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Lageabhängige Kontrollmöglichkeit für die Hamburger Polizei ist richtig, notwendig und verfassungsgemäß – dem gesteigerten Informationsbedürfnis durch Aufnahme in die jährliche Unterrichtung Rechnung tragen

Mittwoch, 22.01.2014

zu Drs. 20/10442

Die Diskussion um die Möglichkeit von lageabhängigen Kontrollen der Hamburger Polizei wird in Teilen der Stadt sehr intensiv geführt – ein bisschen mehr Sachlichkeit und weniger Emotion würde dieser Debatte jedoch gut tun: Denn schon vor 2001 gab es polizeirechtlich die Möglichkeit für erleichterte Kontrollen der Polizei an bestimmten Orten – d.h. auch während der rot-grünen Koalition 1997-2001. Die explizite Möglichkeit für lageabhängige Kontrollen ist schließlich 2005 von der damaligen CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft im Polizeirecht verankert worden. Anders als aktuell gelegentlich behauptet, verfügen auch andere Bundesländer, z.B. Mecklenburg-Vorpommern, über vergleichbare Polizeirechtsnormen, die unter bestimmten Voraussetzungen aus Gründen der vorbeugenden Straftatenverhütung für Kontrollen keinen konkreten Verdacht vorsehen. Während der schwarz-grünen Regierungszeit gab es keine gesetzlichen Veränderungen bei den lageabhängigen Kontrollen, dieses Instrument wurde weiter geführt und intensiv angewandt. Umso mehr verwundert es, wenn die schon damals zuständige grüne Fachsprecherin Antje Möller heute sagt: „Schon 2005 habe ich die verdachts¬unabhängigen Kontrollen als verfassungswidrig kritisiert.“ Als sie die Gelegenheit in der 19. Wahlperiode zur Änderung hatte, hat sie keine Änderung hierzu initiiert. Bemerkens¬wert auch: Die grünen Senatsmitglieder und grünen Abgeordneten konnten in ihrer Regierungszeit nicht einmal durchsetzen, die tatsächlichen verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten beim Hamburger Polizeirecht zu beheben. Dieses gelang erst mit der verfassungskonformen Weiterentwicklung des Hamburger Polizeirechts unter dem SPD-Senat: Auf SPD-Initiative hatte die Bürgerschaft am 4. Mai 2011 den Senat mit Drucksache 20/273 einstimmig ersucht, der Bürgerschaft bis zum 31. Oktober 2011 einen Gesetzentwurf zur verfassungskonformen Korrektur und Weiterentwicklung des Hamburger Polizeirechts zuzuleiten, der auch die Diskussion und Evaluation von SOG und PolDVG aus der 19. Wahlperiode berücksichtigt. Mit Drs. 20/1923 hat der Senat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der an den lageabhängigen Kontrollen ausdrücklich festhielt, sie außerdem auf Waffen¬verbotszonen ausdehnte.

Wenn jetzt GRÜNE und LINKE mit außerparlamentarischer Unterstützung argumentieren, „Gefahrengebiete sind für einen Rechtsstaat nicht tragbar“ (so die Fraktion DIE LINKE in einer Presseinformation), so sei allen Kritikerinnen und Kritikern die Lektüre eines zwar noch nicht rechtskräftigen, aber sehr abge¬wogenen Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg (Urteil vom 2.10.2012, Az. 5 K 1236/11) empfohlen.

Es hat festgestellt, dass verfassungsrechtliche Zweifel an der entsprechenden Rechtsgrundlage des § 4 Abs. 2 PolDVG nicht bestehen. Das Verwaltungsgericht Hamburg, das sich übrigens anhand von lageabhängigen Kontrollen wegen befürchteter Ausschrei¬tungen im Schanzenviertel ausführlich mit der Rechtsgrundlage befasst hat, ist dabei u.a. zu folgenden Feststellungen (Hervorhebungen durch die antragstellende Fraktion) gelangt:

„Die Ermächtigungsgrundlage des § 4 Abs. 2 PolDVG …. begegnet …. im Ergebnis keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.“

„Die mit der Ermächtigungsgrundlage verbundenen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung …, in das Recht auf Freiheit der Person … und in die allgemeine Handlungsfreiheit ….sind jeweils gerechtfertigt.“

„Dem aus Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) und den durch die Regelung betroffenen Grundrechten abzuleitenden Gebot der genügenden Bestimmtheit von Rechtsnormen, das den Gesetzgeber verpflichtet, Vorschriften so zu fassen, dass sie die Anforderungen der Normenklarheit erfüllen, ist Genüge getan.“

„Der Gesetzgeber überlässt es zwar mit § 4 Abs. 2 PolDVG der Verwaltung, bestimmte Gefahrengebiete einzurichten. Durch die Normierung der Voraussetzungen, dass in einem bestimmten räumlich abgrenzbaren Gebiet im öffentlichen Raum konkrete Lageerkenntnisse auf die Begehung erheblicher Straftaten hindeuten müssen, setzt der Gesetzgeber allerdings eine nicht unerhebliche Schwelle für die Ausweisung der Gebiete.“

