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Kinder- und Jugendlärm gegenüber anderen Lärmquellen privilegieren

Mittwoch, 07.11.2007

In Hamburg sind gibt es immer wieder Nachbarschaftsstreitigkeiten über die Hinnehmbarkeit von Lärmimmissionen von Kindertagesbetreuungen, Spielplätzen und Schulen vor den Gerichten, in Widerspruchsverfahren und auch außergerichtlich. Das Landgericht Hamburg hat im Jahr 2005 in einem Fall die von einem Kindergarten in einem Wohngebiet ausgehenden Emissionen als unzulässig bewertet (Urteil vom 8. August 2005, Az. 325 O 166/99), die Berufungsinstanz wurde Ende Oktober 2006 durch einen Vergleich beendet. Die Kindertageseinrichtung hat inzwischen zwar eine neue Unterkunft gefunden, darf aber nur mit erheblichen Auflagen zum Lärmschutz – u.a. die Errichtung einer Lärmschutzmauer – gebaut und betrieben werden.

Nach der Bund-Länder-Vereinbarung zum Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige kommt auch auf Hamburg in den nächsten fünf Jahren noch einmal ein erheblicher Ausbau der Angebote und Einrichtungen zu.

Sollte die Beurteilung des Landgerichts zum Maßstab der Lösung zukünftiger ähnlicher Konflikte werden, so könnte dies ohne gesetzgeberische Intervention zu einer Verlagerung von Kindertagesbetreuungen in weniger lärmempfindliche Gebiete wie Gewerbegebiete führen. Eine wohnortnahe Versorgung mit Kindertagesbetreuungen ist jedoch nicht nur im Interesse kleinerer Kinder und ihrer Familien sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Hamburg ist eine Stadt, in der Kinder willkommen sind und nicht als „Störer“ behandelt werden sollen.

Natürliche Lebensäußerungen von Kindern dürfen auch nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen werden wie Gewerbelärm. Die von Kindern ausgehenden – mitunter auch lauten - Lebensäußerungen sind für die persönliche Entwicklung von Kindern unabdingbare Voraussetzung und gehören zum Kernbereich des Rechts eines jeden Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Vor diesem Hintergrund ist auf Landesebene endlich für eine Privilegierung von Kinderlärm gegenüber anderen Lärmquellen zu sorgen.

Andere Länder haben in bestimmten Bereichen ihre landesrechtlichen Möglichkeiten zur Privilegierung sozial erwünschter Lärmarten bereits genutzt: In Nordrhein-Westfalen regelt der Runderlass zur „Messung, Beurteilung und Verminderung von

Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen“ (RdErl. d. Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW, - V - 5 - 8827.5 - (V Nr. 1/04) vom 15. Januar 2004) ausdrücklich, dass die mit der Nutzung von Kinderspielplätzen, die die Wohnnutzung in dem betroffenen Gebiet ergänzen, unvermeidbar verbundenen Geräusche sozialadäquat sind und deshalb von den Nachbarn hingenommen werden müssen.

Seit dem 1. September 2006 steht den Ländern nun als Folge der Föderalismusreform die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm zu. Hierzu zählen auch die Lebensäußerungen von Kindern und Jugendlichen. Diese Gesetzgebungskompetenz ergibt sich unmittelbar aus Artikel 74 Absatz 1 Nr. 24 Grundgesetz. Die bisherigen Schwierigkeiten in Bezug auf die Ermächtigungsgrundlage für eine eigenständige Landesregelung bestehen daher nicht mehr.

Unter Berücksichtigung der Empfehlungen, die von Experten zu dieser Thematik im Januar sowie im Dezember 2006 ausgesprochen worden sind, ist eine Landesregelung zu treffen, die unter Berücksichtigung der Interessen der Anwohner den von Kinder und Jugendlichen ausgehenden Lärm grundsätzlich gegenüber anderen Lärmquellen privilegiert. Ziel ist es, durch ein Gesetz eine ausgewogene Abwägung der Interessen vorzunehmen und sicherzustellen, dass der von Kindertagesbetreuungen, Spielplätzen und Schulen ausgehende, von Kindern und Jugendlichen verursachte Lärm auch in Wohngebieten grundsätzlich als sozialadäquat beurteilt und akzeptiert wird. Zudem soll das Gesetz die maßgeblichen unbestimmten Rechtsbegriffe, insbesondere der „Wesentlichkeit der Beeinträchtigung“, der „Ortsüblichkeit“ und der „Erheblichkeit“ konkretisieren bzw. ausfüllungsfähige Kriterien aufstellen und damit Rechtssicherheit schaffen.

 

Die Bürgerschaft möge das folgende Gesetz beschließen:

 

Gesetz zur Regelung von Geräuschimmissionen von Kindern und Jugendlichen in Hamburg

(Hamburgisches Kinderlärmgesetz)

vom…

§ 1

Anwendungsbereich

Dieses Gesetz regelt die zur Förderung des nachbarschaftlichen Miteinanders notwendigen Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von Kindertagesstätten, Spielplätzen, Schulen und ähnlichen sozialen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche.

§ 2

Rücksichtnahmegebot

Für Anwohner und Betreiber von Einrichtungen nach § 1 gilt das Gebot der Rücksichtnahme gleichermaßen. Jeder hat sich so zu verhalten, dass störende Geräuschimmissionen vermieden werden, soweit dies nach den Umständen des Einzelfalls technisch und wirtschaftlich möglich und zumutbar ist. Unvermeidbare Geräuschimmissionen sind grundsätzlich auf ein Mindestmaß zu beschränken.

 

§ 3

Grundsatz der Privilegierung

Die von Kindertagesstätten, Spielplätzen, Schulen und ähnlichen sozialen Einrichtungen ausgehenden, insbesondere die durch Kinder verursachten Emissionen sind grundsätzlich unvermeidbar und als sozialadäquat hinzunehmen, soweit die Einrichtung die Wohnnutzung in dem betroffenen Gebiet ergänzt.

 

§ 4

Einschränkungen der Privilegierung

(1) Die Privilegierung des § 3 gilt nur für die von der jeweiligen Aufsichtsbehörde genehmigten Betriebszeiten und Nutzungen.

(2) Zur Vermeidung unnötiger Belastungen der Nachbarschaft hat die zuständige Behörde bei der Erteilung der Erlaubnis darauf hinzuwirken, dass die Anzahl der in § 1 genannten Einrichtungen in einem angemessenen Verhältnis zu dem wohnortnahen Bedarf des jeweiligen Gebietes steht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Einrichtungen mit einer besonderen konzeptionellen Ausrichtung regelmäßig einen größeren Einzugsbereich haben.

 

§ 5

Maßnahmen der Lärmminderung

(1) Die zuständige Behörde hat bei der Erteilung der Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung nach § 1 darauf hinzuwirken, dass die von ihr ausgehenden Emissionen durch Lärm mindernde Maßnahmen auf ein Mindestmaß beschränkt werden, soweit diese unter verhältnismäßigem Aufwand zumutbar sind und der Betrieb der Einrichtung nicht in erheblicher Weise beeinträchtigt oder gefährdet wird.

(2) Um die von Einrichtungen nach § 1 ausgehenden Immissionen auf ein Mindestmaß zu beschränken haben die Betreiber Maßnahmen zur Lärmminderung zu treffen, soweit sie unter verhältnismäßigem Aufwand zumutbar sind und der Betrieb der Einrichtung nicht in erheblicher Weise beeinträchtigt oder gefährdet wird.

(3) Die zuständige Behörde kann im Einzelfall entsprechende Maßnahmen anordnen.