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Gewalt gegen Gesundheitspersonal erfassen

Mittwoch, 12.04.2023

Das Ausmaß von Gewalt gegen Gesundheitspersonal in Deutschland ist weitgehend unbekannt. Die Unfallversicherungsträger erfassen jährlich mehrere tausend Beschäftigte im Gesundheitswesen, die durch Übergriffe von Patient*innen oder deren Angehörigen verletzt werden. Gewaltandrohungen, Beleidigungen oder Attacken, die keine körperlichen Verletzungen nach sich ziehen, bleiben im Dunkeln. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat in einer Befragung bereits 2015 festgestellt, dass jede dritte Pflege- und Betreuungskraft sich durch Gewalt und Aggression stark belastet fühlt. Auch sexuelle Belästigungen und Übergriffe durch die betreuten Personen sind laut einer Studie der BGW aus dem Jahr 2021 häufig. Rund die Hälfte der befragten Beschäftigten gab an, körperliche sexuelle Belästigung und Gewalt durch von ihnen gepflegte oder betreute Personen in den letzten 12 Monaten erlebt zu haben. Belästigungen verbaler oder non-verbaler Form ohne Körperkontakt haben rund die Hälfte bis zu Dreiviertel der Befragten mindestens einmal innerhalb des zurückliegenden Jahres erlebt. Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung und Gewalt im Unternehmen waren rund einem Drittel der Befragten nicht bekannt. Die Berufsgenossenschaft unterstützt Unternehmen im Gesundheits- und Sozialsektor, Übergriffen vorzubeugen und Hilfsstrukturen für Betroffene zu etablieren.

Während der Corona-Pandemie stieg der Druck auf das Gesundheitspersonal enorm an. Gerade Medizinische Fachangestellte (MFA), die den großen Andrang während der Impfkampagne in den Praxen bewältigen mussten, waren dem Frust und der Aggression mancher Patient*innen teilweise schutzlos ausgesetzt, da es in Praxen üblicherweise keinen Sicherheitsdienst gibt. Im Dezember 2022 meldete das Deutsche Rote Kreuz (DRK), dass Anfeindungen und Übergriffe besonders in den überlasteten Kinderkliniken zunähmen. Heftige Infektionswellen bei den saisonalen Atemwegserkrankungen sorgten für überfüllte Notaufnahmen, Notfallpraxen und Praxen der Primärversorgung. Gerade wenn Kinder betroffen sind, ist eine Wartezeit von mehreren Stunden für alle Beteiligten extrem belastend. In manchen Fällen entlädt sich die Anspannung in verbalen oder sogar körperlichen Attacken auf das Personal. Nach Kenntnis des Senats setzen die Hamburger Plankrankenhäuser ganz überwiegend Sicherheitsdienste ein. Die Kosten werden in allen Fällen von den Krankenhäusern selbst getragen und weichen entsprechend der Krankenhausgröße stark voneinander ab (vgl. Drs. 21/13891). Eine Beratungsstelle der Polizei bietet allen Hamburger Unternehmen und Institutionen spezielle Beratungen, Schulungen und Vorträge zum richtigen Umgang mit aggressiven Personen an. Ziel ist dabei der Schutz der psychischen und physischen Gesundheit von Mitarbeiter*innen bei deren beruflicher Tätigkeit. Die Beratungen erfolgen kostenfrei und individuell vor Ort. Das Angebot gilt auch für niedergelassene Ärzt*innen sowie für Krankenhäuser, Pflegeheime und Hospize in Hamburg.

Die Ärztekammer Niedersachsen setzt sich für eine zentrale Erfassung von Attacken gegen medizinisches Personal ein. Mit einem zentralen Meldesystem sollen Vorfälle erfasst, strukturiert aufgearbeitet und die Strafverfolgung eingeleitet werden. Die Polizei Hamburg erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Es werden bislang keine Statistiken geführt, die eine differenzierte Opfererfassung für den Bereich des Gesundheitswesens zulassen. Auch bei der Staatsanwaltschaft werden keinerlei Opferkategorien erfasst, da diese für die Strafverfolgung nicht benötigt werden. Diese Praxis entspricht dem Grundsatz der Datensparsamkeit. Geeigneter erscheint daher eine verbesserte Erfassung bei den Berufsgenossenschaften, die bereits heute verfügbare Daten auswerten, Studien zum Thema Gewalt am Arbeitsplatz durchführen und Betriebe zur Prävention und Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen beraten. Um eine möglichst lückenlose Erfassung zu erreichen, soll die Einführung einer erweiterten Meldeverpflichtung geprüft werden.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. in einen Austausch mit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zu treten, um Möglichkeiten einer weitgehend lückenlosen Erfassung von Gewaltvorfällen in Gesundheitsberufen und deren Prävention zu erörtern. Dabei sollen insbesondere folgende Aspekte berücksichtigt werden:

a. umfassende Meldung von Gewaltvorfällen in Betrieben und Sensibilisierung der Betriebe zum Umfang der Meldeverpflichtung bei jeglicher Art von Gewaltvorfall in Gesundheitsberufen,

b. Möglichkeiten der Auswertung von weitgehend vollständigen Meldungen der Gewaltvorfälle mit Blick auf die Ableitung von präventiven Maßnahmen,

c. Hilfestellung für eine angemessene Dokumentation im Betrieb und Gestaltungshinweise für Maßnahmen zur betrieblichen Gewaltprävention im Rahmen der Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen.

3. die Gefährdungen des Personals durch sexuelle Belästigungen und Gewalt im Rahmen der Allianz für die Pflege zu thematisieren,

4. das Angebot der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle zum richtigen Umgang mit aggressiven Personen im Gesundheitssektor bekannter zu machen,

5. der Bürgerschaft bis zum 30.9.2023 zu berichten.

 

sowie
  • Dr. Gudrun Schittek
  • Lisa Kern Filiz Demirel
  • Mareike Engels
  • Linus Görg
  • Michael Gwosdz
  • Dr. Adrian Hector
  • Britta Herrmann
  • Christa Möller-Metzger
  • Yusuf Uzundag
  • Peter Zamory (GRÜNE) und Fraktion