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Konzept „Bahnsteigkante“ – Verbesserung der Sicherheit bei U- und S-Bahn: durch verstärkte Personalpräsenz in den Bahnhöfen und ein klares Waffen- und Alkoholverbot in den HVV-Beförderungsbedingungen

Dienstag, 01.06.2010

Nicht erst seit der tödlichen Messerattacke auf einen jungen Mann im S-Bahnhof Jung-fernstieg ist erneut die Sicherheitslage der Menschen in Hamburgs S- und U-Bahnstationen deutlich in das Bewusstsein der Hamburgerinnen und Hamburger gerückt. Nach Rückgängen in der Vergangenheit hat die Anzahl der Gewaltdelikte in HVV-Bahnhöfen – soweit diese erfasst werden – in jüngster Zeit deutlich zugenommen. So hat der Senat auf SPD-Anfrage einräumen müssen, dass die Gewaltdelikte von 2007 bis 2009 um fast 20 Prozent zugenommen haben (vgl. Drs. 19/5427). Dabei ist bedauerlich, dass nur die Hochbahn AG für den Bereich U-Bahn und Busse ein Lagebild nennen kann, während bei der S-Bahn laut Senatsangaben hierzu keine gesonderte Statistik geführt wird.

 

Obwohl nicht verkannt werden soll, dass die Verkehrsunternehmen in der Vergangenheit z.B. durch Ausbau der Videoüberwachung nicht unerheblich in die Sicherheit investiert haben, zeigen doch die aktuelle Fallentwicklung und die Rückmeldungen vieler Bürgerinnen und Bürger, dass Handlungsbedarf besteht. Gerade die – überparteilich gewollte – Aufnahme des U- und S-Bahnverkehrs in den Wochenendnächten hat, als Kehrseite, zu einer Konzentration von Gewalt- und Alkoholexzessen leider auch im öffentlichen Nahverkehr zu diesen Zeiten geführt, die weitere Gegenmaßnahmen erforderlich machen. Auch wird immer wieder moniert, dass der Sicherheitsstandard im Nahverkehr bei den verschiedenen HVV-Partnern immer noch zu unterschiedlich ist. Zudem wird beklagt, dass die sinnvolle Videoüberwachung Service- und Sicherheitspersonal auf den Bahnsteigen – insbesondere auf Brennpunkthaltestellen – nicht ersetzen könne.

 

Vor diesem Hintergrund sollte es Ziel sein, mit einem Konzept „Bahnsteigkante“ die Sicherheitsstrategien der HVV-Partner weiterzuentwickeln und eine verstärkte, möglichst ständige Präsenz von Service- und Sicherheitskräften auf den Bahnsteigen – insbesondere an Brennpunkthaltestellen zu Brennpunktzeiten – zu gewährleisten. Diese Aufstockung sollte genutzt werden, die Sicherheitsdienste der HVV-Partner unter ein gemeinsames Dach zu bringen, damit nach einheitlichen Standards und gemeinsamen Strategien die Sicherheit überall gleichermaßen gewährleistet ist. Überall, wo der HVV Leistungen anbietet, müssen die Fahrgäste sich auf das gleiche Sicherheitsniveau verlassen können. Ins-besondere die S-Bahn Hamburg GmbH darf nicht länger bei jeder unternehmerischen Entscheidung auf die Zustimmung des DB-Konzerns angewiesen sein. Der konkrete personelle Bedarf und die konkrete Anbindung der weiteren Präsenzkräfte sind auf Grundlage eines zu ermittelnden Lagebildes an den U- und S-Bahnhaltestellen zu bestimmen.

