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Keine Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge: Wasserversorgung muss in öffentlicher Hand bleiben!

Dienstag, 12.02.2013

Der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments hat am 24. Januar 2013 grundsätzlich dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zugestimmt, für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen europaweit einheitliche Vergaberegelungen zu schaffen. Die derzeit geltenden Richtlinien enthalten bereits Regeln für die Vergabe von Aufträgen und Baukonzessionen, während die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ausgenommen ist. Die EU-Kommission sieht darin ein „vergaberechtliches Schlupfloch“, das sie schließen will. Ihrer Ansicht nach soll für die Vergabe von Konzessionen ein europaweiter Markt geschaffen werden, wie er für Aufträge und Baukonzessionen bereits besteht. Bleibe das Segment der Dienstleistungskonzessionen weiter ohne eine europaweite Regelung, bestehe lt. EU-Kommission die Gefahr, dass jeweils ausländische Interessenten von der Konzessionsvergabe systematisch ausgeschlossen würden.

Der Europäische Gerichtshof hatte demgegenüber schon vor längerer Zeit festgestellt, dass die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zwar nicht unter die Vergaberichtlinien falle, aber auch dem Transparenz- und Nichtdiskriminierungsgebot unterliege. Daher bestehe keineswegs ein rechtsfreier Raum, wie auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in seiner Information vom 18. Januar 2013 herausgearbeitet hat.

Bereits Anfang der 1990er-Jahre und in 2001 hatte die EU-Kommission versucht, das vermeintliche Schlupfloch zu schließen, war aber am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert. Mit seiner Amtsübernahme im Januar 2010 hatte der Binnenmarktkommissar Michel Barnier angekündigt, einen neuen Versuch zu starten. Dementsprechend hat die Europäische Kommission am 20. Dezember 2011 eine neue Richtlinie vorgeschlagen. Das Gesetzgebungsverfahren dazu befindet sich jetzt in der entscheidenden Phase.

Seit dem Regierungswechsel 2011 hat sich der Hamburger Senat kritisch in die Verhandlungen zum EU-Richtlinienentwurf eingebracht. Im März 2012 hat Hamburg gemeinsam mit weiteren Bundesländern hierzu eine umfangreiche inhaltliche Stellungnahme in den Bundesrat eingebracht und dabei insbesondere mit Blick auf die Wasserversorgung unter Ziff. 12 ausgeführt:

„Die Wasserversorgung ist Aufgabe der Daseinsvorsorge. Die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ist nach Artikel 17 der Sektoren-Richtlinie 2004/17/EG – auf die in der Begründung als Teil des Rechtsrahmens ausdrücklich Bezug genommen ist – vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen. Mithin existiert auch hier eine sektorenspezifische Regelung. Darüber hinaus gelten auch hier die primärrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz.“

 

Die Länderkammer hat weiter unter Ziff. 13 gefordert:

„die Wasserversorgung in den Ausnahmekatalog des Artikels 8 Absatz 5 aufzunehmen. Der hohe und europaweit führende Qualitätsstandard des Trinkwassers in Deutschland ist in hohem Maße auf die von den Kommunen verantwortete Wasserversorgung zurückzuführen. Die Trinkwasserversorgung ist als wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge nicht dem grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zugänglich; bei einer europaweiten Ausschreibung stünde vielmehr zu befürchten, dass die Qualität dieser Versorgung zum Nachteil der Versorger signifikant sinkt."

 

Im Deutschen Bundestag haben sich vier von fünf Fraktionen gegen die Richtlinie ausgesprochen. Zuletzt hatte die CDU auf ihrem Parteitag in Hannover dagegen Stellung bezogen. Das federführende Wirtschaftsministerium unter Philipp Rösler unterstützt dagegen die Pläne der Kommission. Die Bundesregierung ist hier offensichtlich erneut uneins.

Wenn künftig auch sensible Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie die

Wasserver- und Abwasserentsorgung unter die Wettbewerbsregeln des europäischen Vergabegesetzes fallen sollten, werden verstärkt Private auf den Plan treten, die vor allem Gewinne erwirtschaften wollen. Mit der neuen Regelung für die Vergabe von Konzessionen werden nicht nur Nachteile für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, sondern nachlassende Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge, höhere Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher, größere Bürokratie für die Verwaltungen und die Beschneidung des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen befürchtet.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht bei einer Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht eine Gefahr für soziale Standards und eine Tendenz zu weiterer Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge; das bestehende EU-Recht biete bereits Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Rechtssicherheit.

In den Ausschussberatungen des Europäischen Parlaments konnte nach langen Verhandlungen immerhin erreicht werden, dass sich die Abgeordneten für die Herausnahme der Bereiche Rettungsdienste und Hafendienstleistungen ausgesprochen haben. Jedoch gab es keine Mehrheiten dafür, den Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Wasserver- und Abwasserentsorgung aus dem Anwendungsbereich der neuen europäischen Richtlinie zu streichen.

