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Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung

Donnerstag, 04.01.2007

In den letzten Jahren ist es immer wieder zu furchtbaren Fällen von Kindesvernachlässigung, Missbrauch und schweren Misshandlungen von Kindern gekommen. In der Diskussion um einen besseren Schutz für Kinder besteht Einigkeit darüber, dass wirksame Hilfe für Kinder nur erreicht werden kann, wenn Risikofamilien möglichst frühzeitig identifiziert und helfende Maßnahmen umgehend eingeleitet werden können.

Die Verbesserung früher Hilfe zum Schutz von Kindern erfordert verschiedene Ansätze.

 

Ein wichtiger Aspekt für das frühe Erkennen der Problemsituationen sind die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, die bisher auf freiwilliger Basis angeboten werden. Sie dienen der Früherkennung von Krankheiten, die die körperliche oder geistige Entwicklung eines Kindes gefährden und haben den „Nebeneffekt“, dass schwere Formen der Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung aufgedeckt werden können.

 

Die Früherkennungsuntersuchungen genießen eine hohe Akzeptanz. Ca. 95 % der Eltern stellen ihr Kind im ersten Lebensjahr dem Kinderarzt bzw. der Kinderärztin vor. Erfahrungswerte zeigen, dass die Nichtteilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen ein Indiz dafür sein kann, dass die Eltern der ihnen obliegenden Fürsorgepflicht nicht ausreichend nachkommen. Die Feststellung, welche Kinder an diesen Untersuchungen nicht teilnehmen, kann somit ein wichtiger Ansatzpunkt für helfende Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe und des öffentlichen Gesundheitsdienstes sein.

 

Es ist daher erforderlich, landesgesetzliche Grundlagen zu schaffen, die dem staatlichen Schutzauftrag aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz Rechnung tragen und den Behörden präventive Maßnahmen ermöglichen.

 

Weiterhin muss eine Befugnis zur Datenerhebung und –weitergabe geschaffen werden, die den Datenaustausch zwischen Meldebehörde, Gesundheitsämtern und der Jugendhilfe ermöglicht. Erst Ende November hat sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zur Entschließung des Bundesrates für eine höhere Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen im Sinne des Kindeswohls (BR-Drs. 56/06) ausdrücklich für diesen Weg ausgesprochen (Drs. 864/06).

 

Ziel ist es zudem, die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen, insbesondere der gefährdeten Kinder aus Risikofamilien in schwierigen Situationen, zu steigern, um bereits frühzeitig den körperlichen und geistigen Zustand der Kinder durch Ärzte überprüfen zu können. Auch hierfür ist ein Datenaustausch erforderlich, der es den zuständigen Stellen ermöglicht, durch geeignete Maßnahmen wie gezielte Einladungen zu den Untersuchungen oder durch das Angebot zur Beratung über den Zweck der Untersuchungen nachzufassen, wenn Kinder nicht zu den vorgesehenen Untersuchungen erscheinen.

 

Neben Ansätzen zur Stärkung früher Hilfen und zur Vernetzung der mit den Kindern in Kontakt kommenden Stellen müssen Kinder auch in stärkerem Maße als bisher einer gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt werden.

 

Daher sollen die Jugendämter nach festgestellter Verweigerung der Teilnahme an den Frühuntersuchungen informiert werden, um die geeigneten und notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Gefährdung oder bereits eingetretenen Gefahr für das Kindeswohl einzuleiten.

 

Inzwischen haben sich einige Bundesländer im Rahmen von am 15.12.2006 beschlossenen Bundesratsinitiativen (Drs. 823/06 sowie 898/06) dafür eingesetzt, auf bundesgesetzlichem und bundesrechtlichem Wege die Früherkennungsuntersuchungen nach den §§ 26, 25 Absatz 4 Satz 2 des SGB V zur Rechtspflicht zu machen und Grundlagen zu schaffen, nach denen der Datenaustausch erleichtert bzw. ermöglicht wird. Möglich ist es jedoch auch, durch Landesrecht die Verbindlichkeit festzuschreiben. Im Saarland wurde ein erster Gesetzentwurf einstimmig in erster Lesung beschlossen und wird zurzeit in den Ausschüssen beraten. Daher sollten auch in Hamburg auf landesgesetzlicher Ebene Regelungen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor Vernachlässigung getroffen werden. Auch in Hamburg muss endlich im Interesse der betroffenen Kinder die Initiative ergriffen werden.

