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Frühe Bildungschancen für alle Kinder – Bildungsgärten für die Menschliche Metropole

Donnerstag, 10.05.2007

zu Drs. 18/6156

 

In keiner Lebensphase sind Menschen so lernfähig, wissbegierig und experimentierfreudig wie in der frühen Kindheit. Dieses Entwicklungspotenzial und die hohe Lernbereitschaft werden in der Praxis der frühen Bildung jedoch häufig nicht so beachtet und gefördert, wie wünschenswert, obwohl die Entwicklung in dieser Lebensphase von zentraler Bedeutung für die späteren Lernerfolge ist. Dies ist besonders augenfällig und daher allgemein anerkannt für den Spracherwerb, gilt aber auch für andere Bereiche wie zum Beispiel für den Bezug zu Grundwerten wie Toleranz und gegenseitiger Achtung sowie für das Verhältnis zu Kunst, Kultur und unserer Umwelt.

 

Die Bildungsungerechtigkeit fängt früh an. Kinder, die nicht bereits vor der Grundschule richtig Deutsch sprechen, haben Probleme „mitzukommen“. Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern erhalten oftmals nicht die Zuwendung und Förderung, die sie benötigen. Dieser Mangel hängt vielfach mit den Lebensbedingungen der Familien zusammen: frühe Bildungsbenachteiligung von Kindern ist oftmals eine Folge von materieller Armut und/oder Bildungsferne der Eltern, von mangelndem Interesse und ungenügender Sprachförderung, letzteres noch verstärkt bei Kindern aus Migrantenfamilien, in denen die deutsche Sprache nicht gesprochen und gepflegt wird.

 

Sprachförderkonzepte, bei denen im Vorschul- und im ersten Schuljahr nur wenige Nachmittagsstunden erteilt werden, sind Flickwerk. Sprachliche Defizite bei Kindern müssen viel früher erkannt werden, Sprachförderung mit Beginn des Kita-Besuchs einsetzen und – mit entsprechender Elternberatung – auch schon vorher kostenlos möglich sein.

 

Unter präventiven Gesichtspunkten sollten Bildungseinrichtungen daher immer auch Angebote für Eltern mit Erziehungsproblemen (z.B. Überforderung), sprachlichen Defiziten oder Problemen bei der Alltagsbewältigung (z.B. Schulden) bereithalten oder vermitteln.

 

Kinder brauchen frühe und nachhaltige Förderung; Eltern brauchen qualitativ hochwertige und verlässliche Betreuung für ihre Kinder. Für diese zentrale gesellschaftliche Aufgabe benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen gute Rahmenbedingungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kitas und Vorschulen sowie die Tagespflegepersonen fungieren hier grundsätzlich als wichtigste Ergänzung zur familiären Sozialisation.

 

Es kommt drauf an, die elementaren Jahre vor der Grundschule und die Grundschuljahre als integrativ arbeitende, flexible Bildungsjahre zu verankern. Von entscheidender Bedeutung ist dabei ein guter, fließender Übergang von der Kita und/oder Vorschule in die Schule für jedes einzelne Kind. Dieser Übergang muss durch eine systematische konzeptionelle - wenn möglich, auch räumliche - Kooperation und Verzahnung zwischen Kitas und Schulen gestaltet werden. Gerade im Übergangsbereich – also der späten Kita- bzw. Vorschulphase und der frühen Schulphase – ist die Zusammenarbeit gemischter Teams aus Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen notwendig (vgl. hierzu z.B. das Bund-Länder Modell zur Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in Kitas und Grundschulen und zur Gestaltung des Übergangs unter www.transkigs.de).

 

Die frühe Förderung ist ein Angelpunkt von Chancengerechtigkeit in der Bildung. Kindergarten, Vorschule, Grundschule, Elternschulen und Erziehungshilfen agieren hier oftmals noch als isolierte Systeme, manchmal sogar als Konkurrenten - das lässt wertvolle Zeit verstreichen und bindet Kräfte. Ein an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien ausgerichtetes Gesamtsystem von Bildung, Betreuung und Erziehung erfordert eine systematische und verbindliche Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe der unterschiedlichen Systeme von Jugendhilfe und Schule (vgl. hierzu Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), Handlungsempfehlungen zur Kooperation von Jugendhilfe, Februar 2006).

