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Handeln statt Reden gegen die zunehmende Jugendgewalt

Freitag, 02.03.2007

Die von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgehende Gewaltkriminalität nimmt zu. Dieser Trend ist bundesweit seit einigen Jahren zu beobachten. In Hamburg ist er besonders dramatisch, wie aus der Polizeilichen Kriminalstatistik sowie den Senatsantworten auf Anfragen aus der SPD-Fraktion hervorgeht (vgl. u. a. Drs. 18/1844, 18/5241, 18/5706). Angesichts der Tatsache, dass die CDU-geführten Senate 2001 und 2004 mit der vollmundigen Ankündigung angetreten waren, die Jugendgewalt deutlich zu reduzieren, belegen diese Ergebnisse das Scheitern der CDU-Politik. Notwendig ist deshalb ein politischer und konzeptioneller Neuanfang, der präventive und repressive Maßnahmen wieder in ein vernünftiges Gleichgewicht bringt und dadurch eine höhere Wirksamkeit bei der Vermeidung von Jugendgewalt erreicht.

Grundlagen eines solchen Neuansatzes müssen eine eingehende Beschäftigung mit den Formen, Entstehungszusammenhängen und Ursachen von Jugendgewalt sowie eine systematische, qualifizierte und unabhängige Evaluation der in den vergangenen Jahren erprobten Gegenmaßnahmen sein.

 

Bezüglich der quantitativen Entwicklung der Jugendgewalt besteht unter Experten weitgehende Einigkeit darüber, dass zumindest ein gewisser Teil der Zunahme durch ein verändertes Anzeigeverhalten der Betroffenen zu erklären ist. Unbestritten ist aber vor allem die besorgniserregende qualitative Entwicklung: Die Gewaltdelikte werden hemmungsloser und brutaler. Immer öfter und schneller eskalieren auch banale Streitsituationen, immer öfter und schneller kommt es zum Einsatz von Waffen, vor allem Stichwaffen. Von „Verrohung“ ist die Rede. So unterschiedlich die Anlässe und Formen jugendlicher Gewalt im Einzelnen sind, so vielfältig – und unter Experten wie in der Öffentlichkeit umstritten – sind auch die Ursachen. Hier wissenschaftlich fundierte Erklärungen im Sinne klarer Kausalitäten zu liefern, ist bekanntermaßen schwierig; dennoch sind in der jüngeren Zeit einige Trends zu beobachten und eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt worden, die zumindest einige Vermutungen nahe liegend erscheinen lassen:

 

- Objektive soziale Problemlagen (wie z.B. die nach wie vor angespannte Situation auf dem Ausbildungsmarkt) führen bei vielen Jugendlichen zu Gefühlen der Perspektivlosigkeit, der Ausgrenzung und der Ohnmacht bezüglich der positiven Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen (vgl. z.B. die Shell-Jugendstudie 2006). Gewalt fungiert hier als Ausdruck von Frustration und angestauter Aggression, aber auch als Mittel zur Erlangung von Geltung, Aufmerksamkeit und „Respekt“ (sowohl im sozialen Nahbereich, als auch in der Gesellschaft insgesamt) und des Selbstgefühls von Macht und Stärke.

 

- Oft in Verbindung damit finden sich ungünstige familiäre Betreuungsverhältnisse, überforderte Eltern (die nicht selten Gewalt als bevorzugtes „Konfliktlösungsmittel“ vorleben) und schlechte Bildungschancen, die in den Schulen eher verschärft, denn kompensiert werden.

 

- Diese Problemlagen korrelieren z. T. mit ethnisch und kulturell bedingten Integrationsproblemen, bei der eine nach wie vor hohe und aktuell wieder zunehmende Fremdenfeindlichkeit einerseits (vgl. u. a. die Heitmeyer-Studien 2002 – 2006) oft auf Tendenzen zur kulturellen Abschottung und zur Betonung überkommener Werthaltungen und Verhaltensmuster (männliches Imponiergehabe, „Ehrenkodices“ u. ä.) als Ausdruck von kompensatorischer Identitätsbildung andererseits trifft.

