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Menschliche Metropole: Kinderbetreuung und frühe Bildung – eine Investition in Hamburgs Zukunft!

Dienstag, 24.02.2009

Kaum ein anderes Thema im Bildungsbereich hat in den letzten Jahren derart an Bedeutung gewonnen, wie die vorschulische Förderung und Bildung von Kindern. Der individuelle Bildungsanspruch des Kindes rückt in den Mittelpunkt, während gleichzeitig ein familiengerechtes Betreuungssystem einen erheblichen quantitativen Ausbau erforderlich macht.

Das „Hamburger Kinderbetreuungsgesetz“ (KibeG) geht zurück auf ein von der SPD mit auf den Weg gebrachtes erfolgreiches Volksbegehren, das von mehr als sechzig Tausend Hamburgerinnen und Hamburgern unterstützt wurde und die CDU letztlich zu Verhandlungen über das von der Volksinitiative formulierte Kinderbetreuungsgesetz genötigt hatte. SPD und CDU haben den Gesetzentwurf des KibeG schließlich gemeinsam in die Bürgerschaft eingebracht – es wurde am 21.04.2004 einstimmig beschlossen.

In Hamburg gibt es aufgrund des KibeG Rechtsansprüche auf Betreuung, die über die des Bundes hinausgehen: unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern besteht der Anspruch auf eine täglich fünfstündige Betreuung vom vollendeten 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt. Außerdem gibt das KibeG einen Anspruch auf Betreuung für jedes Kind von 0 (Null) bis zum vollendeten 14. Lebensjahr in dem zeitlichen Umfang, in dem die Sorgeberechtigten wegen Berufstätigkeit, Ausbildung oder Arbeitsmarktmaßnahmen Betreuung brauchen (genannt „Hamburger Garantie“). Von daher ist die Versorgungsquote z.B. bei den unter 3-Jährigen in Hamburg - mit über 22 Prozent in 2007 - im westdeutschen Vergleich seit vielen Jahren Spitze. Treibende Kraft des Ausbaus von Krippen-, Kita- und Hortplätzen sind damit Hamburgs Eltern, die ihre Rechtsansprüche gemäß KibeG wahrnehmen.

In der Umsetzung des KibeG durch den Beust-Senat gibt es berechtigte Kritik: Der Senat orientiert sich nicht in erster Linie am Wohl des Kindes. Die Anerkennung des dringlichen sozial bedingten oder pädagogischen Bedarfes für einen Kita-Platz ist aufwendig und kompliziert. Die Umsetzung des Gesetzes durch den CDU-Senat benachteiligt oftmals diejenigen Kinder, die Betreuung besonders nötig hätten. Zudem bedeuten die vom CDU-Senat im Landesrahmenvertrag festgelegten Standards viel zu große Gruppen (z.B. 25 Kinder in einer Gruppe von 3-6jährigen) und eine schlechte Erzieher-Kind-Relation.

Hinzu kommt, dass der Senat bzw. die Leitung der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz (BSG) keine Daten zum Angebot an Plätzen, zur Nachfrage der Eltern bei Kita und Krippe sowie zur regionalen Verteilung des Ausbaus liefern können. Der Senat hält dies nach eigenen Angaben für „nicht erforderlich“ und setzt allein darauf, dass Angebot und Nachfrage im Kita-Gutscheinsystem über einen „dezentralen, marktähnlichen Prozess zur Deckung“ kommen sollen (vgl. Drs. 19/22). Dabei gibt es in Hamburg schon jetzt vielerorts Probleme, wohnort- oder arbeitsplatznah einen Platz – zudem im benötigten zeitlichen Umfang – zu finden.

Der Senat räumt ein, dass es im Kita-Gutscheinsystem „lokal zu Ungleichgewichten zwischen Nachfrage und Angebot“ kommen könne. Jüngst hat der Senat erstmals „Nachfrageüberhänge“ an Krippenplätzen im Bereich der inneren Stadt und bei verschiedenen Leistungsarten in den Bezirken Altona und Eimsbüttel eingeräumt (vgl. u.a. Drs. 19/156). Tatsache ist: Ein regional angemessen verteiltes Angebot bei den Kitas als auch beim Krippenausbau ist nicht gegeben.

Dabei entlässt der Wortlaut des KibeG den Senat trotz eines nachfrage-orientierten Bewilligungssystems keineswegs aus seiner sozialplanerischen Verantwortung. Im Gegenteil: Gemäß § 6 (1) des Hamburger Kinderbetreuungsgesetzes (KibeG) sowie seiner Begründung hat der Senat zu gewährleisten, dass freie Plätze in Tageseinrichtungen „in zumutbarer Entfernung zur Wohnung des Kindes“ (§ 6 (1)) bzw. „der Arbeitsstätte der Eltern“ (Gesetzes-Begründung zu § 6 KibeG) vorhanden sind.

