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Konsequenzen aus der Aufarbeitung der gewalttätigen Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel im Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft

Mittwoch, 26.09.2018

Die Bürgerschaft hat mit der Drucksache 21/9805 die Einsetzung eines Sonderausschusses beschlossen mit dem Ziel, die gewalttätigen Ausschreitungen, die im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg stattgefunden haben, aufzuarbeiten und eine Analyse und ganzheitliche Betrachtung von Tat-, Täter- und Unterstützungsstrukturen, des bundesweit abgestimmten Sicherheitskonzeptes sowie weiterer relevanter Umstände vorzunehmen und daraus die richtigen Lehren zu ziehen, damit sich so etwas in Hamburg nicht wiederholt.

Die Aufarbeitung im Sonderausschuss war äußerst sorgfältig. Gerade die verschiedenen Sichtweisen und Ansätze in der Ausschussarbeit haben dabei ein ausgewogenes und differenziertes Ergebnis ermöglicht. Aus der Aufarbeitung der gewalttätigen Ausschreitungen rund um den G 20-Gipfel sind Konsequenzen im Bereich der Arbeit der Polizei, der Extremismus- und Gewaltprävention sowie der Demokratieförderung zu ziehen.

 

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

I.

1. Stärkung der Akademie der Polizei / Verstärkte Nutzung und Förderung des Wissenschafts- und Forschungspotenzials / jährlicher Forschungs- und Tätigkeitsbericht

 

Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel ist noch einmal deutlich geworden, dass die gesellschaftliche Komplexität und Diversität zunehmende Anforderungen an die Entwicklung der konzeptionellen Arbeit der Polizei stellt. In einem sich stets verändernden gesellschaftlichen und kommunikativen Umfeld muss moderne Polizeiarbeit sich ständig weiterentwickeln. Mit der Akademie der Polizei und der dortigen Hochschule der Polizei hat Hamburg bereits eine Einrichtung, an der die Grundlagen der polizeilichen Arbeit durch Forschung und Lehre begleitet und Impulse gesetzt werden.

 

Zur Unterstützung der konzeptionellen Arbeit der Polizei in den verschiedenen relevanten Themenfeldern soll das wissenschaftliche Profil der Akademie der Polizei – sowohl durch einen Ausbau der polizeispezifischen Forschung, zum Beispiel im Bereich der gesellschaftlichen Konflikt- und Gewaltentstehung, als auch durch die Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen – gestärkt werden. Dabei sollen interdisziplinäre Ansätze verfolgt und eine gezielte Kooperation bzw. ein Austausch mit externer Expertise und anderen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen betrieben werden.

 

Die Polizeiführung soll den regelhaften Austausch mit der Akademie gewährleisten. Polizeipraxis und Akademie sollen dabei die Form des Zusammenwirkens gemeinsam intensivieren, um die Akademie in geeigneter Form auch über die Aus- und Fortbildung hinaus, etwa bei der Beratung der Polizeiführung und der Erarbeitung von Handlungs- und Einsatzkonzeptionen, in die praktische Polizeiarbeit einzubinden. Über die Arbeit der Hochschule der Polizei soll ein jährlicher Forschungs- und Tätigkeitsbericht veröffentlicht werden.

 

2. Gewährleistung des öffentlichen Lebens / Berücksichtigung der Belange der Bürgerinnen und Bürger

 

Bei künftigen polizeilichen Einsatzlagen, die absehbar mit umfangreichen Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens und Belastungen für die Wohnbevölkerung einhergehen werden, sind die Belange und Interessen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger noch intensiver in die politische und polizeiliche Planung einzubeziehen.

 

Die Belastungswirkung von betreffenden Maßnahmen, wie dem Einsatz von Polizeihubschraubern über Wohngebieten oder der Sperrung von Verkehrswegen, muss qualifiziert eingeschätzt und bewertet werden. Möglichkeiten zur Vermeidung bzw. Reduzierung der Belastungen müssen vollständig ausgeschöpft und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen im Hinblick auf das polizeiliche Ziel einerseits und die Belastungsintensität andererseits gewahrt sein. Im Rahmen der Lagebilder und der daraus folgenden polizeilichen Gesamtbewertung der Situation muss deshalb die Perspektive der betroffenen Stadtteile und der Bewohnerinnen und Bewohner regelhaft einbezogen werden. Dazu müssen der Austausch mit der Zivilgesellschaft und die polizeiliche Kommunikation noch mehr darauf ausgerichtet werden, die Sichtweisen und Interessen potentiell Betroffener systematisch zu erfassen, zu bewerten und in der polizeiliche Planung abzubilden.

