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Der Senat macht Hamburg zum Vorreiter einer rückwärtsgewandten Familienpolitik

Dienstag, 13.04.2010

Mit deutlicher Kritik an der Kita-Politik des Hamburger Senats ist eine zweitägige Konferenz der familien- und gleichstellungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher von SPD-Bundestags- und SPD-Landtagsfraktionen zu Ende gegangen. „Der Hamburger Senat will Hamburg offensichtlich bundesweit zum Vorreiter einer rückwärtsgewandten Familienpolitik machen“, sagte die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Carola Veit. Sie bezog sich dabei auf die am Vormittag offiziell getroffene Entscheidung des Hamburger Senats, die Gebühren für den Besuch der Kindertagesstätten in Hamburg teilweise drastisch zu erhöhen. Der Sozialsenator habe „in bemerkenswerter Offenheit“ das Ziel „Konsolidierung des Haushalts“ als Grund für seine Einschnitte benannt. „Wieder einmal stellt sich die Frage, wofür in Hamburg Geld da ist und wofür nicht, sagte Veit.

 

Die SPD-Fachkonferenz forderte, Alleinerziehenden einen Rechtsanspruch auf ganztätige Kinderbetreuung zu geben. Außerdem müsse ein Rechtsanspruch auf Berufsausbildung auch in Teilzeitform eingeführt werden. Mit Blick auf die auch in Hamburg grassierende Gewalt an Frauen forderte die SPD-Fachsprecherin für Gleichstellungspolitik, Gabi Dobusch, einen Landesaktionsplan, um Frauen besser vor Übergriffen zu schützen. „Andere Bundesländer haben seit Jahren Pläne zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen. Hamburg kann von den Erfahrungen der anderen Länder lernen und die Punkte übernehmen, die sich bereits bewährt haben“, sagte Dobusch.

 

Veit bezeichnete die Entscheidung des Hamburger Senats zur Erhöhung der Kita-Gebühren als „fachpolitisch und strategisch falsch“. Hamburgs Eltern seien „zu Recht empört“. Denn von den Beitragserhöhungen seien aus Sicht der SPD-Kita-Expertin weit mehr Eltern betroffen als CDU und GAL bislang zugeben. „Insbesondere junge Mütter, die über einen Wiedereinstieg in das Berufsleben nachdenken, werden sich überlegen, ob sich dieser Wiedereinstieg lohnt“, sagte Veit. Während die CDU auf Bundesebene die Erhöhung des Kindergeldes als „Beitrag zu einer modernen Familienpolitik“ bezeichne, kassiere der Hamburger CDU-Senat diese Erhöhung gleich mehrfach wieder ein. „Der Senat beweist auf diese Weise, dass er das Gegenteil einer modernen Familienpolitik betreibt“, sagte Veit. Es sei zu befürchten, dass es – entgegen den Aussagen des Sozialsenators – zu einer Qualitätsverschlechterung in der Hamburger Kindertagesbetreuung kommen werde. Entsprechende Gespräche zwischen Behörde und Kita-Trägern liefen bereits.

 

Der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erweise der Senat mit seiner Entscheidung einen schlechten Dienst, sagte Veit. Gleichzeitig provoziere der Senat mit seiner Kita-Gebührenerhöhung einmal mehr die Frage, wofür er Geld hat und wofür nicht.

 

Die aktuelle Entscheidung des Senats sei nicht nur fachpolitisch, sondern auch strategisch falsch, sagte Veit weiter. Der Senat habe bei seiner jüngsten Entscheidung den bevorstehenden Volksentscheid über die Schulpolitik im Sommer offensichtlich ausgeblendet.

 

Um die Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll bekämpfen zu können, forderte die SPD-Gleichstellungsexpertin Gabi Dobusch unter anderem einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Frauen sei auch in Hamburg ein täglich sichtbares Problem. Erst am Sonnabend hatte ein 26jähriger Mann seine ehemalige Freundin in Altona mit einem Baseball-Schläger angegriffen und fast totgeschlagen. Der alte Landesaktionsplan Opferschutz müsse insbesondere im Hinblick auf Gewalt gegen Frauen konkretisiert werden, forderte die Abgeordnete.