Im Zusammenhang mit dem „Investitionsprogramm Kinderbetreuungsfinanzierung 2008 – 2013“ hat der Senat beschlossen und die BSG bzw. Senator Wersich bereits am 16.10.2007 beauftragt, einen Umsetzungsplan und eine darauf aufbauende vollständige Kosten- und Finanzierungsplanung zu erstellen. Diese Planung ist bis heute – fast eineinhalb Jahre nach Auftragserteilung – nicht vorgelegt worden und der Senat ist hierzu nicht auskunftsfähig.

Die große Bedeutung qualitativ hochwertiger Betreuung und Bildung in der frühen Kindheit ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden: Die Grundlagen für die späteren Chancen unserer Kinder werden bereits sehr früh gelegt. Wesentliche Weichenstellungen erfolgen vor dem Eintritt in die Grundschule. Frühkindliche Bildung darf auch deshalb keine Frage des Geldbeutels sein. Vielmehr ist – auch die frühkindliche - Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss mittelfristig beitragsfrei sein. Drei Jahre nach der Ankündigung durch die damalige CDU-Senatorin Schnieber-Jastram hat sich der CDU/GAL-Senat nun dazu durchgerungen, dem Beispiel anderer Bundesländer zu folgen und das letzte Jahr vor der Schule in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung beitragsfrei anzubieten. Die vom CDU-Senat eingeführte Gebühr für das Mittagessen in der Kita bleibt dagegen bestehen.

Dabei betonen Studien zum Thema frühkindliche Bildung neben dem persönlichen, bildungs- und integrationspolitischen Nutzen beitragsfreier Kindertagesbetreuung immer stärker auch deren hohen volkswirtschaftlichen Nutzen. Jüngst sprach sich das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) u.a. dafür aus, die Kindergartenjahre „wenigstens halbtags kostenlos zu gewähren und die Erzieherinnen besser zu qualifizieren“. Als positive Effekte dieser Maßnahmen, für die das IW „langfristig mit einer Rendite von 8 Prozent“ rechnet, werden genannt: positive Bildungseffekte, steigende Erwerbsbeteiligung, geringere Arbeitslosenunterstützung, weniger Nachqualifizierung sowie eine Verringerung der Kinderarmut (Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Pressemitteilung vom 11.11.2008 samt Anlage). Von daher kann die vom Senat vorgesehene Beitragsfreiheit für das letzte Jahr vor der Schule nur ein erster Schritt sein, dem die Beitragsfreiheit für die Vierjährigen bzw. für das vorletzte Jahr, das der Schulpflicht vorausgeht, zum 01.08.2010 folgen muss.

Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein auch qualitativ den Bedürfnissen unserer Kinder entsprechendes Bildungs- und Betreuungsangebot darf nicht länger vernachlässigt werden. Qualitätsfaktoren wie Gruppengrößen und Erzieher-Kind-Relation und die Berücksichtigung von mittelbarer pädagogischer Arbeitszeit sind deutlich zu verbessern.

 

 

 

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

1. zum 01. August 2010 auch für die Vierjährigen bzw. für das vorletzte Jahr, das der Schulpflicht vorausgeht, die Kindertagesbetreuung in einer Kita oder bei einer Tagesmutter im Umfang von fünf Stunden an fünf Wochentagen inklusive Mittagessen beitragsfrei zu stellen.

2. für das Mittagessen in der Kindertagesbetreuung zum nächstmöglichen Termin generell keinen Eigenbeitrag mehr zu erheben.

3. für Kitas in sozial benachteiligten Gebieten kleinere Gruppen zu schaffen - in Anlehnung an die Absenkung der Klassenfrequenzen von Grundschulen in KESS 1- und KESS-2-Gebieten. Maximal darf eine Gruppe aus 18 Kindern bestehen – bei gleichbleibender Fachkraftstärke pro Gruppe. Hierfür werden aufwachsend zusätzlich etwa 180 Erzieherinnen und Erzieher benötigt, für deren Einstellung der Senat seine Steuerungsmöglichkeiten über den Landesrahmenvertrag, die entsprechenden Verordnungen sowie seinen Einfluss qua Aufsichtsratsvorsitz der städtischen „Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten“ wahrnehmen soll. Die Einstellung von mindestens 60 zusätzlichen Fachkräften pro Jahr für diesen Zweck ist anzustreben.

4. gemäß § 6 (1) des Hamburger Kinderbetreuungsgesetzes (KibeG) dafür Sorge zu tragen, dass freie Plätze in Tageseinrichtungen „in zumutbarer Entfernung zur Wohnung des Kindes“ (§ 6 (1)) bzw. „der Arbeitsstätte der Eltern“ (Gesetzes-Begründung zu § 6 KibeG) vorhanden sind. Der Senat hat hier seiner planerischen Verpflichtung zu einer regional ausgewogenen Bedarfsdeckung nachzukommen, aus der ihn das Hamburger Kinderbetreuungsgesetz trotz eines nachfrage-orientierten Bewilligungssystems ausdrücklich nicht entlässt. Auch hierzu hat der Senat über seine Steuerungsmöglichkeiten, den Landesrahmenvertrag, die entsprechenden Verordnungen sowie über seinen Einfluss qua Aufsichtsratsvorsitz der städtischen „Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten“ tätig zu werden.

