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Doppelter Abiturjahrgang: halbierte Chancen?

Dienstag, 11.08.2009

Die Verkürzung der Schulzeit an den Gymnasien auf zwölf Jahre bis zum Abitur führt im Jahr 2010 zu einem doppelten Abiturjahrgang in Hamburg: Da der letzte Jahrgang nach 13 Jahren und der erste Jahrgang nach zwölf Jahren das Abitur machen, werden nach Aussagen des Senats in Hamburg im Sommer 2010 mit einem Schlag 12.100 Abiturientinnen und Abiturienten die Schule beenden. Im Jahr 2008 waren es dagegen nur 6.357 Abiturienten. Die Schülerzahlen lassen sogar den Schluss zu, dass mit dem Doppeljahrgang 2010 deutlich mehr als 6.000 zusätzliche Abiturienten Hamburgs Schulen verlassen werden. Angesichts dieser Zahlen befürchten Schülerinnen und Schüler und Eltern sowohl der Gymnasien als auch der Gesamtschulen zu Recht schlechtere Startbedingungen in Studium und Beruf.

Obwohl der Senat seit 2003 Zeit hatte, Vorbereitungen zu treffen, hat er es bisher versäumt, in ausreichendem Maße geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Schwierigkeiten für die betroffenen Jahrgänge abzufedern. Zusammen mit den Hamburger Hochschulen, der Handels- und Handwerkskammer sowie Agentur für Arbeit, muss der Senat jetzt zügig große Anstrengungen unternehmen, um 2010 allen Jugendlichen Zukunftschancen zu eröffnen.

Die Hamburger Hochschulen stehen vor einer großen Herausforderung. Nach Angaben des Senats in der Kleinen Anfrage 19/3162 fangen ca. 34 Prozent der Hamburger Abiturientinnen und Abiturienten eines Jahrgangs sofort in Hamburg an zu studieren; so studierten beispielsweise 2007 von 5.912 Abiturienten 2.014 in Hamburg. Das bedeutet gegenüber dem Jahr 2008 einen Mehrbedarf von wenigstens 1.950 Studienplätzen im Jahr 2010. Gegenüber dem Jahr 2005 beträgt der Mehrbedarf an Studienplätzen in Hamburg sogar wenigstens 2.450 Studienplätze.

Im November 2006 haben sich Bund und Länder auf einen so genannten Hochschulpakt geeinigt. Dieser sieht vor, in den Jahren bis 2010 seitens des Bundes und der Länder jeweils 565 Mio. Euro bereitzustellen, um bundesweit gut 90.000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Hamburg brauchte im Rahmen dieses Hochschulpakts I mithilfe von Bundesmitteln lediglich die Studienplatzzahl des Jahres 2005 halten. Mit dem für die Jahre 2011 bis 2015 anschließenden Hochschulpakt II beteiligt sich der Bund schließlich bundesweit an der Schaffung von insgesamt 275.000 weiteren Studienplätzen, indem er diese zur Hälfte mit finanziert. Von 2007 bis 2010 plant der Senat eigenen Angaben zufolge kumuliert 1.376 zusätzliche Studienplätze zu schaffen, was de facto 211 zusätzlichen Studienplätzen im Jahre 2010 gegenüber 2007 entspricht (siehe Drs. 19/3034). Angesichts des zu erwartenden Bewerberansturms an den Hamburger Hochschulen ab dem Jahre 2010 reicht das jedoch bei weitem nicht aus.

Die Probleme werden sich verschärfen, wenn im Jahr 2011 der doppelte Abiturjahrgang aus Niedersachsen ebenfalls auf Hamburger Hochschulen drängen wird. Dies wird auch nicht durch sinkende Schulabgängerzahlen abgemildert. Entgegen dem Bundestrend geht die Zahl der Absolventinnen und Absolventen der allgemeinbildenden Schulen in Hamburg kaum zurück. Es ist sehr wahrscheinlich, dass 2010 noch mehr Fächer als bisher mit Zulassungsbeschränkungen blockiert werden, weil die Nachfrage so groß ist.

