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Konsequenz der UN-Behindertenrechtskonvention für Hamburger Schulen: Inklusive Bildung

Donnerstag, 23.04.2009

Durch die Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen hat Deutschland sich verpflichtet, jedem behinderten Kind den Besuch von Regelschulen zu ermöglichen. Wörtlich heißt es in Artikel 24 zum Thema Bildung:

"Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass ... Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden".

Auch fordert die UN-Behindertenrechtskonvention in der englischen, rechtlich verbindlichen Wortlautfassung, ein "inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen" zu gewährleisten.

Die Forderung nach Inklusion ist deutlich zu unterscheiden vom integrativen System, wie es bislang in Deutschland befürwortet wurde. Während die Integration eine Anpassungs-leistung vom behinderten Kind verlangt, bevor dieses in das allgemeine System (zurück-) integriert werden kann, nimmt die Inklusion nicht das Kind, sondern das System selbst in den Blick und fordert von ihm die Anpassungsleistung. Das System muss sich so verändern, dass es die Bedarfe der Betroffenen in den Blick nimmt und sich danach ausrichtet. Eine Schule ist erst dann inklusiv, wenn sie die Individualität ihrer Schüler respektiert und sie als Vielfalt und Bereicherung anerkennt, anstatt das vermeintliche "Anderssein" zum Grund des Ausgrenzens und Aussonderns zu machen.

Hat Hamburg in der Vergangenheit mit der Einrichtung von Integrationsklassen (I-Klassen) und Integrativen Regelklassenklassen (IR-Klassen) eine Vorreiterrolle eingenommen, so stockt der Prozess der Integration an Hamburger Schulen seit Jahren. So wurde das letzte Mal in einer Grundschule am 1. August 1996 zeitgleich I-Klassen und IR-Klassen ein-gerichtet. In der Sekundarstufe wurden am 1. August 2002 letztmalig I-Klassen eingerichtet.

Auch die Zahl der Kinder mit festgestelltem Förderbedarf hat in den letzten Jahren nicht wesentlich abgenommen und liegt im Schuljahr 2008/2009 über 9000 Schülerinnen und Schülern von denen 7.238 auf eine Sonderschule gehen.

Angesichts dieser Zahlen ist das Hamburger Bildungssystem von Inklusion noch weit entfernt. Stattdessen fußt es noch immer in großem Maße auf dem Prinzip des Trennens und Aussortierens. Kinder werden nach ihrem Behinderungsgrad, ihrem Migrations-hintergrund und anderen Kriterien kategorisiert und in großem Maße vom Besuch der Regelschule ausgeschlossen.

Dieser Umstand ist besonders zu kritisieren, da die Hamburger Erfahrungen in den Integrations- und Integrativen Regelklassen zeigen, dass Kinder mit Behinderungen an normalen Schulen wesentlich besser lernen und die anderen Kinder dadurch überhaupt nicht beeinträchtigt werden.

 

Die schwarz-grünen Koalitionspartner haben 2008 in ihrem Koalitionsvertrag zwar eine stärkere integrative Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf in Regelklassen vereinbart. Allerdings haben sie dieses wichtige Ziel bis zur nächsten Legislatur, also bis zum Jahr 2012 vertagt.

Von dem In-Kraft-Treten der UN-Konvention überrascht, hat die Schulbehörde nun im März 2009 in ihrer Schulgesetznovelle eine Änderung vorgesehen. Darin heißt es: „Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben das Recht, allgemeine Schulen zu besuchen, und sie haben einen Anspruch auf integrative sonderpädagogische Förderung. Sie werden in Regelklassen unterrichtet, soweit nicht aus inhaltlichen oder organisatorischen Gründen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel eine gesonderte Förderung in Lerngruppen mit sonderpädagogisch ausgerichtetem Unterricht erforderlich und zweckmäßig oder von den Sorgeberechtigten gewünscht ist.“

Damit wird das Recht allerdings unter Vorbehalt gestellt, ohne dass eine Perspektive aufgezeigt wird, ab wann die inhaltlichen, organisatorischen und finanziellen Voraus-setzungen geschaffen werden. Ziel muss sein, dass möglichst bald der gemeinsame Schulbesuch behinderter und nicht behinderter Kinder nicht länger der Einzelfall ist, sondern zur Regel wird. Ein Besuch der Sonderschule kann nur dann stattfinden, wenn das Wohl des Kindes nicht anders gesichert werden kann.

