Zum Hauptinhalt springen

Handlungskonzept gegen Jugendgewalt weiterentwickeln

Dienstag, 16.06.2009

 

Anfang 2008 ist das Senatskonzept gegen Jugendgewalt von der Bürgerschaft beschlossen worden (Drs. 18/7296, 18/7692). Schon geraume Zeit vor diesem „Last Minute Programm“, das nicht zufällig erst im Wahlkampf auf den Weg gebracht wurde, hatte die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft ein Maßnahmenbündel zur Bekämpfung der Jugendgewaltkriminalität vorgelegt (Drs. 18/5906, 18/7800).

Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag taucht das Stichwort „Jugendgewalt“ nicht auf – obwohl der Handlungsdruck keineswegs abgenommen hat. Die Bilanz, die im Innenausschuss auf Initiative der SPD-Fraktion (Drs. 19/1463) und in der Senatsantwort Drs. 19/2866 vorgenommen wurde, ist durchwachsen. Vieles geht zwar in die richtige Richtung; wesentliche Fortschritte im Kampf gegen die Jugendgewalt hat das Konzept aber bisher nicht erreicht. So hat zwar die Zahl der unter 21-jährigen Tatverdächtigen im Jahr 2008 gegenüber den Vorjahren abgenommen. Der Rückgang ist aber nicht zuletzt auf die Altersgruppe der Heranwachsenden zurückzuführen, die im Senatskonzept unbeachtet bleibt. Die Zahl der Kinder, die Straftaten verüben, ist dagegen seit Jahren konstant – bei einem kontinuierlich steigenden Anteil der Roheitsdelikte.

Weitere Schritte müssen also folgen. Gerade die GAL-geführten Ressorts der Schul- und Justizbehörde haben bisher kaum Akzente gesetzt. So konnte zwar bei den Jugendstrafverfahren die Zahl der Ermahnungsgespräche bei der Staatsanwaltschaft Hamburg gesteigert werden, der Anteil der beschleunigten und vereinfachten Jugendstrafverfahren geht jedoch weiter zurück und das Projekt PriJus (die verstärkte Nutzung moderner Kommunikationsmittel bei Verfahren gegen jugendliche Schwellentäter) läuft offenbar nur schleppend an. Die Schulbehörde lässt Konsequenz und Transparenz bei der Durchsetzung der Senatsvorgaben vermissen, etwa bei der Anzeigepflicht von Gewalttaten an Schulen.

Zu weiteren Problemfeldern trifft der Senat bisher überhaupt keine Aussagen, obwohl gerade hier weitere Anstrengungen unabdingbar erscheinen:

• Obwohl immer mehr Menschen Opfer gefährlicher und schwerer Körper-verletzungen unter Einsatz von Waffen und Messern werden, enthält das Konzept des Senats keine Schritte zur Entwaffnung der Stadt.

• Obwohl gerade Gewalttaten zunehmend unter Alkoholeinfluss verübt werden, wird das offenkundig wachsende Problem des Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen nicht erwähnt.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

„Der Senat wird aufgefordert, zusätzlich zu den in Drs. 18/7296 beschriebenen Schritten zur Bekämpfung der Jugendgewalt unverzüglich folgende weitere Maßnahmen zu ergreifen und der Bürgerschaft jeweils zum Halbjahresende über die eingeleiteten Schritte und ihre Wirksamkeit Bericht zu erstatten:

1. Gewalteskalationen vorbeugen

Gewalt eskaliert nicht zuletzt, wenn Waffen verfügbar sind. Die Entwicklung der Jugendgewalt ist auch dadurch gekennzeichnet, dass sie häufiger als in der Vergangenheit eskaliert, indem schneller zu einem Messer oder anderen gefährlichen Werkzeugen gegriffen wird. Die im Jahr 2008 erneut um 6,6 Prozent gestiegenen Zahlen bei der Straßengewalt, den Delikten der gefährlichen und schweren Körperverletzung im öffentlichen Raum, untermauern den Handlungsbedarf.