 

90 Prozent der Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen seien Frauen, während in diesen Fällen 90 Prozent der Täter Männer seien, sagte Dobusch. Gewalt gegen Frauen komme in allen Schichten vor und beschränke sich weder auf Familien mit Migrationshintergrund noch auf eher sozial Schwache. „Mehr als ein Drittel der Täter sind Akademiker, und über ein Drittel der betroffenen Frauen haben die höchsten Bildungsabschlüsse“, sagte Dobusch.

 

Hamburg habe die Chance, von den Erfahrungen anderer Bundesländer zu lernen und aus deren Aktionsplänen das zu übernehmen, was sich bewährt hat. Berlin etwa mache gute Erfahrungen mit der so genannten „Workplace Policy“. Dabei gehen Unternehmen offensiv mit dem Thema Häusliche Gewalt um, zeigen Konsequenzen für den Arbeitsplatz auf und bieten Informationen und Hilfestellung an. Dobusch: „Wir wollen auch in Hamburg die Sicherheit der Frauen am Arbeitsplatz erhöhen. Deshalb müssen wir die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen in die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einbeziehen. Zum einen verfolgen viele Täter ihr Opfer auch am Arbeitsplatz und drohen nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit Bloßstellung. Vor allem Frauen in gehobenen Stellungen sind wegen drohendem Statusverlust erpressbar, denn Opfer von Gewalt zu sein ist noch immer ein Tabuthema. Zum anderen geht Gewalt gegen Frauen mit beträchtlichen gesundheitlichen und psychischen Belastungen einher, die Arbeitsausfälle und Beeinträchtigung der Produktivität zur Folge haben. Es gibt ein gemeinsames Interesse von Wirtschaft und Beschäftigten, Gewalt gegen Frauen auch in Betrieb und Unternehmen zu stoppen: eine klassische Win-Win-Situation.“

 

Dobusch warnte gleichzeitig vor einer weiteren Zuspitzung der Situation in den Hamburger Frauenhäusern. „Die Situation in den Frauenhäusern hat sich mit der richtigen Einführung der polizeilichen Wegweisung verschärft. Denn durch den Anstieg problematischer Fälle kommen die Kürzungen der letzten Jahre nun noch stärker zum Tragen“, sagte Dobusch. In vielen Fällen sei es nicht mehr möglich, den betroffenen Frauen in der dafür vorgesehen knappen Zeitspanne zum Aufbau einer neuen Lebensperspektive zu verhelfen. Vor allem dann, wenn mit der Flucht in ein Frauenhaus auch der Umzug in eine fremde Stadt verbunden ist - sei es aus Sicherheitsgründen oder aus akutem Platzmangel - verlieren die betroffenen Frauen nicht nur ihr soziales Umfeld sondern häufig auch ihren Arbeitsplatz und damit ihre finanzielle Unabhängigkeit. “

 

Nach wie vor fehlten länderübergreifende Absprachen und Vereinbarungen, wenn Frauen und ihre Kinder in Frauenhäuser flüchten müssten. Das betreffe unter anderem die Kostenübernahme für Kinderbetreuung und Aufenthalt im Frauenhaus. Caren Marks, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familie, Senioren, Frauen und Jugend fasste zusammen: „Wir wollen, dass Frauen und Männer ein gleichberechtigtes, selbstbestimmtes Leben führen können, ohne auf Rollenmuster fixiert zu werden, ohne Gewalt und Diskriminierung. Die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf wollen wir mit verbindlichen Gesetzen durchsetzen.“

 

Die familienpolitischen Fachleute aus den SPD-Fraktionen seien sich einig, dass sich Familienpolitik stärker darum kümmern müsse, die Situation Alleinerziehender zu verbessern. Dagmar Ziegler, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, brachte eine „Offensive für Alleinerziehende“ ins Gespräch. „Die Bundesregierung muss ein Gesamtkonzept aus Zeit, Geld und Infrastruktur vorlegen, dass auf die spezifische Lebenssituation von Alleinerziehenden zugeschnitten ist. Die SPD fordert, Alleinerziehenden einen Rechtsanspruch auf ganztätige Kinderbetreuung zu geben. Außerdem fordern wir einen Rechtsanspruch auf Berufsausbildung auch in Teilzeitform und gezielte finanzielle Hilfen“, sagte Ziegler zum Abschluss der Konferenz.

 

Zwei Tage lang hatten die familien- und gleichstellungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sowie der SPD-Landtagsfraktionen im Hamburger Rathaus getagt.