 

- Durchaus auch feststellbar ist zudem ein schleichender Mentalitätswandel bei immer mehr Jugendlichen hin zu stark egozentrischem Verhalten. Diese Entwicklung kann zu bestimmten, scheinbar völlig unmotivierten Gewaltphänomenen führen, bei denen Gewalt und Rücksichtslosigkeit willkürlich ausgeübt werden. Ein vielfacher „Werteverlust“, auch wenn dieser Begriff häufig zu pauschal verwendet wird, geht damit einher.

 

- In jüngster Zeit sind die „neuen Medien“ in den Focus der Debatte gerückt: in Filmen und TV (bei denen in jüngerer Zeit, z.B. in aktuellen Horrorfilmen auch explizite Grausamkeiten eher ästhetisch inszeniert, denn negativ konnotiert werden); Gewaltdarstellungen (auch reale) im Internet; PC-„Killerspiele“, die aufgrund der aktiven Involviertheit der Spieler als Katalysatoren für die Präferenz gewaltförmiger Konfliktaustragung wirken und wahrscheinlich geeignet sind, Mitgefühl mit Gewaltopfern („Empathiefähigkeit“) abzutrainieren (so z.B. aktuelle Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen); Handys als allgegenwärtige Trägermedien für gewaltförmige und pornografische (sowohl virtuelle, als auch reale) Darstellungen.

 

- Besonders signifikant ist die Zunahme sexualisierter Nötigung und Gewalt unter Jugendlichen, wobei immer jüngere Jugendliche bereits zu Tätern werden. Dies steht sicherlich im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung (gewalt-) pornografischer Darstellungen im Internet und über Handys, eventuell auch mit der kommerziellen Sexualisierung der Jugendkultur insgesamt. Fest steht, dass der Konsum pornographischer Schriften und Filme, insbesondere auch solcher, die schwer gewalttätige Darstellungen zeigen, bei Kindern und Jugendlichen zu gravierenden Störungen der Entwicklung der eigenen Sexualität führen und erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung im sozialen, zwischenmenschlichen Bereich haben kann.

 

- Die zunehmende rechtsextremistisch motivierte Gewalt ist zwar einerseits gesondert zu behandeln und zu bekämpfen: Hier von Interesse ist aber, dass innerhalb der rechten Szene die gemeinschaftliche Ausübung von Gewalt (auch) als attraktives Mittel angesehen wird, Jugendliche für sich zu rekrutieren.

 

- Häufig finden jugendliche Gewaltdelikte im Zusammenhang mit Drogenkonsum, v. a. zunehmendem Alkoholkonsum statt. Zwar konnte der zwischenzeitlich starke Konsum der so genannten (besonders bei Mädchen beliebten) „Alkopops“ durch eine hohe Besteuerung stark reduziert werden; doch Bier und andere, härtere Alkoholika sind nach wie vor leicht und z. T. sehr günstig zugänglich.

 

- Nach wie vor sind gewalttätige Jugendliche weit überwiegend männlich; doch der Anteil gewalttätiger Mädchen und junger Frauen steigt, insbesondere in der Gruppe der sozial benachteiligten Jugendlichen.

 

Dieser Problemaufriss macht deutlich, dass gegen die Jugendgewalt mit vielfältigen, kurz- und langfristig angelegten, nachhaltigen Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen vorgegangen werden sollte, dass aber gleichzeitig eine kontinuierliche Vernetzung und Kommunikation zwischen allen Akteuren in den verschiedenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen erreicht werden muss, um die Programme abzustimmen, Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen und so kontinuierlich die Wirksamkeit zu verbessern.

 

Doch der CDU-Senat hat bis vor kurzem vor all diesen Entwicklungen und besorgten öffentlichen Debatten die Augen verschlossen – obwohl ihm die Fakten nicht zuletzt durch Initiativen der Opposition immer wieder deutlich vor Augen geführt wurden:

 

- Dem offensichtlichen Scheitern des proklamierten Hauptinstruments „Geschlossene Unterbringung“ steht der CDU-Senat bis heute hilflos gegenüber – obwohl ihm die SPD-Fraktion mit ihrer Initiative Drs. 18/5143 schon vor Monaten die Hand für einen Neuanfang gereicht hat.