Dieser zentrale Aspekt findet sich im Handlungskonzept des Senats gegen Jugendgewalt immer noch nicht wieder. Das – nicht zuletzt auf Druck der SPD-Opposition – vom Senat beschlossene, räumlich beschränkte Waffenverbot kann nur ein erster Schritt sein. Es braucht einen konzertierten Ansatz für ganz Hamburg, eine echte Entwaffnungsstrategie – nicht nur für einen Straßenzug auf dem Kiez und einen Platz in St. Georg. Eine entsprechende Initiative der SPD-Fraktion (Drs. 19/2913) haben die Koalitionsfraktionen in der Bürgerschaft jüngst ohne Ausschussberatung abgelehnt. Von den Ankündigungen aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag ist in der Realität noch nichts zu sehen, weder im Hinblick auf die Schaffung weiterer Waffenverbotszonen, noch bezüglich der in Aussicht gestellten Aufklärungskampagne. Auch die von Senatsseite in Aussicht gestellte rechtliche Änderung für ein Verbot von Glasflaschen, mit dem die Zahl gefährlicher Körperverletzungen verringert werden soll, hat unerklärlich lange auf sich warten lassen.

Ergänzend zu den Vorschlägen aus Drs. 19/2913 sowie der mit Drs. 19/1471 vorgeschlagenen Verankerung polizeilicher Kontakt- und Näherungsverbote im Polizeirecht wird der Senat daher aufgefordert,

1. Gewalteskalationen wirksam mit Anti-Aggressions- und Anti-Gewalt-Trainings zu begegnen und dabei sicherzustellen, dass diese nicht erst im Intensivtäterbereich, sondern in allen geeigneten Fällen bereits bei (Gewalt-) Ersttätern obligatorisch durchgeführt werden.

2. gemeinsam mit gefährdeten Diskotheken und Szene-Lokalitäten konkrete und verbindliche Sicherheitskonzepte zu erarbeiten, um nachhaltige Maßnahmen gegen Drogen, Diebstahl, übermäßigen Alkoholkonsum und Gewaltdelikte zu treffen. So könnte man sich nach einem Vorbild Baden-Württembergs in Kooperation von Stadt und Gastronomie darum bemühen, gegen Personen, die aus einer Gaststätte verwiesen werden, längerfristige und lokalitäten-übergreifende Hausverbote auszusprechen, um insbesondere alkoholisierten Randalierern Einhalt zu gebieten. In Freiburg verdeutlichen die beteiligten Bars, Clubs, Diskotheken und Eventveranstalter durch ein Gütesiegel mit dem Logo der Kampagne an den Eingängen, welche Konsequenzen Gewalt hat: "Fliegst du einmal raus, kommst du nirgends mehr rein!" Bei Straftaten wird Anzeige erstattet.

 

2. Alkoholmissbrauch bekämpfen

Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der Konsum von Alkohol bei der Begehung von Gewaltdelikten durch junge Menschen eine immer größere Rolle spielt. Während in den Jahren 2002/2003 hamburgweit knapp 25 Prozent der Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss verübt wurden, ist es mittlerweile wird jedes dritte Gewaltdelikt, bei den Delikten der Straßengewalt sind es sogar 42 Prozent. Im Gefahrengebiet St. Pauli gibt es noch häufiger Anhaltspunkte, dass Tatverdächtige von Körperverletzungs- und Gewaltdelikten alkoholisiert waren.

Zudem häufen sich Hinweise auf zunehmend problematisches Konsumverhalten junger Menschen. Die Folgen übermäßigen Konsums von Alkohol und Drogen werden in den Bemühungen des Senats gegen Jugendgewalt bisher weder in präventiver Hinsicht noch bei den repressiven Maßnahmen angemessen berücksichtigt. Auch die in Zusammenhang mit problematischen Alkohol- und Drogenkonsummustern ebenso wie in Hinblick auf Gewalteskalation relevanten geschlechtsspezifischen Aspekte finden bisher kaum angemessene Berücksichtigung. Der in Hamburg bislang absolut unzureichende Vollzug des Jugendschutzrechts ist inakzeptabel und zwingt zu weiteren, gesondert zu betrachtenden Maßnahmen.

