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Kinder und Familien ohne Aufenthaltstitel: Humanitäre und rechtlich trag-fähige Lösungen finden

Mittwoch, 15.11.2006

zu Drs. 18/5217

Zum 1. August 2006 ist die neue Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten im Schulwesen (Schul-Datenschutzverordnung) in Kraft getreten. Wesentliches neues Element dieser Verordnung ist die Einführung eines automatisierten Zentralen Schülerregisters. Über die Einführung dieser Maßnahme bestand großer Konsens. Sie hat zum Ziel, in Zukunft den Schulbesuch aller schulpflichtigen Kinder sicherzustellen und darüber hinaus rechtzeitiges und wirksames behördliches Handeln zugunsten der Kinder im Falle grober Vernachlässigungen durch Sorgeberechtigte zu ermöglichen. Die Erhebung und zentrale Erfassung einer Reihe von personen- und schulbesuchsbezogenen Daten soll dabei dazu dienen, solche schulpflichtigen Kinder auffinden zu können, die von ihren Eltern bzw. Sorgeberechtigten auf Dauer vom Schulbesuch ferngehalten werden. Dazu ist ein Abgleich mit dem Melderegister als zuverlässiger Datenquelle erforderlich. Zwar ist weder eine Erfassung des konkreten Aufenthaltsstatus im Schülerregister noch ein direkter Abgleich mit ausländerbehördlichen Daten für das Funktionieren des Schülerregisters zwingend erforderlich; infolge einer Beschlusslage der Innenministerkonferenz werden jedoch bald ohnehin nur noch diejenigen ins Melderegister gelangen, die einen legalen Aufenthalt in Deutschland nachweisen können. Sog. „Scheinlegalitäten“ werden dann nicht mehr möglich sein.

 

Vor diesem Hintergrund wäre eine Veränderung des Verfahrens beim Schülerregister, um ein „Auftauchen“ von Schülerinnen und Schülern ohne Aufenthaltstitel zu vermeiden, weder für die Hamburger Situation weiterführend, noch vermag eine solche Korrektur etwas an den bundesrechtlichen Meldepflichten über illegalen Aufenthalt zu ändern, denen z.B. Schulleitungen unterworfen sind. Ein anderes Vorgehen beim Schülerregister führt in keiner Weise zu einer Lösung des Problems mit der Illegalität für die Betroffenen.

 

Neben einer zurzeit bundesweit diskutierten, ausgewogenen Bleiberechtsregelung, die auch Anreize gegen das Abtauchen in die Illegalität schaffen kann (siehe dazu auch Drs. 18/5141), muss es bei den in Hamburg intensiv diskutierten Fällen, die aktuell durch das Schülerregister offenbar werden, einen verlässlichen und humanitär angemessenen Weg über eine Befassung der Hamburger Härtefallkommission geben. Kinder und Jugendliche dürfen nicht die Leidtragenden des Verhaltens ihrer Eltern und einer unbefriedigenden Situation für Familien sein, die lange, aber irregulär in Deutschland leben. Diese Kinder und Jugendlichen sollten ihren Weg der Schulausbildung hier zu Ende gehen können.

 

Jenseits dessen müssen Politik, Verwaltung und Gesellschaft in Hamburg und auf Bundesebene endlich an den Ursachen arbeiten - nicht an Begleiterscheinungen. Der illegale Aufenthalt einer großen Anzahl von Menschen wirft gravierende Probleme auch für das Selbstverständnis unseres Staates auf, denn so werden rechtlich geordnete Verpflichtungen und Ansprüche zwischen Staat und Bürgern unterlaufen. Dazu kommt die humanitäre Situation der Migranten und Migrantinnen selbst, die häufig ihre Rechte nicht wahrnehmen können und z.B. ohne elementare Gesundheitsversorgung leben.

 

Wir haben nach wie vor keine genauen Daten über den illegalen Aufenthalt in Hamburg. Zahlen aus Kriminalstatistik und die Zahl derer, die sich der Ausreisepflicht durch Untertauchen entzogen haben, liefern aber wertvolle Indikatoren für einen Trend. Diese Zahlen zeigen, wie eine SPD-Anfrage bestätigt (Drs. 18/5093): Bedingt durch EU-Osterweiterung und Verstärkung der Bemühungen gegen illegale Migration gehen die Zahlen tendenziell zurück – auch in Hamburg. Diese Entwicklung eröffnet – auch in der öffentlichen Debatte und für die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz – Spielräume für differenzierte, nicht ausschließlich repressive Ansätze zur Lösung dieser Problematik. Wir brauchen einen umfassenden Ansatz. Zurzeit läuft dazu ein ressortübergreifender Prüfauftrag der CDU/SPD-Koalition in Berlin. Zu dieser Diskussion sollte Hamburg einen Beitrag leisten.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

„1. Um eine verlässliche Perspektive für die betroffenen Schülerinnen und Schülern ohne legalen Aufenthalt in Hamburg, die durch die Einrichtung des Schülerregisters offenbar werden, zu gewährleisten, geht die Bürgerschaft davon aus,

 

a) dass diese Fälle nach ihrem Bekanntwerden ausnahmslos entweder durch die Innenbehörde unmittelbar der Härtefallkommission vorgetragen oder über den Eingabenausschuss Gegenstand der Befassung in der Härtefallkommission werden,

 

b) dass die Härtefallkommission in diesen Fällen in aller Regel ein Ersuchen an die zuständige Behörde richtet, welches ein Verbleiben des Schülers bzw. der Schülerin und der sorgeberechtigten Personen bis zu ihrem Schulabschluss sicherstellt,

 

c) dass die zuständige Behörde dem Ersuchen unter Ausschöpfung aller rechtlichen und Ermessensmöglichkeiten entspricht.

 

2. Der Senat wird aufgefordert, sich im Rahmen des ressortübergreifenden Prüfauftrages der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene in Sachen illegaler Migration dafür einzusetzen,

 

a) dass die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz hinsichtlich der Meldepflichten entsprechend der Empfehlungen der sog. Süssmuth-Kommission so klargestellt werden, dass ein Mindestzugang von Migrantinnen und Migranten, die sich illegal im Bundesgebiet aufhalten, insbesondere zu Gesundheitsversorgungsleistungen aber auch – für deren Kinder – zu Bildung gewährleistet werden kann, ohne die Einhaltung der Bestimmungen des Aufenthalts- und Zuwanderungsrechts in Frage zu stellen. Dabei sind insbesondere Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Strafbarkeit rein humanitärer Hilfe auszuräumen.

 

b) dass die Erfahrungen anderer europäischer Länder mit sog. (Teil-) Legalisierungen von illegaler Migration im Zuge von Amnestieregelungen im Hinblick auf eine mögliche Übertragbarkeit auf das deutsche Zuwanderungsrecht ausgewertet werden.

 

c) dass geprüft wird, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen Migrantinnen und Migranten, die sich illegal in Deutschland aufhalten, Anreize für die Rückkehr in die Legalität ermöglicht werden können (z.B. die Möglichkeit der Teilnahme an legalen Rückkehrförderprogrammen).

 

d) dass das strafrechtliche Vorgehen gegen Schleuser und Menschenhändler, die am Leid verdienen, das mit illegalem Zuzug verbunden ist, weiter verschärft wird.

 

3. Der Senat wird aufgefordert, der Bürgerschaft bis zum 31. Januar 2007 von den Ergebnissen seiner Bemühungen aus Punkt 2. zu berichten.“