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Kinder- und Familienstadt Hamburg – Frühe Bildungschancen für alle Kinder – Familien-, Kinder- und Jugendpolitik für die Menschliche Metropole

Montag, 11.12.2006

Haushaltsplanentwurf 2007/2008 - Einzelplan 4

 

Bereits sehr früh im Leben werden die Grundlagen für spätere Bildungschancen von Kindern gelegt. Aufmerksamkeit, Fürsorge, Anregung und Kommunikation durch das ganze Umfeld (Familie, Kindergruppen und Institutionen) sind entscheidend für die weitere Fähigkeit und Motivation zum Lernen, für Neugier, Selbstvertrauen und Interaktionsfähigkeit.

 

In keiner Lebensphase sind Menschen so lernfähig, wissbegierig und experimentierfreudig wie in der frühen Kindheit. Dieses Entwicklungspotenzial und die hohe Lernbereitschaft werden in der Praxis der frühen Bildung jedoch häufig nicht so beachtet und gefördert, wie wünschenswert, obwohl die Entwicklung in dieser Lebensphase von zentraler Bedeutung für die späteren Lernerfolge ist.

 

Wir wissen heute, dass bereits vor Eintritt in das Schulsystem wesentliche Weichenstellungen erfolgen. Dies ist besonders augenfällig und daher allgemein anerkannt für den Spracherwerb, gilt aber auch für andere Bereiche wie zum Beispiel für den Bezug zu Grundwerten wie Toleranz und gegenseitiger Achtung sowie für das Verhältnis zu Kunst, Kultur und unserer Umwelt.

 

Die Bildungsungerechtigkeit fängt früh an. Kinder, die nicht bereits vor der Grundschule richtig Deutsch sprechen, haben Probleme „mitzukommen“. Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern erhalten oftmals nicht die Zuwendung und Förderung, die sie benötigen. Dieser Mangel hängt vielfach mit den Lebensbedingungen der Familien zusammen: frühe Bildungsbenachteiligung von Kindern ist oftmals eine Folge von materieller Armut und/oder Bildungsferne der Eltern, von mangelndem Interesse und ungenügender Sprachförderung, letzteres noch verstärkt bei Kindern aus Migrantenfamilien, in denen die deutsche Sprache nicht gesprochen und gepflegt wird.

 

Rechtzeitiger Kitabesuch kann das Anwachsen von Defiziten vor der Grundschule deutlich verringern. Je früher Kinder eine kindgerechte, qualifizierte Förderung erhalten, desto weniger laufen sie Gefahr, zu so genannten Risikoschülerinnen oder -schülern zu werden. Hier hat die Gesellschaft dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder - unabhängig von der Lebenslage der Eltern - so früh wie möglich die beste Förderung erhalten. Die Beitragsfreiheit des letzen Bildungsjahres vor der Grundschule muss gewährleistet sein, damit alle Kinder an dieser Entwicklung teilhaben können. In einem zweiten Schritt soll die Beitragsfreiheit für 3- bis 4jährige Kinder eingeführt werden. Weiterhin soll der Hamburger Rechtsanspruch auf Betreuung für alle zweijährigen Kinder ausgeweitet werden. Allen Hamburger Kindern soll, so wie es viele europäische Länder vormachen, verbindlich ein früher Start ermöglicht werden.

 

Sprachförderkonzepte, bei denen im Vorschul- und im ersten Schuljahr nur wenige Nachmittagsstunden erteilt werden, sind Flickwerk. Sprachliche Defizite bei Kindern müssen viel früher erkannt werden, Sprachförderung mit Beginn des Kita-Besuchs einsetzen und – mit entsprechender Elternberatung – auch schon vorher kostenlos möglich sein.

 

Die Umsetzung des Kita-Gutschein-Systems bzw. des Hamburger Kinderbetreuungsgesetzes (KibeG) durch den CDU-Senat orientiert sich aber nicht an den Bedürfnissen und dem Wohl des Kindes, sondern vor allem an der Berufstätigkeit der Eltern (vgl. Drs. 18/2804, 18/4671). Hier gilt es, eine ausgewogene Umsetzung zu gewährleisten, in der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Bedürfnisse und das Wohl der Kinder gleichrangig ins Zentrum gestellt werden. Dazu kommt: Die vom CDU-Senat vollzogene Vergrößerung von Kita-Gruppen und Einsparungen beim pädagogischen Personal sind der falsche Weg.

 

Gleichzeitig muss den Eltern geholfen werden, die unter finanziellen oder psychosozialen Problemlagen zu leiden haben, sei es, weil sie arbeitslos sind, Schulden haben oder z.B. in der deutschen Sprache nicht ausreichend kommunizieren können. Nur wenn dies parallel geschieht, kann sich eine förderliche Familienstruktur für die Kinder nachhaltig entwickeln.

 

Unter präventiven Gesichtspunkten sollten Bildungseinrichtungen daher immer auch Angebote für Eltern mit Erziehungsproblemen (z.B. Überforderung) oder Problemen bei der Alltagsbewältigung (z.B. Schulden) bereithalten oder vermitteln.