Der Senat wird aufgefordert,

1. sicherzustellen, dass die Polizei im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung die originär zuständigen Stellen verstärkt informiert, wenn sie Lageerkenntnisse oder anderweitige Hinweise auf den Alkoholkonsum bzw. -missbrauch von Kindern und Jugendlichen hat. Sie sollte im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung bei der Feststellung entsprechender Sachverhalte die Möglichkeiten des Jugendschutzrechts und des Ordnungsrechts zur Unterbindung bzw. Reduzierung des Konsums von Alkohol durch Kinder und Jugendliche ausschöpfen.

2. dafür Sorge zu tragen, dass Jugendhilfe und Jugendgerichte gebeten werden, regelhaft zu prüfen, inwieweit Hinweise auf Drogen- oder Alkoholproblematiken im Rahmen der heutigen Hilfeplanung bzw. der justiziellen Reaktion auf Jugendkriminalität gezielt berücksichtigt werden.

3. exzessiven, selbst- und fremdgefährdenden öffentlichen Alkoholkonsum nicht zu tolerieren, sondern ernsthaft zu prüfen, ob und welche gesetzgeberischen Schritte ergänzend angebracht sind, um Erwerb und Konsum alkoholischer Getränke einzuschränken:

a. Der Senat ist aufgefordert, zu prüfen, ob und inwieweit der Verkauf alkoholhaltiger Getränke in den Abend- und Nachtstunden im Rahmen einer Verschärfung des Ladenschlussrechts zu untersagen ist. Nach den derzeit geltenden Bestimmungen ist der Verkauf von Alkohol jedem Geschäft rund um die Uhr – bis auf sonntags – gestattet. Damit wird der Konsum von Alkohol in einer nicht nur aus Gesichtspunkten des Jugendschutzes, sondern für die Gesellschaft insgesamt schädlichen Weise und in wirtschaftlich unnötigem Ausmaß unterstützt. Nicht zuletzt an manchen Brennpunkten wirkt sich die Verfügbarkeit von Alkoholika nachteilig auf die Sicherheit aus. In Anlehnung an eine entsprechende Regelung in Baden-Württemberg wäre zum Beispiel ein nächtliches Verkaufsverbot zwischen 22.00 Uhr und 5. 00 Uhr denkbar.

b. Außerdem ist eine gesetzliche Änderung des Wegerechts zu prüfen, die es den örtlich zuständigen und über die entsprechende Ortskunde verfügenden Bezirksämtern ermöglicht, für bestimmte Orte zeitlich befristete und räumlich eng begrenzte Alkoholverbote zu erlassen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort ein Brennpunkt für selbst- und fremdgefährdenden Alkoholmissbrauch verfestigt. Bisher sind entsprechende Verfügungen allenfalls in Grün- und Erholungsanlagen möglich. Der Senat ist zudem gefordert, die jeweils zuständigen Stellen personell in die Lage zu versetzen, betroffene Gruppen einerseits gezielt anzusprechen und auf etwaige Hilfsangebote hinzuweisen und anderseits den Vollzug der Verfügungen zu gewährleisten.

4. die Beförderung stark alkoholisierter Minderjähriger durch Polizei- oder Rettungsfahrzeuge künftig regelhaft kostenpflichtig zu gestalten. Nicht zuletzt, um die Eltern der betroffenen Jugendlichen über die Problematik zu sensibilisieren, sollen sie eine Rechnung über die Transportkosten erhalten.

