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Kinderrechte stärken – Kinder wirksam vor Vernachlässigung schützen

Dienstag, 12.12.2006

Haushaltsplanentwurf 2007/2008 - Einzelplan 4

Kinder und Jugendliche brauchen eigenständige Angebote und Anregungen zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Dieses unabhängige Kinderrecht ist zentral im Paragraf 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im SGB VIII verankert. Dort heißt es:

 

"Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit."

 

Eltern und andere Erziehungsberechtigte sollen darüber hinaus bei der Erziehung beraten und unterstützt sowie Kinder und Jugendliche vor Gefahren geschützt werden, auch dies beinhaltet der Paragraf 1.

 

Zur konkreten Verwirklichung dieses Rechts ergänzt Absatz 3: "Jugendhilfe soll (...) dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen."

 

Die offene Kinder- und Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit stellt als Teil der Jugendhilfe ein außerfamiliäres und außerschulisches Lern-, Erfahrungs- und Betätigungsfeld für junge Menschen dar. Viele Kinder und Jugendliche in Hamburg können sich keine kommerziellen Freizeitangebote leisten. Für diese Kinder und Jugendlichen sind die Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit oft die einzige Möglichkeit, sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln und Selbstständigkeit zu erlernen. Projekte in den Häusern der Jugend, auf Abenteuerspielplätzen, in Spielhäusern, Jugendclubs und anderen Einrichtungen bzw. Angebote in freier und kommunaler Trägerschaft greifen die jeweils altersspezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen auf. Sie umfassen Freizeitgestaltungs- und Bildungsangebote, Beratungs- und Hilfemaßnahmen sowie Informations- und Orientierungshilfen.

 

Durch eine Neujustierung des Verteilungsschlüssels (u.a. Jugendeinwohnerwert) sind Einrichtungen und Projekte der offenen Kinder- und Jugendarbeit in verschiedenen Hamburger Bezirken, dort auch insbesondere in den Gebieten mit besonderen sozialen Problemlagen (vgl. Drs. 18/ 4671) gefährdet bzw. sie müssen gravierende Einbußen für ihre Arbeit befürchten. Vom gleichen Problem ist die sozialräumliche Angebotsentwicklung betroffen.

 

Hilfen zur Erziehung sind demgegenüber individuelle Einzelhilfen, die dann greifen, wenn im konkreten Einzelfall eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung durch die Eltern nicht gewährleistet werden kann und daher spezifische Hilfe für die Entwicklung des betreffenden Kindes oder Jugendlichen notwendig ist (§ 27 Abs.1 SGB VIII). Wenn diese Bedingung erfüllt ist, besteht ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung (§ 28 – 35 SGB VIII). Über 6000 Kinder und Jugendliche mit stetig steigender Tendenz sind in Hamburg in ambulanten, teilstationären oder stationären Hilfen zur Erziehung. Über die Qualität und Wirksamkeit von Hilfen zur Erziehung und die so genannten Weiterentwicklungsprojekte der Jugendhilfe gibt es keine verlässlichen Aussagen, denn Evaluationen liegen nicht vor und Akten werden vielfach noch auf Karteikartenniveau geführt.

 

Dazu hat der Sonderausschuss „Vernachlässigte Kinder“ in seinem einstimmigen Ausschusspetitum (Drs. 18/3592) klare Forderungen formuliert, von deren Umsetzung bisher, ein Jahr nach Aufstellung, so gut wie nichts umgesetzt ist:

 

„Die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) müssen im Zuge der Geschäftsprozess-Optimierung ein verbindliches Konzept für ihre Arbeit erhalten. Unter anderem ist ein ergebnis- und wirkungsorientiertes Fallmanagement, das den gesamten Familienzusammenhang und die sozialen Bezüge erfasst, als verbindliche Arbeitsmethode der Allgemeinen Sozialen Dienste bei der Bearbeitung von Kindeswohlgefährdungen und Erziehungshilfen einzuführen.“

 

Ohne dieses Fallmanagement ist kein Prozess- und Qualitätsmanagement möglich. Auch die Überprüfung der nachhaltigen Wirksamkeit einer Hilfe zur Erziehung kann ohne diese Weiterentwicklung des ASD nicht funktionieren.

 

Den bezirklichen Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) und den Jugendämtern kommt die Schlüsselfunktion für die Bewilligung, die Begleitung und die Bewertung der Wirksamkeit einer Hilfe zur Erziehung zu. Diese zentrale Rolle wurde mit dem gemeinsamen Ausschuss-Petitum im Sonderauschuss „Vernachlässigte Kinder“ anerkannt und Forderungen für die Verbesserung aufgestellt. So heißt es im Ausschuss-Petitum (Drs. 18/3592):

 

„Die bestehenden Einrichtungen – etwa Jugendamt und Allgemeine Soziale Dienste – müssen personell so ausgestattet werden, dass sie alle gesetzlich begründeten Aufgaben ordnungsgemäß und zeitnah erledigen können. Dazu zählen auch Trennungs- und Scheidungsberatung, Pflegeelternüberprüfungen, Beteiligung an Sorgerechtsverfahren, Regelungen von Besuchskontakten und Elternarbeit. Wartezeiten von mehreren Monaten zur Bearbeitung dieser Aufgaben sind nicht mehr akzeptabel. Die Allgemeinen Sozialen Dienste müssen wieder in die Lage versetzt werden, Familien aufzusuchen.“

 

Der Senat erfüllt auch diese Forderungen bisher nicht oder nur teilweise, belastet die bezirklichen Budgets für die Umsetzung dieser Aufgaben, statt sie zu entlasten und verhindert so einen wirksameren Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Vernachlässigung.

