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Integrationsfonds – Geflüchtete mit Behinderung und ihre Angehörigen mit den Projekten „We Are Family“ und „Flucht und Behinderung“ sowie der Einrichtung eines Dolmetscherpools unterstützen

Mittwoch, 10.05.2017

Bürgerschaft und Senat unternehmen vielfältigste Anstrengungen, die Integration der in Hamburg lebenden Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten konsequent voranzubringen – immer in guter Nachbarschaft und im guten Miteinander von alteingesessenen und neu hinzukommenden Hamburgerinnen und Hamburgern. Die Maßnahmen haben immer auch zum Ziel, das soziale Leben und die Lebensqualität in Hamburg insgesamt sowie in den Quartiere und Stadtteilen für alle noch besser zu machen.

Die Bürgerschaft hat mit Drs. 21/5237 den Senat gebeten, einen Hamburger Integrationsfonds einzurichten und die Ermächtigung zur Verursachung von Kosten aus diesem Fonds an entsprechende Beschlüsse der Hamburgischen Bürgerschaft gekoppelt. Ausgaben sollen für Maßnahmen und Zuweisungen, die integrationsfördernde Angebote für Geflüchtete beinhalten, getätigt werden. Mit Beschluss der Drs. 21/5860 stehen nunmehr 7 Mio. Euro im Haushalt 2016 zur Verfügung. Die Mittel sind übertragbar. Zugleich wurde im Einzelplan 9.2 im Aufgabenbereich 283 ein neues Zentrales Programm „Hamburger Integrationsfonds– investiv“ mit einem Mittelvolumen von 3 Mio. Euro für investive Maßnahmen geschaffen. Damit gibt es ein zusätzliches Förderinstrument, das in der aktuellen Startphase zahlreicher Integrationsprojekte helfen soll, wichtige Projekte investiv oder konsumtiv zu unterstützen – immer mit dem Ziel dauerhaft tragfähiger, nachhaltiger Strukturen in den Regelsystemen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung soll die Bürgerschaft solche Förderentscheidungen selbst treffen, um politische Akzente bei der Umsetzung der Integrationspolitik setzen zu können. Der Hamburger Integrationsfonds soll tragfähige Strukturen in den Nachbarschaften unterstützen, die Sozialräume bzw. landesweit wichtige bzw. pilotartige Integrationsprojekte stärken.

Hamburg hat ein gutes Hilfsnetzwerk für Menschen mit Behinderung. Viele Träger sorgen dafür, dass Betroffene und ihre Familien Beratung und praktische Unterstützung erhalten. Diese Unterstützung sollen auch Geflüchtete mit Behinderung und ihre Angehörigen erreichen. Schätzungen des UNHCR, der Aktion Mensch und der Diakonie gehen davon aus, dass rd. 15% der Geflüchteten eine Behinderung haben. Bei der Gesamtzahl von 32.562 Geflüchteten in den Hamburger Unterkünften (Stand Januar 2017) wären demnach 4.884 Personen betroffen.

Der Fachtag Geflüchtete mit psychischer und/oder seelischer Behinderung am 3.2.2017 in Hamburg ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die vielschichtige Problemlage Angebote erfordert, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Zum einen ist das bestehende Hilfe- und Unterstützungssystem in Hamburg komplex und Geflüchtete, denen ein entsprechendes System aus ihrem Herkunftsland häufig nicht bekannt ist, haben Schwierigkeiten, sich in diesem System zu orientieren. Darüber hinaus ist ihnen oft das aktive Aufsuchen von Angeboten nicht vertraut und sprachliche Barrieren erhöhen zusätzlich die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen.