 

- Die groß angekündigte, durchgreifende Verfahrensbeschleunigung bei jugendlichen Straftätern hat nicht stattgefunden, die Verfahren haben sich in vielen Bereichen oft noch verlangsamt. Beschleunigte Verfahren werden immer weniger angewandt.

 

- Die seit 2001 erprobten Programme und Maßnahmen gegen Jugendgewalt wurden größtenteils bis heute nicht qualifiziert und unabhängig evaluiert; ihre Wirksamkeit ist oftmals völlig spekulativ.

 

- Die Vorschläge der SPD-Fraktion für eine breit angelegte Entwaffnungsstrategie (v. a. gegen Stichwaffen) wurden nicht aufgegriffen; die Verantwortung wurde stattdessen auf die Bundesebene abgeschoben, obwohl klare Handlungsmöglichkeiten auf Landesebene bestehen. Nicht nur die virtuellen Waffen („Killerspiele“) sind gefährlich, sondern vor allem die realen!

 

- Es gibt zwar einzelne präventive Programme (wie z.B. Anti-Aggressivitäts-Trainings), aber diese setzen meistens viel zu spät ein, wenn die Schwelle zur Intensivtäter-Karriere bereits überschritten ist.

 

- Die Koordination zwischen Schulen, Polizei, Justiz, Jugendhilfe und Allgemeinen Sozialen Diensten sowie die Vernetzung und Kommunikation mit zivilgesellschaftlichen Institutionen ist immer noch mangelhaft. Zwar gibt es einzelne erfolgreiche Ansätze auf bezirklicher Ebene, andere Bundesländer sind aber seit Jahren deutlich weiter (z.B. Berlin mit seiner „Landeskommission gegen Gewalt“).

 

- Die Debatte über die mit den neuen Medien verbundenen Probleme hat der Senat jahrelang nicht zur Kenntnis genommen. Nun springt er auf den fahrenden Zug auf, den die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag in Gang gesetzt hat.

 

- Die Probleme von Kindern und Jugendlichen in den sozial benachteiligten Stadtteilen hat der Senat jahrelang ignoriert; ihre Bildungs- und Berufschancen hat er durch zusätzliche Gebühren und Sparmaßnahmen an den Schulen und Kitas weiter verschlechtert. Die jetzt verkündeten Gegenmaßnahmen reichen bei weitem nicht aus.

 

- Die seit Jahren andauernde Krise auf dem Ausbildungsmarkt hat der Senat jahrelang schöngeredet. Die jetzt erfolgte Aufstockung der öffentlich geförderten Ausbildungsplätze reicht als einmalige Maßnahme bei weitem nicht aus.

 

- Die Jugendarbeit in den Bezirken, die wichtige und konkrete Beiträge zur Gewaltprävention leistet, ist seit Jahren von Standardabsenkungen betroffen. Die Bezirke schlagen Alarm – der Senat ignoriert es.

 

Mit der Durchführung einer Expertentagung im Januar 2007 und der hastigen Veröffentlichung stichwortartiger Ergebnisse hat der Innensenator nun immerhin das Problem eingeräumt und Handlungsbedarf zugestanden. Das ist zu begrüßen. Doch viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind nicht neu und ein ganzheitlicher, systematischer Ansatz ist nicht zu erkennen.

 

Vor allem bei der Gewaltprävention an Schulen werden Dinge aufgeführt, die bereits seit Jahren, auch an Hamburger Schulen, erfolgreich umgesetzt werden. Gerade in den letzten Jahren haben die Gewaltpräventionsprojekte an Hamburger Schulen deutlich zugenommen, teilweise aus eigener Initiative von Lehrkräften bzw. Schülerinnen und Schülern, teilweise auf Anregung der Beratungsstelle für Gewaltprävention beim Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), das insgesamt eine gute und engagierte Arbeit leistet. Auch die Hamburger Polizei ist in diesem Bereich mit ihrem „Cop4U“-Programm und den Gewaltpräventions-Unterrichten engagiert, wenn auch Evaluationsergebnisse dieser Maßnahmen bisher nicht bekannt sind.