5. in den Schulen mit Blick auf den selbst- und fremdgefährdenden Alkoholmissbrauch präventive Maßnahmen zu verstärken und die Zusammenarbeit von Sucht- und Gewaltprävention unter Einbeziehung der Jungenarbeit auszubauen. In diesem Zusammenhang sind die Erfahrungen aus den Kampagnen und anderen schulischen Präventionsmaßnahmen gegen Nikotin und Drogen zu berücksichtigen.

 

3. Gewaltpräventive Medienpolitik forcieren

Die Kriminologische Forschung weist immer wieder auf mögliche Zusammenhänge zwischen dem unkontrollierten Konsum von gewaltverherrlichenden Medien und der Gewaltanfälligkeit junger Menschen hin. Auch dieser Gesichtspunkt findet sich in den Senatskonzeptionen bisher viel zu wenig. Dabei müsste Konsens bestehen, dass die Bedeutung von „Medienkompetenz“ verstärkt in die Öffentlichkeit getragen und gegenüber besonders gefährdeten Nutzergruppen und deren Eltern unterstrichen werden sollte. Hierzu sollten gemeinsame Konzepte mit den Verbänden der Medien sowie mit den Bildungseinrichtungen entwickelt werden – bundesweit, aber auch in Hamburg. Als Medienstadt hat Hamburg auch hier Vorbildcharakter.

Der Senat wird aufgefordert,

1. die Medienerziehung im vorschulischen Bereich und in den Schulen mit dem Ziel zu intensivieren, die Widerstandskraft der Kinder und Jugendlichen gegen die Internalisierung von Gewaltmustern zu stärken und bestimmte Verbote aufklärend zu untermauern.

2. die Aufklärungsarbeit über die Risiken des Medienkonsums und der neuen Medien auch bezüglich der Eltern zu stärken. Angesichts des erheblichen Anstiegs sexueller Übergriffe zwischen Kindern und Jugendlichen ist dabei nicht zuletzt auch auf die Gefahren gewaltpornographischer Darstellungen für Kinder und Jugendliche hinzuweisen.

3. auch in Hamburg eine aktive gewaltpräventive Medienpolitik zu betreiben und zu unterstützen. Neben der Unterstützung anstehender bundesweiter Initiativen ist vor Ort darauf zu achten, dass verlässliche Kontroll- und Sicherheitsstandards für Videoverleihautomaten festgestellt und schließlich auch durchgesetzt werden.

 

4. Gewaltprävention in Kindertagesstätten und Schulen weiter ausbauen

Das Senatskonzept beinhaltet zu Recht den Ausbau der Gewaltpräventionsarbeit in Kita und Schule. Doch die Berichterstattung im Innenausschuss ergab: Außer Stellenbesetzungen und Schulungen waren z.B. beim Programmbaustein „early starter“ bis zum Herbst 2008 keine echten Ergebnisse zu verzeichnen. Kein verhaltensauffälliges Kind hatte bis zu diesem Zeitpunkt im Rahmen dieses Konzepts von Präventivmaßnahmen profitiert. Das ist umso unverständlicher, als gerade im frühkindlichen Bereich angesetzt werden muss, wenn Prävention zügig greifen soll. Aber auch im Rahmen der Schullaufbahn muss sichergestellt werden, dass die Gewaltpräventionsarbeit altersgerecht und durchgehend verlässlich ausgestaltet wird.

In der Kindertagesbetreuung gilt es, insbesondere in sozial benachteiligten Gebieten, kleinere Gruppen und damit Arbeitsbedingungen zu schaffen, die es den Erzieherinnen und Erziehern erlauben, ihr Wissen und ihre Methoden zum Thema „Gewaltprävention“ anzuwenden – Zu den offiziell verbindlichen „Bildungsempfehlungen für Kindertageseinrichtungen“ zählt nicht zuletzt auch der Bildungsbereich „Soziale Umwelt“. Die Umsetzung aller Bildungsempfehlungen scheitert aber in der Praxis oft an den Gruppengrößen in den Kindertageseinrichtungen von z. B. 25 Kindern in einer Gruppe von Drei- bis Sechsjährigen bzw. einer schlechten Erzieher-Kind-Relation.