Die Eltern entscheiden über den Ort der Förderung und damit über die inkludierte Beschulung. Das heißt, das bisherige Feststellungsverfahren des sonderpädagogischen Förderbedarfs muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die weitgehende Eltern-beteiligung des geltenden Kinder- und Jugendrechts müssen in das Feststellungsverfahren, insbesondere bei der Entscheidung über den Ort der Förderung, Eingang finden und angewendet werden.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

• ein verbindliches Aktionsprogramm zu beschließen, in dem die Schritte zur Um-setzung der inklusiven Bildung in Hamburg formuliert und der zeitliche Rahmen hierfür verbindlich festgesetzt werden. Die Betroffenen und ihre Verbände sind in die Erarbeitung des Aktionsprogramms aktiv und von Anfang an einzubeziehen.

• Bestandteil des Aktionsprogramms sind verbindliche Zielsetzungen zur schrittweisen Erhöhung der Integrationsquoten – bezogen jeweils auf alle Schularten und Schulstufen. Ziel muss es sein, zügig einen solchen Inklusionsgrad zu erreichen, dass jedem Kind, deren Eltern dies wünschen, ein Angebot zur gemeinsamen Beschulung gemacht werden kann. Vorbild sind dabei die skandinavischen Länder bei denen mehr als 90 Prozent aller Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet werden. Über die Erfolge dieser Zielsetzungen legt der Senat in jährlichen Berichten Rechenschaft ab.

• Der Vorrang der gemeinsamen Beschulung behinderter und nicht behinderter Kinder muss im Hamburger Schulgesetz unmissverständlich und deutlich ohne Vorbehalt verankert werden. Das Ziel des gemeinsamen Schulbesuchs von Kindern mit und ohne Förderbedarf ist innerhalb von 8 Jahren umzusetzen. Dieser zeitliche Rahmen ist im Schulgesetz zu verankern.

• Im ersten Schritt wird in 2 Jahren die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf Regelschulen in Integrationsklassen und in Integrative Regelklassen gehen, mindestens verdoppelt.

 

 

• Dafür wird das Angebot der Integrativen Regelklassen an bisher 35 Grundschulen auf insgesamt 100 Hamburger Grundschulen in den nächsten zwei Jahren ausgeweitet. Dabei werden Grundschulen mit dem Kess Index 1 und 2 besonders berücksichtigt. Zur Finanzierung laufen im gleichen Zuge die bestehenden Sprachheil- und Förderschulen aus. Die dadurch an den Sprachheil- und Förderschulen freiwerdenden Lehrer werden an den Grundschulen sowie den REBUS-Beratungsstellen eingesetzt.

• Auch das Angebot der Integrationsschulen wird von jetzt 50 Schulen auf 100 Schulen in 2 Jahren über alle Schulformen verteilt erweitert.

• Den Eltern wird ein Entscheidungsrecht über die Frage eingeräumt, wo die beschlossene Fördermaßnahme stattfinden soll, ob in einer integrierten Regelschule oder an einer Sonder- bzw. Förderschule. Eine dem Kindswohl verpflichtete, kompetente, rechtskundige und von der abgebenden und der aufnehmenden Schule unabhängige Stelle überprüft diese Entscheidung und erhebt in begründeten Fällen Einspruch. Diese Stelle bezieht die Kompetenzen der Behindertenverbände als Experten in eigener Sache ein und ist in der Schulbehörde angesiedelt.

• Die sonderpädagogische Förderung ist auch dann unverzichtbar, wenn ein Kind keine Sonder-, sondern eine Regelschule besucht. Keinesfalls darf mit der inklusiven Beschulung ein Absenken der sonderpädagogischen Förderung verbunden sein. Vielmehr gilt es, diese Förderung in unvermindert hoher Qualität an den Regelschulen zu erbringen.

• Die Schulen müssen zu barrierefreien Bildungseinrichtungen umgestaltet werden. Die Barrierefreiheit ist eine unabdingbare Voraussetzung, damit gemeinsamer Unterricht möglich wird. Hierfür muss Hamburg zeitnah ein verbindliches Umsetzungskonzept erarbeiten und finanzielle Mittel in ausreichendem Umfang bereitstellen. Die Herstellung von Barrierefreiheit sollte zu einem zentralen Förderkriterium bei der Vergabe finanzieller Mittel für schulische Umbaumaßnahmen gemacht werden.

• Die Programme zur Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte müssen der Zielsetzung der Inklusion entsprechend ausgestaltet werden. Grundlagen sonderpädagogischer Kompetenzen sollten in jedem Lehramtsstudium verpflichtend vermittelt werden. Sonderpädagogik darf nicht mehr nur als besondere Pädagogik verstanden werden, sondern muss Teil der allgemeinen Pädagogik werden.