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Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft (Hamburgisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz – HmbUVollzG)

Mittwoch, 09.12.2009

zu Drs. 19/4451 (Bericht des Rechtsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft (Hamburgisches Untersuchungshaft-vollzugsgesetz – HmbUVollzG Drs. 19/4691)

 

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion begrüßt ausdrücklich, dass mit der Drs. 19/4451 die aufgrund der Föderalismusreform bestehende Gesetzgebungskompetenz umgesetzt und erstmalig ein eigenständiges Gesetz für den Vollzug der Untersuchungshaft in Hamburg vorgelegt wird. Positiv ist auch zu bewerten, dass der vorliegende Gesetzentwurf in weiten Teilen, zumindest inhaltlich, dem durch eine Arbeitsgruppe von zwölf Bundesländern erarbeiteten Musterentwurf entspricht. Dadurch wird deutlich, dass die Zeit der Hamburger Sonderwege in der Justizpolitik vorbei ist.

Darüber hinaus begrüßt die SPD-Bürgerschaftsfraktion, dass der vorgelegte Gesetzentwurf überwiegend gut gelungen ist. Dies betrifft insbesondere, trotz der vorgesehenen Umsetzungsfrist bis 2014, die Festschreibung der Einzelunterbringung im Untersuchungshaftvollzug. Zudem werden der Grundsatz der Unschuldsvermutung und die folgerichtige Regelung, dass Beschränkungen der Grundrechte der Untersuchungsgefangenen nur zulässig sind, wenn sie „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, zur Abwehr einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung unerlässlich sind“, in § 4 des Entwurfs zu Recht deutlich hervorgehoben und dargestellt.

Die Umsetzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung wird in den Einzelregelungen des Gesetzentwurfs jedoch nicht durchgehalten. Daher bedarf der vorgelegte Gesetzentwurf in einzelnen Punkten der Überarbeitung.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

„Der Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft (Hamburgisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz – HmbUVollzG, Drs. 19/4451) wird mit folgenden Änderungen beschlossen:

 

1. § 26 Absatz 1 Nr. 1 erhält folgende Fassung:

„wenn es aufgrund der Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs oder aus Gründen der

Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich ist“

 

2. § 54 Absatz 1 erhält folgende Fassung:

„(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet das für die Anordnung der Untersuchungshaft zuständige Gericht an. Bei Gefahr im Verzug kann die Anstaltsleitung diese Maßnahmen vorläufig anordnen. Soweit eine Anordnung nach Satz 2 erfolgt, ist die Entscheidung des nach Satz 1 zuständigen Gerichts unverzüglich nachzuholen.“

 

3. § 54 wird wie folgt geändert:

3.1 Die Absätze 3, 4 und 5 werden aufgehoben.

3.2 Der bisherige Absatz 6 wird Absatz 3.

 

4. § 55 wird aufgehoben.

4.1 Die bisherigen Paragraphen 56 bis 63 werden Paragraphen 55 bis 62.

 

5. § 64 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

In § 64 Abs. 1 werden die Wörter „Disziplinarmaßnahmen können angeordnet werden“ durch die Wörter „Disziplinarmaßnahmen ordnet das für die Anordnung der Untersuchungshaft zuständige Gericht an“ ersetzt.

 

6. Die Paragraphen 67 und 68 werden aufgehoben.

6.1 Die bisherigen Paragraphen 64 bis 111 werden Paragraphen 63 bis 109.

 

7. Hinter dem bisherigen § 111 wird ein neuer Teil 5 eingefügt:

„Teil 5

Kriminologische Forschung und Berichterstattung zum Untersuchungshaftvollzug

§ 110 (Kriminologische Forschung, Evaluation)

(1) Förder- und Behandlungsangebote für die Untersuchungsgefangenen sind auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu konzipieren, zu standardisieren und auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen.

(2) Der Vollzug, insbesondere seine Aufgabenerfüllung und menschenrechtskonforme Gestaltung, soll regelmäßig durch den kriminologischen Dienst, durch eine Hochschule oder durch eine andere Stelle wissenschaftlich begleitet und erforscht werden.

§ 111 (Berichtspflicht gegenüber dem Parlament)

Die zuständige Behörde ist verpflichtet, dem Senat regelmäßig alle zwei Jahre einen umfassenden Bericht zur Lage des Untersuchungshaftvollzugs, insbesondere zur Entwicklung der Förder- und Behandlungsangebote, zur personellen Ausstattung der Anstalten bzw. Abteilungen sowie zur Zusammenarbeit mit den externen sozialen Diensten der Justiz und den haftvermeidenden sowie den haftverkürzenden Maßnahmen vorzulegen.“

 

7.1 Der bisherige Teil 5 wird zu Teil 6.

 

Begründung

Zu Ziffer 1

Nach § 26 Absatz 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfs kann die Anstaltsleitung Schreiben der Untersuchungsgefangenen bereits dann anhalten, wenn es „die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert“. Ein Eingriff in die Grundrechte der Untersuchungsgefangenen, insbesondere gemäß Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 10 des Grundgesetzes, ist aufgrund des weiten Begriffs „der Sicherheit und Ordnung“ danach somit nahezu unbegrenzt möglich. Diese Regelung widerspricht der in § 4 Absatz 2 des Gesetzentwurfs geregelten Generalklausel, die auf dem in § 4 Absatz 1 herausgestellten Grundsatz der Unschuldsvermutung beruht. Gemäß dieser in § 4 Absatz 2 normierten Regelung dürfen nur dann Einschränkungen der Grundrechte der Untersuchungsgefangenen erfolgen, wenn die Auferlegung der Beschränkungen „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, zur Abwehr einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung einer verfahrens-sichernden Anordnung unerlässlich“ ist. Diese Voraussetzungen wurden auch in die Vorschrift zur Überwachung des Schriftwechsels in § 25 Absatz 1 des Gesetzentwurfs übernommen. Im Hinblick auf eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung und somit der Vermeidung von rechtswidrigen Eingriffen in die Grundrechte der Untersuchungsgefangenen, müssen diese Voraussetzungen auch für das Anhalten von Schreiben in § 26 Absatz 1 Nr. 1 normiert werden.