 

Ziel ist ein energisches und konsequentes Vorgehen gegen die Ursachen und die Erscheinungsformen von Jugendgewalt. Alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte sind zu einem konstruktiven Dialog und zu gemeinsamem Handeln eingeladen.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

„Der Senat wird aufgefordert, zur Bekämpfung der Jugendgewalt unverzüglich folgende Maßnahmen zu ergreifen und der Bürgerschaft jeweils zum Halbjahresende über die eingeleiteten Schritte und ihre Wirksamkeit Bericht zu erstatten:

 

1. Überprüfung laufender Programme

 

Sämtliche laufenden Programme (etwa der Innenbehörde, der Sozialbehörde und der Bildungsbehörde) im Bereich der Jugendgewalt sollen qualifiziert evaluiert und die Ergebnisse der Bürgerschaft und der Öffentlichkeit vorgelegt werden.

 

1.1. In diesem Rahmen ist zum Beispiel das Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ zu evaluieren und ggf. auszubauen; Minderjährige „Schwellentäter“ sollen nicht mehr prinzipiell von einer Teilnahme ausgeschlossen werden.

 

1.2. Auch die Einrichtung so genannter „Teencourts“ soll in Abhängigkeit der Ergebnisse einer qualifizierten Evaluation ausgeweitet werden.

 

2. Gewalteskalationen vorbeugen

 

2.1. Gerade in Näheverhältnissen können polizeiliche Kontakt- und Näherungsverbote Eskalationen von Gewalttätigkeit vermeiden helfen. Der Senat ist aufgefordert, der Bürgerschaft einen entsprechenden Gesetzentwurf zu übermitteln, mit dem nach dem Vorbild von Rheinland-Pfalz eine solche Regelung im Polizeirecht verankert wird.

 

2.2. Gewalteskalationen kann wirksam mit Anti-Aggressions- und Anti-Gewalt-Trainings begegnet werden. Diese Trainings sind nicht erst mit Intensivtätern, sondern bereits für erstmalig oder in wenigen Fällen gewalttätige Jugendliche obligatorisch durchzuführen.

 

2.3. Gewalt eskaliert nicht zuletzt, wenn Waffen verfügbar sind. Es sind unverzüglich Maßnahmen für eine die Jugendgewalt mit eindämmende Entwaffnung Hamburgs zu ergreifen (Drs. 18/2291):

 

- Dazu gehört der umgehende Erlass einer Gefahrabwehrverordnung, die das Tragen von Messern, Waffen und anderen gefährlichen Gegenständen in bestimmten Bereichen der Stadt verbietet. Im Übrigen ist das Waffenrecht in ganz Hamburg – gerade hinsichtlich seiner stärkeren Restriktionen – konsequent umzusetzen. Das vollständige Verbot jeglicher Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen (§ 42 Waffengesetz) und an Schulen (§ 31 Abs. 3 Schulgesetz) ist nachdrücklich zu überwachen; Verstöße gegen das Waffengesetz sind konsequent zu ahnden. Auf Bundesebene hat sich der Senat für ein vollständiges Verbot von Hieb- und Stoßwaffen (mit Ausnahme von Taschenmessern) sowie von Anscheinswaffen einzusetzen, außerdem für die erneute Erschwerung des Kaufs und Verkaufs von Gas- und Schreckschusswaffen.

 

- Nach Bremer Vorbild ist eine öffentlichkeitswirksame Kampagne „Hamburg rüstet ab!“ zu starten. Zugleich sollen die mit Waffen handelnden Geschäfte intensiv kontrolliert und motiviert werden, für Waffen nicht in Schaufenstern zu werben. Gemeinsam mit gefährdeten Diskotheken und Szene-Lokalitäten sollen konkrete und verbindliche Sicherheitskonzepte zu erarbeitet werden, um nachhaltige Maßnahmen gegen Drogen, Diebstahl, übermäßigen Alkoholkonsum und Gewaltdelikte zu treffen.