 

 

 

Der Senat wird daher aufgefordert,

1. die Umsetzung der gewaltpräventiven Ansätze im Bereich von Kita – wie z. B. Papilio (gegen Gewalt und Sucht) – und Schule zu beschleunigen und der Bürgerschaft hierüber Bericht zu erstatten.

2. für Kitas in sozial benachteiligten Gebieten kleinere Gruppen zu schaffen – in Anlehnung an die Absenkung der Klassenfrequenzen von Grundschulen in KESS 1- und KESS-2-Gebieten. Maximal darf eine Gruppe – bei gleichbleibender Fachkraftstärke pro Gruppe – aus 18 Kindern bestehen, damit den Bildungsempfehlungen entsprechend soziale Kompetenzen auch im Kita-Alltag besser vermittelt werden können.

3. wie von Expertinnen und Experten – auch im Rahmen von Sachverständigenanhörungen der Bürgerschaft in der vergangenen Wahlperiode – gefordert, endlich den Anteil männlicher Erzieher und Lehrer in Kindertageseinrichtungen, im vorschulischen Bereich und an den Grundschulen zu erhöhen, um so auch positive Identifikationsmöglichkeiten für Jungen zu schaffen; ein Verweis auf noch zu entwickelnde Konzepte reicht hier nicht aus. Zudem sind (entsprechend den Maßgaben in Drs. 19/2762 und 19/2879) die pädagogischen Angebote speziell für Jungen auszubauen.

4. im Rahmen der Gewaltpräventionsarbeit die Eltern – und deren Interessenvertretungen – in die gewaltpräventive Arbeit an den Kitas und Schulen verstärkt einzubeziehen und dabei die elterlichen Kompetenzen zu nutzen, aber auch zu verstärken.

 

5. Aktive und Aktivitäten stärker vernetzen, Kooperationshemmnisse überprüfen

Die vom Senat angekündigten Fallkonferenzen tagen, so die Senatsauskunft im Innenausschuss, seit Mai 2008 bezogen auf Bezirke Wandsbek, Mitte und Harburg. Sie tagen üblicherweise einmal im Monat und behandeln in der Regel nur jeweils vier Fälle. Im Jahr 2008 wurden sechs Fallkonferenzen mit Besprechungen über 18 Minderjährige durchgeführt. Das ist – nicht nur vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Senats, mit den Konferenzen eine Art „virtuelles Haus des Jugendrechts“ abzubilden, – zu wenig. Bei der Koordinierung behördlicher Maßnahmen steht Hamburg erst am Anfang – hier aber liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Bekämpfung der Jugendgewalt.

Der Senat wird aufgefordert,

1. die Fallkonferenzen unverzüglich auf ganz Hamburg auszudehnen und in den Konferenzen auch über so genannte Schwellentäter zu beraten, die noch vor einem Abrutschen in eine kriminelle Karriere bewahrt werden können,

2. über diese Ausdehnung hinaus zu prüfen, in einem Pilotversuch – ein „Haus des Jugendrechts“ nach Stuttgarter Vorbild einzurichten, in dem die Jugendsachbearbeiter der Polizei, die Jugendstaatsanwaltschaft und die Jugendgerichtshilfe zusammengefasst werden, um so ein effektives Fallmanagement und eine Beschleunigung der Verfahren zu ermöglichen. Aufgrund der Identität der Zuständigkeitsgrenzen des Bezirksamts, des Gerichts und des Polizeikommissariats bietet sich hierfür der Bezirk Bergedorf besonders an.

3. zu prüfen, welche Datenschutzbestimmungen wie verändert werden müssen, um die Koordination zwischen allen Beteiligten in Einzelfällen noch effektiver zu gestalten und hierüber der Bürgerschaft zu berichten,

4. darüber hinaus die verschiedenen Ansätze präventiver und repressiver Bekämpfung der Jugendgewalt in geeigneter Weise hamburgweit und fallübergreifend zu bündeln und die Akteure aus den staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen kontinuierlich zu vernetzen. Nach dem Vorbild der Berliner „Landeskommission gegen Gewalt“ sollte eine Hamburger Landeskommission gegen Gewalt ins Leben gerufen werden.