Dabei wird die kommunale Wasserwirtschaft von den Bürgerinnen und Bürgern hoch geschätzt. Sie in kommunaler Hand zu halten, liegt in der Verantwortung jeder Kommune und wird von den Bürgerinnen und Bürgern aktiv eingefordert.

So war 2005 in Hamburg das Volksbegehren „Unser Wasser Hamburg“ erfolgreich. Hamburgerinnen und Hamburger sprachen sich dafür aus, die Wasserversorgung der Stadt in öffentlicher Hand zu belassen und nicht zu privatisieren, weil sie Wasser als das wichtigste Nahrungsmittel betrachten, das keine Handelsware sein darf.

 

Die Hamburgische Bürgerschaft legte ein Jahr später, am 14. September 2006, gesetzlich fest:

„Die öffentliche Wasserversorgung obliegt der Freien und Hansestadt Hamburg als staatliche Aufgabe. Werden Aufgaben der Wasserversorgung durch Dritte durchgeführt, sind deren Anteile vollständig im Eigentum der Freien und Hansestadt zu halten.“ (Drs. 18/ 4883)

 

Die öffentlichen Wasserwerke in Deutschland liefern mehr als die Hälfte des Trinkwassers in Deutschland. Doch auch dieses öffentliche und lebensnotwendige Gut gerät immer mehr unter Kontrolle privater gewinnorientierter Konzerne. Nicht immer zum Vorteil der Verbraucherinnen und Verbraucher, wie das Beispiel Berlin zeigt. 1999 schloss das Land Berlin für seine Wasserbetriebe einen Beteiligungsvertrag mit zwei privaten Versorgern ab. Seitdem ist Trink- und Abwasser in Berlin so teuer wie in kaum einer anderen deutschen Stadt. Deshalb darf es den Kommunen nicht durch europäische Regelungen erschwert werden, die Wasserversorgung in öffentlicher Hand zu halten. Wenn Stadtwerke in anderen Teilen ihres Geschäftsbereiches Konzessionen an private Anbieter vergeben, darf dies nicht zu einer Zwangsausschreibung der Wasserkonzessionen führen.

Die europäischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes – unterstützt von vielen weiteren Organisationen – fordern nun mit der ersten europäischen Bürgerinitiative „Wasser ist Menschenrecht“ von der EU eine Garantie für eine sichere, saubere und bezahlbare Trinkwasserversorgung sowie sanitäre Grundversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Dies lässt sich nur erreichen, wenn die EU auf weitere Liberalisierungsschritte in der öffentlichen Daseinsvorsorge verzichtet. Also auch darauf, den Wettbewerb im Binnenmarkt für Wasserdienstleistungen einzuführen. Um diesem Ziel näher zu kommen, müssen für das Bürgerbegehren in den kommenden zwölf Monaten mindestens eine Million Unterschriften in sieben EU-Staaten gesammelt werden, davon mindestens 130.000 in Deutschland. Den Auftakt der Initiative bildet eine europaweite Brunnenaktion in etwa 50 Städten Europas, darunter am 20. und 21. Juni in München, Augsburg, Dortmund, Berlin, Leipzig und Hamburg.

Im Laufe dieses Jahres werden der Ministerrat, das Europäische Parlament und die Kommission Verhandlungen aufnehmen, um sich auf einen einheitlichen Richtlinientext zu verständigen. Nach Verabschiedung der Richtlinie muss sie in deutsches Recht umgesetzt werden.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

1. Die Hamburgische Bürgerschaft teilt das Anliegen der ersten europäischen Bürgerinitiative für den Erhalt der kommunalen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung und ersucht den Senat,

a) zusammen mit anderen Bundesländern auf den deutschen Vertreter im EU-Ministerrat einzuwirken, keiner Richtlinie zuzustimmen, die die öffentliche Wasserversorgung und Abwasserentsorgung unter die neuen EU-Wettbewerbsregeln stellen will, und dementsprechend auf eine Herausnahme der Wasserver- und Abwasserentsorgung hinzuwirken,

b) die Bemühungen um eine weitere Änderung des EU-Richtlinienentwurfes KOM(2011) 897 endgültig auf allen Ebenen weiter fortzuführen mit dem Ziel, die Wasserversorgungsdienste aus der Richtlinie herauszunehmen.

2. Die Bürgerschaft fordert die Hamburger Abgeordneten im Europäischen Parlament auf, sich für die Herausnahme der Wasserver- und Abwasserentsorgung aus dem EU-Richtlinienentwurf KOM(2011) 897 endgültig einzusetzen.