 

Frühe Bildung ist zudem ein ganz wesentlicher Faktor für mehr Wachstum und Beschäftigung. In Ländern mit hohen Investitionen in den Bereichen Bildung, Forschung und Entwicklung steigt das wirtschaftliche Wachstum. Hier muss Hamburg aufpassen, nicht ins Abseits zu geraten und sich zu einseitig auf Investitionen in die wirtschaftliche Infrastruktur zu konzentrieren. Denn die Zukunftsfähigkeit Hamburgs hängt ebenso davon ab, dass wir viele gut ausgebildete Menschen haben und keine Begabung verschenken. Die Notwendigkeit dieser Balance erkennt der CDU-Senat nicht. Er verschlechtert systematisch bereits im frühkindlichen Bereich die Standards der Bildung für alle Kinder und besonders die Chancen auf Bildungsbeteiligung von Kindern aus benachteiligten Quartieren.

 

Kinder brauchen frühe und nachhaltige Förderung; Eltern brauchen qualitativ hochwertige und verlässliche Betreuung für ihre Kinder. Für diese zentrale gesellschaftliche Aufgabe benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen gute Rahmenbedingungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kitas und Vorschulen sowie die Tagespflegepersonen fungieren hier grundsätzlich als wichtigste Ergänzung zur familiären Sozialisation.

 

Es kommt drauf an, die elementaren Jahre vor der Grundschule und die Grundschuljahre als integrativ arbeitende, flexible Bildungsjahre zu verankern. Von entscheidender Bedeutung ist dabei ein guter, fließender Übergang von der Kita und/oder Vorschule in die Schule für jedes einzelne Kind. Dieser Übergang muss durch eine systematische konzeptionelle - wenn möglich, auch räumliche - Kooperation und Verzahnung zwischen Kitas und Schulen gestaltet werden. Gerade im Übergangsbereich – also der späten Kita- bzw. Vorschulphase und der frühen Schulphase – ist die Zusammenarbeit gemischter Teams aus Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen notwendig (vgl. hierzu z.B. das Bund-Länder Modell zur Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in Kitas und Grundschulen und zur Gestaltung des Übergangs unter www.transkigs.de).

 

Gerade bei der Ausweitung von Ganztagsschulen gewinnt die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule an Bedeutung. Wer Bildungsgerechtigkeit will, steht vor großen Herausforderungen, geht es doch um den Zugang aller zu Bildung im Sinne eines aktiven, sozialen und sinnlichen Prozesses der Aneignung von Welt. Dazu gehört eine adäquate Vermittlung von Sach- und Lernmethodischen Kompetenzen wie auch die Stärkung von sozialen und Ich-Kompetenzen. In diesen Prozess müssen die Eltern mit einbezogen werden und die Übergänge zu den Schulen und die Differenziertheit des Angebotes in den Schulen verbessert werden.

 

Die frühe Förderung ist ein Angelpunkt von Chancengerechtigkeit in der Bildung. Kindergarten, Vorschule, Grundschule, Elternschulen und Erziehungshilfen agieren hier oftmals noch als isolierte Systeme, manchmal sogar als Konkurrenten - das lässt wertvolle Zeit verstreichen und bindet Kräfte. Ein an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien ausgerichtetes Gesamtsystem von Bildung, Betreuung und Erziehung erfordert eine systematische und verbindliche Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe der unterschiedlichen Systeme von Jugendhilfe und Schule (vgl. hierzu Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ), Handlungsempfehlungen zur Kooperation von Jugendhilfe, Februar 2006).

 

Für die Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher in den vorschulischen Einrichtungen gilt vieles von dem, was auch für die Lehrerbildung gilt: Die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzieher als kompetente Lernbegleiter in den entscheidenden frühen Lernphasen eines Kindes stehen in ihrer Komplexität den Anforderungen an die Lehrerschaft in den Schulen in nichts nach. Dies muss sich auch in den Inhalten und Strukturen der Aus- und Fortbildung niederschlagen. Sukzessive sollte das Leitungspersonal in Kindertagesstätten eine Hochschulausbildung besitzen. Insgesamt muss der Anteil akademisch gebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kindertagesstätten erhöht werden. Deshalb muss die Wissens-Metropole Hamburg einen Lehrstuhl für Frühpädagogik einrichten.

 

Für eine verbesserte Kooperation ist es notwendig, dass allen Pädagoginnen und Pädagogen in Aus- und Fortbildung Kenntnisse der Strukturen beider Bereiche – Kita und Schule -vermittelt werden. Ziel ist es, eine gemeinsame Bachelor/Master Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher einzuführen und das Institut für Lehrerfortbildung zu einem Institut für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer auszubauen.

 

Dem Auseinanderdriften der Bildungschancen muss deutlich früher, gezielter und engagierter begegnet werden. Der Bildung und Förderung von Kindern muss daher auch in den ersten Lebensjahren eine hohe Aufmerksamkeit und ein hoher Mitteleinsatz gewidmet werden.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

 

A. Frühe Bildungschancen für alle Kinder - Frühkindliche Bildung vom Kind aus gedacht

 

1. Alle Kinder erhalten unabhängig von der Lebenslage ihrer Eltern einen Anspruch auf Teilhabe an frühkindlicher Bildung nach ihrem individuellen Förderbedarf.