 

3. Medien und Medienerziehung

 

3.1. Die Medienerziehung soll im vorschulischen Bereich und in den Schulen mit dem Ziel intensiviert werden, die Widerstandskraft der Kinder und Jugendlichen gegen die Internalisierung von Gewaltmustern zu stärken und bestimmte Verbote aufklärend zu untermauern.

 

3.2. Die Aufklärungsarbeit über die Risiken des Medienkonsums und der neuen Medien auch bezüglich der Eltern zu stärken. Angesichts des erheblichen Anstiegs sexueller Übergriffe zwischen Kindern und Jugendlichen ist dabei nicht zuletzt auch auf die Gefahren gewaltpornographischer Darstellungen für Kinder und Jugendliche hinzuweisen.

 

3.3. Generell soll Hamburg eine gewaltpräventive Medienpolitik in der Weise unterstützen, wie sie im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU auf Bundesebene vorgesehen ist, also im Hinblick auf die Überprüfung der Wirksamkeit des Konstrukts „Regulierte Selbstkontrolle“, die Überprüfung der Angemessenheit und Wirksamkeit der Altersgrenzen bei der Freigabe von Filmen und Computerspielen, die Einführung verlässlicher Kontroll- und Sicherheitsstandards für Videoverleihautomaten, die Entwicklung von Kriterien, anhand derer die Feststellung getroffen werden kann, ob Computerspiele und andere mediale Darstellungen Gewalt verherrlichend bzw. verharmlosend sind und deshalb zu verbieten sind, sowie den Einsatz auf internationaler Ebene für die Entwicklung und Einhaltung verbindlicher Mindeststandards bezüglich des Internets.

 

4. Gewaltprävention in Kindertagesstätten und Schulen

 

4.1. Kontinuierliche Gewaltpräventionsarbeit soll bereits in den Kindergärten (auf Grundlage der Erkenntnisse der aktuellen „Frankfurter Präventionsstudie“) eingeführt bzw. unterstützt und zum Bestandteil der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher werden.

 

4.2. Es soll darauf hingewirkt werden, den Anteil männlicher Erzieher und Lehrer im vorschulischen Bereich und an den Grundschulen zu erhöhen, um so auch positive Identifikationsmöglichkeiten für Jungen zu schaffen.

 

4.3. Die Gewaltprävention in den Schulen ist mit dem Ziel stärkerer Kontinuität auszubauen. Dafür sind die entsprechenden personellen Ressourcen bereitzustellen (auch ausreichende psychologische und sozialpädagogische Fachkräfte) sowie die dementsprechende Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte zu intensivieren.

 

4.4. Die Eltern – und deren Interessenvertretungen – sind in die gewaltpräventive Arbeit an den Schulen (und auch außerhalb) verstärkt einzubeziehen und dabei ihre eigenen Kompetenzen zu nutzen, aber auch zu verstärken.

 

4.5. Die polizeilichen Präventionsunterrichte im Rahmen des Programms „Kinder- und Jugenddelinquenz“ sind dadurch zu stärken, dass sie von den entsprechenden Beamtinnen und Beamten nicht nur im „Nebenamt“ durchgeführt, sondern mit ausreichenden zeitlichen Kapazitäten als wesentlicher Teil ihres Dienstes geleistet werden können. Zudem sollen die polizeilichen Präventionsunterrichte in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Gewaltprävention des LI und des Fachbereichs Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg dahingehend evaluiert werden, ob und wie eine sinnvolle Integration von Gewaltprävention in den allgemeinen Schulunterricht (u. a. als Erlernen konstruktiver und kommunikativer Konfliktlösungsmuster) konzipiert werden könnte.

 

5. Mehr Unterstützung für die Polizei

 

5.1. Das „Cop4U“-Programm ist dahingehend umzustellen, dass die Beamtinnen und Beamten diese Aufgabe nicht als zusätzliche Funktion, sondern mit ausreichenden zeitlichen Kapazitäten als wesentlichen Teil ihres Dienstes versehen können, und dafür entsprechend vertieft aus- und weitergebildet werden. Dies würde notwendigerweise eine Reduzierung ihres sonstigen Aufgabenspektrums erfordern. Alternativ dazu kommt auch eine Übertragung der „Cop4U“-Aufgabe auf andere, speziell dafür eingesetzte und entsprechend aus- und fortgebildete beamte in Frage.