 

Der in das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Hamburg einzufügende § 7 a hat den Zweck, durch Erinnerungsschreiben an die Erziehungsberechtigten die Teilnahmequote an den Früherkennungsuntersuchungen zu erhöhen. Damit soll Kindern ein Mindestschutz durch eine vom Gemeinwesen vorgehaltene ärztliche Kontrolle gewährt werden.

 

Im Rahmen eines abgestuften Systems soll den Erziehungsberechtigten, wenn sie ihre Kinder trotz Erinnerung nicht an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen lassen, möglichst zeitnah die unmittelbare Untersuchung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst angedient werden. Wenn die Erziehungsberechtigten auch diese Untersuchung verweigern, soll durch eine Meldung an die mit der Wahrnehmung der Kinder- und Jugendhilfe betreuten Behörden die Möglichkeit verbessert werden, weitergehende Nachforschungen vorzunehmen und gegebenenfalls durch eingreifende Maßnahmen zu helfen.

 

Die Bürgerschaft möge folgendes Gesetz beschließen:

 

Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch

 

und Misshandlung

 

Vom…

 

Artikel 1

 

Das Gesundheitsdienstgesetz vom 18. Juli 2001 (HmbVBl. 2001, S. 201) zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Januar 2006 (HmbGVBl. 2006, S. 29) wird wie folgt geändert:

 

1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 7 folgende Textstelle eingefügt:

 

„§ 7 a Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder“.

 

2. § 7 Absatz 1 wird durch folgenden Satz 2 ergänzt:

 

„Er beobachtet und bewertet die förderlichen und abträglichen Bedingungen für eine gesunde Entwicklung von Kindern in ihrem Lebensumfeld.“

 

3. Nach § 7 wird folgender § 7 a eingefügt:

 

Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder

 

(1) Der Senat bestimmt ein Gesundheitsamt als Zentrale Stelle für den Datenabgleich zur Steigerung der Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen (im Folgenden: Zentrales Gesundheitsamt). Das Zentrale Gesundheitsamt ermittelt die Kinder im Alter von bis zu fünfeinhalb Jahren, die nicht an einer für ihr jeweiliges Alter gemäß §§ 26 Absatz 1 und 25 Absatz 4 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgesehenen Früherkennungsuntersuchung oder, soweit die Kinder nicht gesetzlich krankenversichert sind, an einer gleichwertigen Früherkennungsuntersuchung teilnehmen.

 

Die Wahrnehmung dieser Aufgabe kann auf Dritte übertragen werden, wenn der oder die Dritte die Gewähr für eine sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben bietet. Die Regelungen zur Kostenerstattung und zur Aufsicht durch die zuständige Behörde sind dann gesondert zu treffen.

 

(2) Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammen und Geburtshelfer, die eine Früherkennungsuntersuchung nach Absatz 1 durchgeführt haben, übermitteln dem Zentralen Gesundheitsamt unverzüglich folgende Daten:

 

1. Familienname des Kindes (jetziger Name mit Namensbestandteilen),

 

2. Vorname des Kindes,

 

3. Tag und Ort der Geburt des Kindes,

 

4. Geschlecht des Kindes,

 

5. gesetzliche Vertreterin und/oder gesetzlicher Vertreter des Kindes,

 

6. gegenwärtige Anschrift der gesetzlichen Vertreterin und /oder des gesetzlichen Vertreters des Kindes,

 

7. Datum der Durchführung der Früherkennungsuntersuchung,

 

8. Bezeichnung der durchgeführten Früherkennungsuntersuchung.

 

(3) Zur Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz übermitteln die Meldebehörden dem Zentralen Gesundheitsamt regelmäßig die erforderlichen Daten. Das Zentrale Gesundheitsamt gleicht diese Daten und die Daten nach Absatz 2 miteinander ab. Die Daten sind zu löschen, wenn ihre Kenntnis für das Zentrale Gesundheitsamt nicht mehr erforderlich ist, ansonsten spätestens nach fünfeinhalb Jahren.

 

(4) Das Zentrale Gesundheitsamt hat die gesetzliche Vertreterin und / oder den gesetzlichen Vertreter des Kindes, dessen Früherkennungsuntersuchung bevorsteht, zur Teilnahme an der Früherkennungsuntersuchung einzuladen. Hat ein Kind nicht an einer Früherkennungsuntersuchung teilgenommen, die für die Altersstufe von der Vollendung des ersten halben Lebensjahres bis zur Vollendung von fünfeinhalb Lebensjahren vorgesehen ist, so hat das Zentrale Gesundheitsamt die gesetzlichen Vertreterin und / oder den gesetzlichen Vertreter unverzüglich einzuladen, die Früherkennungsuntersuchung nachzuholen.

 

(5) Wird eine Früherkennungsuntersuchung, die für die Altersstufe vor Vollendung des ersten halben Lebensjahres vorgesehen ist, versäumt oder wird eine Früherkennungsuntersuchung, die für die Altersstufe von der Vollendung des ersten halben Lebensjahres bis zur Vollendung von fünfeinhalb Jahren vorgesehen ist, trotz wiederholter Einladung nach Absatz 4 Satz 2 nicht nachgeholt, hat das Zentrale Gesundheitsamt dem bezirklich zuständigen Gesundheitsamt unverzüglich folgende Daten zu übermitteln:

 

1. Familienname des Kindes (jetziger Name mit Namensbestandteilen),

 

2. Vorname des Kindes,

 

3. Tag und Ort der Geburt des Kindes,

 

4. Geschlecht des Kindes,

 

5. gesetzliche Vertreterin und / oder gesetzlicher Vertreter des Kindes,

 

6. gegenwärtige Anschrift der gesetzlichen Vertreterin und /oder des gesetzlichen Vertreters des Kindes,

 

7. Bezeichnung der unterbliebenen Früherkennungsuntersuchung.

 

Das bezirklich zuständige Gesundheitsamt hat der gesetzlichen Vertreterin und / oder dem gesetzlichen Vertreter unverzüglich eine Beratung über den Inhalt und Zweck der Früherkennungsuntersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt anzubieten.

 

(6) Erfolgt trotz des Angebots nach Absatz 5 keine Früherkennungsuntersuchung des Kindes, so übermittelt das zuständige Gesundheitsamt dem zuständigen Jugendamt unverzüglich folgende Daten:

 

1. Familienname des Kindes (jetziger Name mit Namensbestandteilen),

 

2. Vorname des Kindes,

 

3. Tag und Ort der Geburt des Kindes,

 

4. Geschlecht des Kindes,

 

5. gesetzliche Vertreterin und / oder gesetzlicher Vertreter des Kindes,

 

6. gegenwärtige Anschrift der gesetzlichen Vertreterin und /oder des gesetzlichen Vertreters des Kindes,

 

7. Bezeichnung der unterbliebenen Früherkennungsuntersuchung,

 

8. Bezeichnung des von der gesetzlichen Vertreterin und / oder dem gesetzlichen Vertreter gegebenenfalls angegebenen Grundes für die Nichtdurchführung der Früherkennungsuntersuchung.

 

(7) Eine Meldung nach Absatz 5 und 6 erfolgt nicht, wenn sich das Kind wegen einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung in kontinuierlicher ärztlicher Betreuung befindet.

 

(8) Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere zur Ausstattung der Gesundheitsämter, zum Verfahren der Datenmeldungen nach den Absätzen 2 und 6, zur Durchführung des Datenabgleichs nach Absatz 3, zur Erhebung und Verarbeitung von Daten nach Absatz 7, zur Durchführung der Einladung nach Absatz 4 und zur Andienung des Angebots nach Absatz 5 zu regeln.“

 

Artikel 2

 

Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.