„Auch dass das Gesetz keine Verfahrensanweisungen für die Ausweisung der Gefahrengebiete enthält, führt nach Ansicht der Kammer nicht zu einem Verstoß gegen das Wesentlichkeitsgebot: Die hinreichende Dokumentation der Ausweisung des Gefahrengebiets ist letztlich dadurch sichergestellt, dass es sich hierbei um eine Obliegenheit der Verwaltung handelt. Nur auf diese Weise ist es der Verwaltung im Falle eines Klagverfahrens möglich, den Nachweis der Rechtmäßigkeit zu führen. Eine zusätzliche gesetzgeberische Normierung ist angesichts der … bestehenden (nachträglichen) Rechtsschutzmöglichkeiten nicht nötig. Dass regelmäßig überprüft werden muss, ob die Anordnung noch erforderlich ist, folgt letztlich aus der o.g. Tatbestandsvoraussetzung ´soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden´.“

„Das Ziel der Steigerung der öffentlichen Sicherheit durch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung ist als legitim anzusehen. Auch das Mittel, potentielle Störer durch die Herauslösung aus ihrer Anonymität von der Begehung von Straftaten abzuhalten sowie durch den Datenabgleich und die Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen eine eventuell bestehende Gefahr zu erkennen und ggf. Folgemaßnahmen einzuleiten, ist legitim.“

„Die Identitätskontrollen sowie die Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen im Vorfeld einer tatsächlichen Gefahr sind zur Erreichung dieses Zwecks – unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers – auch geeignet. Sie dienen in präventiver Hinsicht dazu, die Polizei in die Lage zu versetzen, durch einen Abgleich der festgestellten Identität mit polizeilichen Datenbeständen nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S. 3 PolDVG sowie durch die Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen eine von der kontrollierten Person möglicherweise ausgehende oder sonst mit ihr zusammenhängende Gefahr frühzeitig zu erkennen und ggf. durch weitergehende Maßnahmen abzuwehren…. Zugleich entfaltet die Befugnis zur Feststellung der Identität eine vom einzelnen Aufgriff unabhängige generalpräventive Wirkung…“.

„Das Gesetz ist zur Erreichung dieses Zwecks auch erforderlich. Denn ein milderes, gleich effektives Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten unter den hier maßgeblichen Bedingungen steht der Polizei nicht zur Verfügung.“

„Das Gesetz schafft nach Ansicht der Kammer auch einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen – dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der einen Seite und dem Schutz vor Straftaten von erheblicher Bedeutung auf der anderen Seite.“

„Da § 4 Abs. 2 PolDVG die verdachtslosen Identitätskontrollen nur in bestimmten Sondersituationen zulässt, bei denen aufgrund von konkreten Lageerkenntnissen mit der Begehung nicht irgendwelcher Straftaten, sondern mit der Begehung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung gerechnet werden muss, wird dieser Ausnahmecharakter der Vorschrift nach Ansicht der Kammer hinreichend deutlich gemacht….. Eine Blankoermächtigung zu willkürlichen Identitätskontrollen ist mit ihr nicht verbunden.“

„Im Ergebnis stellt sich damit der mit der Identitätskontrolle sowie der Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen bewirkte Eingriff als verhältnismäßig dar. Angesichts der Besonderheiten der Entstehung und Entwicklung bestimmter Gefahrenlagen in bestimmten Stadtteilen oder im Hinblick auf zeitlich begrenzte Sondersituationen – wie z.B. Ausschreitungen im Schanzenviertel während des Schanzenfests oder zur Walpurgisnacht oder im Zusammenhang mit bestimmten Fußballspielen – erscheint es angemessen, der Polizei ein wirksames Mittel an die Hand zu geben, um auf derartige Ausnahmesituationen (auch bereits im Vorfeld) adäquat reagieren zu können. Es erscheint demgegenüber nicht unangemessen, wenn das Gesetz jedermann die – verhältnismäßig geringfügige – Pflicht auferlegt, zur Minimierung der Risiken für die öffentliche Sicherheit gegebenenfalls seine Personalien zu nennen, ein mitgeführtes Ausweispapier zur Prüfung auszuhändigen sowie ggf. – bei Hinzutreten weiterer Erkenntnisse – die Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen zu dulden. Die mit diesen Maßnahmen verbundenen Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit stehen nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Gemeinwohlzwecken, denen die Grund-rechtsbeschränkung dient.“

„Auch dieser Eingriff ist im Ergebnis durch die – bereits im Rahmen des Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung gewichteten – hochrangigen öffentlichen Interessen an einem Schutz vor Straftaten von erheblicher Bedeutung gerechtfertigt. Insbesondere erscheint es notwendig und sachgerecht, der Polizei ein Mittel in die Hand zu geben, mit dem nicht nur die Identität kontrolliert, sondern zudem etwa das Mitführen von Waffen oder ähnlichen Gegenständen, die auf die Begehung einer Straftat schließen lassen, aufgedeckt werden kann.“

 

Diese sehr abgewogenen, differenzierten verfassungs- und polizeirechtlichen Feststellungen stehen im Gegensatz zu mancher, völlig überzogener öffentlicher Kritik insbesondere von GRÜNEN und LINKEN aber auch aus weiteren öffentlichen Debattenbeiträgen. Wenn in manchen Stellung¬nahmen von der Außerkraftsetzung von Grund- und Menschenrechten, von Notstandsgebieten, von Ausnahmezustand oder von Polizeistaat die Rede ist, so geht das – bei allem Verständnis dafür, dass man politisch dazu unterschiedlicher Auffassung sein kann – eindeutig in Wortwahl und Inhalt zu weit.