 

5.2. Es ist darauf hinzuwirken, den Anteil der Polizeibediensteten und sonstigen, für die Stadt im Bereich der Gewaltprävention Tätigen mit Migrationshintergrund zu erhöhen; das Ziel sind mehr Akteure in der Gewaltprävention, die aufgrund ihres biographischen Hintergrundes „nah dran“ an den jeweils gefährdeten Jugendlichen sind und daher effektiver als Ansprechpartner und durch Interventionen agieren können.

 

5.3. Zudem sind die Ausbildungsgänge der Polizeibeamtinnen und -beamten zu überprüfen und insbesondere die Fortbildungsangebote für Polizeibeamte hinsichtlich des Umgangs mit Jugendlichen weiter auszubauen.

 

6. Unterbringung straffälliger Kinder und Jugendlicher

 

6.1. Die Geschlossene Unterbringung ist gemäß der Maßgaben des Antrags Drucksache 18/5143 grundlegend umzustellen, d.h. insbesondere:

 

- Die Geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße ist zu schließen; in Kooperation mit anderen norddeutschen Bundesländern ist eine neue Einrichtung für die geschlossene Unterbringung milieufern in einer ländlich geprägten Gegend zu schaffen.

 

- Für Hamburg sind zwölf statt bisher 18 Betreuungsplätze in der Einrichtung vorzuhalten; ein maßgeblicher Teil der Plätze soll für eine offene Unterbringung im Rahmen einer Anschlussbetreuung zur Verfügung stehen, um den Erfolg der Einrichtung bei der Resozialisierung zu steigern.

 

6.2. Auf Bundesebene sind – entsprechend der Verständigung der Koalitionsvereinbarung –die gesetzlichen Vorschriften zu gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (insbesondere §§ 1666, 1631b BGB, § 34 JGG) mit dem Ziel zu überarbeiten, familiengerichtliche Maßnahmen hinsichtlich schwerwiegend verhaltensauffälliger, insbesondere straffälliger Kinder und Jugendlicher zu erleichtern. Dabei sind Regelungen anzustreben, die Erziehungsberechtigten zur Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen verpflichten zu können und auf die Kinder oder Jugendlichen erzieherisch einzuwirken und sie – als ultima ratio – erforderlichenfalls gegen den Willen der Eltern unterbringen zu können.

 

7. Pilotversuch ´Haus des Jugendrechts`

 

Es sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um zum 1. Januar 2008 in Hamburg – in einem entweder räumlich, personell oder zuständigkeitsmäßig begrenzten Pilotversuch – ein „Haus des Jugendrechts“ nach Stuttgarter Vorbild einzurichten, in dem die Jugendsachbearbeiter der Polizei, die Jugendstaatsanwaltschaft und die Jugendgerichtshilfe zusammengefasst werden, um so ein effektives Fallmanagement und eine Beschleunigung der Verfahren zu ermöglichen. Das Pilotprojekt ist qualifiziert zu begleiten und zu evaluieren, damit nach spätestens zwei Jahren entschieden werden kann, inwieweit dieses Konzept dauerhaft für Hamburg machbar ist.

 

8. Beschleunigung der Verfahren gegen junge Straftäter

 

Mit verbindlichen Verfahrensleitlinien zwischen Staatsanwaltschaft und Gerichten soll dafür Sorge getragen werden, dass das vereinfachte Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGG bzw. das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO wesentlich intensiver in geeigneten Fällen zur Anwendung kommt. Auch bei den herkömmlichen Verfahren sind neue Anstrengungen der Justiz erforderlich, damit die Losung „die Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen“ wieder in stärkerem Maß umgesetzt wird.

 

9. Jugendgerichtsgesetz punktuell ändern

 

Das Jugendstrafrecht hat sich bewährt und ist nur punktuell weiterzuentwickeln.