Das Projekt „Flucht UND Behinderung“, das die Lebenshilfe e.V. im Januar 2017 eingerichtet hat, verfolgt das Ziel, Geflüchtete mit Behinderung und ihre Angehörigen ins Regelsystem zu begleiten. Diese Brückenfunktion nimmt sie durch ein niedrigschwelliges Beratungs- und Begleitangebot wahr. Das bedeutet vor allem aufsuchende Termine in den betroffenen Familien selbst, die im gesamten Stadtgebiet erfolgen. Durch das Lotsenprinzip soll eine frühe Teilhabe und Integration der Betroffenen gewährleistet werden. Das gerade angelaufene Projekt wird im Umfang einer Stelle für die Laufzeit von einem Jahr durch die Robert-Bosch-Stiftung und die Lebenshilfe Hamburg e.V. finanziert. Um mit diesem Ansatz mehr Geflüchtete mit Behinderung und ihre Angehörigen zu erreichen, ist eine Aufstockung durch den Integrationsfonds in Höhe von 70.000€ vorgesehen.

Ein weiteres Problem, das auf dem Fachtag identifiziert werden konnte, ist, dass Geflüchtete häufig aus Herkunftsländern kommen, in denen mit dem Thema Behinderung innerhalb der Familie umgegangen wird. Die Hilfe Dritter wird häufig nicht gesucht und es gibt folglich viele Menschen mit Migrationshintergrund, deren Inklusions- und Teilhabebedarfe bislang unbekannt sind und die auch keine Beratung und Assistenz in Anspruch nehmen. Dies bestätigen auch Expertinnen und Experten aus der Beratungspraxis. Damit Angehörige Hilfe aufsuchen können, ist es wichtig, kultursensible Angebote zu entwickeln, die eine Ansprache von Geflüchteten aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten ermöglichen.

Das Projekt „We Are Family“ von Leben mit Behinderung hat hierzu ein spezielles Mentoring-Programm entwickelt, das gezielt geflüchtete Familien mit Angehörigen mit Behinderung erreichen will. Mittels eines Peer-to-Peer Ansatzes werden ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren, die selbst einen Migrationshintergrund haben als Kontaktmittlerinnen und -mittler eingesetzt. Personen, die aufgrund ihres eigenen Migrationshintergrunds Kenntnisse der Kultur der Herkunftsländer besitzen, können eine kultursensible und damit vertrauensaufbauende Ansprache in ihrer Muttersprache vornehmen, die zu einer Akzeptanz von Hilfe- und Unterstützungsangeboten führt. Ziel ist es, den Zugang zum bestehenden Hilfesystem sowie Selbsthilfeangeboten in den jeweiligen Sozialräumen herzustellen. Leben mit Behinderung Hamburg ist mit 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer der größten Träger der Behindertenhilfe in Hamburg. Durch das Pilotprojekt „We are Family“ ergreift der Verein auch die Möglichkeit, seine interkulturelle Kompetenz ausbauen. Das Projekt soll eine Starthilfe von 90.000 Euro erhalten.

Weiterhin wurde die Sprache als zentrales Instrument identifiziert, um bei erkannten Auffälligkeiten eine Diagnose stellen zu können. Geflüchtete mit psychischen und/oder geistigen Beeinträchtigungen sowie ihre Angehörigen verfügen, gerade in den ersten Jahren nach der Ankunft in Deutschland, in der Regel nicht über deutsche Sprachkenntnisse auf einem Niveau, das solche Diagnosen in fachlichen Gesprächen ermöglicht. Damit die Betroffenen ihren Bedarfen entsprechende Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen und Förderungen erhalten können, ist eine fundierte Diagnose der Beeinträchtigung aber Voraussetzung. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an die Dolmetschenden bei den Diagnosen über die reine Sprachmittlung hinausgehen. Die Ärztin bzw. der Arzt ist darauf angewiesen, von dem Dolmetschenden quasi als Kulturmittlerin/-mittler Hinweise darüber zu erhalten, ob das von der Patientin bzw. dem Patienten gezeigte Verhalten dem kulturellen Kontext des Herkunftslandes entspricht oder davon abweicht. Weiterhin ist ein sensibler und wertschätzender Umgang mit Menschen mit psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen wichtig dafür, Vertrauen aufzubauen. Es kann daher nicht allein auf die Übersetzungsleistungen von Verwandten und Sprachmittlerinnen aus der Community gesetzt werden, da diese ggfs. befangen sind und die Vertraulichkeit der Gesprächsinhalte nicht gewährleistet ist. Auch der Einsatz eines Videodolmetschdienstes wird aus diesen Gründen in vielen Situationen nicht ausreichend sein. Im Kontext der Diagnose ist ein persönlicher Einsatz von professionellen Dolmetschenden wichtig, zumal sowohl bei körperlichen als auch bei geistigen Behinderungen Fragen der seelischen Gesundheit berührt sind.