 

Ferner soll das umzusetzende Konzept „Bahnsteigkante“ ein klares Verbot von Waffen und Alkoholkonsum in den öffentlichen Verkehrsmitteln beinhalten:

 

- Mit dem Verbot, Alkohol in den Zügen zu konsumieren, hat nicht zuletzt die metronom Eisenbahngesellschaft mbH in den vergangenen Monaten gute Erfahrungen gemacht; es konnte ein signifikanter Rückgang der Straftaten in den Zügen festgestellt werden. Das Argument, die dortigen Erfahrungen seien wegen der kurzen Fahrzeiten in U- und S-Bahnen nicht mit den Schnellbahnen in Hamburg vergleichbar, hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. So entsprechen beispielsweise die Fahrzeiten vom Hamburger Hauptbahnhof mit dem Metronom nach Lüneburg und Tostedt von etwa 30 Minuten denen der S-Bahn nach Rissen und Neugraben oder der U-Bahn nach Ohlstedt.

 

- Konsequente Regelungen zum Verbot des Tragens von Waffen finden sich bislang nicht in den HVV-Beförderungsbestimmungen. So sind nach § 3 der Beförderungsbe-stimmungen aktuell nur „Personen mit geladenen Schusswaffen, es sei denn, dass sie zum Führen von Schusswaffen berechtigt“ sind, von der Beförderung ausgeschlossen. Im Übrigen kann der HVV nur auf die Generalklausel des § 11 verweisen, wonach „unverpackte oder ungeschützte Sachen, durch die die Fahrgäste verletzt werden können“, nicht mitgenommen werden dürfen. Ein normenklares Waffenverbot, das sich auf alle Hieb-, Stich-, Stoß- und Schusswaffen im Sinne des Waffengesetzes bezieht, sieht anders aus.

 

Hamburg braucht einen attraktiven ÖPNV – Sicherheit ist dabei ein wichtiger Faktor. Die mit dem Konzept „Bahnsteigkante“ vorgeschlagenen Maßnahmen zielen auf eine verbesserte Sicherheitslage gerade im Bereich von Haltestellen. Sie sollen Ängsten entgegenwirken und das Nahverkehrsangebot in Hamburg weiter verbessern, um noch mehr Menschen zum Umstieg auf die umweltfreundlichen U- und S-Bahnen zu bewegen.

 

Zur Finanzierung dieses Konzeptes müssen zunächst alle Möglichkeiten ausgelotet werden, langzeitarbeitslosen Hamburgerinnen und Hamburgern eine berufliche Perspektive zu ordentlichen Bedingungen zu bieten. Mit einer – zumindest teilweisen – Beschäftigung vormals Arbeitsloser eröffnen sich zudem Optionen, die Kosten des Projekts zu einem großen Teil aus Mitteln der Arbeitsmarktpolitik zu bestreiten. Die restlichen Mittel sind von den Verkehrsunternehmen zu erbringen. Zum Ausgleich kann u.a. auch geprüft werden, dass die der Hochbahn und der S-Bahn entstehenden Kosten durch eine moderate Fahrpreis-anpassung im Rahmen der ohnehin turnusmäßig für 2011 anstehenden HVV-Fahrpreisanpassung berücksichtigt werden. Die Bereitschaft, mit einigen Cent Fahrpreiserhöhung messbar etwas für die Sicherheit zu tun, dürfte bei den meisten Fahrgästen vorhanden sein.

 

Die Bürgerschaft möge deshalb beschließen:

Der Senat wird aufgefordert:

 

1. Ein Konzept „Bahnsteigkante“ mit Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitslage im Bereich der U- und S-Bahnen zu entwickeln.

