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Agrarpolitisches Konzept fortschreiben

Mittwoch, 12.10.2011

Entstanden aus einer der ältesten Kulturlandschaften Norddeutschlands wird etwa ein Fünftel des Hamburger Staatsgebietes landwirtschaftlich und gartenbaulich genutzt. Diese lebendigen und vielfältigen Landgebiete sind für die unverwechselbare Standortqualität und Attraktivität Hamburgs von herausragender Bedeutung. Die Agrarwirtschaft erweist sich dabei als unverzichtbarer Nutzer, Gestalter und Pfleger dieser Kulturlandschaft.

In einem Stadtstaat mit ausgeprägter Dienstleistungsstruktur und dem größten deutschen Hafen findet die Landwirtschaft in der öffentlichen Wahrnehmung bisher zu wenig Beachtung. Dabei stellt auch die Landwirtschaft mit ihren 3.700 Arbeitsplätzen und den dazugehörenden Arbeitsplätzen im Umfeld der Landwirtschaft mit der Vermarktung der Produkte einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor in Hamburg dar.

Der jetzige Senat hat die Interessen der Landwirtschaft im Blick, was sich bereits im Umgang mit der EHEC-Krise gezeigt hat. Während das Krisenmanagement der politisch Verantwortlichen auf Bundesebene, sowohl was den gesundheitlichen Aspekt als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen für die betroffenen Landwirte angeht, desaströs war, hat Hamburg entschieden gehandelt. Als einziges Bundesland hat die Stadt Landwirten, die sich in schwieriger Situation befanden, schnelle und unbürokratische Unterstützung zukommen lassen. Diese Kompetenz der Hamburger Agrarverwaltung und die Nähe zu den Landwirtinnen und Landwirten müssen erhalten bleiben. Kooperationen mit anderen Bundesländern können in bestimmten Bereichen zu Synergieeffekten führen, Hamburger Besonderheiten müssen aber grundsätzlich Berücksichtigung finden. Wo dies nicht möglich ist, muss die Eigenständigkeit in jedem Fall gewahrt bleiben.

Im Jahr 2010 gab es in Hamburg noch 780 landwirtschaftliche Betriebe (2007 = 880 Betriebe). Über die Hälfte sind kleine Betriebe mit Betriebsflächen unterhalb 5 ha und mehrheitlich Obst-, Gemüse- und Zierpflanzenanbau mit allerdings hoher Wertschöpfung. Lediglich 30 Betriebe erreichen eine Größenklasse von über 100 Hektar. Tierhaltung spielt eine eher untergeordnete Rolle.

Von den insgesamt rund 3.700 Beschäftigten in der Landwirtschaft entfielen knapp 1.500 auf Familienarbeitskräfte, gut 900 auf ständig Beschäftigte sowie 1.300 auf Saisonarbeitskräfte. Zwei Drittel der Betriebe wirtschaften als Vollerwerbsbetriebe, ein Drittel wirtschaftet im Nebenerwerbsbetrieb, ein seit über zehn Jahren nahezu konstanter Wert. Der Anteil von direktvermarktenden Betrieben ist vergleichsweise hoch. Auch in Hamburg ist seit Jahren ein Strukturwandel in der Landwirtschaft bemerkbar. Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe und die von ihnen bewirtschaftete Fläche ist rückläufig, nicht zuletzt auch wegen der konkurrierenden Nutzung der Flächen durch infrastrukturelle Maßnahmen, Natur- und Umweltschutzmaßnahmen.

In diesem Kontext sind von Seiten der Landwirte insbesondere die Regelungen der schwarz-grünen Koalition im Rahmen des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahre 2010 auf Kritik gestoßen – so insbesondere das als Ordnungswidrigkeit ausgestaltete Verbot garten- oder ackerbaulicher Nutzung an Gewässerrandstreifen, das ohne Kenntnis der davon im Einzelnen betroffenen Flächen oder Betriebe entworfen wurde. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat seinerzeit insbesondere eine Erfassung der vom Verbot garten- oder ackerbaulicher Nutzung von Gewässerrandstreifen betroffenen Betriebe und Flächen gefordert (vgl. Drs. 19/6116). Auch wurde ins Gespräch gebracht, im Rahmen von Verhandlungen mit den betroffenen Landwirten auszuloten, ob Uferrandstreifen im Zuge des Vertragsnaturschutzes gepflegt werden können oder für die Entlassung der Flächen aus der landwirtschaftlichen eine Entschädigung in Betracht kommt. Der Antrag wurde von der damaligen Regierungskoalition abgelehnt. Die Gewässerrandstreifen-Regelung ist in Kraft getreten – ohne flankierende Maßnahmen für die Betroffenen. Die notwendige Gesetzesfolgenprüfung muss nun unverzüglich nachgeholt werden.

Die Landwirtinnen und Landwirte und Gärtnerinnen und Gärtner Hamburgs arbeiten ohne Einsatz von gentechnisch veränderten Samen bzw. Pflanzen. In Hamburg wurden bisher keine Genehmigungen für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen erteilt.

Da die Freie und Hansestadt Hamburg Eigentümerin von mehr als der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen ist, hat sie eine besondere Verantwortung für die nachhaltige Verwendung ihrer Flächen. Allein von 2002 bis 2007 hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Hamburg um durchschnittlich 283 Hektar pro Jahr auf Kosten von Landwirtschaft und Freiräumen vergrößert. Bei einem weiteren in dieser Größenordnung ansteigenden Flächenverbrauch würde in gut 100 Jahren die gesamte Fläche Hamburgs für Siedlungs- und Verkehrszwecke (einschließlich Erholungsflächen) genutzt werden. Für Neuerschließungen, neue Siedlungs- und Verkehrszwecke sollen daher nur in dem Maße Landwirtschafts-, Wald- oder Schutzflächen genutzt werden, wie dies nach Abwägung mit den Möglichkeiten der Innenentwicklung, des Flächenrecyclings und der Aktivierung von Siedlungsbrachen für das Wachstum der Metropole unerlässlich ist.

