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Einsetzung einer Enquete-Kommission nach Artikel 27 der Hamburgischen Verfassung in Verbindung mit § 63 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft:

Freitag, 23.09.2016

„Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken: Überprüfung, Weiterentwicklung, Umsetzung und Einhaltung gesetzlicher Grundlagen, fachlicher Standards und Regeln in der Kinder- und Jugendhilfe – Verbesserung der Interaktion der verschiedenen Systeme und Akteurinnen und Akteure“

 

Der Tod des Kindes Tayler sowie weitere Fallbearbeitungen sowohl durch Ämter als auch Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer bzw. Träger und Einrichtungen zeigen Defizite bei der Einhaltung der zahl- und umfangreichen Standards und Vorschriften. Defizite und Entwicklungsbedarf gibt es auch in Bezug auf Aus- und Fortbildung sowie auf Anforderungen an bzw. Ausübung von Leitungsfunktionen.

Die Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe findet in einem komplexen Kooperationsgefüge statt. Das Kindeswohl als handlungsleitende Maxime im Blick zu behalten ist wesentlich und gleichzeitig eine Herausforderung. Damit dies den Akteurinnen und Akteuren dauerhaft gemeinsam gelingen kann, soll die Etablierung eines konstruktiven und auf Weiterentwicklung fokussierten Umgangs mit – bei einem so komplexen System manchmal leider unvermeidlichen – Fehlern in den Blick genommen werden.

Besonderes Augenmerk soll auf die Interaktion zwischen den verschiedenen beteiligten Akteurinnen und Akteuren gelegt werden. Die Minderjährigen sind darauf angewiesen, dass die zu ihrem Schutz berufenen Institutionen ihr Kindeswohl als Kooperationsaufgabe proaktiv begreifen. Insbesondere Rückführungsprozesse in der Praxis und die ihnen zu Grunde liegenden Vorschriften und Regeln sollen überprüft werden.

 

Zudem soll die Verzahnung an den Schnittstellen der Systeme untersucht sowie die Frage multi-professioneller Teams und des Bedarfs spezieller Fachkenntnisse geklärt werden. Weitere Punkte sind die Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen und die Elternarbeit als auch die Übersichtlichkeit von Regelwerken in der Praxis. Auch das Verhältnis zwischen den bezirklichen Jugendämtern und zur Sozialbehörde (BASFI) sowie die Anforderungen an juristische Prozesse für ein effektives Kinder- und Jugendhilfewesen sollen untersucht werden.

 

Für die Pflegekinderhilfe soll es in der Untersuchung um die Beratung und Auswahl von Pflegeeltern gemäß der Vorgaben der Fachanweisung Pflegekinderdienste, die Ausstattung der Pflegestellen und um Fragen der Perspektivklärung in Obhut genommener Kinder gehen. Weitere Punkte sind hier die Unterstützung von Kindern mit Behinderungen und der gesetzliche Anspruch auf Leistungen bei entsprechenden Mehrbedarfen.

 

Die Einrichtung dieser Enquete-Kommission erfolgt in Erweiterung der Arbeit und in Würdigung der Beschlüsse bzw. Empfehlungen des Sonderausschusses „Chantal“ und des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) „Yagmur“.

Ziel dieser Enquete-Kommission ist es, entsprechende Empfehlungen zu erarbeiten, die der Stärkung des Schutzes und der Rechte von Kindern und Jugendlichen dienen.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

I. Gemäß Artikel 27 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg in Verbindung mit § 63 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft wird eine Enquete-Kommission mit folgendem Titel eingesetzt:

 

„Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken: Überprüfung, Weiterentwicklung, Umsetzung und Einhaltung gesetzlicher Grundlagen, fachlicher Standards und Regeln in der Kinder- und Jugendhilfe – Verbesserung der Interaktion der verschiedenen Systeme und Akteure“

II. Auftrag der Enquete-Kommission ist die Erarbeitung von Empfehlungen zu folgenden Fragen und Themen:

 

1. Wie kann die Einhaltung und Umsetzung von Standards und Vorschriften in der Kinder- und Jugendhilfe – sowohl bei Ämtern als auch Auftragnehmerinnen und Auftragnehmern bzw. Trägern und Einrichtungen – gesichert werden? Wie können diese ggf. überprüft und weiterentwickelt werden?

2. Sind die Verantwortlichkeiten für sämtliche Prozessschritte in der Arbeit des ASD, auch in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, eindeutig und klar geklärt? Wie kann eine Atmosphäre geschaffen werden, in der diese Zuständigkeiten nachhaltig erkannt und wahrgenommen werden?

3. Welche Voraussetzungen braucht es, um eine gute Verzahnung an den Schnittstellen der Systeme (Kita, GBS, HzE, OKJA und SHA) in der Alltagspraxis zu gewährleisten?

4. Wie kann eine „Fehlerkultur“ der Akteurinnen und Akteure etabliert werden, die einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess dient?

5. Welche speziellen Fachkenntnisse benötigt der ASD? Werden diesbezüglich multi-professionelle Teams benötigt?

6. Wie können welche Aus- und Fortbildungen – insbesondere bzgl. Curricula und praktischen Erfahrungen – für die Anwendung zum Kinderschutz noch gestärkt und entwickelt werden? Welche veränderten Anforderungen an die Fachlichkeit gibt es?

