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Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz

Mittwoch, 07.11.2007

Nicht nur Gewalt gegen und Vernachlässigung von Kindern, sondern auch unzureichende Entfaltungsmöglichkeiten lassen erkennen, dass die Achtung vor Kindern im gesellschaftlichen Bewusstsein nicht ausreichend verankert ist. Anlässlich der Aufklärung der tragischen Umstände, die schließlich zu dem Tode der Kinder Jessica und Kevin und zu ähnlichen Fällen geführt haben – und führen –, ist noch einmal deutlich geworden, dass Kinder in der gesellschaftlichen Wertschätzung als eigenständige Persönlichkeiten keine hinreichende Anerkennung finden.

Auch die staatliche Fürsorgepflicht für die schwächsten Glieder der Gesellschaft hat in diesen Fällen versagt. Um dies zu verändern und für Kinder positive Lebensbedingungen in allen Bereichen zu schaffen, fehlt es auch an gesetzlichen Grundlagen. Das Grundgesetz normiert nicht ausdrücklich die besonderen Rechte des Kindes.

Kinder bedürfen aber besonderer Aufmerksamkeit und besonderen Schutzes. Deshalb soll eine klarstellende Regelung im Grundgesetz Staat und Gesellschaft auf die Berücksichtigung der Belange unserer Kinder in allen Lebensbereichen verpflichten. Rechtlich und politisch bedeutet dies die Stärkung der Interessen der nachwachsenden Generation; die Begründung und Durchsetzung konkreter Verbesserungen erhält einen verbindlichen verfassungsrechtlichen Bezug. Wo Eltern und Erzieher nicht handeln können, ist der Staat für das Kindeswohl verantwortlich.

Das Verhältnis primärer Erziehungsauftrag der Eltern – sekundäres Wächteramt des Staates wird durch eine Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz nicht angetastet. Kinderrechte stellen Erziehungsrecht und –pflicht der Eltern nicht in Frage. Andererseits ist nur mit eigenem Rechtsstatus des Kindes wirklich sichergestellt, dass der Schutz des Kindeswohls im Konfliktfalle gegen das grundgesetzlich geschützte elterliche Erziehungsrecht durchsetzbar ist.

In der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten, Kinder vor körperlicher oder geistiger Gewalt, Misshandlung, Vernachlässigung, schlechter Behandlung, Ausbeutung und sexueller Gewalt zu Hause zu schützen. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes verpflichtet die Vertragsstaaten, alle erforderlichen – auch gesetzgeberischen – Maßnahmen zur Verwirklichung der Rechte des Kindes zu treffen. Die verfassungsrechtliche Sicherung des Kindeswohls wird gegenwärtig durch Auslegung des Art. 6 in Verbindung mit Art. 1 und 2 des Grundgesetztes erreicht. Das Grundgesetz bleibt damit jedoch in seinem Wortlaut hinter dem Stand der Rechtsprechung zurück.

Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist das Erziehungsrecht der Eltern als „Elternverantwortung“ dem Kindeswohl verpflichtet. Der Staat darf sich bei seinem Wächteramt über die Elternverantwortung nicht auf rein defensive Maßnahmen beschränken. Vielmehr hat er zur Verwirklichung der aus den Art. 1 und 2 Grundgesetz abgeleiteten Persönlichkeitsrechte durch Abwehr drohender Beeinträchtigungen und durch Sicherstellung der Grundanforderungen an die kindliche Entwicklung aktiv beizutragen.

Das „Recht des Kindes auf Achtung“ ist Ausdruck der Unantastbarkeit der (kindlichen) Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das „Recht auf Entwicklung und Entfaltung“ knüpft an die Grundrechtsposition des Kindes nach Art. 2 GG an. Dieses Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird durch Verbindung mit dem Entwicklungsgedanken in Richtung eines umfassenden Rechts des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung sowie gewaltfreie Erziehung präzisiert.

Dieser Auftrag entspricht dem Art. 3 der Kinderrechtskonvention, der die Vertragsstaaten „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen“, verpflichtet, das Kindeswohl als einen Gesichtspunkt zu betrachten, „der vorrangig zu berücksichtigen ist“.

Auf einfach-gesetzlicher Ebene existiert lediglich die programmatische Aussage des § 1 SGB VIII im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Durch die Aufnahme in die Verfassung wird die Bindung aller staatlichen Gewalt – auch über die Kinder- und Jugendhilfe hinaus – klargestellt.

Die Formulierung „besonderer Schutz vor Gewalt“ verdeutlicht die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern, die nicht nur vor sämtlichen Formen psychischer und physischer Gewalt sondern auch vor sexuellem Missbrauch zu schützen sind. Hier besteht kein Verstoß gegen das elterliche Erziehungsrecht, welches sich im Sinne eines klassischen Abwehrrechts gegen staatliche Einmischung richtet, jedoch kein „Recht am Kind“ beinhaltet. Unmittelbare familienrechtliche Ansprüche sind aus der Regelung nicht herzuleiten.

Die nähere Beschreibung der Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft stützt sich auf die Verfassungsrechtsprechung, soweit sie die aktive Rolle des Staates bei der Entfaltung der Grundrechte des Kindes betont, nämlich sowohl den Schutzgedanken als auch die Notwendigkeit der Förderung. Die Bündelung der Kinderbelange als „positive Lebensbedingungen“ greift den Wortlaut des § 1 KJHG auf.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

Der Senat wird aufgefordert,

im Bundesrat den verfassungsrechtlichen Schutz von Kindern im Sinne einer eigenständigen Aufnahme von Kinderrechten in den Grundrechtskatalog unseres Grundgesetzes im Rahmen einer Bundesgesetzgebungsinitiative zu unterstützen. Orientierungsrahmen hierbei soll die UN-Kinderrechtskonvention sein. Zu gewährleisten ist neben kindgerechten Lebensbedingungen, für die die staatliche Gemeinschaft Sorge trägt, das Recht eines jeden Kindes auf Achtung seiner Würde, auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung, körperliche und geistige Unversehrtheit und den besonderen Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung.