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Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung

Mittwoch, 01.04.2009

 

zu Drs. 19/2463

 

In den letzten Jahren ist es immer wieder zu furchtbaren Fällen von Kindesvernachlässigung, Missbrauch und schweren Misshandlungen von Kindern in Hamburg gekommen. In der Diskussion um einen besseren Schutz für Kinder besteht Einigkeit darüber, dass wirksame Hilfe für Kinder nur erreicht werden kann, wenn Risikofamilien möglichst frühzeitig identifiziert und helfende Maßnahmen umgehend eingeleitet werden können. Dafür sind verschiedene Ansätze erforderlich.

Ein wichtiger Baustein für das frühe Erkennen der Problemsituationen sind die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, die bisher auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. Sie dienen der Früherkennung von Krankheiten, die die körperliche oder geistige Entwicklung eines Kindes gefährden und haben den „Nebeneffekt“, dass schwere Formen der Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung durch Kinderärzte aufgedeckt werden können.

Die Teilnahmequoten gehen gemäß der letzten verfügbaren Zahlen in Hamburg mit jeder U-Untersuchung zurück: Von 97,1 Prozent bei der U1 über 94 Prozent bei der U5 auf nur noch 89,4 Prozent bei der U9. Vor allem aber zeigen sich deutlich niedrigere Teilnahmequoten bei Kindern ohne deutschen Pass sowie nicht hinzunehmende Unterschiede zwischen einzelnen Stadtteilen: Im Gegensatz zu über 90 Prozent Teilnahmequote in Lemsahl-Mellingstedt, Volksdorf oder Wellingsbüttel, stehen 57,4 Prozent in St. Pauli, 60,8 Prozent auf der Veddel oder 61,4 Prozent in Altona-Altstadt. In mehreren sozial schwachen Stadtteilen wie z.B. St. Georg oder Billstedt ist die ohnehin niedrige Quote sogar noch weiter zurückgegangen.

Erfahrungswerte zeigen, dass die Nichtteilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen ein Indiz dafür sein kann, dass die Eltern der ihnen obliegenden Fürsorgepflicht nicht ausreichend nachkommen. Die Feststellung, welche Kinder an diesen Untersuchungen nicht teilnehmen, kann somit ein wichtiger Ansatzpunkt für helfende Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe und des öffentlichen Gesundheitsdienstes sein.

Es ist daher erforderlich, landesgesetzliche Grundlagen zu schaffen, die dem staatlichen Schutzauftrag aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz Rechnung tragen und den Behörden präventive Maßnahmen ermöglichen. Weiterhin muss eine Befugnis zur Datenerhebung und -weitergabe geschaffen werden, die den Datenaustausch zwischen Meldebehörde, Gesundheitsämtern und der Jugendhilfe ermöglicht.

Ziel ist es zudem, die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen, insbesondere von gefährdeten Kindern aus Risikofamilien in schwierigen Situationen, zu steigern, um bereits frühzeitig den körperlichen und geistigen Zustand der Kinder durch Ärzte überprüfen zu können. Auch hierfür ist ein Datenaustausch erforderlich, der es den zuständigen Stellen ermöglicht, durch geeignete Maßnahmen, wie gezielte Einladungen zu den Untersuchungen oder durch das Angebot zur Beratung über den Zweck der Untersuchungen nachzufassen, wenn Kinder nicht zu den vorgesehenen Untersuchungen erscheinen.

Neben Ansätzen zur Stärkung früher Hilfen und zur Vernetzung der mit den Kindern in Kontakt kommenden Stellen müssen Kinder bzw. ihre Eltern auch in stärkerem Maße als bisher einer gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt werden.

Daher sollen die Jugendämter nach festgestellter Verweigerung der Teilnahme an den Frühuntersuchungen informiert werden, um geeignete und notwendige Maßnahmen zur Abwendung der Gefährdung oder bereits eingetretenen Gefahr für das Kindeswohl einzuleiten.

Durch Gutachten wurde belegt, dass die Bundesländer im Rahmen der Gesundheitsgesetzgebung die Regelungskompetenz dazu haben. Im Saarland haben alle Parteien gemeinsam bereits im Februar 2007 ein entsprechendes Gesetz beschlossen.

Die Senatsantwort auf eine aktuelle Große Anfrage der SPD-Fraktion (Drs. 19/2412) zeigt: Von den 15 anderen Bundesländern haben – bei allen Unterschieden – elf landesgesetzliche bzw. rechtliche Regelungen und die vier verbleibenden bereits Gesetzentwürfe für eine Stärkung der Verbindlichkeit von Vorsorgeuntersuchungen. Allein der Hamburger CDU-Senat bzw. CDU-geführte Senat ist hier untätig geblieben und die CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft hat den nachstehenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion bisher zweimal abgelehnt (vgl. Drs. 18/5537 und 18/7481).

Mittlerweile haben u.a. die Verbände der Ersatzkassen – VdAK/AEV-Landesvertretung Hamburg – den SPD-Gesetzesvorschlag ausdrücklich begrüßt (vgl. Pressemitteilung vom 17. Januar 2007). Auch der Deutsche Ärztetag hat verbindliche ärztliche Vorsorge-untersuchungen für Kinder im Sinne dieses Gesetzentwurfes gefordert: „Jugendhilfe und öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖDG) sollen in einem gesetzlich verankerten Meldewesen Eltern, die ihr Kind nicht zu den Früherkennungsuntersuchungen bringen, über ein Erinnerungsverfahren zur Teilnahme auffordern“ (vgl. Pressemitteilung der Bundesärzte-kammer vom 17.05.2007):

Der in das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Hamburg einzufügende § 7 a hat den Zweck, durch Erinnerungsschreiben an die Erziehungsberechtigten die Teilnahmequote an den Früherkennungsuntersuchungen zu erhöhen. Damit soll Kindern ein Mindestschutz durch eine vom Gemeinwesen vorgehaltene ärztliche Kontrolle gewährt werden.

Im Rahmen eines abgestuften Systems soll den Erziehungsberechtigten, wenn sie ihre Kinder trotz Erinnerung nicht an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen lassen, möglichst zeitnah die unmittelbare Untersuchung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst angedient werden. Wenn die Erziehungsberechtigten auch diese Untersuchung verweigern, soll durch eine Meldung an die mit der Wahrnehmung der Kinder- und Jugendhilfe betrauten Behörden die Möglichkeit verbessert werden, weitergehende Nachforschungen vorzunehmen und gegebenenfalls durch eingreifende Maßnahmen zu helfen.

 

 

Die Bürgerschaft möge folgendes Gesetz beschließen:

 

Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch

und Misshandlung

Vom…

Artikel 1

Das Gesundheitsdienstgesetz vom 18. Juli 2001 (HmbVBl. 2001, S. 201) zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Januar 2006 (HmbGVBl. 2006, S. 29) wird wie folgt geändert:

 

1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 7 folgende Textstelle eingefügt:

„§ 7 a Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder“.

 

2. § 7 Absatz 1 wird durch folgenden Satz 2 ergänzt:

„Er beobachtet und bewertet die förderlichen und abträglichen Bedingungen für eine gesunde Entwicklung von Kindern in ihrem Lebensumfeld.“

 

3. Nach § 7 wird folgender § 7 a eingefügt:

Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder

(1) Der Senat bestimmt ein Gesundheitsamt als Zentrale Stelle für den Datenabgleich zur Steigerung der Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen (im Folgenden: Zentrales Gesundheitsamt). Das Zentrale Gesundheitsamt ermittelt die Kinder im Alter von bis zu fünfeinhalb Jahren, die nicht an einer für ihr jeweiliges Alter gemäß §§ 26 Absatz 1 und 25 Absatz 4 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgesehenen Früherkennungsuntersuchung oder, soweit die Kinder nicht gesetzlich krankenversichert sind, an einer gleichwertigen Früherkennungsuntersuchung teilnehmen.

Die Wahrnehmung dieser Aufgabe kann auf Dritte übertragen werden, wenn der oder die Dritte die Gewähr für eine sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben bietet. Die Regelungen zur Kostenerstattung und zur Aufsicht durch die zuständige Behörde sind dann gesondert zu treffen.

(2) Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammen und Geburtshelfer, die eine Früherkennungsuntersuchung nach Absatz 1 durchgeführt haben, übermitteln dem Zentralen Gesundheitsamt unverzüglich folgende Daten:

1. Familienname des Kindes (jetziger Name mit Namensbestandteilen),

2. Vorname des Kindes,

3. Tag und Ort der Geburt des Kindes,

4. Geschlecht des Kindes,

5. gesetzliche Vertreterin und/oder gesetzlicher Vertreter des Kindes,

6. gegenwärtige Anschrift der gesetzlichen Vertreterin und /oder des gesetzlichen Vertreters des Kindes,

7. Datum der Durchführung der Früherkennungsuntersuchung,

8. Bezeichnung der durchgeführten Früherkennungsuntersuchung.

(3) Zur Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz übermitteln die Meldebehörden dem Zentralen Gesundheitsamt regelmäßig die erforderlichen Daten. Das Zentrale Gesundheitsamt gleicht diese Daten und die Daten nach Absatz 2 miteinander ab. Die Daten sind zu löschen, wenn ihre Kenntnis für das Zentrale Gesundheitsamt nicht mehr erforderlich ist, ansonsten spätestens nach fünfeinhalb Jahren.

(4) Das Zentrale Gesundheitsamt hat die gesetzliche Vertreterin und / oder den gesetzlichen Vertreter des Kindes, dessen Früherkennungsuntersuchung bevorsteht, zur Teilnahme an der Früherkennungsuntersuchung einzuladen. Hat ein Kind nicht an einer Früherkennungsuntersuchung teilgenommen, die für die Altersstufe von der Vollendung des ersten halben Lebensjahres bis zur Vollendung von fünfeinhalb Lebensjahren vorgesehen ist, so hat das Zentrale Gesundheitsamt die gesetzlichen Vertreterin und / oder den gesetzlichen Vertreter unverzüglich einzuladen, die Früherkennungs-untersuchung nachzuholen.

(5) Wird eine Früherkennungsuntersuchung, die für die Altersstufe vor Vollendung des ersten halben Lebensjahres vorgesehen ist, versäumt oder wird eine Früherkennungsuntersuchung, die für die Altersstufe von der Vollendung des ersten halben Lebensjahres bis zur Vollendung von fünfeinhalb Jahren vorgesehen ist, trotz wiederholter Einladung nach Absatz 4 Satz 2 nicht nachgeholt, hat das Zentrale Gesundheitsamt dem bezirklich zuständigen Gesundheitsamt unverzüglich folgende Daten zu übermitteln:

1. Familienname des Kindes (jetziger Name mit Namensbestandteilen),

2. Vorname des Kindes,

3. Tag und Ort der Geburt des Kindes,

4. Geschlecht des Kindes,

5. gesetzliche Vertreterin und / oder gesetzlicher Vertreter des Kindes,

6. gegenwärtige Anschrift der gesetzlichen Vertreterin und /oder des gesetzlichen Vertreters des Kindes,

7. Bezeichnung der unterbliebenen Früherkennungsuntersuchung.

Das bezirklich zuständige Gesundheitsamt hat der gesetzlichen Vertreterin und / oder dem gesetzlichen Vertreter unverzüglich eine Beratung über den Inhalt und Zweck der Früherkennungsuntersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt anzubieten.

(6) Erfolgt trotz des Angebots nach Absatz 5 keine Früherkennungsuntersuchung des Kindes, so übermittelt das zuständige Gesundheitsamt dem zuständigen Jugendamt unverzüglich folgende Daten:

1. Familienname des Kindes (jetziger Name mit Namensbestandteilen),

2. Vorname des Kindes,

3. Tag und Ort der Geburt des Kindes,

4. Geschlecht des Kindes,

5. gesetzliche Vertreterin und / oder gesetzlicher Vertreter des Kindes,

6. gegenwärtige Anschrift der gesetzlichen Vertreterin und /oder des gesetzlichen Vertreters des Kindes,

7. Bezeichnung der unterbliebenen Früherkennungsuntersuchung,

 

 

8. Bezeichnung des von der gesetzlichen Vertreterin und / oder dem gesetzlichen Vertreter gegebenenfalls angegebenen Grundes für die Nichtdurchführung der Früherkennungsuntersuchung.

(7) Eine Meldung nach Absatz 5 und 6 erfolgt nicht, wenn sich das Kind wegen einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung in kontinuierlicher ärztlicher Betreuung befindet.

(8) Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere zur Ausstattung der Gesundheitsämter, zum Verfahren der Datenmeldungen nach den Absätzen 2 und 6, zur Durchführung des Datenabgleichs nach Absatz 3, zur Erhebung und Verarbeitung von Daten nach Absatz 7, zur Durchführung der Einladung nach Absatz 4 und zur Andienung des Angebots nach Absatz 5 zu regeln.“

 

Artikel 2

Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.