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Herstellung der Immunität gemäß Artikel 15 HV für zwei Abgeordnete der Bürgerschaft

Mittwoch, 13.09.2006

Mit Schreiben vom 16. August 2006 hat die Staatsanwaltschaft dem Präsidenten der Bürgerschaft mitgeteilt, dass unter dem Aktenzeichen 7101 Js 517/06 ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, Dr. Martin Schäfer und Jens Kerstan, wegen des Verdachts der Verletzung einer besonderen Geheimhaltungspflicht (§ 353b Abs. 2 StGB) und des Verstoßes gegen § 32 Hmb. Datenschutzgesetz eingeleitet worden ist.

Der frühere Zweite Bürgermeister und Bau- und Verkehrssenator Mario Mettbach wirft den Abgeordneten in Strafanzeigen vom 8. und 10. August 2006 vor, im Juli 2006 nach Einsichtnahme in Akten der Hamburgischen Verwaltung Informationen, die Senator a. D. Mettbach betreffen, an einen Redakteur des „Hamburger Abendblattes“ weitergeleitet zu haben.

 

Hintergrund dieses Vorganges ist ein Aktenvorlageersuchen der Bürgerschaft vom 29. Juni 2006 (Drs. 18/4512). Die SPD-Abgeordneten hatten vom Senat die Vorlage sämtlicher Unterlagen aller Behörden und sonstiger Stellen verlangt, die mit Ämtern, Funktionen, Aufgaben und sonstigen Betätigungen beruflicher Art von bzw. für Senator a. D. Mario Mettbach in Zusammenhang stehen.

 

Aus darauf hin vom Senat vorgelegten Dokumenten ergeben sich unter anderem die Details des Vertrages, mit dem die Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF) Senator a. D. Mettbach Mitte April 2006 auf ausdrücklichen Wunsch der Leitung der Wirtschaftsbehörde beauftragt hat, gegen eine feste monatliche Vergütung gewerbliche Flächen für logistische Zwecke zu akquirieren. Den vorgelegten Unterlagen ist zudem zu entnehmen, dass Senator a. D. Mettbach in den dem Vertragsschluss vorangegangenen Wochen Gespräche mit mehreren hochrangigen Vertretern der Stadt, darunter dem Ersten Bürgermeister, geführt hat. Dabei hat er sich für die Genehmigung einer bestimmten Nutzung eines Grundstücks an der Reeperbahn eingesetzt, über dessen Bebauung das zuständige Bezirksamt seit Jahren mit dem Eigentümer, Herrn Burim Osmani, streitet.

 

In die vom Senat vorgelegten Akten haben – neben anderen Mitgliedern der Bürgerschaft – auch die Abgeordneten Jens Kerstan und Dr. Martin Schäfer Einsicht genommen. Mit seiner Strafanzeige wirft Senator a. D. Mettbach ihnen nun offenbar vor, für Berichterstattung des „Hamburger Abendblatts“ verantwortlich zu sein, die sich auf den Inhalt der Senatsakten beruft. Weshalb Senator a. D. Mettbach ausgerechnet diese beiden Abgeordneten angezeigt hat, ist ebenso unklar wie die Frage, weshalb und von wem er Informationen darüber erlangt hat, wer die Akten auf Seiten der Bürgerschaft eingesehen hat.

 

Ob und inwieweit eine Weitergabe von Informationen aus den vom Senat gemäß Drs. 18/4512 vorgelegten Akten durch Abgeordnete überhaupt strafbar wäre, ist ausgesprochen zweifelhaft. Auch Notwendigkeit und Tragweite einer Ermächtigung zur Strafverfolgung durch den Präsidenten der Bürgerschaft nach § 353b Absatz 4 StGB sind in diesem Fall ungeklärt.

 

Unabhängig von diesen rechtlichen Fragen sind die Ermittlungen gegen die beiden Abgeordneten aus verfassungsrechtlichen Gründen gemäß Artikel 15 Absatz 2 HV einzustellen:

 

Die Vorschriften über die Immunität nach Artikel 15 HV dienen dem Schutz der Ausübung des Mandats und damit der Unabhängigkeit der Abgeordneten im demokratischen Rechtsstaat. Mit der Gewährleistung des Schutzes einzelner Abgeordneter soll zugleich die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der gesamten Bürgerschaft gesichert werden.

 

Die Hamburgische Verfassung stellt die Abgeordneten im Falle einer Strafverfolgung nicht per sé besser als solche Beschuldigten, die nicht Mitglieder eines Parlaments sind. Strafverfahren gegen Abgeordnete, die in keinerlei Zusammenhang zu ihrem Mandat stehen, zum Beispiel wegen Straßenverkehrsdelikten, will die Verfassung nicht von vornherein unterbinden. Die Bestimmungen über die Immunität in Artikel 15 HV differenzieren daher zwischen Ermittlungs- und Strafverfahren, die gegen Abgeordnete gerichtet sind, und Verhaftungen von Mitgliedern der Bürgerschaft. Während Inhaftierungen prinzipiell der vorherigen Einwilligung des Parlaments unterliegen, können Straf- und Ermittlungsverfahren grundsätzlich ohne Beschlussfassung der Bürgerschaft eingeleitet und durchgeführt werden. Die Bürgerschaft ist aber über derartige Verfahren zu unterrichten und hat die Möglichkeit, jederzeit ihre Aufhebung zu verlangen. Mit einem derartigen Beschluss wahrt das Parlament sein Interesse an seiner Arbeits- und Funktionsfähigkeit.

 

Im vorliegenden Fall richten sich die Strafanzeigen gegen Abgeordnete, die im Rahmen ihrer parlamentarischen Tätigkeit das Verhalten des Senats gegenüber dem Anzeigeerstatter kritisiert haben. Anknüpfungspunkt der Strafanzeigen ist die Einsichtnahme in Akten, die der Senat der Bürgerschaft gemäß Artikel 30 HV übermittelt hat, mithin ebenfalls eine parlamentarische Tätigkeit. Staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen führen in diesem Zusammenhang zu einer nicht akzeptablen Einschränkung der Wahrnehmung der Kontrollaufgaben des Parlaments durch einzelne Abgeordnete.

 

Es ist nicht hinzunehmen, dass Abgeordnete, die ihr – in der Verfassung verankertes – Recht auf Akteneinsicht wahrnehmen, ohne weiteres damit rechnen müssen, deshalb einer Strafverfolgung ausgesetzt zu werden. Die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ist damit unmittelbar betroffen.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

 

„Gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Hamburgischen Verfassung verlangt die Bürgerschaft die Aufhebung des Ermittlungsverfahrens, das aufgrund von Strafanzeigen des Senators a. D. Mario Mettbach wegen des Vorwurfs der Weiterleitung vertraulicher Informationen gegen die Abgeordneten Dr. Martin Schäfer und Jens Kerstan eingeleitet worden ist.“