 

Für die Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher in den vorschulischen Einrichtungen gilt vieles von dem, was auch für die Lehrerbildung gilt: Die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzieher als kompetente Lernbegleiter in den entscheidenden frühen Lernphasen eines Kindes stehen in ihrer Komplexität den Anforderungen an die Lehrerschaft in den Schulen in nichts nach. Dies muss sich auch in den Inhalten und Strukturen der Aus- und Fortbildung niederschlagen. Sukzessive sollte das Leitungspersonal in Kindertagesstätten eine Hochschulausbildung besitzen. Insgesamt muss der Anteil akademisch gebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kindertagesstätten erhöht werden. Voraussichtlich gibt es an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg zum Wintersemester einen Studiengang „Bachelor of Arts (BA) Bildung und Erziehung in der Kindheit“ – was sehr zu begrüßen wäre.

 

Für eine verbesserte Kooperation ist es notwendig, dass allen Pädagoginnen und Pädagogen in Aus- und Fortbildung Kenntnisse der Strukturen beider Bereiche – Kita und Schule -vermittelt werden. Ziel ist es, das Institut für Lehrerfortbildung zu einem Institut für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer auszubauen.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

 

Der Senat wird aufgefordert, folgende Punkte umzusetzen:

 

1. Die bisher getrennt arbeitenden Institutionen Kitas, Vorschulen und Grundschulen werden in so genannten „Bildungsgärten“ organisatorisch zusammengefasst. Die Bildungsinhalte der „Bildungsgärten“ werden als gemeinsame Ziele erarbeitet und in gemeinsamer Verantwortung umgesetzt. „Bildungsgärten“ bündeln die Kompetenzen von Sozial-, Elementar- und Grundschulpädagogik und sorgen dafür, dass mit hoher pädagogischer Qualität und viel Zeit, Kinder unabhängig von ihrer Herkunft alle ihre Möglichkeiten nutzen können. Ziel ist es, diese neue erste Säule des Bildungssystems flächendeckend in Hamburg einzuführen.

 

2. Die bisher getrennten Qualifikationen von Erzieherinnen und Erziehern einerseits und Lehrerinnen und Lehrern andererseits sind stärker zu integrieren. Auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschulen muss aufgewertet und verbessert werden, unter anderem erweitert um Kompetenzen in Diagnostik und frühkindlicher Förderung. Dafür soll ein neu zu entwickelnder Studiengang für den Elementarbereich in Teilbereichen eine gemeinsame Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und Lehrerinnen und Lehrern vorsehen und dabei ein Ausbildungsprofil „Frühpädagogik“ anbieten. Diese Weiterentwicklung in der Lehre ist durch eine entsprechende Forschungsinfrastruktur zu ergänzen. Das Institut für Lehrerfortbildung (LI) wird zu einem gemeinsamen Institut für Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher weiterentwickelt.

 

3. Schule und Jugendhilfe sind aufgefordert, systematisch zu kooperieren. Durch die Bildung multiprofessioneller Teams können die Kompetenzen und Ressourcen verbunden werden, Übergänge zwischen Kita und Grundschule sowie Schule und Beruf besser gestaltet werden. Dazu sind verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit zu schaffen. Beispiele für solche Strukturen sind z.B. „Bildungsgärten“ in gemeinsamer Verantwortung für Bildung und Erziehung der Kinder, sozialraumbezogene Kooperationen oder die gemeinsame Gestaltung von Ganztagsschulen.

 

4. a. Für die Bildungsgärten muss gelten: Alle Kinder erhalten unabhängig von der

 

Lebenslage ihrer Eltern einen Anspruch auf Teilhabe an frühkindlicher Bildung

 

nach ihrem individuellen Förderbedarf.

 

b. Festgestellter Sprachförderbedarf und/oder sozialer und pädagogischer Bedarf eines Kindes führt wahlweise zur Bewilligung eines Ganztagsplatzes in der Kita oder in einem Bildungsgarten.

 

c. Die Änderung der Lebenslage der Eltern darf nicht zu einem Verlust der Teilhabe an frühkindlicher Bildung führen. Entscheidend ist allein der individuelle Förderbedarf des Kindes.

 

d. Das letzte Jahr vor Grundschulbeginn wird für Kinder in Kitas, Vorschule und Bildungsgärten beitragsfrei. Als zweiter Schritt wird frühkindliche Bildung für alle 3-4jährigen Kinder beitragsfrei und der Rechtsanspruch auf Betreuung auf alle zweijährigen Kinder ausgeweitet. Perspektivisch muss Kinderbetreuung in Deutschland insgesamt beitragsfrei sein.