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„Nein heißt Nein“ – Für eine Reform des Sexualstrafrechts zur Verbesserung des Schutzes vor sexualisierter Gewalt auf Basis der Istanbul-Konventio

Mittwoch, 10.02.2016

Neufassung

Jede siebte Frau wird in ihrem Leben einmal Opfer von sexuellen Übergriffen. Dabei wird nur der geringste Teil von sexuellen Übergriffen überhaupt zur Anzeige gebracht, wie Dunkelfeldstudien zeigen. Doch auch von den angezeigten Taten können in Deutschland bisher nur wenige konsequent geahndet werden. Der Grund dafür liegt in einem Sexualstrafrecht, das das Nein des Opfers in vielen Fällen nicht als Nein anerkennt. Auch die Vorfälle in der Silvesternacht in verschiedenen Städten zeigen, dass bei der Verfolgung von Straftaten noch stärkerer Regelungsbedarf besteht, dem der Gesetzgeber zügig nachkommen muss. Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein wichtiges Freiheitsgut in unserer Gesellschaft und muss als solches voraussetzungslos geschützt werden. Wir brauchen ein Sexualstrafrecht, das Frauen ausnahmslos vor sexualisierten Übergriffen schützt und eine Verurteilung der Täter für ihre Straftaten ermöglicht.

 

Nach geltendem Recht müssen Opfer sexualisierter Gewalt de facto aktiven Widerstand nachweisen können oder sich in einer juristisch schwer zu beweisenden objektiv schutzlosen Lage befinden, damit der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs anerkannt wird. Wenn das Opfer hingegen zu langsam reagiert, in eine Schockstarre verfällt, sich in seinem Widerstand nicht durchsetzt oder es aufgrund der körperlichen Überlegenheit des Täters unterlässt, sich zu wehren, ist der Tatbestand der sexuellen Nötigung nicht erfüllt. Denn § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB, der der schutzlosen Lage des Opfers Rechnung trägt, kommt häufig nicht im sozialen Nahbereich zum Tragen, obwohl dort die meisten sexuellen Übergriffe stattfinden. Das Sexualstrafrecht geht damit bis heute von einem idealisierten Opferverhalten aus. Obwohl gerade im häuslichen Bereich bzw. bei Taten, die durch Verwandte oder Bekannte begangen werden, die Opfer oft auf Grund von Überraschungssituationen, Angst oder Schock keine Gegenwehr leisten können, setzt § 177 StGB zur Verwirklichung des Tatbestands der sexuellen Nötigung oder der Vergewaltigung bis heute den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels voraus. Der Täter muss Gewalt angewandt, mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht oder eine objektiv schutzlose Lage des Opfers ausgenutzt haben, um sich gemäß § 177 StGB wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung strafbar gemacht zu haben.

 

Sexuelle Übergriffe wie die in der Silvesternacht in verschiedenen Städten sind inakzeptabel – unabhängig davon, welche Herkunft die Täter haben. Die Tatverdächtigen kommen nach bisherigen Erkenntnissen aus Ländern, die in besonderer Weise von patriarchalen Strukturen geprägt sind. Diese Herausforderung sehen wir und nehmen sie an. Die Taten haben jetzt aber noch einmal für eine breite Öffentlichkeit sichtbar gemacht, dass sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum aufgrund von Rechtslücken strafrechtlich oft nicht hinreichend geahndet werden kann.

 

Die Bundesregierung hat bereits einen Referentenentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts vorgelegt und befindet sich damit auf dem richtigen Weg. Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ wird damit aber noch nicht umgesetzt. Es gilt daher, sich von Hamburg aus mit Nachdruck für eine weitgehendere Reform des Sexualstrafrechtes stark zu machen, um diesen rechtlichen Missstand zu beseitigen.

 

Wichtig dabei ist, dass die enge Fokussierung des Strafrechts auf die Willensbeugung revidiert wird. Die strafrechtliche Verurteilung von Tätern muss künftig am sexuellen Selbstbestimmungsrecht ansetzen und darf nicht länger an der Qualifizierung der Nötigungsmittel oder der besonderen Umstände der Tat ansetzen. Wir fordern stattdessen ein Sexualstrafrecht, das jede sexuelle Handlung gegen oder ohne den Willen des Opfers als Strafhandlung anerkennt.

 

Die von Deutschland bereits im Jahr 2011 unterzeichnete und im August 2014 in Kraft getretene „Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ des Europarates (kurz: Istanbul-Konvention) sieht eine ebensolche strafrechtliche Regelung vor. Hier verpflichtet Artikel 36 dazu, „jede nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung mit einer anderen Person unter Strafe zu stellen“. In den Begründungen zur Konvention wird betont, dass die Strafbarkeit auch solche Handlungen umfassen soll, bei denen das Opfer keinen Widerstand leistet.

 

Auch Expertinnen und Experten der mit Gewalt gegen Frauen befassten Fachverbände in Deutschland fordern seit langem eine entsprechende Reform der Paragrafen 174 ff. StGB, in denen die Tatbestände des sexuellen Missbrauchs, der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung definiert werden. Der entsprechende Referentenentwurf der Bundes-regierung beinhaltet aber nach wie vor nicht den Grundsatz „Nein heißt Nein“. Das Reformanliegen der Bundesregierung unterstützen wir von der Landesebene aus und wollen zusätzlich erreichen, dass dieser Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht umgesetzt wird. Denn um sexualisierte Gewalt in Deutschland immer und überall ausnahmslos verfolgen zu können, ist eine entsprechende Rechtsgrundlage die erste Voraussetzung.

 

Zusätzlich bedarf es jenseits gesetzlicher Regelungen der flankierenden Erarbeitung von Maßnahmen mit präventivem Charakter, etwa in Gestalt von Kampagnen, die die Öffentlichkeit in Bezug auf sexualisierte Gewalt gegen Frauen noch deutlicher sensibilisieren.

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

1. eine Bundesratsinitiative zu starten, die die vollständige Umsetzung und Ratifizierung der Istanbul-Konvention beinhaltet,

2. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass der Grundsatz „Nein heißt Nein“ bei der Reform des Sexualstrafrechts verankert wird,

3. an geeigneter Stelle verstärkt auf die fundierte Erarbeitung von Kampagnen mit dem Ziel der Prävention sexualisierter Gewalt gegen Frauen hinzuwirken,

4. der Bürgerschaft bis zum 15.06.2016 zu berichten.

 

sowie
  • der Abgeordneten Mareike Engels
  • Christiane Blömeke
  • Filiz Demirel
  • Antje Möller
  • Dr. Carola Timm (GRÜNE) und Fraktion