 

9.1. Das vereinfachte Jugendverfahren (§§ 76 ff. JGG) sowie auch das beschleunigte Verfahren für Heranwachsende (§§ 417 ff. StPO) ermöglichen eine rasche gerichtliche Reaktion und müssen verfahrensmäßig besser flankiert werden. Durch die Änderung des § 78 Abs. 3 JGG soll den Gerichten die Möglichkeit gegeben werden, gegen den der Hauptverhandlung ferngebliebenen Angeklagten einen Vorführungsbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO zu erlassen. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung, die gerade bei der Bekämpfung der Jugendgewalt von elementarer Bedeutung ist.

 

9.2. Der Jugendarrest ist eine bereits gesetzlich verankerte Reaktion auf jugendliches Fehlverhalten in Form eines kurzzeitigen Freiheitsentzuges. Die Verhängung eines Jugendarrests kommt nach § 13 JGG dann in Betracht, wenn eine Jugendstrafe nicht erforderlich ist, Verwarnungen und Auflagen zur Ahndung des Strafunrechts aber allein nicht ausreichen. Wir erwarten von der Justiz, dass dieses wichtige Instrument klarer Grenzsetzung konsequent angewandt und erzieherisch begleitet wird, um kriminelle Karrieren in geeigneten Fällen zu stoppen.

 

9.3. Das vorbildlich differenzierte Sanktionssystem im Jugendstrafrecht soll an zwei Stellen neu justiert werden:

 

- Ein bis zu dreimonatiges Fahrverbot soll im Jugendstrafrecht zu einer eigenständigen, nicht auf Taten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr beschränkten Sanktion ausgebaut werden. Im Hinblick darauf, dass das Führen von Kraftfahrzeugen gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden einen hohen Prestigewert hat, kann ein derartiges Zuchtmittel nachhaltige erzieherische und auch „Denkzettel“-Wirkung erzielen. Bei leichteren Vergehen kann ein vorübergehendes Fahrverbot auch in Form einer Weisung nach § 10 JGG ausgesprochen werden.

 

- Zur Klarstellung sollte der Katalog der Weisungen in § 10 Abs. 1 Satz 3 JGG um eine Meldepflicht erweitert werden. Damit kann einem jungen Straftäter beispielsweise unmöglich gemacht werden, bestimmte Veranstaltungen zu besuchen. Dadurch lässt sich z. B. verhindern, dass er als „Hooligan“ zu Fußballspielen anreist.

 

9.4. Die Durchführung des sogenannten Täter-Opfer-Ausgleichs als eines der zentralen Elemente des Sanktionsrechts im Jugendstrafrecht muss weiter ausgebaut und verstärkt werden.

 

9.5. Nach § 105 JGG ist die Sanktionierung Heranwachsender nach allgemeinem Strafrecht die Regel, die Gleichsetzung mit Jugendlichen bedarf der Begründung. Wenn und soweit eine solche Gleichsetzung im Einzelfall der Staatsanwaltschaft anfechtbar erscheint, muss sie Rechtsmittel einlegen. Eine Präzisierung des Gesetzes an dieser Stelle darf nur letztes Mittel sein.

 

9.6. Die Initiative der Bundesjustizministerin Zypries, in bestimmten extremen Einzelfällen und unter strengen Voraussetzungen die nachträgliche Sicherheitsverwahrung auch für Jugendliche und Heranwachsende vorzusehen, wird unterstützt.

 

10. Jugendhaft

 

Der Jugendstrafvollzug ist entlang der Maßgaben der Drs. 18/5831 erstmals auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Ein guter Behandlungsvollzug ist der beste Opferschutz von morgen.

 

11. Aktive und Aktivitäten bündeln

 

Die verschiedenen Ansätze präventiver und repressiver Bekämpfung der Jugendgewalt müssen in geeigneter Weise gebündelt, die Akteure aus den staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen kontinuierlich vernetzt sein, zum Einen durch Stärkung der bezirklichen Fachkommissionen in ihrer strukturellen und prozessoptimierenden Arbeit, zum anderen durch die Schaffung einer zentralen, mit angemessenen personellen Ressourcen ausgestatteten Einrichtung (z.B. nach dem Vorbild der Berliner „Landeskommission gegen Gewalt“).“