5. in Abstimmung mit den Einrichtungen und Trägern dafür zu sorgen, dass neben der - bisher nur angekündigten – Erhöhung des Anteils von Pädagoginnen und Pädagogen mit Bachelor-Abschluss auch verstärkt Fortbildungen für Sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten sowie für Kinderpflegerinnen und -pfleger angeboten und gefördert werden.

6. im Umsetzung des § 6 (3) des Hamburger Kinderbetreuungsgesetzes (KibeG), dafür Sorge zu tragen, dass der „Anspruch“ von Kindern mit „dringlichem sozial bedingten oder pädagogischen Bedarf“ auf Betreuung „in dem zeitlichen Umfang, der es erlaubt, sie bedarfsgerecht zu fördern“ auch wirklich umgesetzt werden kann – und zwar unter Berücksichtigung des Aspektes Sprachförderbedarf und unabhängig von der Lebenslage ihrer Eltern. Festgestellter Sprachförderbedarf und/oder sozialer und pädagogischer Bedarf eines Kindes führt bei Antrag zur Bewilligung eines Ganztagesplatzes. Die Änderung der Lebenslage der Eltern darf nicht zu einem Verlust der Teilhabe an frühkindlicher Bildung führen. Entscheidend ist allein der individuelle Förderbedarf des Kindes.

7. gemäß § 4 Absätze 1 und 2 des Hamburger Kinderbetreuungsgesetzes (KibeG) sicherzustellen, dass bei allen Kindern, die in einer Kindertageseinrichtung angemeldet werden, ihre altersgemäße Vorsorgeuntersuchung oder eine entsprechende ärztliche Untersuchung durchgeführt wurde (siehe auch Begründung zu Abs. 1 Satz 1). Bezüglich der in § 4 (2) für „alle Kinder“ gesetzlich festgeschriebenen „einmaligen ärztlichen Untersuchung“ ist die Verordnung der BSG bzw. die vom Senat genannte „Zieluntersuchungsquote von 25 Prozent der betreuten Kinder“ ein Gesetzesverstoß. Erschwerend kommt hinzu, dass der Senat zu Daten und Zahlen der erfolgten sowie der ausgebliebenen Untersuchungen nicht einmal auskunftsfähig ist.

8. Die Qualifikationen von Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Lehrerinnen und Lehrern, die bisher getrennt organisiert wurden, sind stärker zu integrieren. Auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschulen muss aufgewertet und verbessert werden, unter anderem erweitert um Kompetenzen in Diagnostik und frühkindlicher Förderung. Das Institut für Lehrerfortbildung (LI) wird zu einem gemeinsamen Institut für Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang ist auch eine Erhöhung des Anteils von männlichen Erziehern und Pädagogen – ausdrücklich auch mit Migrationshintergrund - anzustreben.

9. Schule und Jugendhilfe sind aufgefordert, systematisch zu kooperieren. Durch die Bildung multiprofessioneller Teams können die Kompetenzen und Ressourcen verbunden werden, Übergänge zwischen Kita und Grundschule sowie Schule und Beruf besser gestaltet werden. Dazu sind verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit zu schaffen. Beispiele für solche Strukturen sind z.B. „Bildungsgärten“ bzw. „Bildungshäuser“ in gemeinsamer Verantwortung für Bildung und Erziehung der Kinder, sozialraumbezogene Kooperationen oder die gemeinsame Gestaltung von Ganztagsschulen. Diese Ziele müssen verpflichtend mit Kitas und Grundschulen der einzelnen Schulregionen vereinbart und gemeinsam vor Ort umgesetzt werden.

10. Zur Finanzierung der genannten haushaltsrelevanten Maßnahmen wird der Titel 4000.972.01 „Globale Minderausgaben zur Finanzierung von Verbesserungen in der frühkindlichen Bildung“ mit einem Ansatz von -4.861.000 Euro für das Jahr 2009 und -16.944.000 Euro für das Jahr 2010 eingerichtet.

In den Beratungen zum Haushaltsplan-Entwurf 2009/2010 versicherten die Senatsvertreter mit Verweis auf 90 bis 150 Millionen Euro Reste, die jährlich im Einzelplan 4 anfielen, dass die Konkretisierung der im Einzelplan 9.2 veranschlagten „Globalen Minderausgaben für laufende Ausgaben im Einzelplan 4“ ohne Leistungseinschränkungen zu erbringen sei.