Bemerkenswert ist auch, dass in den kritischen Stellungnahmen zur lageabhängigen Kontrollmöglichkeit in der Regel auf die Anlässe, auf die zugrundeliegende Lagebeurteilung, nicht oder kaum mehr Bezug genommen wird. Dass dieser eine eskalierende Übergriffsserie gegenüber der Polizei und anderen öffentlichen Einrichtungen zu Grunde lag, wird gerne verschwiegen. Gleichwohl steht – auch bei diesen lageabhängigen Kontrollen – selbst¬verständlich jeder und jedem der Rechtsweg auch für Maßnahmen offen, die auf Basis der aktuell in Rede stehenden Lagebeurteilung verfügt worden sind. Die rechtliche Überprüfung im Rahmen eines Klagverfahrens bleibt ebenso abzuwarten, wie die OVG-Entscheidung auf das o.g. erstinstanzliche, noch nicht rechtskräftige VG-Urteil.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist die entsprechenden Kontrollen begleitende, transparente Öffentlichkeitsarbeit, um mögliche Fragen insbesondere von betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern zeitnah klären zu können. Die Polizei hat in diesem Zusammenhang mehrfach Presse¬meldungen versandt, diese auf die Homepage gestellt und Flugblätter auch mit Gebietskarten vor Ort bereitgehalten. Der Innensenator hat zeitnah nach Einrichtung des Gefahrengebiets ausführlich gegenüber der Öffentlichkeit in Medieninterviews Stellung genommen und wichtige Fragen beantwortet. Eine intensive Öffentlichkeitsinformation für diese nach dem Gesetz polizeifachlich zu treffende Maßnahme ist unabdingbar, war und ist in diesem konkreten Fall auch gewährleistet gewesen. Überlegungen, hier sollte das Parlament oder die Justiz schon im Vorfeld entsprechender Anordnungen beteiligt werden, sind allerdings entweder nicht praxistauglich oder nicht geboten, vor allem dann nicht, wenn eine Lagebeurteilung regelmäßig – wie hier täglich – aktualisiert und ggf. den Gegeben¬heiten angepasst wird. Eine weitere Präzisierung der Norm ist aus den vom Verwaltungs¬gericht genannten Gründen ebenfalls nicht erforderlich. Eine umfassende Einbindung der behördlich bzw. politisch verantwortlichen Leitungsebene von Polizei und Innenbehörde ist dagegen selbstverständlich und vorliegend auch gegeben gewesen. Eine umfassende nachträgliche gerichtliche (durch entsprechende Klagen beim Verwaltungs¬gericht) oder parlamentarische Kontrolle (durch Anträge oder Anfragen im Parlament) ist gewähr¬leistet und ausreichend. Auch der Datenschutzbeauftragte hat sich – da es um das PolDVG und Datenerhebungen geht – den Fragestellungen angenommen, d.h., es gibt sogar noch eine weitere Kontrollinstanz. Man sieht: Entsprechend der demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln können sich alle in diese Diskussion, die auch schon Gegenstand von repräsen¬tativen Umfragen gewesen ist, einbringen – und selbstverständlich ist die zugrundeliegende Norm des § 4 Abs. 2 PolDVG auch einem Volksgesetzgebungsverfahren zugänglich.

Vor diesem Hintergrund wird das besondere Transparenz- und Informationsbedürfnis, das auch die sehr kontroverse öffentliche Diskussion gezeigt hat, ernst genommen. Es bietet sich daher an, auch um längere Trends und Entwicklungen im Auge zu behalten, in die jährliche Unterrichtung des Senats zu bestimmten polizeirechtlichen Maßnahmen (vgl. zuletzt die Drs. 20/10257) auch die lageabhängigen Kontrollen bzw. die entsprechenden Lagebeurteilungen mit einzubeziehen.

Diese regelmäßige Unterrichtungsdrucksache hat sich als geeignetes parlamentarisches Kontrollinstrument bewährt, das sachgerecht um diesen Komplex erweitert werden kann. Die Ausgestaltung des Berichts sollte sich nach Art und Umfang an dem bisher durch den Senat regelhaft mitgeteilten Inhalt orientieren.

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird ersucht, die Vorschrift des § 4 Abs. 2 PolDVG in die jährliche Unterrichtung der Bürgerschaft über die Anwendung polizeirechtlicher Maßnahmen in sachgerechter Form mit einzubeziehen, um die regelmäßigen Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle auch dieser Maßnahme weiter zu verbessern.