamburgerinnen und Hamburger waren in 2005 im Zusammenhang mit

 

Überschuldung von Haftandrohungen betroffen? Wie stellt sich die Entwicklung

 

2006 dar (bis zum 30.06.2005 oder ersatzweise letzter verfügbarer Stand)?

 

b. Laut Auskunft der „Bürgel Wirtschaftsinformationen GmbH“ nahm in Hamburg „die Zahl der Zwangsmaßnahmen gegen Privatpersonen“ in den letzten Jahren zu. Unabhängig von dieser Auskunft fragen wir den Senat: Welche „Zwangmaßnahmen“ gibt es im Zusammenhang mit Überschuldung und wie stellt sich die Entwicklung in 2006 bisher im Vergleich zu 2005 dar?