7. Welche Anforderungen an Leitungsfunktionen und ihre Besetzung bzw. Auswahlverfahren ergeben sich aus den Punkten Einhaltung von Standards und Vorschriften sowie der Etablierung einer förderlichen „Fehlerkultur“?

8. Kann die Jugendhilfeinspektion der Einhaltung von Standards und Regeln sowie der Etablierung einer förderlichen „Fehlerkultur“ dienlich sein und welche Veränderungen sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sind ggfs. hierzu notwendig?

9. Welche fachlichen und pädagogischen Zielkonflikte führen zu Kommunikationsbarrieren der Akteure (ASD, freie Träger, Eltern etc.)? Wie kann Elternarbeit in den Erziehungshilfen verbessert und intensiviert werden? Dient das Konzept Eingangsmanagement/Fallmanagement/Netzwerkmanagement dem Fallverstehen im ASD und dem Beziehungs-und Vertrauensaufbau zu den Familien?

10. Wie kann sichergestellt werden, dass das betroffene Kind bzw. sein Wohl zu jeder Zeit der Mittelpunkt der Fallbearbeitung sind? Ist das derzeitige System an den Rechten und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert?

Welche bestehenden oder zu schaffenden Richtlinien und Arbeitsweisen fördern diese Sichtweise, welche laufen ihr entgegen? Welche Beteiligungsrechte gibt es für Kinder und Jugendliche bei Inobhutnahmen und der Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung, wie werden diese bewertet und welche Empfehlungen lassen sich hieraus ableiten?

11. Das Verhältnis zwischen den bezirklichen Jugendämtern und Chancen möglicher vertiefter Kooperation sowie das Verhältnis zwischen Sozialbehörde und bezirklichen Jugendämtern bei der Einhaltung von Standards und Vorschriften.

12. Welche Vereinbarungen zur Zusammenarbeit an den Schnittstellen gibt es? Sind diese aus Sicht der Praxis sinnvoll und praktikabel? Wenn nein, welche Alternativen gibt es?

13. Welche Anforderungen an juristische Prozesse stellt ein effektives Kinder- und Jugendhilfewesen? Liegen sämtliche Voraussetzungen und Ressourcen vor, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?

14. Rückführungsprozesse in der Praxis und die ihnen zu Grunde liegenden Vorschriften und Regeln und mögliche gesetzliche Regelungsbedarfe – welche Rückführungskonzepte und -instrumente sind notwendig, um im Sinne des Kindeswohls bei Rückführungsentscheidungen das Kindesinteresse stärker in den Mittelpunkt zu stellen?

15. Übersichtlichkeit sowie Anwendbarkeit von Regelwerken in der Praxis – Überprüfung der Verfahren zur Implementierung von Fachvorgaben und Regelungen mit dem Ziel einer besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung. Und wie steht es bezüglich dieser Aspekte und Zielsetzungen um die erforderliche technische Ausstattung und um Sachressourcen?

Zum Bereich der Pflegekinderhilfe stellen sich – darüber hinaus – folgende Fragen:

 

16. Welche Abläufe und Abwägungen gibt es bei der Auswahl von Pflegeeltern, wie werden diese bewertet und welche Empfehlungen lassen sich hieraus ableiten?

Wie kann sichergestellt werden, dass Pflegestellen kontinuierlich und umfassend entsprechend der Vorgaben aus der Fachanweisung Pflegekinderdienste beraten werden?

17. Wie kann der gesetzliche Anspruch auf Leistungen bei einem Mehrbedarf aufgrund besonderer Beeinträchtigungen der Kinder und Jugendlichen einheitlich umgesetzt werden?

18. Wie kann sichergestellt werden, dass Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien eine den fachlichen Standards angemessene Unterstützung bekommen?

19. Welche Ausstattung von Pflegestellen ist erforderlich, um die Zahl der Pflegestellen und hier insbesondere der Bereitschaftspflegestellen in Hamburg zu erhöhen?

20. Wie kann die Perspektivklärung in Obhut genommener Kinder beschleunigt werden?

III. Die Enquete-Kommission wird gebeten, das Ergebnis ihrer Beratung der Bürgerschaft bis zum 31.10.2018 schriftlich vorzulegen.

IV. Die Enquete-Kommission besteht aus:

9 Sachverständigen (4:1:1:1:1:1) sowie 9 Abgeordneten (4:1:1:1:1:1).

V. Gemäß Artikel 27 Absatz 3 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

wird der Enquete-Kommission ein Arbeitsstab zur Verfügung gestellt.

 

sowie
  • der Abgeordneten Anna Gallina
  • Dr. Anjes Tjarks
  • Mareike Engels
  • Murat Gözay
  • Antje Möller
  • Dr. Carola Timm (GRÜNE) und Fraktion und der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus
  • Mehmet Yildiz (LINKE) und Fraktion und der Abgeordneten Daniel Oetzel
  • Katja Suding
  • Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein
  • Michael Kruse
  • Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) und Fraktion