Besonders schwerwiegend wird der Verdrängungswettbewerb im Bereich der dualen Ausbildung sein. Durch den doppelten Abiturjahrgang und durch den Engpass an den Universitäten werden erheblich mehr Abiturientinnen und Abiturienten in das duale Ausbildungssystem drängen. Schon heute hat Hamburg den höchsten Anteil von Auszubildenden mit Abitur oder Fachhochschulreife. Der Anteil der Hamburger Jugendlichen mit Hauptschulabschluss, die sofort einen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, ist schon seit langem sehr gering. Der verschärfte Verdrängungswettbewerb wird jetzt vor allem Jugendliche mit schwachem Realschulabschluss treffen. Noch mehr Jugendliche als heute werden in Warteschleifen „geparkt“ werden.

Durch die derzeitige Wirtschaftskrise verstärken sich diese Probleme. Schon in diesem Jahr ist die Anzahl der Ausbildungsplätze nach Angaben der Handelskammer für ihren Bereich um 7 Prozent gesunken. Dieser Engpass auf dem Ausbildungsmarkt wird sich ebenfalls in Zukunft eher verstärken. Gut die Hälfte aller Bewerberinnen und Bewerber auf Hamburger Ausbildungsplätze kommt aus dem Umland. Daher wird sich die Situation im Jahr 2011 kaum entspannen, da in diesem Jahr in Niedersachsen ein doppelter Abiturjahrgang von der Schule gehen wird.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

• zur Abfederung des doppelten Jahrgangs zum Wintersemester 2010/2011 2.000 zusätzliche Studienplätze an den staatlichen Hamburger Hochschulen einzurichten. Die Mehrkosten von ca. 50 Mio. Euro für 4 Jahre werden finanziert durch Mittel des Hochschulpakts und Komplementärmittel der BWF.

• auch für die Folgejahre eine gegenüber dem derzeitigen Stand deutlich höhere Anzahl an Studienplätzen vorzusehen, mit denen die erst später an die Hochschulen drängenden Abiturienten des Doppeljahrgangs 2010 sowie die doppelten Abiturjahrgänge der angrenzenden Bundesländer berücksichtigt werden.

• zu prüfen, ob die beiden Abiturprüfungen für das achtstufige Gymnasium (G8) und das neunstufige Gymnasium (G9) auseinander gezogen werden können. Das letzte G9-Abitur könnte so vorgezogen werden, dass die Schüler bereits zum Sommersemester 2010 mit dem Studium beginnen können. Hierbei sollten auch Ausnahmen für Einschreibefristen vorgesehen werden. Der Ansturm zum Wintersemester könnte so deutlich verringert werden. Im Falle eines Vorziehens des letzten G9-Abiturs müssen bereits zum Sommersemester 2010 zusätzliche Studienplatzkapazitäten an den staatlichen Hamburger Hochschulen geschaffen werden.

• zu prüfen, ob diese Vorverlagerung des Abiturzeitpunkts für G 9 Schülerinnen und Schüler auch für die Gesamtschulen sowie berufsbildende Gymnasien gelten muss, weil die Absolventen dieser Schulen sonst gegenüber ihren Mitschülerinnen und Mitschülern an grundständigen Gymnasien benachteiligt würden.

• den betroffenen Oberstufenschülern eine intensive Studien- und Berufsorientierung anzubieten sowie Kontakte zu Auslandsaufenthalten zu vermitteln.

• gemeinsam mit dem „Aktionsbündnis für Bildung und Beschäftigung Hamburg“ eine Kampagne zu starten, mit dem Ziel mehr Ausbildungsplätze zu schaffen:

 Insbesondere sollen Betriebe, die bisher nicht ausgebildet haben, dafür gewonnen werden, die Chance zu nutzen, qualifizierte Absolventinnen und Absolventen in der Region zu halten und auch zukünftig ihren Fachkräftebedarf decken zu können.