Um hier eine gute Vermittlung von entsprechend sensibilisierten Dolmetscherinnen und Dolmetschern zur Begleitung von Menschen mit Behinderung im Hamburger Hilfesystem zu erreichen, wird der Verein „SEGEMI Seelische Gesundheit Migration und Flucht e.V.“ einen Pool von Dolmetschenden in den Hauptherkunftssprachen aufbauen. Bereits für den Aufbau des Dolmetschendenpools für die psychotherapeutische Behandlung von traumatisierten und psychisch kranken geflüchteten Menschen werden gezielt Dolmetschende durch SEGEMI angeworben, die ein fachlich erforderliches Sprachniveau und eine interkulturelle Kompetenz mitbringen. Durch den Verein SEGEMI werden sie für die spezifischen Anforderungen, die bei der Diagnostik über die reine Sprachmittlung hinausgehen, sowie für den sensiblen Umgang mit Personen mit psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen geschult. Ziel ist es, durch die Überwindung der Sprachbarriere den Ärztinnen und Ärzten zu ermöglichen, eine treffende Diagnose zu stellen und den beeinträchtigten Personen möglichst frühzeitig die Teilhabe an den für sie angemessenen Hilfe- und Unterstützungsangeboten zu ermöglichen, die zu einer Stabilisierung bzw. Verbesserung ihrer Lebenssituation und ihrer seelischen Gesundheit beitragen.

SEGEMI hat bereits ein Konzept im Bereich der Dolmetschung für die psychotherapeutische Behandlung von traumatisierten und psychisch kranken Flüchtlingen entwickelt und kann auf die hier gewonnenen Erfahrungen und Netzwerke zurückgreifen, um den Pool für die weitere Zielgruppe der Geflüchteten mit Behinderung gemäß der Bedarfe und der fachlich geforderten qualitativen Standards einzurichten. Diese Erweiterung soll mit 90.000 Euro gefördert werden.

 

Alle drei Projekte sollen angemessen miteinander kooperieren und weiterhin auch mit dem Projekt ZUFlucht Hamburg der Lebenshilfe Hamburg e.V. und mit den Betreibern der Flüchtlingsunterkünfte zusammenarbeiten.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht,

1. im Haushaltsjahr 2017 aus dem Hamburger Integrationsfonds (Einzelplan 9.2 Aufgabenbereich 283 „Zentrale Finanzen“; Produktgruppe 283.02 „Zentrale Ansätze II“, Produkt „Hamburger Integrationsfonds“) bis zu 250.000 Euro per Sollübertragung auf den Einzelplan der fachlich zuständigen Behörde(BASFI) zu übertragen und davon

a) bis zu 70.000 Euro für das Projekt „Flucht UND Behinderung“ von Lebenshilfe e.V.,

b) bis zu 90.000 Euro für das Projekt „We are Family“ von Leben mit Behinderung und

c) bis zu 90.000 Euro für den Aufbau des Dolmetscherpools für die Unterstützung bei der Integration von geflüchteten Menschen mit Behinderungen in die Regelsysteme dem Verein SEGEMI Seelische Gesundheit Migration und Flucht e.V.

in den Jahren 2017 und 2018 zur Verfügung zu stellen.

2. der Bürgerschaft über die Fördermaßnahme zu berichten.

 

sowie
  • Mareike Engels
  • ....... (GRÜNE) und Fraktion