 

Zu den von allen Fraktionen der Bürgerschaft unterstützten Empfehlungen des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ gehörte auch der Ausbau der bereits seit 1998 in einigen Bezirken bestehenden Familienhebammen-Projekte. Diese Projekte wurden als besonders geeignet angesehen, Familien in schwierigen Lebenslagen, Schwangere und Mütter mit Säuglingen zu unterstützen und damit – nicht zuletzt - die Gefahr von Kindesvernachlässigungen rechtzeitig erkennen und ihr begegnen zu können. Die Arbeit der inzwischen in diesen Projekten arbeitenden Hebammen bestätigt die dringende Notwendigkeit eines solchen niedrigschwelligen, aufsuchenden Angebotes, das Menschen erreicht, die die ansonsten bestehenden Angebote nicht oder nicht in ausreichendem Maße in Anspruch nehmen.

 

Auch der Senat hat wiederholt – sei es in Mitteilungen (Drs. 18/4306) oder im zuständigen Ausschuss (Drs. 18/4513) - zum Ausdruck gebracht, dass diese Projekte hohe Priorität genössen und ausgebaut werden sollten. Der geringe Umfang dieser Projekte, sowie die Art ihrer Finanzierung aus Jugendhilfemitteln bzw. Mitteln der Aids-Prävention sprechen jedoch eine andere Sprache.

 

Über die vom Senat angekündigten (Drs. 18/4306) 13 Projekte hinaus, wird es nach Äußerungen der zuständigen Senatorin keinen weiteren Ausbau geben. Betrachtet man die Projekte, in denen Hebammen zum Teil nur wenige Stunden zur Verfügung stehen, im Einzelnen, so kann dies angesichts wachsender sozialer Probleme in der Stadt nur als unzureichend bezeichnet werden. Ein flächendeckender Ausbau dieses niedrigschwelligen Angebotes ist dringend geboten.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

 

I. Familienhebammen

 

Der Senat wird aufgefordert,

 

in Zusammenarbeit mit den Bezirken einen Plan für die flächendeckende Ausweitung der Familienhebammenprojekte zu entwickeln und diesen zügig umzusetzen. Für die Umsetzung dieser flächendeckenden Ausweitung der Familienhebammenprojekte wird der Titel 4810.684.86 für 2007 und 2008 jeweils um 358.000 Euro erhöht und damit verdoppelt.

 

II. Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)

 

Der Senat wird aufgefordert,

 

unverzüglich eine Prüfung der Sollstärke bzw. der Personalbemessungsgrundlagen bei den bezirklichen Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) vorzunehmen - mit dem Ziel, wieder aufsuchende Arbeit durchzuführen und der Bürgerschaft hierüber zu berichten. Die Ausfinanzierung der Sollstärke wird nicht zu Lasten der bezirklichen Budgets, sondern durch eine Erhöhung der Mittel um jeweils 1 Mio. Euro für 2007 und 2008 vorgenommen.

 

III. Hilfen zur Erziehung (HzE)

 

Der Senat wird aufgefordert,

 

1. ein softwaregestütztes, verbindliches Fall- und Qualitätsmanagement sowie ein begleitendes und nachsorgendes Fallmanagement bei den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) bzw. bei den Trägern, die Hilfen zur Erziehung durchführen, einzuführen.

 

2. eine umfassende Evaluation der Wirksamkeit von Hilfen zur Erziehung und der Weiterentwicklungsprojekte in der Jugendhilfe in Auftrag zu geben und die Ergebnisse der Bürgerschaft vorzulegen.

 

IV. Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJ)

 

Der Senat wird aufgefordert,

 

die durch die Veränderung der Verteilungsschlüssel entstehenden Verluste auszugleichen und hierzu die bezirklichen Rahmenzuweisungen in den Titeln 4440.684.81 und 4450.684.81 an die bezirklichen Budgets in 2007 und 2008 jeweils um 260 Tsd. Euro bzw. um 164 Tsd. Euro zu erhöhen, damit durch die Veränderung der Berechnung des Verteilungsschlüssels (u.a. Jugendeinwohnerwert) wichtige Projekte der offenen Kinder- und Jugendarbeit und der sozialräumlichen Angebotsentwicklung u.a. in benachteiligten Quartieren der abgebenden Bezirke nicht gefährdet werden.

 

V. Finanzierung

 

Die Finanzierung erfolgt durch die im Leitantrag „Menschliche Metropole – Das wachsende Hamburg menschlich gestalten“ beantragten Haushaltsverbesserungen