 

6. Unsere Polizei bei der Jugendgewaltbekämpfung weiter unterstützen

Die Beamtinnen und Beamten unserer Hamburger Polizei leisten einen zentralen Beitrag bei der Bekämpfung von Jugendgewalt – dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. Die Stärkung der „Cop4U“-Programm war insofern ein wichtiger Baustein des Senatsprogrammes. Doch auch hier gilt es, weitere Akzente zu setzen.

Der Senat wird aufgefordert,

1. das „Cop4U“-Programm dahingehend weiterzuentwickeln, dass die Beamtinnen und Beamten diese Aufgabe nicht als zusätzliche Funktion, sondern mit ausreichenden zeitlichen Kapazitäten als wesentlichen Teil ihres Dienstes versehen können, und dafür entsprechend vertieft aus- und weitergebildet werden. Dies würde notwendigerweise eine Reduzierung ihres sonstigen Aufgabenspektrums erfordern.

2. darauf hinzuwirken, den Anteil der Polizeibediensteten und sonstigen, für die Stadt im Bereich der Gewaltprävention Tätigen mit Migrationshintergrund weiter zu erhöhen; das Ziel sind mehr Akteure in der Gewaltprävention, die aufgrund ihres biographischen Hintergrundes „nah dran“ an den jeweils gefährdeten Jugendlichen sind und daher effektiver als Ansprechpartner und durch Interventionen agieren können.

3. die Ausbildungsgänge und Fortbildungsangebote für Polizeibeamtinnen und

-beamten hinsichtlich des Umgangs mit Jugendlichen und Jugendgewalt weiter auszubauen.

 

7. Familien- und jugendgerichtliche Verfahren

Die justizielle Reaktion auf Jugendgewalt ist ebenfalls von zentraler Bedeutung: nicht nur, wenn es um die angeordnete Sanktion geht, sondern gerade auch hinsichtlich der Art und Weise der Ahndung von Delikten. Insbesondere sehr kurze Verfahrensdauern sind im Rahmen einer effektiven Jugendgewaltbekämpfung unverzichtbar. Es kann aber auch nicht angehen, dass richterliche Sanktionen gar nicht oder erst viel zu spät auch tatsächlich umgesetzt werden. Dann ist die ganze Verfahrensbeschleunigung im Vorfeld nutzlos.

Neben den in Drs. 18/7800 geforderten punktuellen Veränderungen im Jugendgerichtsgesetz wird der Senat aufgefordert,

1. zu berichten, welche stationären und ambulanten Betreuungsformen als Alternativen zur Geschlossenen Unterbringung in der Feuerbergstraße in Betracht kommen und welche Alternativmaßnahmen bei den offenbar sechs seit Sommer 2008 in geschlossenen Einrichtungen außerhalb Hamburgs untergebrachten Minderjährigen mit welchem Erfolg getroffen wurden.

2. über die beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung bei den Schwellentätern hinaus mit verbindlichen Verfahrensleitlinien zwischen Staatsanwaltschaft und Gerichten dafür Sorge zu tragen, dass das vereinfachte Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGG bzw. das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO wesentlich intensiver in geeigneten Fällen zur Anwendung kommt. Die Erwartung der Bürgerschaft für sämtliche Verfahrensarten ist, dass ermittelte Tatverdächtige in aller Regel binnen einen Monats nicht nur angeklagt, sondern auch verurteilt werden. Für den unverzüglichen Vollzug der jugendrechtlichen und jugendgerichtlichen Sanktionen ist Sorge zu tragen.

3. die Durchführung des sogenannten Täter-Opfer-Ausgleichs als eines der zentralen Elemente des Sanktionsrechts im Jugendstrafrecht weiter auszubauen und zu verstärken. Die eher symbolpolitische Erhöhung des Opferfonds reicht nicht aus.