Ein solches Konzept sollte folgende Komponenten enthalten:

 

a. Es wird eine verstärkte Präsenz von Service- und Sicherheitskräften auf den Bahnsteigen der U- und S-Haltestellen in Hamburg gewährleistet – verlässlich insbesondere an Schwerpunkthaltestellen und zu Schwerpunktzeiten.

b. Es ist zu prüfen, inwieweit diese Präsenz durch Aufstockung der bestehenden Sicherheitsdienste der Verkehrsunternehmen oder durch Bildung einer neuen Serviceeinheit aus bisher Arbeitssuchenden gewährleistet wird.

c. Zur Ermittlung der notwendigen Stärke des zusätzlichen Service- und Sicherheitspersonals auf den Bahnsteigen ist vorab ein Lagebild über Gefahrenlage, Sicherheitsgefühl und problematische Zeiträume an den verschiedenen Stationen zu erstellen. Dies erfolgt unter anderem durch eine Fahrgastbefragung, an der neben den Verkehrsunternehmen auch Polizei und Bundespolizei mitwirken.

d. In U- und S-Bahnen sowie HVV-Bussen ist umgehend ein ausdrückliches und voll-ständiges Verbot des Tragens jeglicher Waffen im Sinne des Waffengesetzes sowie des Konsums von Alkohol einzuführen; die Beförderungsbestimmungen sind ent-sprechend anzupassen.

e. Mit der Hamburger Hochbahn AG sind entsprechende Vereinbarungen über die Sicherstellung einer oben beschriebenen Präsenz auf den Bahnsteigen sowie eines Waffen- und Alkoholkonsumverbots zu treffen.

f. Mit der S-Bahn Hamburg GmbH sind ebenfalls solche Vereinbarungen zu treffen und im Verkehrsvertrag mit der S-Bahn Hamburg GmbH festzulegen.

g. Mittelfristig ist anzustreben, die Sicherheitsleistungen im gesamten HVV-Bereich aus einer Hand, nach einheitlichen Standards und Strategien zu erbringen. Die Prüfungen und Vorbereitungen hierzu sind unverzüglich aufzunehmen.

h. Die noch notwendigen, restlichen Nachrüstungen für die Ausstattung von HVV-Verkehrsmitteln mit Videoüberwachung sind bis Jahresende 2010 abzuschließen. Bis dahin ist außerdem zu prüfen, in welchen DB-Regionalzügen und DB-Regionalbahnhöfen, die Teil des HVV-Verbundsystems sind, eine Nachrüstung mit Videoüberwachung notwendig ist. Erforderliche Nachrüstungen sind bis Ende 2011 mit der DB AG verlässlich zu vereinbaren.

 

2. Zur Finanzierung

a. wird geprüft, ob und inwieweit im Hinblick auf die zusätzlichen Präsenzkräfte eine Finanzierung aus Arbeitsmarktmitteln möglich ist. In Betracht käme eine Förderung als Arbeitsgelegenheiten in der sog. Entgeltvariante, bei der eine zeitgleiche Qualifikation auf dem Arbeitsplatz stattfinden könnte. Diese Maßnahmen könnten zeitlich auf zwei Jahre begrenzt werden. Für weitere Arbeitsplätze käme eine Förderung nach § 16e SGB II nach der sog. „Job-Perspektive“ in Betracht, nach denen Menschen mit Vermittlungshemmnissen eine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz mit Bundes- und Landesförderung erhalten könnten. Weiterhin zur Verfügung stände die Möglichkeit der sog. „freie Förderung“ nach § 16 f SGB II, wie sie bereits für das Hamburger Modell in Anspruch genommen wird.

b. soll darüber hinaus geprüft werden, in welchem Umfang zusätzliche Kosten durch die bei der HGV bestehenden Planungsreserve finanziert werden können und ob bei nicht vollständigem Ausgleich diese ggf. bei den Verhandlungen mit den Verkehrsunternehmen bei der nächsten anstehenden HVV-Fahrpreisanpassung zu berücksichtigen sein werden.

c. werden unverzüglich Verhandlungen mit der S-Bahn Hamburg GmbH aufgenommen, mit dem Ziel, die notwendigen Maßnahmen im Bereich der S-Bahn ohne zusätzlichen Zuschuss, wie bei der Hochbahn, abzusichern.

 

3. Der Bürgerschaft ist über Prüfungs- und Realisierungsfortschritte halbjährlich zu berichten.