 

2. Festgestellter Sprachförderbedarf und/oder sozialer und pädagogischer Bedarf eines Kindes führt zur Bewilligung eines Ganztagsplatzes.

 

3. Die Änderung der Lebenslage der Eltern darf nicht zu einem Verlust der Teilhabe an frühkindlicher Bildung führen. Entscheidend ist allein der individuelle Förderbedarf des Kindes.

 

B. Eltern entlasten – Bildung früher fördern

 

Frühkindliche Bildung darf keine Frage des Geldbeutels sein, sie muss perspektivisch für Eltern genauso beitragsfrei sein wie schulische Bildung. Perspektivisch muss Kinderbetreuung in Deutschland insgesamt beitragsfrei sein. Dazu muss in einem ersten Schritt das letzte Jahr vor Grundschulbeginn für Kinder in Kita und Vorschule beitragsfrei gestaltet werden. Als zweiter Schritt wird frühkindliche Bildung für alle 3-4jährigen Kinder beitragsfrei und der Rechtsanspruch auf Betreuung auf alle zweijährigen Kinder ausgeweitet.

 

4. Das letzte Jahr vor Grundschulbeginn wird für Kinder in Kita und Vorschule beitragsfrei.

 

C. Verbesserung der Qualität durch Standards und Rahmenbedingungen

 

Die ab 2005 vorgenommenen Kürzungen beim pädagogischen Personal haben die Qualität der Betreuung und frühkindlichen Bildung für alle Kinder verschlechtert. Die Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, dass Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung ungleich verteilte Startchancen angleichen, und die Bildungsempfehlungen gut umgesetzt werden können.

 

5. Zur Umsetzung von Bildungsempfehlungen erhalten die Kitas bisher 1,02 Euro pro Kind bzw. insgesamt 600.000 Euro. Um Qualität in der Umsetzung dieser Bildungsempfehlungen sicherzustellen, wird dieser Betrag um 400% auf 5,10 Euro pro Kind bzw. insgesamt auf 3.000.000 Euro erhöht.

 

6. Der Pflegesatz für Kinder mit dringendem sozial oder pädagogisch bedingtem Betreuungsbedarf wird mit einem Zuschlag von 20 Prozent versehen und die Mittel für die Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen (Titels 4500.671.04) werden von 2,264 auf 4 Mio. Euro erhöht. Hierdurch erhalten Einrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern mit entsprechendem sozialem, pädagogischem oder sprachlichem Förderbedarf eine verbesserte personelle Ausstattung, die gezieltere und individuellere Betreuung und Förderung erlaubt. Hierfür werden Hauhaltsmittel in Höhe von 12,3 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.

 

D. Bildung, Erziehung und Betreuung in gemeinsamer Verantwortung

 

7. Bildungsinhalte der bisher getrennt arbeitenden Institutionen Kitas, Vorschulen und Grundschulen werden als gemeinsame Ziele erarbeitet und in gemeinsamer Verantwortung umgesetzt. Dazu werden modellhaft „Bildungsgärten“ aufgebaut, die Kindertagestätten, Vorschule und Grundschule zusammenfassen. „Bildungsgärten“ bündeln die Kompetenzen von Sozial-, Elementar- und Grundschulpädagogik und sorgen dafür, dass mit hoher pädagogischer Qualität und viel Zeit, Kinder unabhängig von ihrer Herkunft alle ihre Möglichkeiten nutzen können. Ziel ist es, diese neue erste Säule des Bildungssystems flächendeckend in Hamburg einzuführen.

 

8. Die bisher getrennten Qualifikationen von Erzieherinnen und Erziehern einerseits und Lehrerinnen und Lehrern andererseits sind stärker zu integrieren. Auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschulen muss aufgewertet und verbessert werden, unter anderem erweitert um Kompetenzen in Diagnostik und frühkindlicher Förderung. Dafür soll ein neu zu entwickelnder Studiengang für den Elementarbereich in Teilbereichen eine gemeinsame Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und Lehrerinnen und Lehrern vorsehen und dabei ein Ausbildungsprofil „Frühpädagogik“ anbieten. Das Institut für Lehrerfortbildung (LI) wird zu einem gemeinsamen Institut für Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher weiterentwickelt.

 

9. Schule und Jugendhilfe sind aufgefordert, systematisch zu kooperieren. Durch die Bildung multiprofessioneller Teams können die Kompetenzen und Ressourcen verbunden werden, Übergänge zwischen Kita und Grundschule sowie Schule und Beruf besser gestaltet werden. Dazu sind verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit zu schaffen. Beispiele für solche Strukturen sind z.B. „Bildungsgärten“ in gemeinsamer Verantwortung für Bildung und Erziehung der Kinder, sozialraumbezogene Kooperationen oder die gemeinsame Gestaltung von Ganztagsschulen.

 

E. Finanzierung

 

10. Die Finanzierung erfolgt durch die im Leitantrag „Menschliche Metropole – Das wachsende Hamburg menschlich gestalten“ beantragten Haushaltsverbesserungen.