 

8. Erkenntnislage zur Jugendgewaltkriminalität verbessern

Die bundesweite Debatte zur Jugendgewalt zeigt, dass nicht selten mit Vorurteilen operiert statt mit Fakten argumentiert wird. Man muss deshalb nüchtern feststellen, dass zu Teilbereichen der Thematik hinreichend gesicherte Informationen fehlen, die für eine zuverlässigere Einschätzung der Entwicklung und der Erscheinungsformen von Jugendgewalt notwendig wären. Dieses Problem ergibt sich etwa bei der Beurteilung des Ausmaßes alkoholbedingter Gewaltkriminalität und nicht zuletzt mit Blick auf die Kriminalitätsbelastung junger Menschen aus Migrantenfamilien. Das Fehlen von Wissen erschwert die Weiterentwicklung präventiver und repressiver Konzepte gegen Jugendgewalt. Doch auch hierbei ist eine differenzierte Betrachtung angebracht: Wenn aktuell pauschal und häufig mit unlauteren politischen Hintergedanken gefordert wird, zukünftig stets auch den Migrationshintergrund von Tatverdächtigen statistisch zu erheben, so schießt das über das Ziel hinaus und ist geeignet, diskriminierend und integrationspolitisch kontraproduktiv zu wirken.

So gibt die kriminologische Forschung zahlreiche Hinweise, dass eine erhöhte Belastung von Menschen mit Migrationshintergrund in erster Linie auf schlechtere allgemeine Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeits¬gruppe Jugendgewalt zur Frühjahrssitzung der Innenministerkonferenz 2008 stellt dazu fest: „Genannt werden hier die soziale Lage der Familien (niedrige Bildung und Qualifizierung der Eltern, hoher Anteil erwerbsloser Eltern), die schulischen Bildungschancen und das geringere Ausmaß an Bildungserfolg, das Wohnumfeld mit dem sozialen Zusammenhalt in den Stadtteilen, das Erleben innerfamiliärer Gewalt sowie der Einfluss Gewalt legitimierender Männlichkeitsnormen. Wohl am differenziertesten von allen vorliegenden Dunkelfeldstudien konnte bisher die KfN-Schülerbefragung aus dem Jahr 2005 die Gewaltbelastung der nichtdeutschen Jugendlichen nicht nur insgesamt, sondern vor allem auch in einzelnen ethnischen Gruppen untersuchen. Dabei haben sich als sehr auffällig die nicht eingebürgerten türkischen, jugoslawischen und südeuropäischen Jugendlichen erwiesen.“

Vor diesem Hintergrund kann ein Ausweisen des Migrationshintergrundes bei jugendlichen und heranwachsenden (Gewalt-)Tatverdächtigen neben anderen Sozial- und Herkunftsdaten ein Hilfsmittel zur Lokalisierung besonderer Problemkumulationen sein. Eine stigmatisierende allgemeine Erfassung des Migrationshintergrundes wird nachdrücklich abgelehnt, zumal eine bloße Erfassung der Herkunft nach den Erfahrungen einiger Bundesländer und nach kriminologischen Studien nicht aussagefähig ist.

Der Senat wird daher aufgefordert,

nach dem Vorbild Berlins eine auf fünf Jahre befristete PKS-Sonderauswertung Jugendgewalt vorzunehmen, bei der für jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige von Rohheitsdelikten im Rahmen zusätzlicher Sozial- und Herkunftsdaten (Bildungsstand, Familiensituation usw.) auch der Migrationshintergrund entsprechend der bundeseinheitlichen Definition mit erfasst wird, der Bürgerschaft jährlich im Rahmen der Unterrichtung zur polizeilichen Kriminalstatistik hierüber zu berichten und dabei auch darzulegen, welche Konsequenzen die erfassten Daten für die Präventionsanstrengungen des Senats haben.“