 Das Aktionsbündnis soll verstärkt für den „Ausbildungsbonus“ werben, ein Programm, für das von Seiten des Bundes 450 Mio. Euro bereit stehen und mit dem bis 2010 mehr als 100.000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden sollen. So kann bereits jetzt die hohe Zahl an Altbewerberinnen und Altbewerbern abgebaut werden.

• Kleinere Betriebe vermehrt dafür zu gewinnen, die zur Verfügung stehende staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen und sich mit anderen zusammen zu tun, um im Verbund auszubilden.

• Gemeinsam mit der „Arbeitsstiftung Hamburg“ im Hamburger Hauptschulmodell, das von Hamburger Behörden, der Agentur für Arbeit, 94 Schulen und 75 Unternehmen getragen wird, die Anstrengungen für den Abschlussjahrgang 2010 zu verstärken, um weitere Ausbildungsplätze zu generieren.

• die Stellen für das Freiwillige soziale Jahr und das Freiwillige ökologische Jahr auszuweiten und die Werbung für diese Angebote deutlich zu verbessern.

• das „Hamburger Ausbildungsprogramm“ bis 2011 zu verlängern und deutlich aufzustocken. Im Hamburger Ausbildungsprogramm können insbesondere Altbewerber, Jugendliche aus „Warteschleifen“ oder mit schlechten Startchancen eine sozialpädagogisch begleitete betriebliche Ausbildung absolvieren.

• Das Sofortprogramm Ausbildung auch für das Jahr 2010 mit bis zu 1000 Plätzen aufzulegen. Das Programm richtet sich an Jugendliche, die im aktuellen Ausbildungsjahr keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Sie werden entweder durch Träger direkt in einen betrieblichen Ausbildungsplatz vermittelt oder der Übergang in einen betrieblichen Ausbildungsplatz erfolgt nach einer zunächst trägergestützten Ausbildung in Lernbüros, Werkstätten oder ähnlichem. Die Jugendlichen werden sozialpädagogisch begleitet und durch Förderunterricht unterstützt. Die Kosten von bis zu 20 Mio. Euro werden aus dem Deckungskreis 5 „Arbeitsmarktpolitik“ des Einzelplans 7 gedeckt.

• Im Jahr 2010 die Anzahl der Plätze der vollqualifizierenden Berufsfachschulen insgesamt um etwa 200 Plätze zu erhöhen und dabei angelehnt am vierjährigen Bildungsgang CTA + AHR, den neben der Ausbildung zur chemisch-technischen Assistenten zugleich auch zur allgemeinen Hochschulreife führt, ergänzend zum bestehenden Angebot zweijähriger Assistenzberufe weitere vierjährige Bildungsgänge einzuführen, die einen Assistenzberuf mit der allgemeinen Hochschulreife verbinden

• Im Jahr 2010 die Anzahl der Plätze der Fachschulen für die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher deutlich zu erhöhen, um den schnell aufwachsenden Bedarf an voll ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern abdecken zu können, der durch den geplanten Krippenausbau und den Ausbau der angestrebten kostenlosen Hortbetreuung bei nach wie vor hoher Teilzeitquote gegeben ist. Auch die Kapazitäten für den Bachelor−Studiengang "Bildung und Erziehung in der Kindheit" an der „Hochschule für Angewandte Wissenschaften“ (HAW) sind deutlich auszubauen.

• bei den Einstellungen von Nachwuchskräften bei der Polizei sicherzustellen, dass alle Bewerberinnen und Bewerber aus Hamburg und dem Umland, die den Anforderungen gerecht werden, die Ausbildung auch tatsächlich beginnen können; dafür sind in den kommenden Jahren entsprechend erhöhte Einstellungszahlen vorzusehen.“

• der Bürgerschaft bis Dezember 2009 zu berichten.