Die Gesellschaft erwartet nachhaltig produzierte, qualitativ hochwertige und vor allem gesunde Lebensmittel. Diesem Auftrag folgend ist es erforderlich, verlässliche Rahmenbedingungen zur weitsichtigen Entwicklung des ländlichen Raumes zu schaffen und für die Agrarwirtschaft Perspektiven zu entwickeln. Das agrarpolitische Konzept des Senats von 1994 soll unter Berücksichtigung auch sozialer Aspekte zur Erreichung einer möglichst hohen Lebensqualität im ländlichen Raum unserer Metropole weiterentwickelt werden.

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. den gegenwärtigen Stand der Hamburger Agrarwirtschaft darzustellen und dabei das ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungspotenzial im ländlichen Raum aufzuzeigen.

2. seine Zielvorstellungen für die Entwicklung der Landwirtschaft in einem agrarpolitischen Konzept vorzustellen und dabei folgende Eckpunkte zu berücksichtigen:

a. Landwirtschaftliche Nutzflächen stellen eine besonders wertvolle Ressource dar. Diese Flächen müssen für die landwirtschaftliche Nutzung erhalten bleiben soweit diese nicht im Einzelfall für eine notwendige bauliche Entwicklung in einer wachsenden Stadt unerlässlich sind. Die Eigentümer und Pächter benötigen für die wettbewerbsfähige Entwicklung ihrer Betriebe Planungssicherheit sowohl hinsichtlich der zur Verfügung gestellten Flächen, als auch hinsichtlich der Pachtzeiten / Pachtverträge.

b. Flächenverbrauch für infrastrukturell erforderliche Maßnahmen wird nicht immer vermeidbar sein, es ist aber ein allgemein verbindliches Mitbestimmungsverfahren zu entwickeln, welches zu einem fairen Interessensausgleich beiträgt.

c. Ausgleichs- und Ersatzflächen (sogenannte Eingriffs-Ausgleichs-Regelung) sollten möglichst im Einklang mit einer nachhaltigen und naturverträglichen landwirtschaftlichen Nutzung geschaffen werden, beides dient dem Erhalt und der Pflege der Natur. Das seit 20 Jahren verwendete „Staatsrätemodell" zur Bewertung von Flächen hat sich grundsätzlich bewährt. Es ist im Hinblick auf seine Wirksamkeit und Angemessenheit zu überprüfen.

d. Der ökologische Nutzen von Maßnahmen, die der Energiewende dienen, zum Beispiel Windkraftanlagen und Stromtrassen, muss bei der Bewertung, in wie weit hierfür Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sind, Berücksichtigung finden.

e. Die Hamburger Metropolregion soll gentechnikfrei bleiben. Die Hamburgische Bürgerschaft hat sich mit der Drucksache 19/5091 einstimmig für ein auch zukünftig gentechnikfreies Hamburg ausgesprochen.

f. Die landwirtschaftlichen Betriebe müssen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch geeignete Maßnahmen und Förderinstrumente unterstützt werden. Der administrative Aufwand für die ganze Breite des Agrar-Förderinstrumentariums der EU ist für einen Stadtstaat unverhältnismäßig hoch geworden. Eine Konzentration der EU-Förderung auf wenige, finanzstarke Maßnahmen in Zusammenarbeit mit einem norddeutschen Flächenland ist anzustreben.

g. Die Hamburger Agrarförderung ist auf die Entwicklung von Natur und Landschaft, als auch für die Erholung der Bevölkerung, die Erhaltung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, die Stärkung der sozialen Infrastruktur und die Produktion hochwertiger und vor allem ortsnah erzeugter Lebensmittel und anderer Agrarprodukte auszurichten. Dabei sind die spezifischen Verhältnisse der Landwirtschaft im Ballungsraum zu beachten.

h. Die Vermarktung von Produkten der Landwirtschaft und des Gartenbaus aus der Region ist vorrangig zu fördern. Dazu bedarf es glaubwürdiger und transparenter Kriterien und Kennzeichnungen für regionale Agrarprodukte.

3. im Hinblick auf die Gewässerrandstreifen-Regelung in § 9 Abs. 2 HmbBNatSchAG

a. darzustellen, welche Flächen und wie viele Betriebe im Einzelnen in welchem Ausmaß vom Verbot garten- oder ackerbaulicher Nutzung entlang natürlicher oder naturnaher Bereiche fließender oder stehender Gewässer in einer Breite von mindestens 7,50 Meter von der Uferlinie betroffen sind,

b. darzulegen, inwieweit durch das Verbot garten- oder ackerbaulicher Nutzung Betriebe in ihrer Existenz gefährdet werden können,

c. zu überprüfen, ob zur Durchsetzung des Verbots garten- oder ackerbaulicher Nutzung das Ordnungsrecht in Form eines Ordnungswidrigkeitstatbestandes im Hinblick auf die Prüfergebnisse zu a) und b) das geeignete und verhältnismäßige Instrument ist bzw. ob auch ein Vorgehen z.B. im Wege des Vertragsnaturschutzes oder anderer, den Interessen des Naturschutzes und der Landwirtschaft gleichermaßen Rechnung tragender Lösungen denkbar sind.

4. der Bürgerschaft bis zum 31.03.2012 zu berichten.