 

3. Interne und externe Kommunikation

 

Die Diskussionen rund um den G20-Einsatz haben erneut gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger von der Polizei ein zugewandtes Auftreten und ein transparentes, rechtsstaatlich einwandfreies Vorgehen erwarten – was auch dem Selbstverständnis und dem alltäglichen Handeln der Polizistinnen und Polizisten entspricht. Mit der Umsetzung der schon im Koalitionsvertrag verankerten Initiative der Regierungsfraktionen zur Einführung der Kennzeichnungspflicht bei geschlossenen Einsätzen geht Hamburg einen weiteren Schritt zu größerer Transparenz und besserer Kommunikation. Auch die technischen Anforderungen zur Bewältigung des erheblichen Kommunikations- und Dokumentationsaufwandes wachsen kontinuierlich. Aus diesem Grund wird der Ansatz unterstützt, die Ausstattung der Polizeieinheiten mit mobiler Kommunikationstechnik wie beispielsweise „MobiPol“ zu erweitern.

 

Die Aufarbeitung des G20-Gipfels im Sonderausschuss hat deutlich gemacht, wie rasant die kommunikativen Herausforderungen der Polizei im Alltag, bei Demonstrationen und besonders bei Großlagen anwachsen. Dies geht einher mit einer intensiven und offensiven Nutzung sozialer Medien durch die Polizei, die auch eine neue Handlungsebene polizeilicher Arbeit eröffnet. Daher soll die Konzeption für die polizeiliche Kommunikation im Licht der Erfahrungen aus dem G20-Einsatz insbesondere mit Blick auf die Nutzung sozialer Medien überprüft und weiterentwickelt werden.

 

Zur Verbesserung der Kommunikation gehört es jedoch auch, außerhalb eines konkreten Einsatzanlasses, den ständigen Austausch zwischen Polizei, Politik, Stadtteilvertreterinnen und -vertretern sowie szenenahen Akteuren zu suchen, um so eine dauernde Kommunikationsebene zu schaffen, damit nicht lediglich eine Verständigung zu einzelnen Ereignissen bzw. Versammlungen erfolgt. Das betrifft auch das qualifizierte Gespräch der Polizei schon im Vorfeld mit der Anmelderin bzw. dem Anmelder bzw. die Ergänzung der Kommunikation in diesem Zusammenhang um den Einbezug bspw. von Anwohnerinnen und Anwohnern und szenenahen Personen. Ziel ist die Schaffung einer regelmäßigen Gesprächsebene mit Schlüsselakteuren. Außerdem gehört dazu auch, dass die Polizei nach einem besonders belastenden Einsatzgeschehen offen und zuverlässig für die Belange der Betroffenen als Ansprechpartner zur Verfügung steht.

Die Kommunikation während Versammlungen soll einsatzbegleitend intensiviert werden. Dazu gehört, dass beispielsweise über den Austausch von Telefonnummern sichergestellt ist, dass es für Versammlungsleiter feste und bekannte Ansprechpartner bei der Polizei während einer Versammlung gibt. Der Einsatz von Kommunikationsteams soll zudem daraufhin überprüft werden, ob diese intensiver als bisher im Einsatzgeschehen agieren können – ohne die Sicherheit dieser Polizistinnen und Polizisten zu gefährden, um verschiedene Gruppen innerhalb einer Versammlung noch differenzierter ansprechen zu können und um den reibungslosen Verlauf von Kundgebungen und Demonstrationen zu unterstützen.

 

4. Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch strukturelle, situationsangepasste Stärkung der Polizei

 

Aus der während des G20 zeitweise entstandenen Lage und der dabei festgestellten konkreten Defizite der polizeilichen Fähigkeiten ergibt sich struktureller Anpassungsbedarf. Die Polizei wird besser in die Lage versetzt, das für den Schutz der Bevölkerung Notwendige leisten zu können. Die schon eingeleitete Neustrukturierung und Stärkung der Landesbereitschaftspolizei durch die Aufstockung der sogenannten "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten" (BFE) zu einer Einsatzhundertschaft (BFHu) trägt dem Rechnung. Dieses ist verbunden mit einer Verbesserung der Ausrüstung und Stärkung situationsangepasster Ausbildung.

 

Die SOKO „Schwarzer Block“ arbeitet mit einem neuen intensiven und nachhaltigen Aufklärungsansatz. Ein Hauptaugenmerk lag auf der Auswertung einer bisher ungekannten Größenordnung von Videomaterial. Um trotz der Masse an Daten mit vertretbarem Aufwand Ermittlungs- und Fahndungserfolge zu erreichen, wurden spezifische Ermittlungsmethoden und -standards entwickelt. Mit diesen innovativen Methoden hat die Polizei technologisches Neuland betreten. Um diese Innovationen im polizeilichen Alltag etablieren zu können, sind zuvor grundsätzliche Fragen der Übertragbarkeit einschließlich der Verhältnismäßigkeit und datenschutzrechtlicher Aspekte zu klären.

