Zum Hauptinhalt springen

Menschliche Metropole: Mehr Prävention - Politik für Familien, Kinder und Jugendliche in Hamburg!

Dienstag, 24.02.2009

I. Kindern und Eltern frühzeitig und nachhaltig helfen

Bei den „Einzelfallfinanzierten Hilfen“ für Kinder und Familien gemäß Sozialgesetzbuch VIII gab es in den letzten vier Jahren vier Nachforderungen des Senats. Immer wieder wurde der Bedarf an Hilfen unterschätzt bzw. wurden deutlich zu wenig Finanzmittel eingeplant. Nach den Drs. 18/5053 und /6282 hieß es im Senatsantrag für Mehrbedarfe zum Haushalt 2007/2008 vom 11.09.2007 (Drs. 18/6980) u.a. für den Deckungskreis 46 „Hilfen zur Erziehung, Inobhutnahmen und sonstige Einzelfall-Hilfen nach dem SGB VIII“: „Neben den Mitteln für bereits umgesetzte Maßnahmen sind auch die Bedarfe für einen weiteren Ausbau des Netzes früher Hilfen und niedrigschwelliger Unterstützungsangebote enthalten. Ziel ist es, durch geeignete Maßnahmen im Vorfeld, Erziehungshilfen zu vermeiden.“

„Ziel ist es, durch geeignete Maßnahmen im Vorfeld, Erziehungshilfen zu vermeiden“ – so heißt es auch ein Jahr später in einer erneuten – und vorerst letzten – Mehrbedarfsdrucksache des Senats für „Hilfen zur Erziehung, Inobhutnahmen und sonstige Einzelfall-Hilfen“ (Drs. 19/918 vom 19.08.2008): Der Senat nennt hier zwar abstrakt einige Maßnahmen zur Steuerung, kann aber auch auf Nachfrage (vgl. Drs. 19/1556) nicht erläutern, wie er sein Ziel – Kosten und Fallzahlen durch Arbeit im „Vorfeld“ zu senken – erreichen will. Trotzdem meint der Senat, bei diesen Ausgaben in 2009 und 2010 eine Absenkung auf jeweils rund 176 Mio. Euro erreichen zu können – nach einem Ergebnis von voraussichtlich 199 Mio. Euro in 2008.

Senat bzw. Fachbehörde haben aber nicht den Mut, konsequent auf Prävention zu setzen. Statt eine echte Wende zu vollziehen, bleibt man auf halber Strecke stehen. In der Praxis hilft man damit weiterhin Kindern und Familien später und teurer als früh und nachhaltig. Dabei wäre früh und nachhaltig sogar „preiswerter“, da positive Auswirkungen auf Schulbesuch und -abschluss und eine spätere Erwerbsbiografie zumindest für einen Teil der Zielgruppe realistischerweise erwartet werden können.

Insbesondere sind für hilfebedürftige Kinder, Jugendliche und ihre Eltern „aufsuchende Hilfen“ und Hausbesuche der entsprechenden Träger und Einrichtungen zu ermöglichen bzw. zu stärken. So hatte es bereits im einstimmigen Petitum des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ (Drs. 18/3592) vom Februar 2006 geheißen: „Die bestehenden Einrichtungen - etwa Jugendamt und Allgemeine Soziale Dienste - müssen personell so ausgestattet werden, dass sie alle gesetzlich begründeten Aufgaben ordnungsgemäß und zeitnah erledigen können.“ Weiter heißt es hier unter anderem: „Die Allgemeinen Sozialen Dienste müssen wieder in die Lage versetzt werden, Familien aufzusuchen. Dazu gehört insbesondere (...), zu prüfen, ob die Kriterien zur Ermittlung der Soll-Stellen bei den Allgemeinen Sozialen Diensten noch den tatsächlichen Problemlagen und den sich dynamisch verändernden Bedarfen in den Bezirken entsprechen und dem zuständigen Fachausschuss über das Ergebnis der Prüfung zu berichten.“ Diese Forderung des Sonderausschusses vom Februar 2006 ist vom Senat bis heute nicht umgesetzt worden.

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

1. ein softwaregestütztes, verbindliches Fall- und Qualitätsmanagement sowie ein begleitendes und nachsorgendes Fallmanagement bei den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) bzw. bei den Trägern, die Hilfen zur Erziehung (HzE) durchführen, einzuführen.

2. in Zusammenarbeit mit den Bezirken die längst überfällige Sollstärkenberechnung für die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) – also die Ermittlung der notwendigen Stellenzahl, um die veränderten Aufgaben gesetzlich ordnungsgemäß und zeitnah erledigen zu können – umgehend in Angriff zu nehmen und der Bürgerschaft bis zum 30. Juni 2009 über sein Vorgehen und eingeleitete Schritte zu berichten.

3. in Zusammenarbeit mit den Bezirken einen Plan für die flächendeckende Ausweitung der Arbeit der Familienhebammen zu entwickeln und diesen zügig umzusetzen. Die jetzt vom Senat vorgesehene Erhöhung des Ansatzes ist weiterhin nicht ausreichend. Ziel muss es sein, dass in ganz Hamburg Neugeborene und ihre Familien von Hebammen aufgesucht und beraten werden können. Dieses soll geschehen in Abstimmung und Zusammenarbeit mit den Mütterberatungsstellen der bezirklichen Gesundheitsämter und den Welcome-Projekten.

4. zu berichten, in welchen Rahmenverträgen zur Familien-, Kinder- und Jugendpolitik bzw. in welchen Leistungsvereinbarungen mit welchen Trägern und Einrichtungen „aufsuchende Arbeit“ oder „Hausbesuche“ verbindlich geregelt sind, wie dies überprüft wird und welche Schlussfolgerungen hieraus gezogen wurden bzw. werden sollen.