 

Zu Ziffer 2

Die Anordnung und Durchführung besonderer Sicherungsmaßnahmen im Sinne des Gesetzentwurfs stehen nach geltendem Recht unter uneingeschränktem Richtervorbehalt (Artikel 2 Absatz 2 GG, Artikel 104 Absätze 2, 3 und 4 GG, § 119 Absatz 6 Satz 1 StPO; § 119 Absatz 1 Satz 3

RegE). Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass weitreichende Eingriffe in die Grundrechte der als unschuldig geltenden Untersuchungsgefangenen einer unabhängigen richterlichen Instanz vorbehalten sind. Dies entspricht der Systematik der StPO, nach der grundrechtsrelevante Zwangseingriffe im Ermittlungsverfahren – mit Ausnahme der Eilkompetenz – nur vom Richter angeordnet werden können. Im Falle der Anordnung im Wege der Eilkompetenz ist die Einholung der richterlichen Zustimmung bzw. Genehmigung erforderlich. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach müssen die Anordnungsmöglichkeiten der in § 54 des Gesetzentwurfs genannten Maßnahmen auf Ausnahmefälle begrenzt sein und stehen unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Daher muss zumindest bei einem so erheblichen Eingriff in die Freiheitsrechte der Untersuchungsgefangenen wie der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen nach § 54 des Gesetzentwurfs der Richtervorbehalt gelten. Nur ein unabhängiges Gericht kann die objektive Abwägung zwischen den möglicherweise erforderlichen Eingriffen des Untersuchungsgefangenen und den Interessen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt vornehmen und ggf. auch Anordnungen gegenüber der Anstalt zur Wahrung der Grundrechte der Untersuchungsgefangenen treffen. Im Hinblick darauf, dass für die Anordnung entsprechender Maßnahmen auch nach bisher geltendem Recht der Haftrichter zuständig ist, ist nicht zu befürchten, dass dem Anstaltsinteresse nicht hinreichend Rechnung getragen wird.

 

Zu Ziffer 3, 3.1 und 3.2

Folgeänderungen aufgrund der Neufassung des § 54 Absatz 1 (Ziffer 2).

 

Zu Ziffer 4 und 4.1

Folgeänderungen aufgrund der Neufassung des § 54 Absatz 1 (Ziffer 2).

 

Zu Ziffer 5

Nach den Vorschriften der §§ 64 und 67 des Gesetzentwurfs obliegt die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen der Anstaltsleitung. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Disziplinarmaßnahmen einer Strafe gleich kommen und insbesondere schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte der Untersuchungsgefangenen zur Folge haben. Genauso wie die Anordnung von „Besonderen Sicherungsmaßnahmen“ nach § 54 des Gesetzentwurfs, muss daher auch die Anordnungskompetenz für Disziplinarmaßnahmen beim Haftgericht liegen. Zur weiteren Begründung wird auf die Ausführungen zu Ziffer 2 verwiesen.

 

Zu Ziffer 6 und 6.1

Folgeänderungen aufgrund der Änderungen des § 54 Absatz 1 (Ziffer 2) und des § 64 Absatz 1 (Ziffer 5).

 

Zu Ziffer 7

Der Gesetzentwurf enthält keine Vorschrift hinsichtlich kriminologischer Begleitforschung. Dies wird der vom Bundesverfassungsgericht geforderten „Evidenzbasierten“ Fortentwicklung in keiner Weise gerecht. Auch der Untersuchungshaftvollzug muss die Frage der menschenrechtskonformen Unterbringung sowie der Wirksamkeit von Förder- und Behandlungsangeboten einer empirischen Überprüfung unterziehen. Daher ist eine Vorschrift analog § 166 StVollzG auch im HmbUVollzG erforderlich. Neben dem kriminologischen Dienst ist hier insbesondere Forschung von Universitätsinstituten oder anderen unabhängigen Forschungseinrichtungen notwendig. Darüber hinausgehend ist die Justizverwaltung verpflichtet, die statistischen Basisdaten zur Angebotsstruktur, Personalausstattung einschließlich gefangenenbezogenen Verlaufsdaten etc. zur Verfügung zu stellen, die auch Grundlage von Vergleichen zwischen verschiedenen Anstalten und Bundesländern ermöglichen. Deshalb wird vorgeschlagen, dass die Justizverwaltung im zweijährigen Rhythmus dem Parlament einen Bericht zur Lage des Untersuchungs- und Strafvollzugs vorlegt.

Entsprechende Vorschriften sollten in einem neuen Teil 5 vor den Schlussvorschriften eingefügt werden.

 

Zu Ziffer 7.1

Folgeänderung aufgrund der Einfügungen gemäß Ziffer 7.