 

5. Konfliktbearbeitung in Beschwerdestelle und D.I.E.

 

Wie sich auch im Zusammenhang mit G20 gezeigt hat, ergeben sich aus der Wahrnehmung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben durch die Polizei Konflikte mit Bürgerinnen und Bürgern. Diese finden zu einem Teil ihren Niederschlag in Strafanzeigen oder Beschwerden gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Das Dezernat Interne Ermittlungen (D.I.E.) ermittelt und verfolgt dann die strafrechtlich relevanten Vorwürfe, die ihm auf unterschiedlichen Wegen bekannt werden.

 

Für die bei der Beschwerdestelle eingehenden Vorgänge erfolgt – anders als bei der DIE – eine systematische Betrachtung und Bearbeitung der Konfliktkonstellationen.

Eine strukturierte, zusammenhängende Bewertung der betreffenden Sachverhalte, einschließlich derer, in denen keine strafrechtliche Relevanz festgestellt wird, kann dazu beitragen, Konfliktpotential zu entschärfen und Konfliktlösungen zu finden.

 

Regelhaft soll nun – wo es möglich ist – nach Abschluss der Ermittlungen der D.I.E. eine aktive Konfliktaufarbeitung durch die Beschwerdestelle der Polizei erfolgen. Das bestehende Beschwerdemanagement soll dafür angepasst und erweitert werden.

 

6. Stärkung der Extremismus- und Gewaltprävention

 

Im Hinblick auf präventive Angebote gibt es in Hamburg bereits vielfältige Angebote, die darauf ausgerichtet sind, vor allem bei jungen Menschen ein Bewusstsein für die Bedeutung von Demokratie und der unbedingt erforderlichen Gewaltfreiheit in der politischen Auseinandersetzung als Grundbedingung für ein menschliches Miteinander zu schärfen. Angesichts der auch bei G20 deutlich gewordenen starken Radikalisierungstendenzen in der politischen Auseinandersetzung sind die Angebote und Maßnahmen der Extremismusprävention und der Bekämpfung gewaltförmiger Extremismen von steigender Bedeutung. Die linksextremistisch begründeten Gewalttaten vor allem junger Menschen bei G20 bieten Anlass, um die bestehenden Ansätze der Präventionsarbeit insbesondere auch an den Schulen auf ihre Aktualität und Angemessenheit für diesen Phänomenbereich zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Auch für den Einsatz für Menschenrechte und eine gerechtere Gesellschaftsordnung gilt der von der Verfassung gesetzte Rahmen.

 

Prävention und Deradikalisierung sollen die demokratischen Werte und Menschenrechte unabhängig von den jeweiligen Begründungen der extremistischen Haltungen in den Mittelpunkt stellen. Dabei ist auch zu überprüfen, mit welchen Ansätzen Jugendliche und Jungerwachsene erreicht werden können, die sich ohne explizite politische Motivation an gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straftaten beteiligen.

 

7. Rote Flora

 

An der Mobilisierung von G20 Protest im Vorfeld des Gipfels und der Organisation von Versammlungen, Veranstaltungen und diverser anderer Aktionen war in Hamburg ein breites Spektrum linksextremer Initiativen beteiligt. Dazu gehört neben dem Roten Aufbau Hamburg und der Interventionistischen Linken u. a. auch die autonome Szene aus der Roten Flora. Durch die Mobilisierung und logistische Unterstützung auswärtiger gewaltbereiter Extremisten sind Bedingungen geschaffen worden, die erheblich zu den gewalttätigen Eskalationen beigetragen haben.

 

Ein Nachweis für eine direkte aktive Teilnahme an den linksextremistischen gewalttätigen Ausschreitungen oder an anderen Straften aus der Roten Flora heraus lässt sich aus den bisherigen Ermittlungen nicht ableiten und konnte auch im Ausschuss nicht erbracht werden. Das knapp 30 Jahre Rote Flora im Quartier entwickelte Miteinander, muss aufgrund der Gewalt, die die Menschen in der Schanze erlebt haben, neu ausgehandelt werden. Die entscheidende Rolle für ihre Zukunft spielt dabei das Verhältnis zur Gewalt und damit ein Konsens zu friedlicher Meinungsäußerung. Dieser steht aus, wird jedoch aus dem Quartier heraus und von der Bürgerschaft politisch eingefordert. Es gibt keinen rechtsfreien Raum, politisch motivierte oder andere Straftaten werden, wie überall, auch rund um die Rote Flora verfolgt. Die als Konsequenz aus G20 teilweise geforderte Räumung der Roten Flora lehnen wir als reine Symbolpolitik ab.

 

II.

Der Senat wird ersucht,

der Bürgerschaft über den Sachstand und die Ergebnisse aus der Umsetzung zu I. Ziffern 1 bis 7 bis zum 31.10.2019 zu berichten.

 

sowie
  • Antje Möller
  • Dr. Stefanie von Berg
  • René Gögge
  • Farid Müller
  • Dr. Carola Timm
  • Dr. Anjes Tjarks (GRÜNE) und Fraktion