5. zu berichten, welche Positionen und eigene Initiativen Hamburg in der im Juli 2008 eingerichteten Länder-Arbeitsgruppe zur Optimierung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Gesundheitswesen vertritt, inwiefern diese geeignet sind, präventiv zu wirken sowie welche Auswirkungen diese initiativen auf den Hamburger Haushalt hätten.

6. Zur Finanzierung der genannten Maßnahmen wird beim Titel 9890.972.28 „Globale Minderausgaben für laufende Ausgaben im Einzelplan 4“ für das Jahr 2009 und für das Jahr 2010 der negative Ansatz um jeweils -500.000 Euro erhöht.

In den Beratungen zum Haushaltsplan-Entwurf 2009/2010 versicherten die Senatsvertreter mit Verweis auf 90 bis 150 Millionen Euro Reste, die jährlich im Einzelplan 4 anfielen, dass die Konkretisierung der im Einzelplan 9.2 veranschlagten „Globalen Minderausgaben für laufende Ausgaben im Einzelplan 4“ ohne Leistungseinschränkungen zu erbringen sei.

 

II. Vorsorgeuntersuchungen („U-Untersuchungen“) verpflichtend machen

Vier Jahre nach dem qualvollen Hungertod der kleinen Jessica gibt es in Hamburg keine verpflichten Vorsorgeuntersuchungen. Der von der Bürgerschaft eingesetzte Sonderausschuss „Vernachlässigte Kinder“ hatte sich in seinem einstimmigen Abschlussbericht bzw. Petitum vom Februar 2006 für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen ausgesprochen (vgl. Drs. 18/3592). Die damalige Sozialsenatorin Schnieber-Jastram sagte in der Debatte zum Bericht des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ für den Senat: „(..) werden wir die Empfehlungen des Ausschusses umsetzen (..). Ich nenne hier beispielsweise die Initiative, die U 1- bis U 9-Untersuchung verpflichtend zu machen.“ (Protokoll der Bürgerschaft vom 01.02.2006).

 

 

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hatte bereits in der vergangenen 18. Legislaturperiode zweimal einen Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung“ vorgelegt (Drs. 18/7481). Dieses war zuletzt von der CDU-Fraktion - gegen die Fraktionen von SPD und GAL - abgelehnt worden. Unterstützung für solche Landesgesetze kommt – neben vielen anderen – ausdrücklich von der Bundesfamilienministerin.

Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU und GAL heißt es nun: „Es herrscht Einvernehmen darüber, dass bei den Vorsorgeuntersuchungen Nachbesserungsbedarf besteht, um eine höhere Verbindlichkeit zu erreichen.“ Für geplante Maßnahmen wird im Koalitionsvertrag dann allerdings eine „Orientierung an den Regelungen in Schleswig-Holstein verabredet.“ Dieses Vorhaben verwundert, da der vormalige verantwortliche Staatsrat und heutige Sozialsenator Wersich die Schleswig-Holsteinische Lösung ausdrücklich als völlig untauglich bezeichnet hatte - Auszug über die Aussagen von Staatsrat Wersich und Behördenvertretern aus dem Ausschussbericht zum SPD-Gesetzentwurf: „Beispielsweise erreiche die in Schleswig-Holstein beratene Maßnahme erst nach neun Verwaltungsschritten den Kern des Kinderschutzes. Sie hielten es für einen unvertretbaren Bürokratieaufwand, der auch finanzielle Ressourcen binde, ohne dem Kinderschutz zu gute zu kommen“ (vgl. Drs. 18/7922, S. 3).

Aber nicht allein bei der höheren Verbindlichkeit von bzw. der Pflicht zu Vorsorgeuntersuchungen verzichtet der Senat auf die Nutzung der landesrechtlichen Möglichkeiten: Auch bei der Frage der Meldung des Verdachts einer Kindesmisshandlung verweist der Senat bzw. der fachlich zuständige Senator lieber auf den Bund oder Beschlüsse von Ministerkonferenzen, die den Bund zum Handeln auffordern. So heißt es in der Pressemitteilung der BSG vom 03.07.2008 über Entscheidungen der Gesundheitsministerkonferenz seitens Senator Wersich: „Damit Ärzte in Zukunft beim Verdacht auf Kindesmisshandlungen die Jugendämter informieren können, ohne dass sie in Gefahr geraten, gegen die ärztliche Schweigepflicht zu verstoßen, fordern wir den Bund auf, entsprechende Gesetze zu ändern.“ Bayern dagegen hat nicht nur eine Verpflichtung zu Vorsorgeuntersuchungen per Landesgesetz eingeführt, sondern in diesem Zusammenhang gleich gesetzlich geregelt: „Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger sind verpflichtet, gewichtige Anhaltspunkte für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen, die ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt werden, unter Übermittlung der erforderlichen personenbezogenen Daten unverzüglich dem Jugendamt mitzuteilen.“ Diese gesetzliche Regelung ist in Bayern seit 16.05.2008 in Kraft (vgl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 9 vom 13.05.2008, S. 158 f.).

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

der Bürgerschaft die erforderlichen Gesetzentwürfe zur Verbindlichkeit von Vorsorgeuntersuchungen vorzulegen sowie die entsprechenden Verordnungen und ggf. Zuwendungs- und Leistungsvereinbarungen dahingehend zu ändern, damit auch in Hamburg Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammen verpflichtet werden, bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen, die ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt werden, unter Übermittlung der erforderlichen personenbezogenen Daten unverzüglich diese dem Jugendamt mitzuteilen.